Rechte Strippenzieher

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Nach der Wahl ist vor der Wahl. In Thüringen passiert das schneller als den meisten lieb ist. Gerade einmal einen Tag nach seiner Vereidigung zum neuen Ministerpräsidenten hat FDP-Mann Thomas Kemmerich bereits wieder gekündigt. So gern viele diesen Skandal durch Neuwahlen wieder rückgängig machen wollen: Der Vorgang hat gezeigt, wie mächtig Höckes Flügel zwischenzeitlich ist.

Immer anders als man denkt

Eigentlich wollte ich als nächstes einen Beitrag über das Massenphänomen „Austritt aus der AfD-Fraktion“ machen. Mit Verena Hartmann hat nämlich vor kurzem die fünfte Abgeordnete in der laufenden Legislaturperiode bekanntgegeben, in Zukunft nicht mehr Mitglied der nationalkonservativen Fraktion zu sein. Aber bekanntlich kommt es ja immer anders als man denkt.

Dass aber ausgerechnet der Politskandal in Thüringen dazwischengrätscht, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt. Dass es spannend werden würde, war keine Frage. Dass in Thüringen etwas neuartiges geschaffen würde, war auch von vornherein klar. Auch dass es knapp werden würde, war absehbar. Dass aber tatsächlich der Amtsinhaber Bodo Ramelow als Ministerpräsident verdrängt werden würde, damit hatten die wenigsten gerechnet. Fast jeder sah den Linken spätestens im dritten Wahlgang als Gewinner.

Dazu kam es aber nicht. CDU und FDP beliebte es, ihren Kandidaten Thomas Kemmerich mithilfe der AfD zum neuen Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Die faschistische Alternative unter Bernd Höcke ließ darüber getrost ihren eigenen Kandidaten im Regen stehen.

Der Shitstorm kam postwendend. Susanne Hennig-Wellsow wirft dem frischgebackenen Landeschef den Gratulationsstrauß vor die Füße, in mehreren Städten fanden sich spontan tausende Menschen zu Demonstrationen und Protestkundgebungen zusammen. Führende Politiker von CDU und FDP rügten ihren Parteikollegen für sein schäbiges Kalkül. Der Protest hat gewirkt: Bereits einen Tag nach Vereidigung kündigt Kemmerich seinen Rücktritt an. Neuwahlen stehen wohl ins Haus. Der Schaden ist trotzdem enorm.

Mit 5 Prozent zum neuen MP

Viele bezweifelten sogleich, ob Kemmerich überhaupt ein stabiler Ministerpräsident sein könnte. Sie meldeten Bedenken an, da es Kemmerichs Partei, die FDP, undenkbar knapp in den Erfurter Landtag geschafft hatte. Dass die schwächste Fraktion den Ministerpräsidenten eines Landes stellt ist zwar ein Novum, aber an und für sich nicht undemokratisch. In der Geschichte der Bundesrepublik kam es schon zigmal vor, dass eben nicht der Wahlgewinner den neuen Regierungschef stellte. Zugegeben, bei einer 5-Prozent – Partei mutet der Vorgang besonders grotesk an. Es ist nun aber einmal so, dass im Prinzip jede in einem Parlament vertretene Partei ein gewisses Regierungspotenzial in sich trägt.

Und im Kern geht es auch gar nicht darum, dass ein Bodo Ramelow abgewählt wurde. Es geht eigentlich um gar keine Abwahl. Es geht darum, dass eine faschistische Partei inzwischen so viel Einfluss hat, dass sie einen Ministerpräsidenten ins Amt hieven kann. Wer bei diesem perfiden Spiel mitmacht, verhilft dem Rechtsextremismus zur Unsterblichkeit.

Ein klarer Fall

Anscheinend glauben die Damen und Herren Abgeordneten von CDU und FDP allerdings, sie könnten die Menschen für dumm verkaufen. Angeblich hat es ja keine vorherigen Absprachen bezüglich der Wahl Kemmerichs gegeben. Sie seien Opfer des Kalküls der AfD geworden, die ihren eigenen Mann hinten runterfallen ließ. Wer diese dreiste Lüge glaubt, dem gebührt das gleiche Mitleid wie dem bereits scheidenden Ministerpräsidenten Kemmerich.

Selbstverständlich hat es diese Absprachen gegeben. Ansonsten hätten Konservative und Liberale niemals einen der ihrigen ins Rennen geschickt. Sie hätten doch davon ausgehen müssen, dass sie zwar für Kemmerich stimmen würden, die AfD aber ihren Kindervater wählen würde, während Rot-Rot-Grün ihrem eigenen Kandidaten treu bleiben würde. In einer solchen Konstellation hätte Bodo Ramelow im dritten Wahlgang die meisten Ja-Stimmen eingeheimst. Es ging den Abgeordneten links der AfD einzig und allein darum, einen unliebsamen linken Ministerpräsidenten zu beseitigen, koste es was es wolle.

Besonders verräterisch: Die AfD schickte keinen Fraktionskollegen ins Rennen, sondern jemanden von außerhalb. Bei dem Wahlverhalten der AfD hätte der Fraktionskandidat doch zwangsläufig sein Gesicht verloren. Über Christoph Kindervater haben kurz alle gelacht, selbst er selbst, bevor die Diskussion von Ramelow und Kemmerich beherrscht wurde.

Sprungbrett Mehrheitsopposition

Eines ist völlig gewiss: Das Signal, welches CDU und FDP in Thüringen gesendet haben, ist ein völlig falsches. Anstatt den wirklich gemäßigten Bodo Ramelow zumindest zu tolerieren, paktierten die beiden „Gewinner“-Parteien lieber mit der AfD. Höckes Verein allerdings ist im ganzen Land als besonders radikal verschrien. In ihrem unendlichen Linken-Hass haben CDU und FDP erfolgreich sämtliche Prinzipien über Bord geworfen. Für eine derartige Machtgeilheit kann man sich nur schämen.

Denn was wäre denn passiert, hätte man die rot-rot-grüne Minderheitsregierung toleriert? Die Opposition wäre in der Mehrheit gewesen und hätte die Geschicke des Landes viel stärker mitbestimmen können. Gerade in einem solchen Szenario hätte sich die Union als konservative Kraft profilieren können, die die Linksgrünen am kurzen Zügel hält. Ganz offensichtlich übernimmt dieses indirekte Mitregieren nun aber jemand anderes. Innerhalb von zwei Tagen haben Höckes Kameraden gezeigt, was sie können: Sie haben einen Ministerpräsidenten ins Amt gehoben und ihn sogleich wieder daraus entfernt.

Eine Truppe von Lachnummern

Und was passiert jetzt in Thüringen? Eigentlich wollte ich hier schreiben, dass sich die neugewählte Regierung immer von der AfD jagen lassen würde und den schwarzen Peter dann Rot-Rot-Grün und deren genereller Blockadehaltung zuschieben würde. Kann ich jetzt aber nicht mehr schreiben. Diese Regierung wird nach Kemmerichs Rücktritt nicht kommen. Immer anders als man denkt.

Verloren hat also nicht nur Ramelows Bündnis. Auch Kemmerich und seine Mannen müssen als Verlierer vom Feld ziehen. Eindeutiger Gewinner ist Höckes AfD. Unentschlossene Wähler und solche, die bisher zauderten, der AfD ihre Stimme zu geben, fragen sich doch nun zurecht, was so falsch daran ist, die Rechten zu wählen. Immerhin konnten die innerhalb kürzester Zeit aus dem Thüringer Landtag ein Affentheater machen. Ramelow regierungsunfähig, Kemmerich nach einem Tag zurückgetreten – wen soll man denn da wählen, wenn nicht die AfD? CDU und FDP stehen doch wie Vollidioten da, die kein normaldenkender Mensch mehr ernstnehmen kann. An einem Stimmengewinn der AfD führt kein Weg vorbei. Und der wird auf Kosten der beiden größten Politikhuren gehen, die das Land je gesehen hat.

„Wir werden sie jagen“

Die Abgeordneten der Thüringer AfD stehen nun als ehrliche und mächtige Persönlichkeiten da. Sie inszenieren sich als wohlwollende Demokraten, die aus schier unendlicher Verfassungstreue einen Kandidaten aus dem bürgerlichen Lager ihrem eigenen Kandidaten vorzogen. Ein großer und entgegenkommender Schritt. Anstatt sich nun aber in angemessener Form bei Höcke & Co. erkenntlich zu zeigen, wird den rechten Hetzern allerdings eine Beteiligung an der Regierung verwehrt. Ein geschickter Wählerfang also, dessen Botschaft eindeutig ist: Den nächsten Ministerpräsidenten wollen wir stellen.

Mehr und mehr gewinnt Höckes Flügel an Einfluss. Natürlich werden die jüngsten Ereignisse in Thüringen auch die Bundes-AfD nicht unberührt lassen. Es ist eindeutig, dass sich auch die Bundespartei weiter nach rechts bewegen wird. Schließlich wurde in Thüringen völlig offensichtlich, was Faschismus in Deutschland weiterhin bewirken kann.

CDU und FDP haben in Thüringen eine gefährliche Dynamik in Gang gesetzt. Sie haben sich von der AfD jagen lassen. Sie haben sich von der AfD zu Volldeppen machen lassen. Und das alles aus reinem Personalkalkül. Weil sie mit sich selbst beschäftigt sind. Politik für das Volk sieht anders aus.


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Die politische Lage in Thüringen ist verzwickt. Nach der Landtagswahl im vergangenen Herbst ist keine der herkömmlichen Regierungen mehrheitsfähig. Was nun? Auf dem Zettel steht längst auch eine Kooperation von Linken und CDU. Hat das eine Zukunft? Wenn es nach der CDU-Chefin geht, auf gar keinen Fall. Ihr thüringischer Kollege Mike Mohring ist da offener. Eine Koalition mit der Linkspartei schließt zwar auch er kategorisch aus, in Einzelfällen hält er ein Entgegenkommen aber für denkbar. In Zeiten einer erstarkenden Rechten sind neue Konzepte tatsächlich gefragter denn je.

Gregor Gysi meinte einst: „…zur Abwendung einer faschistischen Gefahr würden wir selbstwahrscheinlich diesen Kompromiss eingehen…“. Das war im Jahr 1999, als Maybrit Illner sowohl ihn als auch die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel auf Koalitionsmöglichkeiten zwischen Linkspartei (damals noch PDS) und CDU ansprach. Mit ihrer provokanten Frage war Maybrit Illner ihrer Zeit mit Sicherheit weit voraus. Die Frage nach einer etwaigen Zusammenarbeit zwischen den Linken und den Christdemokraten stellte sich vor über zwanzig Jahren im Grunde nicht. Heute ist das anders. Seit Monaten wird über eine solche Zusammenkunft in Thüringen heiß diskutiert. Vor allem die Haltung vieler CDUler hat sich dazu kaum geändert.

Keine Regierung ohne die Ränder

Eines ist völlig klar: Die Regierungsbildung nach den Landtagswahlen in Thüringen ist gelinde gesagt schwierig. Sowohl Die Linke als auch die AfD sind in dem Freistaat zwischenzeitlich so stark, dass keine Regierung mehr gegen beide Parteien gebildet werden kann. Egal wie man es dreht und wendet – eine der Parteien MUSS an der Regierung beteiligt sein. Es muss jeden mit großer Sorge erfüllen, dass das Spektrum zwischen Linker und AfD keine eigene Mehrheit mehr zusammenbekommt. Selbst eine völlig abstruse Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP kommt nicht gegen das Wählervotum für Linkspartei und der selbsternannten blauen Alternative an.

Im Prinzip stehen die Zeichen auf Minderheitsregierung. Und natürlich wird das eine Rot-Rot-Grüne sein. Die bisherige Mehrheitsregierung wird ihre Macht nicht an eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung abtreten. Ebenso wenig kann eine Minderheitskoalition der „Mitte“ auf Stimmen von links oder von rechts hoffen. Eine Koalition mit der FDP und der AfD ist für die Union in mehrfacher Hinsicht ein Schuss ins eigene Bein. In einer solchen Konstellation wären sie zwar an der Regierung direkt beteiligt, aber nicht regierungsführend. Diesen Job würde dann die AfD übernehmen. Das wäre dann wohl gleichbedeutend mit einem Ministerpräsidenten Höcke. Selbst erzkonservative Mitglieder der Thüringer CDU können das nicht wollen.

Verantwortungsvolles Novum

Um ihrer landespolitischen Verantwortung gerecht zu werden, müssten sich die Abgeordneten der CDU bei der Wahl zum Ministerpräsidenten also wohl oder übel enthalten. Spätestens im dritten Wahlgang wäre Bodo Ramelow dann erneut zum Landeschef gewählt. Was das mit politischem Verantwortungsbewusstsein zu tun hat? Wie alle anderen Parteien ist die CDU zur Landtagswahl angetreten. Sie wurde drittstärkste Kraft. Folglich kann die CDU auch nur die dritte Geige spielen. Damit nehmen sie den Willen der Wähler ernst. Das ist landespolitische Verantwortung.

Und keiner kann danach ernsthaft erwarten, dass die Christdemokraten all zu große Zugeständnisse an Linksaußen macht. Im Gegenteil, als Teil einer Mehrheitsopposition können sie sogar noch besser Einfluss auf die politischen Geschicke in Thüringen nehmen als in den letzten fünf Jahren. Die geschrumpfte Regierung müsste das Veto aus der Opposition wesentlich ernster nehmen. Auch die Damen und Herren aus der Regierung müssten sich ihrer Verantwortung stellen.

Eine Zusammenarbeit zwischen der Linken und der CDU ist im Grunde lange nicht mehr so außergewöhnlich wie sie den Gästen bei Maybrit Illner Ende des letzten Jahrtausends erschien. Auf kommunaler Ebene gibt es in der Zwischenzeit durchaus Kooperationen zwischen den beiden Parteien. Aber Kommune ist eben Kommune. Und Land ist nun mal Land.

Wer mit wem?

Es ist aber beileibe nicht das erste Mal in der demokratischen Geschichte Deutschlands, dass es Koalitionen gab, die zunächst so grotesk und falsch anmuteten. Jamaika mag vor gut zwei Jahren gescheitert sein bevor es losging, andere Zusammenschlüsse hielten länger. Die Große Koalition beispielsweise bündelt die Interessen zweier eigentlich gegensätzlichen Lager. Dass das schon lange nicht mehr so ist, hat verschiedene Gründe. Und auch eine Zusammenarbeit von Sozialdemokratie und Wirtschaftsliberalismus scheint zunächst absurd. Die rot-gelbe Koalition der 1970er hatte dafür aber beachtlich lange Bestand. All diese Konstellationen zeigten, worauf es in einer Demokratie ankommt: Kompromisse und Entgegenkommen.

So vehement wie die Thüringer CDU dieser Tage eine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD ausschließt, so lauthals wehrten sich in den 1980ern weite Teile des Bundestags gegen eine Kollaboration mit den Grünen. Die grüne Partei war tabu weil unbequem. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Mehrere Jahre übernahmen die Bündnisgrünen Regierungsverantwortung auf Bundesebene. Die anderen Parteien gaben ihre Abwehrhaltung weitgehend auf. Die Grünen mutieren indes immer mehr zur bürgerlichen Partei.

Solch gravierende Veränderungen sind weder bei Linkspartei noch bei der CDU ernsthaft zu erwarten. Aber was würde denn passieren, wenn die CDU tatsächlich in Einzelfragen mit den Linken stimmen würde? Die Frage ist bestimmt nicht leicht zu beantworten. Aber fest steht schon jetzt: Es ist bereits eine Menge passiert. Immerhin ist in Thüringen eine Koalition ohne die politischen Ränder nicht mehr möglich. Dabei ist natürlich fraglich, ob man Bodo Ramelows Linkspartei ernsthaft noch als linken Rand bezeichnen kann. Die sitzen halt eben nun mal ganz links. Vor der Wiedervereinigung hat auch niemand SPD oder CDU als linken oder rechten Rand bezeichnet.

Auf verschiedenen Seiten

Eine programmatische Annäherung zwischen CDU und Linker wäre wohl nicht zu erwarten. Dafür sind die Parteien in ihrem Weltverständnis zu verschieden. Passieren könnte das schon eher in einer formellen Koalition, wenn sie denn lange halten würde.

Man darf auch nicht vergessen: Bei einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung würden Linke und CDU weiterhin auf verschiedenen Seiten stehen. Die Linke wäre in der Regierung, die Union in der Opposition. Wer sich jetzt fragt, ob sich die beiden Parteien durch einzelne kleine Schlachten annähern könnte, der muss sich nur die Entwicklung der Thüringer CDU der letzten Jahre ansehen. In dieser Zeit befand sich die Partei Seite an Seite mit der AfD in der Opposition. Mit Sicherheit haben diese beiden Parteien auch Anträge gemeinsam abgelehnt. Sind sie sich deswegen wirklich nähergekommen? Ich glaube nicht.

Kooperation um keinen Preis?

In einer gemeinsamen Mehrheitsopposition wäre eine Annäherung zwischen CDU und AfD sogar wahrscheinlicher. Die beiden Parteien könnten sich schließlich noch effektiver zusammentun, um unliebsame rot-rot-grüne Spinnereien abzuschmettern. Die Frage „Heute mit den Linken, was kommt morgen?“ ist daher durchaus legitim. Natürlich würden Teile der CDU dann erst recht eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten befürworten, zumal ein Zusammenschluss gegen Links leichter wäre.

Wie laut dieser Aufschrei besonders konservativer Christdemokraten werden wird, ist allerdings fraglich. Mit Bernd Höcke hat sich die Thüringer AfD schließlich immer weiter vom rechtsstaatlichen Diskurs entfernt. Aber selbst wenn die Thüringer CDU brav Männchen macht – die Frage einer Kooperation mit den Rechtspopulisten wird in andere Bundesländer überschwappen, vermutlich sogar auf Bundesebene.

Andererseits ist der Beschluss des CDU-Parteitags eindeutig: Es wird keine Zusammenarbeit mit Linken und AfD geben. Doch weshalb ist ein solch endgültiger Beschluss überhaupt nötig? Wenn es sich nach CDU-Logik bei beiden Parteien um einen Haufen Verfassungsfeinde handelt, verbietet sich eine Zusammenarbeit dann nicht automatisch? Schließlich gibt es auch keinen Parteitagsbeschluss, der eine Zusammenarbeit mit der NPD ausschließt.

Völlig abwegig

Vielleicht gab es in den vergangenen Jahren ja doch einen Wandel innerhalb der CDU. Vielleicht sehen die Konservativen die Linkspartei heute nicht mehr pauschal als Feindin der Verfassung. Viel eher berufen sie sich auf die gravierenden programmatischen Unterschiede – die wirklich nicht von der Hand zu weisen sind. Und da in der bundesdeutschen Geschichte schon die wildesten Koalitionen trotz Unterschiede zusammentraten, ist der Beschluss auch legitim.

Und der Beschluss ist in der Sache auch richtig. Eine Koalition von Linken und CDU ist und bleibt absurd. Da kann Ramelow seine Genossen noch so sozialdemokratisiert haben. Bei einer solchen Zusammenarbeit würden beide Seiten ihre Seele verkaufen. Besonders konservative CDUler würden flugs zur AfD überlaufen und auch innerhalb der Linkspartei wäre mit enormem Widerstand zu rechnen.

Das Wahlergebnis in Thüringen ist wie es ist. Es liegt an den demokratischen Kräften im Freistaat, wie sie damit umgehen. Pauschale Absagen halte ich in einer solch prekären Situation für grob fahrlässig. Trotzdem will jeder Schritt gut überlegt sein. Spätestens mit einer Höcke-AfD ist der Fall eingetreten, den Angela Merkel 1999 bei Maybritt Illner noch als „abwegig“ bezeichnete: Das Land Thüringen sieht sich mit einer echten faschistischen Gefahr bedroht. Es wird Zeit, umzudenken.


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Das Extrem ist bequem

Beitragsbild: MarkusMoerth, Pixabay.

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Ich kenne Diktaturen nur aus dem Geschichtsbuch. Ich wurde nach dem Mauerfall und nach der deutschen Einheit geboren. Die DDR habe ich weder aktiv noch passiv erlebt. Die Nazizeit noch viel weniger. Ich bin froh, in einem freiheitlichen, demokratischen Staat aufgewachsen zu sein. Groß geworden bin ich in Baden-Württemberg. Neben Bayern vielleicht das Bundesland, das am wenigsten Grund zum Klagen hat. Doch nicht jeder ist so überzeugt von der Überlegenheit einer rechtsstaatlichen Ordnung wie ich es bin. Manche Menschen sehnen sich gar nach einer Diktatur. Ich kann es nicht ertragen.

Protestwähler wählen blau

Die AfD befindet sich weiter im Umfragehoch. Darin sind sich die meisten Meinungsforschungsinstitute einig. Sie sehen die Partei zwischen 13 und 15 Prozent. In einigen Umfragen überholen die Rechtspopulisten damit erneut die Sozialdemokraten. Doch spätestens seit man Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden der Thüringer AfD, rechtmäßig als „Faschisten“ bezeichnen darf, ist völlig klar: Wer die AfD wählt, der wählt eine Partei, die mindestens in Teilen rechtsextrem ist. Das Urteil der Meininger Richter kann man sehen, wie man will. Offensichtlich ist allerdings, dass es für diesen Urteilsspruch Gründe gibt. Wer von „Bevölkerungsaustausch“ oder einem „Mahnmal der Schande“ redet, der kann nicht in der Mitte einer angeblich rechtsstaatlichen Partei stehen, wie es der scheidende AfD-Parteichef Gauland kürzlich formuliert hat.

Doch nicht nur Höcke sorgt mit seinen Äußerungen seit Jahren für Wirbel. Der AfD-Sprech von linksgrün-versifften Altparteien, von Schießbefehlen und von nutzlosen Kopftuchmädchen vergiftet die politische Debatte schon lange wie ein wucherndes Geschwür.

Noch bis vor kurzem war der Begriff des „Protestwählers“ geläufig. Diese Menschen wählten die AfD angeblich, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Gebracht hat es ihnen nicht viel: die gleiche Regierung fand in Neuauflage für eine weitere Legislatur zusammen. Die erschreckend hohen Wahlergebnisse der AfD in den ostdeutschen Bundesländern, ließ viele Menschen allerdings am Begriff der Protestwähler zweifeln. War es nicht viel mehr so, dass die Menschen die AfD nicht trotz ihrer Nähe zum rechten Rand wählten, sondern gerade wegen ihrer Nähe zum Rechtsextremismus?

Faschismus 2.0

Und was heißt überhaupt Rechtsextremismus? Viele AfD-Sympathisanten verdrehen genervt die Augen, wenn sie mit Phrasen wie „Wehret den Anfängen“ oder „aus der Geschichte lernen“ konfrontiert werden. Intuitiv verbitten sie sich jedweden Vergleich mit den Faschisten aus der NS-Zeit. Und mit einem haben sie dabei recht: Faschismus funktioniert heute tatsächlich anders als er noch vor 80 Jahren funktionierte.

Zum einen haben wir heute eine wesentlich stärkere und wehrhaftere Demokratie als das in den 1920er-Jahren der Fall war. Die Demokratie wird heute nach wie vor von der Mehrheit der Bürger gestützt. Zu Weimarer Zeiten war das anders. Die wenigen echten Demokraten wurden zwischen linksaußen mit ihren kommunistischen Träumereien und von rechtsaußen mit ihren Führer-Fantasien zerrieben. Der Abschied vom Kaiserreich fiel vielen schwer. Hier hat man aus der Geschichte tatsächlich gelernt: Die Fünf-Prozent – Klausel macht es extremistischen Strömungen heute schwerer, im Parlament Fuß zu fassen als es vor rund 100 Jahren der Fall war.

Und natürlich operieren die AfDler nicht so wie die Nazis unter Hitler. Selbstverständlich gehen sie nicht gleich von 0 auf 100. Sie haben heute nämlich einen folgenschweren Nachteil: Ihre Worte werden stets an denen der damaligen Nazis gemessen. Gerade weil es in der deutschen Geschichte schon einmal eine Entfesselung des Faschismus gab, müssen sie heute wesentlich behutsamer und subtiler vorgehen. Und selbst Hitler ging nicht gleich von 0 auf 100. Vielleicht erst mal auf 70. Und die AfD geht heute vielleicht auf 50.

Doch selbst das bewahrt sie selten vor der mächtigen Nazikeule, die sie gerne auch für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Den Nachteil, dass es den Faschismus in Deutschland schon einmal gab, münzen die Rechtspopulisten dabei geschickt in einen Vorteil um. Frei nach der Logik „Wenn wir uns nicht so wild aufführen, wie die von damals, kann uns keiner was.“ Stoßen sie auf Widerstand, schwingen sie selbst die Nazikeule und stilisieren sich zu Opfern. Weiterhin gilt, was Brecht einst schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

30 Jahre für die Tonne?

Vor kurzem jährte sich der Mauerfall zum 30. Mal. Zeit für eine schiere Flutwelle an Dokus und Polit-Talks zu genau diesem Thema. Diskutiert wird bevorzugt, ob Ossis Bürger zweiter Klasse sind. Politiker überschütten sich förmlich mit Vorwürfen, was damals alles schiefging und wie es hätte besser laufen können. Kurzum, an diesen Beiträgen führt kein Weg vorbei.

Auch das rbb trug dem Jubiläum Rechnung und schaute sich die Lage 30 Jahre nach dem Fall der Mauer etwas genauer an. In dem Format „Wir müssen reden!“ vom 7. November kamen allerdings auch Bürger zu Wort, die sich die DDR zurückwünschten. Einer von ihnen meinte sogar, man könne die letzten 30 Jahre in die Tonne treten.

Über Jahrzehnte trennte die Mauer Ost und West. Trotzdem sehnen sich manche nach dieser Zeit zurück.
Bild: Noir, Berlinermauer, CC BY-SA 3.0.

Das ist schon mehr als gesunde Ostalgie. Generell ist der Umgang mit der DDR ein ganz anderer als mit der deutschen NS-Vergangenheit. Dabei waren doch beide Systeme Diktaturen. Trotzdem wird man für Mauerträume nur belächelt. Oftmals werden sie sogar toleriert. Solche Meinungen sind immerhin kein Einzelfall. Weder bei Ossis noch bei Wessis. Gerade in Westdeutschland gibt es eine Menge Leute, die die Mauer heute nicht zum Einsturz bringen würden, sondern am liebsten noch einmal drei Steine obendrauf legen würden.

Doch woher kommt dieser grundlegend andere Umgang mit der DDR? Nazi-Deutschland ist und bleibt das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte. Sehnt man sich nach dieser Zeit zurück, ist man eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Das ist weiterhin Konsens. Eine spezifische Nostalgie gegenüber dieser Zeit gibt es nicht. Bei der DDR ist das nicht so leicht zu unterdrücken. Immerhin existierte dieser Staat ganze 40 Jahre. Zeit genug, in dieses System hineingeboren zu werden und auch darin zu sterben. Vor allen Dingen aber Zeit genug, mit diesem System zu leben.

Das richtige Leben im falschen?

Es verbietet sich also fast automatisch, alles an der DDR schlechtzureden. Viele Menschen haben einen Großteil ihres Lebens darin verbracht. Um sie nicht komplett abspenstig zu machen, braucht es ein Phänomen wie das der Ostalgie. Die Ampelmännchen und der Sandmann geben ihnen zumindest zeitweise das Gefühl, nicht vollständig in einer Lüge gelebt zu haben.

Darum ist auch der Begriff „Unrechtsstaat“ gegenüber der DDR so umstritten. Ein Unrechtsstaat fußt einzig und allein auf dem Unrecht. Er ist durch und durch schlecht. Dieses Argumentationsmuster mag bei einem Staat funktionieren, der ein Dutzend Jahre gehalten hat. Aber bei einem Staat, der mehrere Generationen hervorgebracht hat? Man kann so vielen Menschen und so vielen Generationen nicht glaubwürdig vorhalten, die meiste Zeit ihres Lebens falsch gelebt zu haben.

Von Sicherheit und Autobahn

Trotzdem war die DDR eine Diktatur. Eine ziemlich brutale sogar. Mauertote, Gesinnungshaft und Zwangsadoptionen waren die Regel. Und trotzdem gibt es Menschen, die selbst im Fernsehen öffentlich dazu stehen, dass sie sich die DDR zurückwünschen. Ihr Totschlagargument ist häufig die soziale Sicherheit. Eine Sicherheit, die sie in der Bundesrepublik so nie empfunden haben. Wie überzeugend dieses Argument ist, bleibt jedem selbst überlassen. Doch eine Frage bleibt: Reicht es aus, um eine Diktatur regelrecht zu glorifizieren?

Ich sage: Nein. Eine Diktatur ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch nicht von angeblichen sozialen Sicherungssystemen. Hier schließt sich übrigens auch der Kreis mit den AfD-Wählern. Wählen sie die AfD denn jetzt trotz oder wegen der rechtsextremen Tendenzen? Für mich ist klar: Trotz. Genau wie die Hardcore-Ostalgiker verteidigen sie ein System nicht wegen der Mauertoten oder wegen des rechtsextremen Personals, sondern trotz dieser Offensichtlichkeiten. Weniger gefährlich macht das solche Entwicklungen allerdings nicht.

Ich halte es sogar für gut möglich, dass viele derer, die sich die DDR zurücksehnen, der AfD ihre Stimme geben. Sie träumen von der Zeit einer linksextremen Diktatur und wählen gleichzeitig Rechtsextreme. Was zunächst wie vollständiger politischer Analphabetismus anmutet, ist auf den zweiten Blick doch nachvollziehbar. Das Vorzeichen des Extremismus ist wurschd, es zählt einzig und allein das Ergebnis. Diese Menschen wollen keine Diktatur, sie vermissen soziale Sicherheiten. Das Argument der sozialen Sicherheit hinkt allerdings mindestens genau so stark, wie die Aussage, Hitler hätte Autobahnen gebaut. Beide sind vom gleichen Schlag. Sie verschleiern, dass das negative in diesen Systemen eindeutig überwogen hat.

Das Konzept der schwierigen Antworten

Und trotzdem wenden sich immer mehr Menschen von der Demokratie ab. Sie verlangen nach einfachen Lösungen. Genau das kann ihnen die Demokratie aber nicht bieten. Eine Demokratie beruht immer auf Kompromissen. Es muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Am Ende steht eventuell eine Lösung. Aber die ist häufig schwierig und komplex.

Sich in einer Diktatur über Wasser zu halten, kann einfach sein. Viele ehemalige DDRler sind lebendiger Beweis dafür. Wer die Obrigkeit nicht hinterfragt und sich mit den Gegebenheiten arrangiert, konnte auch dort ein fast gutes Leben führen. In einer Demokratie geht das nicht. Wer 2005 alles auf Merkel setzte, steht heute praktisch mit leeren Händen da.

Die Demokratie steht also vorrangig für zähe Diskussionen und langwierige Verhandlungen. Wirklich recht kann man es in ihr keinem machen. Wenn die Mehrheit entscheidet, wird ein Teil immer der Unterlegene sein. Sie muss also Wege finden, über dieses Defizit hinwegzutrösten. Werden die Lebensbedingungen einer Diktatur als besser empfunden, dann läuft etwas gehörig schief. Kann eine Demokratie nichts mehr bieten, was die Lebensrealitäten einer Diktatur blass aussehen lässt, bleiben nur die schwierigen Antworten. Und der Mensch, sucht eben nach einfachen Antworten…

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