Die Lückenschließerin

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Traut sie sich, oder lieber nicht? Seit Monaten wird die Gründung einer Wagenknecht-Partei rauf- und runterdiskutiert. Wie ein penetrantes Schreckgespenst geistert diese Idee durch die Medien, die Zeitungen, die Talkshows. Konkret ist davon bisher wenig, auch wenn verschiedene Headlines im gerade zurückliegenden Sommer anderes vermuten ließen. Immer interessanter wird aber die Frage: Was passiert, wenn die neue Partei nicht kommt? Das Ende der Ikone Wagenknecht? Ein weiterer Push für die AfD? Dem Land fehlt eine durchsetzungsstarke linke Alternative. Die neue Partei, wer immer sie gründet, muss daher ein Erfolg werden.

Routiniert unkonkret

Das Sommerloch hat wieder zugeschlagen. Nachdem sich die Gerüchte um eine mögliche Wagenknecht-Partei seit mehreren Monaten hartnäckig hielten – und von der Hauptperson mitunter kräftig befeuert wurden – hatte die Presse ausreichend Zeit, sich damit zu befassen. Nun sorgten ausgerechnet exklusive Informationen der BILD-Zeitung für ein weiteres Medienbeben. Angeblich sei alles längst beschlossen, die Bekanntgabe sei nur noch eine Frage der Zeit.

Keiner der Beiträge hielt, was er versprach. Nicht einer von ihnen enthielt nennenswerte neue Informationen. Alle bereiteten sie seit Monaten bekanntes clever wieder auf. Dabei reichen die Gerüchte um einen politischen Neustart von Sarah Wagenknecht deutlich weiter zurück als zum Jahresanfang. Schon ihr Bestseller „Die Selbstgerechten“ aus dem Frühjahr 2021 machte mit erschreckender Offenheit deutlich, dass Wagenknecht mit ihrer Partei gebrochen hatte. Ihr „Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ war die Blaupause für neue politische Projekte.

Die Gründung einer neuen Partei ist daher nur die logische Konsequenz. Irgendwann begriffen das auch die Medien und so nahm man ihre zunächst sehr zurückhaltenden Äußerungen eines Tages zum Anlass, sie nach der Gründung einer eigenen Partei zu fragen. Der Geist war damit aus der Flasche. Seitdem werden die Hinweise immer konkreter, bleiben aber vage. Mittlerweile hat der Begriff „Wagenknecht-Partei“ das Potenzial, zum (Un-)Wort des Jahres gekürt zu werden.

Die Geister, die sie rief…

Fakt ist: Aus der Nummer kommt Sarah Wagenknecht nicht mehr raus. Zunächst machte alles den Anschein, als wartete die Linken-Ikone nur darauf, dass sich irgendwer anders fände, der die Gründung für sie übernehmen könnte. Sicher nicht zufällig zierte sie sich zunächst, einen entsprechenden Schritt anzukündigen. Lange sprach sie im Konjunktiv: Es gibt eine politische Leerstelle – es müsste eine neue Kraft entstehen.

Andere waren da kognitiv schneller und ließen alsbald Taten folgen. Der Vorstand der Linken erklärte öffentlich, dass Wagenknecht nichts mehr in der Partei verloren hätte. Die Journalisten nötigten Wagenknecht sodann regelrecht dazu, sich zu ihrer Idee zu bekennen.

Sie alle haben ihr Ziel gewissermaßen erreicht: Wagenknecht hat längst erklärt, dass sie für Die Linke nicht noch einmal in den Ring steigen wird, die Entscheidung über eine Parteigründung wird im Herbst fallen. Dabei ist die Sache völlig klar: Sahra Wagenknecht muss liefern, sonst ist sie selbst geliefert. Inzwischen hängt ihre Glaubwürdigkeit von der Gründung einer neuen Partei ab. Niemand würde es ihr durchgehen lasse, stellte sie sich nach den Landtagswahlen im Oktober vor die Kameras und sagte: „Ich habe leider keine Mitstreiter gefunden.“ Eher noch würde man ihr verzeihen, würde das Parteiprojekt nicht die erwünschte Durchschlagskraft entfalten.

Natürlich steht Sarah Wagenknecht unter enormem Druck. Schon einmal ist sie ein ähnliches Wagnis eigegangen und hat mit Getreuen die Sammlungsbewegung aufstehen gegründet. Nach viel Tamtam und Bohei ist der soziale Protest sogleich wieder im Keim erstickt. Wagenknecht selbst führt das heute auf ihr mangelndes Organisationstalent zurück. Nicht gerade rosige Aussichten für eine neue Partei…

Kampf der sozialen Ignoranz

Man kann von Sarah Wagenknecht halten was man will. Mit einem hat sie aber definitiv recht: Es gibt eine Repräsentationslücke in der deutschen Parteienlandschaft. Bestimmte Meinungen und Interessen sind in der heutigen Politik bestenfalls unterrepräsentiert. Um das zu ändern, dafür braucht es eine neue Partei.

Schon das Kanzlertriell 2021 hat gezeigt, dass viele Menschen mittlerweile dazu neigen, sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Olaf Scholz konnte auf den letzten Metern nur deshalb so gut aufholen, weil seine beiden Herausforderer noch viel schlechter für das Land waren – und keine Gelegenheit ausließen, das zu zeigen. Heute ist von den Siegern von damals nicht mehr viel übrig: Mickrige 23 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden.

Besonders Vorhaben wie das Heizungsgesetz und die Gasumlage haben den Unmut in der Bevölkerung geschürt und der Regierung nachhaltig Vertrauen gekostet. Gerade in diesen Zeiten der sozialen Ignoranz und der entfesselten grünen Fantastereien wäre eine kraftvolle linke Opposition bitter nötig. Die Linke wird nicht müde, sich zu dieser Aufgabe zu bekennen – und vermasselt sie gehörig. Aus Angst, AfD-Wähler könnten mitlaufen, schafft es diese ausrangierte Protestpartei nicht einmal, Demonstrationen gegen die existenzgefährdende Politik der Ampel zu organisieren.

Politische Amnesie

Dabei wären doch vor allem die verführten AfD-Wähler erstes Ziel solcher Protestaufrufe. Sie haben sich aus genau den Gründen von der Politik abgewandt, gegen die sich der Protest richtet. Für eine selbstbewusste linke Opposition wäre es kein Problem, einen großen Teil dieser Wähler zurückzugewinnen und ihnen eine neue politische Heimat zu bieten. Auch Nichtwähler könnten auf diese Weise angesprochen und wieder eingebunden werden.

Stattdessen macht man es den Wählern der AfD zum Vorwurf, die Politik der demokratischen Parteien nicht zu verstehen. Getreu dem Motto „Der Wähler muss zur Partei passen“ ist man entsetzt darüber, dass viele die AfD der angeblich so offensichtlich besseren Option vorziehen. Im schlimmsten Fall geißelt man diese Wähler pauschal als rechtsextrem. Nach zehn Jahren neuem Rechtspopulismus hat leider noch immer kein Lerneffekt eingesetzt.

Es setzt sich stattdessen immer mehr der Trend durch, reflexhaft mit unhaltbaren Vorwürfen zu reagieren, wenn neue Ideen zu sehr vom Mainstream abweichen. Anders als mit fortschreitender Amnesie ist es zumindest nicht zu erklären, warum man sogar Sarah Wagenknecht ob ihrer Äußerungen in die rechte Ecke stellt. Es ist noch gar nicht so lange her, da warf man der ewig Unbequemen noch vor, sie stünde zu weit links. Ein Königreich für diese Zeiten…

Mut zum Linkssein

Die etablierten Parteien haben verlernt, die Sorgen und Ängste der Menschen ernstzunehmen. Ihnen geht es heute in erster Linie darum, ihre Ideologien und Programmatiken durchzusetzen. Früher versuchten die Parteien zumindest, ihre Parteiprogramme auf die realen Nöte der Wähler anzupassen. Momentan macht das fast ausschließlich die AfD – ihr Erfolg in den Umfragen ist das beste Zeugnis dafür.

Die Menschen im Land haben Angst vor der horrenden Inflation. Sie möchten preiswert ihre Wohnungen beheizen und für ihre Arbeit fair bezahlt werden. Das alles sind Tatsachen. Die meisten Parteien bleiben überzeugende Antworten darauf schuldig. Mit ihren Überlegungen einer Parteineugründung greift Sarah Wagenknecht exakt diese Fragen auf und stellt den plumpen Parolen der AfD eine vernünftige Alternative gegenüber.

Wenig überraschend bringt Wagenknecht dabei auch linke Konzepte ins Spiel. Das ist vielen nicht geheuer, hat man sich doch mittlerweile daran gewöhnt, dass unbequeme Töne nur noch von rechts kommen. Auf der linken Seite stehen stattdessen woke Gutmenschen, die vielen anderen zum Feindbild gereichen. Dass links davon früher auch eine Menge passiert ist, haben die meisten heute vergessen. Linke Politik ist kein Alleinstellungsmerkmal von woken Weltverbesserern und Umweltaktivisten, sondern ein Angebot an die Breite der Gesellschaft. Aber das muss Deutschland erst wieder lernen…


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Auf dem demokratischen Abstellgleis

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Es gibt in Deutschland eine rechtsextreme Partei, die inzwischen bei jedem fünften Wähler Anklang findet. Was vor einigen Jahren noch völlig unvorstellbar schien, ist heute bittere Realität. Oft genug ist es der AfD gelungen, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu stellen – die etablierten Parteien stattdessen hatten immer wieder Angst vor der eigenen Courage. Die 20 Prozent der potenziellen Rechtsaußen-Wähler vertrauen heute nur noch der AfD. Ein überzeugendes und authentisches Gegenangebot könnte sie aber in den demokratischen Diskurs zurückholen.

Rechts angekommen

20 Prozent. So viele Wählerinnen und Wähler können sich nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Meinungsforschungsinstitute mittlerweile vorstellen, AfD zu wählen – und das ungebrochen seit Wochen. Die hohen Zustimmungswerte müssen endlich als schrilles Alarmsignal wahrgenommen werden. Es reicht nicht mehr aus, die Aussagekraft solcher Umfragen zum kurzfristigen Stimmungsbild zu relativieren. Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat die Absicht erklärt, bei einer anstehenden Wahl eine Partei zu wählen, in der sich inzwischen die rechtsextremen Kräfte in weiten Teilen durchgesetzt haben.

Die AfD selbst bekennt sich zwischenzeitlich zu dieser Einordnung. Treten Abgeordnete anderer Parteien im Bundestag ans Redepult und begrüßen die Kollegen aus den „demokratischen Fraktionen“, ist schon lange kein empörter Aufschrei mehr von der rechten Seite zu hören. Offenbar haben sich die die vielen Männer und die wenigen Frauen aus der Rechtsaußen-Fraktion endgültig mit der Tatsache abgefunden, einer rechtsextremen Partei anzugehören.

Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist die AfD nämlich nicht mehr das, was sie einst war. Was heute bei anderen Gelegenheiten oft als „Rechtsoffenheit“ kritisiert wird, war bei der AfD von Anfang an vorhanden. Diese Öffnung nach rechts machte es möglich, dass inzwischen Personen wie Bernd Höcke den Ton angeben. Was einst als eurokritische Partei unter Bernd Lucke begonnen hatte und von Frauke Petry immer wieder als „demokratisches Korrektiv“ betitelt wurde, ist heute nichts anderes als ein Sammelbecken für empörte und frustrierte Menschen, die von den anderen Parteien im Stich gelassen wurden.

Fähnchen im Wind

Um die hohe Gunst der Wähler aufrechtzuerhalten, erwies sich die AfD als überaus flexibel in der Positionierung zu bestimmten Themen. Dass sie sich an einigen Stellen sogar selbst widerspricht, ist zweitrangig. Die Menschen sind weniger an Tatsachen interessiert, sondern eher daran, dass ihnen zugehört wird. Dabei wird sich durch die AfD nichts für die meisten ihrer Wähler ändern – zumindest nicht zum Positiven. Denn obwohl sie sich gerne als die Partei für die kleinen Leute geriert, würde sie das Bürgergeld am liebsten gleich wieder abschaffen und Erwerblose schlimmer drangsalieren als Hartz IV es ermöglicht hat. Armut per Gesetz – für die AfD offenbar kein Problem.

Auch in ihrer Außenpolitik zeichnet Rechtsaußen alles andere als ein kohärentes Bild. So verurteilt sie einerseits die militärische Unterstützung für die Ukraine, bemängelt an anderer Stelle aber die unzureichende Ausrüstung der deutschen Bundeswehr. Pazifismus und Diplomatie spielen für die AfD wohl nur dann eine Rolle, wenn die deutschen Bürger wirtschaftliche Nachteile von Aufrüstung und Krieg zu befürchten haben. Standhafte Friedensliebe sieht wahrlich anders aus.

Ein Meisterstück an Opportunismus und Wendehalsigkeit hat die AfD jedoch im Frühjahr 2020 zum Besten gegeben. Während sie nach Bekanntwerden der ersten Coronafälle in Deutschland lautstark nach einem kompletten Shutdown verlangte, wollte sie einige Wochen später von diesem resoluten Vorgehen gegen das Virus nichts mehr wissen. Seitdem wird die Partei nicht müde, die Bundesregierung für ebendiese Maßnahme zu kritisieren und wirft ihr vor, sie hätte die Gesellschaft dadurch massiv wirtschaftlich geschädigt und die Bürger ihrer Freiheit beraubt. Jedes herkömmliche Fähnchen wäre bei solchen orkanartigen Umschwüngen längst gerissen.

Ganz vorne dabei

Es ist inzwischen zur politischen Gewissheit geworden: Lauert eine Krise, ist die AfD nicht weit. Die Partei hat mittlerweile einiges an Übung daran, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu stellen. Geschickt nutzte sie die Sorge vieler Bürger aus und kaperte die Pegida-Bewegung. Sie trug nichts dazu bei, die selbsternannten Wutbürger wieder in den demokratischen Diskurs einzubinden, sondern stachelte deren Ängste systematisch weiter an, um daraus Profit in Form von Wählerstimmen zu gewinnen.

Ihr erster großer Coup gelang der AfD dann im Spätsommer 2015, als hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland strömten. Sie setzte dabei auf die desolate soziale Lage vieler Menschen und spielte sie gegen die Schutzsuchenden aus. Vielleicht wäre die AfD ohne die Flüchtlingskrise 2015 heute schon längst Geschichte.

Doch der Siegeszug der Rechtsextremen setzte sich fort. Als die ersten Menschen auf den damaligen Hygienedemos gegen die harten Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus aufbegehrten, erschlossen sich die Rechten auch diesen Protest. Dies gipfelte schließlich in der Querdenkerbewegung, auf welche die AfD leider ein Patent hält.

Immer wieder gelang es der AfD, ohne Programmatik und ohne echte Vision politische Lücken zu füllen. Sie bewies zuverlässig ein gutes Gespür dafür, welche Ängste die Menschen umtrieben und war als erstes zur Stelle, um den Unmut politisch abzubilden. Selten steckten dahinter geniale Einfälle und strategische Meisterleistungen: Die übrigen Parteien hatten inzwischen derart große Angst vor dem Frust der Bürger, dass sie sich stets von solchen Erhebungen fernhielten. Sicher spielte dabei in manchen Fällen auch das schlechte Gewissen eine Rolle, waren die etablierten Parteien doch häufig für die Misere der Bürger mitverantwortlich.

Prinzip „AfD“

In Wahlergebnissen erreicht die AfD ungeahnte Höhen. Als Partei hat sie längst aufgehört zu existieren, sollte es sie jemals in dieser Form gegeben haben. Viel eher ähnelt sie einem Schwamm, der sich zwangsläufig mit Wasser vollsaugt, wenn man ihm Gelegenheit dazu gibt. Ein System steckt nicht dahinter. Die AfD ist stattdessen Spielball der extremen Rechten, der sie einst so generös Zutritt gewährt hat. Bei der Positionierung zu bestimmten Themen ist die AfD außerordentlich dynamisch, als Partei ist sie erstaunlich statisch.

Gerade deshalb ist der Vorwurf, manche Positionen seien AfD-nah, in den meisten Fällen völlig haltlos. Es gibt keine AfD-nahen Positionen. Die AfD nähert sich stattdessen solchen Positionen, welche die anderen Parteien bereitwillig außer Acht lassen. AfD-nah sind Politiker nur, wenn sie bei diesem perfiden Spiel mitmachen. Sie lassen sich von den Rechtsextremen einen Politikstil aufzwingen, der so gar nicht förderlich ist für unsere Demokratie.

Weil die AfD so erfolgreich ein Themenfeld nach dem anderen mit ihrem rechtsextremen Gedankengut kontaminiert, verengt sich der geduldete Meinungskorridor immer weiter. Die Rechten haben es auf diese Weise zunehmend leicht, die übrigen Parteien vor sich herzutreiben – oder zu „jagen“, wie es Alexander Gauland einst bezeichnete. Dieser Politikstil der erzwungenen Eindimensionalität wird besonders von den Grünen eifrig kopiert. Sie machen das inzwischen so routiniert und kaltschnäuzig, dass man sich ernsthaft fragt, wer hier Meister und wer hier Schüler ist.

Ein besseres Angebot?

Die gute Nachricht ist: Einmal AfD heißt nicht immer AfD. Nur wenige Menschen wählen die AfD trotz ihrer rechtsextremen Tendenzen. Wähler, die bereitwillig über diese Offensichtlichkeit hinwegsehen, haben andere Interessen als Menschen, welche die AfD aus Enttäuschung und Frust wählen. Wer die AfD aus rein wirtschaftsliberalen, konservativen oder eurokritischen Motiven wählt, gehört zu einer Minderheit in der Wählerschaft der Partei. Dieses Potenzial liegt bei maximal 5 bis 6 Prozent. Die übrigen 15 Prozent der potenziellen AfD-Wähler hat in der AfD keine neue politische Heimat gefunden. Sie verharren mit den Rechtsextremen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Zu oft haben die demokratischen Parteien sie enttäuscht. Ihre Abkehr von diesen Parteien ist daher durchaus verständlich.

Außer der extremen Rechten gab es leider kein anderes Ventil für diese Wähler. Nun müssen sie sich seit Jahren anhören, dass es durch und durch schlecht ist, die AfD zu wählen. Kein einziger Wähler wird so zurückgewonnen. Überzeugende Argumente für die anderen Parteien hören diese Menschen nicht, dabei wären sie anderen Konzepten gegenüber sicher aufgeschlossen.

Ihr demokratisches Potenzial ist bei der AfD in gewisser Weise nur zwischengeparkt. Nur die AfD gibt ihnen momentan das Gefühl, ernstgenommen zu werden. Sobald irgendein anderer politischer Akteur ihnen ein besseres Angebot macht, wandern sie ab. Natürlich wird dieses Unterfangen mit voranschreitender Zeit schwieriger und wahrscheinlich haben die etablierten Parteien gar nicht mehr die Kraft, diese Anstrengung zu meistern. Neue politische Projekte sind daher gefragt, um solche Wähler abzubilden, die letzten Endes nur eines wollen: gehört werden.


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Brandmauer mit Substanz

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CDU-Chef Friedrich Merz im Kreuzfeuer: Seine unbedachten Äußerungen zur AfD haben ihn mal wieder in Teufelsküche gebracht. Die Brandmauer zur AfD steht bei den Konservativen nach wie vor auf einem wackeligen Fundament. Die Rechtsaußen-Partei lässt das weitgehend kalt. Sie erfreut sich an einem Umfragehoch nach dem nächsten. Sie profitiert von einer Brandmauer ganz anderer Art – der unverständigen Front gegen ihre Wähler.

Ein Hoch auf die Brandauer

Ein neuer Shitstorm ist entbrannt. Und wieder einmal geht es um die AfD. Im Zentrum der hitzigen Diskussion steht CDU-Chef Friedrich Merz. Er hatte sich in den letzten Wochen wiederholt unglücklich geäußert. Unter anderem warb er im ZDF-Sommerinterview für einen pragmatischen Umgang mit der AfD auf kommunaler Ebene.

Besonders woke Kritiker werfen Merz nun vor, die Brandmauer der Union gegenüber den Rechtsextremen endgültig eingerissen zu haben. Sie können nicht akzeptieren, dass der CDU-Vorsitzende eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD in den Städten und Gemeinden suggerierte. Merz bemüht sich zwischenzeitlich um Schadenbegrenzung: Er habe das alles nicht so gemeint und schließe natürlich auch für die Zukunft jegliche Zusammenarbeit mit der AfD aus. In diesem kalkulierten Zurückrudern steht der ehemalige Chef von BlackRock Rechtsaußen tatsächlich in nichts nach.

Offen bleibt, wie für Merz ein „pragmatischer Umgang mit der AfD“ konkret aussieht. Dass er bei seiner Wortwahl mächtig danebengegriffen hat, steht außer Frage. Dass er die Union bei einer Pressekonferenz als die wahre Alternative für Deutschland mit Substanz bezeichnet hat, reißt für viele seiner Kritiker dem Fass allerdings den Boden aus. Auch parteiintern regt sich Widerstand: Auf keinen Fall will man sprachlich mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht werden.

Abgrenzungsprobleme

Beide Debatten sind kurzsichtig und realitätsfremd. Wer wenn nicht der Oppositionsführer hat das Recht, seine eigene Partei als die Alternative für das Land zu bezeichnen? Selbstverständlich liegt es in der Natur der stärksten Oppositionspartei, die besten Gegenkonzepte zur Regierung für sich zu beanspruchen. Dass die Äußerung nebenbei eine gefährliche antidemokratische Partei herabstuft, ist im Grunde begrüßenswert.

Eine Nähe zwischen Union und AfD ist übrigens auch ohne die kontroversen Äußerungen von Friedrich Merz nicht von der Hand zu weisen. In manchen Debatten im Bundestag erhalten Redner der Union inzwischen mitunter mehr Applaus von der AfD als Sahra Wagenknecht. Zwei CSU-Abgeordnete stimmten im Europaausschuss des Bundestags Anfang Juli gemeinsam mit der AfD ab. Natürlich stellt sich dabei grundsätzlich die Frage, wie ratsam es ist, grundsätzlich anders abzustimmen als die AfD und die eigenen Überzeugungen hinten anzustellen.

Der Fall Thüringen zeigte überdies deutlich, dass es nicht nur in der CDU ein Problem mit der Abgrenzung zur AfD gibt. Um die politische Linke auszuschalten, machte man dort bei der denkwürdigen Wahl des Ministerpräsidenten im Februar 2020 gemeinsame Sache mit der Höcke-Partei. Die angebliche Brandmauer zur AfD bestand schon damals aus nichts weiter als einem Stoffvorhang.

Kein Platz für AfD-Wähler

Die fehlende Brandmauer zur Rechtsaußen-Partei zeigt sich auch daran, dass über keine andere Partei so häufig diskutiert wird wie über die AfD. Wo eine Brandmauer jedoch von Anfang an ausgesprochen gut funktioniert hat, ist gegenüber den Wählern und Sympathisanten der AfD. Für viele gibt es bis heute nichts Entsetzlicheres als die AfD zu wählen. Das initiale Entsetzen der Jahre 2013 und 2014, wie man überhaupt auf die Idee kommen könne, einer solchen Partei seine Stimme zu geben, hat sich bei vielen Menschen etabliert und festgesetzt und eine sachliche Auseinandersetzung mit der fragwürdigen Wahlentscheidung immer schon zuverlässig verhindert.

Erklärtes Ziel ist es nach wie vor, die Ergebnisse der AfD zu schmälern. Mit deren Wählern möchte man aber am liebsten nichts zu tun haben. Das ist eine Milchmädchenrechnung, die leider auf Gegenseitigkeit beruht. Die heutigen potenziellen 20 Prozent der AfD-Wähler haben überhaupt keinen Anreiz zu einer der demokratischen Parteien zurückzukehren. Immer wieder bekamen sie zu hören, warum sie denn auf gar keinen Fall die blaue Partei mit dem roten Pfeil wählen dürften. Immer besser konnten sie es sich in der Rolle der querdenken Revoluzzer bequemmachen. Immer seltener gab es für sie Gründe umzukehren. Enttäuscht sind sie gegangen und überzeugt sind sie geblieben.

Lückenfüller

Selbst Menschen, die mit der AfD so gar nichts am Hut haben, wird immer wieder eine ideologische Nähe zu den rechten Brandstiftern unterstellt. Häufigster Grund: Sie haben Themen angesprochen, zu denen sich zuvor die AfD positioniert hatte. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte an manchen Stellen lieber den Mund halten oder lauthals das Gegenteil dessen verkünden, was die AfD sagt. Dass dieses krampfhafte Aussparen von Themen teilweise lächerlich anmutet und ausschließlich der AfD in die Hände spielt, scheint den Wortführern anderer Parteien egal zu sein.

Diese Tabuisierung bestimmter Sichtweisen erwies sich besonders in der Pandemie als fatal. Geschickt sprach die AfD solche Menschen an, die Zweifel an der Wirksamkeit der Impfstoffe hatten. Die anderen Parteien reagierten mit einer noch vehementeren Verteidigung ihrer Impfstrategie und diskutierten ernsthaft eine allgemeine Impfpflicht. Wer so übergriffig gegen konträre Meinungen vorgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Menschen scharenweise nach rechts abwandern.

Zeit für Debatten

Besonders zu Zeiten der Großen Koalitionen war von enttäuschten Wählern immer wieder zu hören, die ehemaligen Volksparteien wären in ihren Programmatiken gar nicht mehr unterscheidbar. Inzwischen gilt das auch für die übrigen im Bundestag sitzenden demokratischen Parteien. Dass viele von ihnen in trauter Einigkeit Stimmung gegen die AfD und ihre Wähler machen, bestätigt diesen Trend eher als dass er ihm etwas entgegensetzt.

Von einer eindeutigen Positionierung und einem unterscheidbaren Profil hätten in den vergangenen Jahren besonders linke Parteien profitieren können. Dass linke Positionen durchaus erfolgreich sein können und sogar im Sinne sehr vieler Menschen sind, zeigte eindrucksvoll der Schulz-Hype Anfang 2017. Als der frischgebackene SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in seinem Wahlkampf schwerpunktmäßig auf das Thema Gerechtigkeit setzte, erlebte die SPD ein Umfragehoch wie lange nicht mehr. Die Werte der AfD schmolzen indessen dahin. Wären die Sprüche von Sankt Martin ernstgemeint gewesen, hätte die SPD durchaus schon vier Jahre früher den Kanzler stellen können.

Natürlich können sich die unterschiedlichen Parteien nur dann profilieren, wenn sie wieder eine breite Diskussion zu bestimmten Themen zulassen, anstatt sie angestrengt zu unterdrücken. Das führt nämlich momentan dazu, dass sich die Menschen weder vertreten noch verstanden fühlen. Zuflucht bietet ihnen die extreme Rechte, die zwar keine Visionen für dieses Land hat, aber zumindest eine Plattform bietet für Frust und Enttäuschung. Doch Demokratie kennt nur den Mittelweg – und der spielt sich zwischen den Polen ab.


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