Ein Schritt nach links

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Gute Nachricht für alle Zukunftsbegeisterten: Meine Kristallkugel funktioniert wieder. Auf ihrer Suche nach politischen Schlagzeilen in den nächsten Monaten ist sie schnell fündig geworden. Eine besonders vorhergesehene Nachricht muss dabei unbedingt mit der Vorwelt geteilt werden. Denn es ist tatsächlich wahr – die Wagenknecht-Partei kommt. Wer jedoch glaubte, die gute Frau schmeißt den Laden allein, der wird sich wundern. Mal schauen, ob das Ding auch die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl kann…

Artikel auf tagesschau.de vom 2. September 2023:

In Saarbrücken gaben eine Reihe linksgerichteter Politiker und Aktivisten heute bei einer Pressekonferenz die Gründung einer neuen Partei bekannt. Die neue Partei für Soziale Gerechtigkeit (PSG) soll all jenen Menschen eine politische Heimat bieten, die nach Ansicht der Parteigründer in den letzten Jahren „sträflich vernachlässigt wurden“. Dem Podium der Initiatoren gehörten neben den ehemaligen Linkenpolitikern Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Fabio De Masi auch eine Reihe Personen des öffentlichen Lebens und Funktionsträger von Nicht-Regierungs – Organisationen an.

Parteigründung mit Ansage

Schon lange war über die Gründung einer sogenannten Wagenknecht-Partei spekuliert worden. Die umstrittene Politikerin befeuerte diese Gerüchte immer wieder mit vagen und ausweichenden Antworten auf ihre politische Zukunft. Ihr wurde dabei wiederholt eine Nähe zum rechten Spektrum und der AfD unterstellt.

Parteimitgründer und Ehemann von Sahra Wagenknecht Oskar Lafontaine betonte bei der Pressekonferenz hingegen, dass es sich bei der neugegründeten Partei eindeutig um eine linke Partei handele. Dabei unterstrich er, dass sich die Partei insbesondere darauf konzentrieren werde, enttäuschte Wähler anzusprechen, die sich „teilweise schon von der Demokratie abgewandt haben“.

Wagenknecht fügte hinzu: „Es kann einfach nicht sein, dass immer mehr Themen der extremen Rechten überlassen werden. Es kommt einer Obsession gleich, dass alle Bereiche, die von der AfD angesprochen werden, sogleich tabuisiert werden. Unter solchen Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen denken, nur die AfD spreche die Wahrheit aus. Diesem Trend stellen wir uns entschlossen entgegen.“

Keine linke Fraktion mehr im Bundestag

Der Pressekonferenz folgte die Veröffentlichung eines gemeinsamen Gründungsmanifests, in der verschiedene Parteimitglieder der ersten Stunde zu Wort kommen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel begründet ihren Übertritt folgendermaßen: „Die Parteien des linken Spektrums sind schon viel zu lange viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wenn solche Parteien nicht einmal dazu in der Lage sind, zu sozialen Protesten zu mobilisieren oder eine Friedensdemo zu organisieren, bin ich in solchen Gruppierungen fehl am Platz.“

Folgerichtig trat auch Parteigründerin Sahra Wagenknecht mit dem heutigen Tage aus Partei und Fraktion im Bundestag aus. Dem Parlament wird sie dennoch als fraktionslose Abgeordnete angehören, weil sie „von den Wählerinnen und Wählern einen Auftrag erhalten hat“. Die Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen und Klaus Ernst folgten Wagenknechts Beispiel und verließen ebenso die Fraktion. Anders als Wagenknecht und Dağdelen legte Ernst gleichzeitig sein Mandat nieder. Mit dem Fraktionsaustritt dreier Abgeordneter verliert Die Linke außerdem ihren Status als Fraktion im Bundestag. Die gewählten Abgeordneten bilden fortan eine Abgeordnetengruppe. Die Linke büßt dadurch zentrale Rechte im Parlament ein.

Fairer Mindestlohn und gute Arbeitsbedingungen

Auch wenn die Parteimitgründerin immer wieder betont, es handele sich bei der neuen Partei nicht um ein Projekt „Wagenknecht“, fungiert die 54-jährige Saarländerin gemeinsam mit dem Hamburger Fabio De Masi als provisorische Parteichefin. Beim ersten ordentlichen Parteitag im Dezember soll dann die Parteiführung gewählt werden. Während De Masi seine Kandidatur schon fest zusicherte, bittet Wagenknecht noch um etwas Bedenkzeit.

Im Fokus der jungen Partei steht in den nächsten Monaten die Aufstellung zur EU-Wahl im nächsten Jahr. Sie wolle alles dafür tun, damit wieder eine starke linke Kraft nach Brüssel entsandt wird. Pateigründer Lafontaine fügt hinzu: „Auch auf die Landtagswahlen im Herbst nächsten Jahres bereiten wir uns schon jetzt vor. Wir sehen gute Chancen, viele Menschen von unserem Programm zu überzeugen und überraschend gut abzuschneiden. Für eine Teilnahme bei den Wahlen in Bayern und Hessen haben wir leider die Frist verpasst.“

Gefragt zu den konkreten Zielen der Partei, waren sich die Gastgeber der Pressekonferenz einig: Man wolle für einen fairen Mindestlohn streiten, der nicht mehr von einer „realitäts- und wirtschaftsfernen Kommission“ abhängig sei. Die Partei möchte außerdem das Rentensystem grundlegend überarbeiten. Prekären Arbeitsverhältnissen wie Kettenbefristungen in der Leiharbeit sagten die Parteigründer deutlich den Kampf an. Auch für insgesamt bessere Arbeitsbedingungen und eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte möchte sich die PSG einsetzen.

Parteimitgründerin Sahra Wagenknecht ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: „Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, keine politische Ausrichtung im Parteinamen zu nennen. Trotzdem ist es in unserem Interesse, die politische Linke wieder mit positiven Assoziationen zu belegen. Die Realpolitik der letzten Jahre hat diesen politischen Begriff leider völlig entkernt.“

Gemischtes Echo

Die Resonanz auf die Parteigründung ist durchwachsen und reicht von strikter Ablehnung bis zu großer Zustimmung. Besonders aus den Reihen der Linkspartei sind kritische Töne zu hören. Parteichef Martin Schirdewan äußert Zweifel an der Notwendigkeit einer neuen linken Partei und prognostiziert ihr ein ähnliches Schicksal wie der Sammlungsbewegung „aufstehen“: „Schon mit ihrem Projekt einer Sammlungsbewegung ist Sahra Wagenknecht böse hingefallen. Eine soziale Opposition im Bundestag gibt es bereits und das ist und bleibt Die Linke.“

Auch Vertreter der SPD sind von der Parteigründung nicht begeistert. Der Abgeordnete Michael Schrodi richtet deutliche Worte an die Adresse der Parteigründer: „Sie schwafeln im Parteiuntertitel von „Frieden, Freiheit, Menschenwürde“. In Wahrheit sind das Putinfreunde, die lieber mit Kriegsverbrechern und Faschisten paktieren als mit den Demokraten in diesem Land.“*

Mehrere Polit-Experten und Politikwissenschaftler sind ebenfalls skeptisch bis zurückhaltend, was die Erfolgschancen der neuen Partei anbelangt. Joris Schwalmer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen sieht in der Parteigründung eine Konstellation verursacht, die linke Politik in Deutschland eher behindert als fördert: „Eine harmonische Koexistenz zwischen zwei linken Parteien, die den Anspruch auf die einzig wahre soziale Opposition stellen, wird nicht möglich sein. Letzten Endes werden beide Parteien untergehen und der linken Politik damit einen Bärendienst erweisen.“

Anders sehen es hingegen viele Bürgerinnen und Bürger. In ersten Umfragen könnten sich zwischen 15 und 20 Prozent der Befragten vorstellen, die neue Partei zu wählen. Vor der tatsächlichen Parteigründung waren es noch über 25 Prozent, weswegen solche Angaben mit Vorsicht zu genießen sind. Auffallend ist jedoch, dass viele der Befürworter der PSG aus den Reihen der AfD-Wähler kommen. Schon vor drei Wochen gab jeder zweite befragte AfD-Wähler an, im Zweifelsfall auch eine von Sahra Wagenknecht gegründete Partei zu wählen.

Aus der AfD gab es zunächst keine offizielle Stellungnahme zur Gründung der PSG. Trotzdem haben die Rechtspopulisten eindeutig Konkurrenz bekommen: In einer neuen INSA-Umfrage zum Wahlverhalten bei der Bundestagswahl fiel die AfD von vormals 20 auf nun nur noch 13 Prozent. PSG – Co-Chef De Masi hat dafür eine einfache Erklärung: „Diese Menschen sind keine Rechtsextremen. Wenn man ihnen ein vernünftiges und ehrliches politisches Angebot macht, dann hören sie auch zu.“


*Der Abgeordnete erhielt dafür ein weiteres Ordnungsgeld.

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