Vergessen ohne Erinnerung

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Jeder Täter, der bis zum Exzess gemordet hat, gibt anderen die Möglichkeit, sich abzugrenzen. Nein, SO böse kann man selbst gar nicht sein. Die Prozesse gegen führende Köpfe des NS-Regimes waren richtig und wichtig. Sie offenbarten viel von dem Schrecken, das im Namen des deutschen Volkes verbrochen wurde. Ein Vertuschen war nicht mehr möglich. Ein Distanzieren wurde nötig. Doch für Distanz braucht man Nähe. Erinnern kann sich nur, wer sich der Vergangenheit stellt. Doch was, wenn es in einer Gesellschaft nur Exzesstäter gibt? Was, wenn eine kritische Auseinandersetzung nicht geduldet wird? Gerade heute zeigt sich, wie wichtig eine Kultur des Erinnerns ist, damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Eine Kultur, die in Teilen Deutschlands viel zu lange nicht erwünscht war…

Die Frage der Schuld

Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Weite Teile des Landes sind zerbombt, viele Menschen mussten ihr Leben lassen. Alliierte Truppen marschieren in die besiegte Nation ein. Eine Teilung zeichnet sich ab. Neben wirtschaftlichen und politischen Fragen sahen sich die Deutschen aber auch mit einer ganz anderen Herausforderung konfrontiert: die Frage der Schuld. In den Vernichtungslagern wie Auschwitz oder Sachsenhausen ermordeten die Nazis 6 Millionen Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, Andersdenkende. Die Verantwortung war zu groß, als dass sie mit einer Besetzung des besiegten Staats ad acta gelegt werden konnte.

Noch in den 1940ern folgten Prozesse. Die Nürnberger Prozesse gingen in die Geschichte ein. Zwei Dutzend Angeklagte mussten sich für ihre Rolle im NS-Regimes verantworten. Eine grotesk geringe Anzahl an Angeklagten führt man sich die Schrecken des Nationalsozialismus vor Augen. Der Wunsch, zu vergessen, war groß. Vor allem die Deutschen wollten am liebsten nicht mehr an die letzten Jahre denken. Eine zweite Welle an Prozessen lief erst knapp fünfzehn Jahre später an. Mit ihnen wurden weitere grausame Details aus den Vernichtungslagern publik.

Prozesse mit Symbolwirkung

Auch wenn die Prozesse von Frankfurt reichlich spät kamen – sie leisteten einen enormen Beitrag zur Aufarbeitung des NS-Unrechts. Viele Menschen wurden direkt oder indirekt mit dem konfrontiert, was sie durch ihr Wegsehen zuließen. Die Ausrede, man habe von alledem nichts gewusst, verlor an Glaubwürdigkeit.

Für viele hatten diese Prozesse aber auch eine heilsame Wirkung. Denn vor den Richtern mussten sich nur jene verantworten, die außerordentlich viel Schuld auf sich geladen hatten. Vor Gericht standen ehemalige KZ-Aufseher und andere hochrangige Nazis. Jeder Exzesstäter, dem der Prozess gemacht wurde, beschwichtigte den „normalen Bürger“. Die Frage, was man selbst mit dem Grauen zu tun hatte, wurde wieder weiter in den Hintergrund gerückt. Trotzdem fanden die Prozesse statt.

Dabei ist auffallend, dass beide großen Prozesse auf dem Gebiet der Bundesrepublik stattfanden. Die DDR machte es sich da leichter. Sie verweigerte sich jeglicher kritischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus und wälzte die Schuld an den Westen ab. Während man in der Bundesrepublik langsam einsah, dass fast jeder zum Erfolg des menschenverachtenden Regimes beigetragen hatte, verharrte die DDR auf dem Standpunkt, Hitlers Herrschaft war das Werk einzelner. Deswegen war es für die Kommunisten auch richtig, nur einzelne Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Schuld sonst beim kapitalistischen Nachbarn zu suchen.

Eine bessere Gesellschaft

Denn wer in der DDR als ehemaliger Nazi enttarnt wurde, hatte eine weitaus höhere Strafe zu erwarten als in der Bundesrepublik. Enttarnt wurden tatsächlich nur wenige, die verhängten Strafen waren dafür umso drakonischer. Die Sozialisten in der DDR gingen nämlich im Grunde davon aus, dass Faschismus in ihrer Gesellschaftsordnung überhaupt nicht möglich wäre. Der Wurm steckte ihrer Auffassung nach im verhassten kapitalistischen System des Westens. Sie drehten die Sache so, dass im Westen nur deshalb so viele Nazis vor Gericht standen, weil der Kapitalismus eine solche Gesinnung erst ermöglichte oder zwangsläufig dazu führte.

Selbst gestandene Kapitalismuskritiker können bei einer solchen Vereinfachung nur den Kopf schütteln. Eine solch vereinfachte Handhabung wie in der DDR nahm dem Volk als gesamtes nämlich die Verantwortung für das geschehene. Keiner in der DDR musste sich ernsthaft fragen, was er selbst denn zum Gelingen der NS-Herrschaft beigetragen hatte. Wichtig war nur, dass man sich mit einem sozialistischen System eines besseren besonnen hatte. Die DDR verstand den Sozialismus nicht nur als antifaschistisch, sondern als immun gegen den Faschismus.

Die DDR reduzierte das gewesene auf etwas abartiges. Der Faschismus war gemäß der Staatsräson etwas einmaliges, was unter sozialistischen Verhältnissen nie wieder passieren könnte. Die Kommunisten verbreiteten den Irrglauben, der Faschismus wohne nur dem Kapitalismus inne. Die zahlreichen Prozesse in der BRD taten ihr übriges.

Freispruch von Lenins Gnaden

Eine kritische Aufarbeitung fand im sowjetisch kontrollierten Deutschland also nicht statt. Folglich konnten auch keine Präventivmaßnahmen ergriffen werden. In ihrer unerträglichen Selbstsicherheit suchte die DDR-Führung die Schuld einzig beim Westen und sprach sich selbst von jeglicher Schuld frei.

Dabei übersah sie aber getrost, dass auch ihrem Staat eine gewisse nationalistische Note nicht abzusprechen war. Denn die DDR verstand sich als geschlossene Gesellschaft. Nach außen hin wurde das durch die Mauer versinnbildlicht. Nach innen demonstrierten die hohen Tiere wie Walter Ulbricht und Ernst Honecker die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus. Als Gruppe mit einer Identität musste auch sie sich von anderen Gruppen abgrenzen. Und das funktioniert am besten mit Gegensätzen.

Eine unmögliche Aufholjagd

Die Riege der DDR-Führung versäumte es aber nicht nur, eine kritische Aufarbeitung der NS-Zeit zu ermöglichen, sie verhinderte auch jedwede Erinnerung an die Grauen des Deutschen Reichs. Die furchtbaren Verbrechen dort waren Sache des Westens. Unter den Kommunisten hätte es so etwas nicht gegeben und Punkt.

Faktisch gab es im Osten Deutschlands also keine Erinnerungskultur so wie sie sich spätestens seit den Auschwitz-Prozessen im Westen des Landes durchsetzte. Das ganze Thema wurde als Inbegriff menschlicher Verderbtheit abgehakt. Die simple Erklärung dafür war der Kapitalismus. Eine „Wende“ hin zu einer echten Aufarbeitung der Vergangenheit konnte erst nach dem Fall der Mauer und nach der Einheit Deutschlands ansetzen.

Der Westen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahrzehnte Vorsprung. In der DDR waren wichtige kritische Fragen stattdessen 40 Jahre lang totgeschwiegen worden. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht mussten sich die „Ossis“ an die „Wessis“ anpassen. Es war für die Bürger der ehemaligen DDR schlicht unmöglich, eine Erinnerungskultur nachzuholen, die das Regime so viele Jahre unterdrückt hatte.

Auch wenn sich die alten und die neuen Bundesländer in vielerlei Hinsicht angenähert haben, konnte sich die Erinnerung an die deutsche Vergangenheit gerade in den ostdeutschen Bundesländern nicht festigen. Es verwundert daher kaum, dass gerade aus den östlichen Bundesländern der Ruf nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ laut wird.

Das Ende des aktiven Erinnerns

Die Ostdeutschen fühlen sich an vielen Stellen zurecht vom Westen überrumpelt; auch in dieser Frage. Unverschuldet sind sie von einem Extrem ins andere geraten. Fast nahtlos ging der rechtsextreme Terror unter Hitler über in einen linksextremen Fanatismus, der glaubte, seine bloße Existenz wäre ein geeignetes Mittel gegen die Vergangenheit. Als würde der Linksextremismus den Rechtsextremismus ausgleichen. Die Bürger der DDR mussten sich nie kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Nach der Wende wurden sie förmlich dazu gezwungen. Eine Abwehrhaltung dagegen ist beinahe logisch. Wenn dann auch noch andere Faktoren dazwischenkommen, wie eine schlechtere wirtschaftliche Verfassung, gewinnen Parteien wie NPD und AfD leichter an Zustimmung.

Wie wichtig eine Erinnerungskultur ist, liegt auf der Hand. Sehr rechte Parteien hatten es in den westlichen Bundesländern schon immer schwerer, Fuß zu fassen. Doch auch in diesen Bundesländern kann die AfD ein gutes Ergebnis nach dem anderen feiern. Doch hier profitieren die Rechtspopulisten von einem anderen Phänomen. Fast 80 Jahre nach dem Ende der faschistischen Gewaltherrschaft sind immer weniger Zeitzeugen noch am Leben, die aus erster Hand von den Schrecken erzählen können. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie gut die Deutschen sich erinnern können.

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Das Extrem ist bequem

Beitragsbild: MarkusMoerth, Pixabay.

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Ich kenne Diktaturen nur aus dem Geschichtsbuch. Ich wurde nach dem Mauerfall und nach der deutschen Einheit geboren. Die DDR habe ich weder aktiv noch passiv erlebt. Die Nazizeit noch viel weniger. Ich bin froh, in einem freiheitlichen, demokratischen Staat aufgewachsen zu sein. Groß geworden bin ich in Baden-Württemberg. Neben Bayern vielleicht das Bundesland, das am wenigsten Grund zum Klagen hat. Doch nicht jeder ist so überzeugt von der Überlegenheit einer rechtsstaatlichen Ordnung wie ich es bin. Manche Menschen sehnen sich gar nach einer Diktatur. Ich kann es nicht ertragen.

Protestwähler wählen blau

Die AfD befindet sich weiter im Umfragehoch. Darin sind sich die meisten Meinungsforschungsinstitute einig. Sie sehen die Partei zwischen 13 und 15 Prozent. In einigen Umfragen überholen die Rechtspopulisten damit erneut die Sozialdemokraten. Doch spätestens seit man Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden der Thüringer AfD, rechtmäßig als „Faschisten“ bezeichnen darf, ist völlig klar: Wer die AfD wählt, der wählt eine Partei, die mindestens in Teilen rechtsextrem ist. Das Urteil der Meininger Richter kann man sehen, wie man will. Offensichtlich ist allerdings, dass es für diesen Urteilsspruch Gründe gibt. Wer von „Bevölkerungsaustausch“ oder einem „Mahnmal der Schande“ redet, der kann nicht in der Mitte einer angeblich rechtsstaatlichen Partei stehen, wie es der scheidende AfD-Parteichef Gauland kürzlich formuliert hat.

Doch nicht nur Höcke sorgt mit seinen Äußerungen seit Jahren für Wirbel. Der AfD-Sprech von linksgrün-versifften Altparteien, von Schießbefehlen und von nutzlosen Kopftuchmädchen vergiftet die politische Debatte schon lange wie ein wucherndes Geschwür.

Noch bis vor kurzem war der Begriff des „Protestwählers“ geläufig. Diese Menschen wählten die AfD angeblich, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Gebracht hat es ihnen nicht viel: die gleiche Regierung fand in Neuauflage für eine weitere Legislatur zusammen. Die erschreckend hohen Wahlergebnisse der AfD in den ostdeutschen Bundesländern, ließ viele Menschen allerdings am Begriff der Protestwähler zweifeln. War es nicht viel mehr so, dass die Menschen die AfD nicht trotz ihrer Nähe zum rechten Rand wählten, sondern gerade wegen ihrer Nähe zum Rechtsextremismus?

Faschismus 2.0

Und was heißt überhaupt Rechtsextremismus? Viele AfD-Sympathisanten verdrehen genervt die Augen, wenn sie mit Phrasen wie „Wehret den Anfängen“ oder „aus der Geschichte lernen“ konfrontiert werden. Intuitiv verbitten sie sich jedweden Vergleich mit den Faschisten aus der NS-Zeit. Und mit einem haben sie dabei recht: Faschismus funktioniert heute tatsächlich anders als er noch vor 80 Jahren funktionierte.

Zum einen haben wir heute eine wesentlich stärkere und wehrhaftere Demokratie als das in den 1920er-Jahren der Fall war. Die Demokratie wird heute nach wie vor von der Mehrheit der Bürger gestützt. Zu Weimarer Zeiten war das anders. Die wenigen echten Demokraten wurden zwischen linksaußen mit ihren kommunistischen Träumereien und von rechtsaußen mit ihren Führer-Fantasien zerrieben. Der Abschied vom Kaiserreich fiel vielen schwer. Hier hat man aus der Geschichte tatsächlich gelernt: Die Fünf-Prozent – Klausel macht es extremistischen Strömungen heute schwerer, im Parlament Fuß zu fassen als es vor rund 100 Jahren der Fall war.

Und natürlich operieren die AfDler nicht so wie die Nazis unter Hitler. Selbstverständlich gehen sie nicht gleich von 0 auf 100. Sie haben heute nämlich einen folgenschweren Nachteil: Ihre Worte werden stets an denen der damaligen Nazis gemessen. Gerade weil es in der deutschen Geschichte schon einmal eine Entfesselung des Faschismus gab, müssen sie heute wesentlich behutsamer und subtiler vorgehen. Und selbst Hitler ging nicht gleich von 0 auf 100. Vielleicht erst mal auf 70. Und die AfD geht heute vielleicht auf 50.

Doch selbst das bewahrt sie selten vor der mächtigen Nazikeule, die sie gerne auch für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert. Den Nachteil, dass es den Faschismus in Deutschland schon einmal gab, münzen die Rechtspopulisten dabei geschickt in einen Vorteil um. Frei nach der Logik „Wenn wir uns nicht so wild aufführen, wie die von damals, kann uns keiner was.“ Stoßen sie auf Widerstand, schwingen sie selbst die Nazikeule und stilisieren sich zu Opfern. Weiterhin gilt, was Brecht einst schrieb: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

30 Jahre für die Tonne?

Vor kurzem jährte sich der Mauerfall zum 30. Mal. Zeit für eine schiere Flutwelle an Dokus und Polit-Talks zu genau diesem Thema. Diskutiert wird bevorzugt, ob Ossis Bürger zweiter Klasse sind. Politiker überschütten sich förmlich mit Vorwürfen, was damals alles schiefging und wie es hätte besser laufen können. Kurzum, an diesen Beiträgen führt kein Weg vorbei.

Auch das rbb trug dem Jubiläum Rechnung und schaute sich die Lage 30 Jahre nach dem Fall der Mauer etwas genauer an. In dem Format „Wir müssen reden!“ vom 7. November kamen allerdings auch Bürger zu Wort, die sich die DDR zurückwünschten. Einer von ihnen meinte sogar, man könne die letzten 30 Jahre in die Tonne treten.

Über Jahrzehnte trennte die Mauer Ost und West. Trotzdem sehnen sich manche nach dieser Zeit zurück.
Bild: Noir, Berlinermauer, CC BY-SA 3.0.

Das ist schon mehr als gesunde Ostalgie. Generell ist der Umgang mit der DDR ein ganz anderer als mit der deutschen NS-Vergangenheit. Dabei waren doch beide Systeme Diktaturen. Trotzdem wird man für Mauerträume nur belächelt. Oftmals werden sie sogar toleriert. Solche Meinungen sind immerhin kein Einzelfall. Weder bei Ossis noch bei Wessis. Gerade in Westdeutschland gibt es eine Menge Leute, die die Mauer heute nicht zum Einsturz bringen würden, sondern am liebsten noch einmal drei Steine obendrauf legen würden.

Doch woher kommt dieser grundlegend andere Umgang mit der DDR? Nazi-Deutschland ist und bleibt das dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte. Sehnt man sich nach dieser Zeit zurück, ist man eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Das ist weiterhin Konsens. Eine spezifische Nostalgie gegenüber dieser Zeit gibt es nicht. Bei der DDR ist das nicht so leicht zu unterdrücken. Immerhin existierte dieser Staat ganze 40 Jahre. Zeit genug, in dieses System hineingeboren zu werden und auch darin zu sterben. Vor allen Dingen aber Zeit genug, mit diesem System zu leben.

Das richtige Leben im falschen?

Es verbietet sich also fast automatisch, alles an der DDR schlechtzureden. Viele Menschen haben einen Großteil ihres Lebens darin verbracht. Um sie nicht komplett abspenstig zu machen, braucht es ein Phänomen wie das der Ostalgie. Die Ampelmännchen und der Sandmann geben ihnen zumindest zeitweise das Gefühl, nicht vollständig in einer Lüge gelebt zu haben.

Darum ist auch der Begriff „Unrechtsstaat“ gegenüber der DDR so umstritten. Ein Unrechtsstaat fußt einzig und allein auf dem Unrecht. Er ist durch und durch schlecht. Dieses Argumentationsmuster mag bei einem Staat funktionieren, der ein Dutzend Jahre gehalten hat. Aber bei einem Staat, der mehrere Generationen hervorgebracht hat? Man kann so vielen Menschen und so vielen Generationen nicht glaubwürdig vorhalten, die meiste Zeit ihres Lebens falsch gelebt zu haben.

Von Sicherheit und Autobahn

Trotzdem war die DDR eine Diktatur. Eine ziemlich brutale sogar. Mauertote, Gesinnungshaft und Zwangsadoptionen waren die Regel. Und trotzdem gibt es Menschen, die selbst im Fernsehen öffentlich dazu stehen, dass sie sich die DDR zurückwünschen. Ihr Totschlagargument ist häufig die soziale Sicherheit. Eine Sicherheit, die sie in der Bundesrepublik so nie empfunden haben. Wie überzeugend dieses Argument ist, bleibt jedem selbst überlassen. Doch eine Frage bleibt: Reicht es aus, um eine Diktatur regelrecht zu glorifizieren?

Ich sage: Nein. Eine Diktatur ist durch nichts zu rechtfertigen. Auch nicht von angeblichen sozialen Sicherungssystemen. Hier schließt sich übrigens auch der Kreis mit den AfD-Wählern. Wählen sie die AfD denn jetzt trotz oder wegen der rechtsextremen Tendenzen? Für mich ist klar: Trotz. Genau wie die Hardcore-Ostalgiker verteidigen sie ein System nicht wegen der Mauertoten oder wegen des rechtsextremen Personals, sondern trotz dieser Offensichtlichkeiten. Weniger gefährlich macht das solche Entwicklungen allerdings nicht.

Ich halte es sogar für gut möglich, dass viele derer, die sich die DDR zurücksehnen, der AfD ihre Stimme geben. Sie träumen von der Zeit einer linksextremen Diktatur und wählen gleichzeitig Rechtsextreme. Was zunächst wie vollständiger politischer Analphabetismus anmutet, ist auf den zweiten Blick doch nachvollziehbar. Das Vorzeichen des Extremismus ist wurschd, es zählt einzig und allein das Ergebnis. Diese Menschen wollen keine Diktatur, sie vermissen soziale Sicherheiten. Das Argument der sozialen Sicherheit hinkt allerdings mindestens genau so stark, wie die Aussage, Hitler hätte Autobahnen gebaut. Beide sind vom gleichen Schlag. Sie verschleiern, dass das negative in diesen Systemen eindeutig überwogen hat.

Das Konzept der schwierigen Antworten

Und trotzdem wenden sich immer mehr Menschen von der Demokratie ab. Sie verlangen nach einfachen Lösungen. Genau das kann ihnen die Demokratie aber nicht bieten. Eine Demokratie beruht immer auf Kompromissen. Es muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Am Ende steht eventuell eine Lösung. Aber die ist häufig schwierig und komplex.

Sich in einer Diktatur über Wasser zu halten, kann einfach sein. Viele ehemalige DDRler sind lebendiger Beweis dafür. Wer die Obrigkeit nicht hinterfragt und sich mit den Gegebenheiten arrangiert, konnte auch dort ein fast gutes Leben führen. In einer Demokratie geht das nicht. Wer 2005 alles auf Merkel setzte, steht heute praktisch mit leeren Händen da.

Die Demokratie steht also vorrangig für zähe Diskussionen und langwierige Verhandlungen. Wirklich recht kann man es in ihr keinem machen. Wenn die Mehrheit entscheidet, wird ein Teil immer der Unterlegene sein. Sie muss also Wege finden, über dieses Defizit hinwegzutrösten. Werden die Lebensbedingungen einer Diktatur als besser empfunden, dann läuft etwas gehörig schief. Kann eine Demokratie nichts mehr bieten, was die Lebensrealitäten einer Diktatur blass aussehen lässt, bleiben nur die schwierigen Antworten. Und der Mensch, sucht eben nach einfachen Antworten…

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