Vorschau zur Elefantenrunde 2021

Lesedauer: 7 Minuten

Guten Abend, meine Damen und Herren. Selten war eine Wahl so spannend wie die des heutigen Abends. Gleich drei potentielle Kandidatinnen und Kandidaten konkurrierten um den Einzug ins Kanzleramt. Für mindestens eine der dreien dürfte der Traum von der Kanzlerschaft mit dem heutigen Abend allerdings ausgeträumt sein.
Wir möchten heute Abend sprechen mit den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der im nächsten Deutschen Bundestag vertretenen Parteien.
Frau Merkel, Sie sehen uns ein wenig verdutzt, dass Sie hier sitzen und nicht Ihr Spitzenkandidat Armin Laschet. Wie kam es dazu?

Merkel: Nun, zu allererst möchte ich betonen, dass wir uns als Union natürlich trotz der starken Verluste sehr darüber freuen, dass wir wieder stärkste Kraft wurden. Trotzdem kann uns dieses Ergebnis nicht zufrieden stimmen und in Angesicht dieser Tatsache bitte ich doch um Verständnis dafür, dass heute Abend nicht Herr Laschet hier sitzt, sondern ich.

Aber Sie nehmen zur Kenntnis, dass die Union das schlechteste Ergebnis in der Parteiengeschichte eingefahren hat?

Merkel:  In erster Linie sind CDU und CSU die Wahlsieger des heutigen Abends und darum haben wir erneut einen klaren Regierungsauftrag.

Herr Scholz, Ihre Partei konnte gut zulegen. Sehen Sie die Union auch als die Wahlsiegerin des heutigen Abends?

Scholz: Selbstverständlich sehe ich das nicht so. Die sozialdemokratische Partei belegt zwar nur Platz 2, aber ich bin gespannt darauf, wie Frau Merkel oder Herr Laschet oder wer auch immer unter diesen Voraussetzungen eine stabile Mehrheit zustandebekommen möchte.

Weidel: Vielleicht ja mit einer Großen Koalition, dafür haben Sie doch ein Faible, Herr Scholz.

Frau Weidel, Sie haben das Wort ergriffen, deswegen kommen wir ohne Umschweife zu Ihnen. Schmerzt Sie das Ergebnis des heutigen Abends eigentlich?

Weidel: Sicher müssen wir eingestehen, dass wir nach derzeitigem Stand Stimmen verloren haben. Man sollte aber auch nicht außer Acht lassen, dass die Briefwahl zu Manipulationen geradezu einlädt und gegen die Alternative für Deutschland eine regelrechte Hetzkampagne in diesem Land geführt wurde, besonders vonseiten der Medien.

Habeck: Ach, Frau Weidel, das war wieder vorprogrammiert, dass sie sich als die armen Opfer hinstellen.

Herr Habeck, auch an Sie die Frage: Warum sitzen heute Abend Sie hier und nicht Frau Baerbock?

Habeck: Annalena ist nach diesem wirklich nicht zufriedenstellenden Ergebnis zu dem Schluss gekommen, dass ich die Interessen der Bündnisgrünen in dieser Runde weitaus besser vertreten kann.

Weidel: Die Leute haben sich von Ihrer Verbotspolitik eben nicht beeindrucken lassen.

Herr Lindner, nach ersten Hochrechnungen konnten Sie viele Wähler von der AfD für sich gewinnen. Betrachten Sie das das als Pyrrhussieg?

Lindner: Auf keinen Fall, ich freue mich über jeden Wähler, der zur bürgerlichen Politik zurückkehrt.

Weidel: Mein Gott, ist das alles wieder dümmlich hier…

Lindner: Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass die Digitalisierung in diesem Land vorankommt. Mit Rot-Rot-Grün hätte es diesen Schub nicht gegeben. Unser starkes Abschneiden hat diesen Staatssozialismus Gott sei Dank verhindert.

Weidel: Staatssozialismus verhindert?! Entschuldigen Sie, Herr Lindner, aber Sie befürworten die Diskriminierung von Ungeimpften genau so wie alle anderen in dieser absurden Runde.

Herr Lindner, bevor Sie darauf eingehen, würden wir gerne Frau Hennig-Wellsow in die Runde holen. Frau Hennig-Wellsow, Rot-Rot-Grün wurde gerade angesprochen. Diese Mehrheit wird es wohl nicht geben. Wie gehen Sie damit um?

Hennig-Wellsow: Das kann ich Ihnen heute Abend noch nicht sagen. Fakt ist, dass wir an der nächsten Bundesregierung nicht beteiligt sein werden und sehr genau intern klären müssen, wie das heutige Ergebnis zustandekommen konnte.

Lag es vielleicht an den Agitationen gegen Ihre Parteigenossin Wagenknecht?

Hennig-Wellsow: Das kann ich mir nicht vorstellen, die gesamte Partei steht hinter Sahra Wagenknecht.

Erst vor kurzem gab es ein Parteiausschlussverfahren gegen die ehemalige Fraktionsvorsitzende.

Hennig-Wellsow: Das ist richtig, aber wie Sie sicher wissen, wurde Frau Wagenknecht nicht aus der Partei ausgeschlossen. Sie war auch fest in unseren Wahlkampf integriert.

Herr Dobrindt, auch Sie hatten mit Problemkindern in den eigenen Reihen zu kämpfen. Wie sehr ist Herr Scheuer für das schlechte Abschneiden Ihrer Partei verantwortlich?

Dobrindt: Das ist viel zu kurz gegriffen, Herr Scheuer hat als Verkehrsminister sehr gute Arbeit geleistet und die Untersuchungen zu anderen Fragen sind noch nicht abschließend geklärt. Mir ist auf jeden Fall sehr wichtig, dass Rot-Rot-Grün keine Mehrheit erhalten hat und der notwendige Klimaschutz nicht zulasten der Arbeitsplätze in diesem Land geht.

Hennig-Wellsow: Sicher, Herr Dobrindt, Sie haben Ihre Schäfchen aus den Chefetagen bereits in Sicherheit gebracht.

Frau Hennig-Wellsow hat es gerade angedeutet – Herr Habeck, wie gedenkt Ihre Partei gegen Lobbyismus vorzugehen? Immerhin könnten Sie an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein.

Habeck: Natürlich ist der Lobbyismus in diesem Land ein großes Problem, aber ich finde, wir reden schon wieder viel zu sehr am drängendsten Problem vorbei und das ist und bleibt der Klimawandel. Wir müssen alles dafür tun, dass wir spätestens 2035 klimaneutral sind.

Lindner: Aber Sie sind den Leuten bis heute eine Antwort schuldig geblieben, wie Sie das finanzieren wollen.

Krisenfinanzierung ist ein gutes Stichwort. Die Bürgerinnen und Bürger interessiert natürlich auch, wer die Kosten der Coronakrise zu tragen hat.

Habeck: Wenn ich das zum Klimaschutz gerade noch zu Ende führen darf. Diese Menschheitsaufgabe wird uns allen enorm viel abverlangen, keine Frage, aber…

Hennig-Wellsow: Sie lösen diese Aufgabe aber sicher nicht durch eine CO2-Bepreisung.

Herr Scholz, Klimakrise und Coronapandemie – wer zahlt am Ende die Zeche?

Scholz: Wir müssen jetzt erst einmal sicherstellen, dass wir nach der Krise keine neuen Schulden machen. Deswegen bin ich stark dafür, die Aussetzung der Schuldenbremse dringend zu überprüfen und…

Hennig-Wellsow: Die Ampel kommt.

Lindner: Nein, Frau Hennig-Wellsow, die wird mit Herrn Habeck sicher nicht kommen.

Hennig-Wellsow: Mit Ihnen kommt auf jeden Fall die soziale Kälte.

Lindner: Sie brauchen an mir jetzt nicht Ihre schlechte Laune über Ihr desaströses Wahlergebnis auszulassen.

Frau Hennig-Wellsow hat da aber einen wichtigen Punkt angeschnitten. Wie wollen Sie für soziale Gerechtigkeit sorgen? Frau Weidel?

Weidel: Naja, bevor wir uns hier in sozialistischen Umverteilungsfantasien verlieren, sollten wir erst einmal dafür sorgen, dass die Menschen in diesem Land gerecht behandelt werden. Wenn ich mir jetzt schon die systematische Diskriminierung von Ungeimpften ansehe…

Das war zunächst gar nicht die Frage, Frau Weidel. Wir wollten wissen, wie Sie für sozialen Ausgleich sorgen wollen.

Weidel: Wenn Sie mir jetzt schon wieder ständig ins Wort fallen, dann kann ich mir die ganze Sache hier auch sparen. Schönen Abend.

Frau Weidel hat unsere Runde verlassen, deswegen geht die Frage an Sie, Herr Scholz: Mindestlohn 12 Euro, ja oder nein?

Scholz: Wir sollten nicht so tun, als wären durch einen höheren Mindestlohn alle Probleme in diesem Land gelöst. Wir setzen uns für stärkere Tarifpartner ein, damit ein deutlich höherer Mindestlohn erreicht werden kann.

Hennig-Wellsow: Die Ampel wird kommen.

Habeck: Meine Güte, ich krieg‘ gleich schon wieder zu viel! Jetzt reden wir den ganzen Abend schon wieder nur über Koalitionen und persönliche Befindlichkeiten. Stattdessen müssen wir dringend endlich etwas gegen den Klimawandel unternehmen. Es kann doch nicht sein, dass in diesem Land niemand…

Es kann tatsächlich nicht sein, dass in diesem Land niemand weiß, wie es mit unserer scheidenden Frau Bundeskanzlerin weitergeht. Frau Merkel, was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Merkel: Ach wissen Sie, es tut auch mal richtig gut, wenn man Dinge einfach auf sich zukommen lässt. Im Moment habe ich da noch keine so genau Vorstellung.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Runde. Wir verabschieden uns und wünschen Ihnen noch einen schönen Abend.

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Klarer Wahlsieger

Lesedauer: 8 Minuten

Die vorläufigen Ergebnisse der beiden Landtagswahlen vom 14. März lassen einige Parteien enttäuscht zurück. Woran sich die SPD schon lange gewöhnt hat, traf die CDU nun mit voller Härte. Im Südwesten fuhr sie zeitgleich zweimal die schwächsten Ergebnisse ihrer Geschichte ein. Währenddessen freuen sich andere über das schwächliche Ergebnis der AfD. Dass davon vor allem das Nichtwählerlager profitiert, scheinen viele zu übersehen.

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz sind mit einem eindeutigen Ergebnis zu Ende gegangen: Die bisherigen Regierungschefs wurden bestätigt, viele andere Parteien abgestraft. In Rheinland-Pfalz kann Malu Dreyer wohl bequem in der Ampelkoaliton weiterregieren. Das letzte Wort ist in Baden-Württemberg hingegen noch nicht gesprochen. Winfried Kretschmann kann sich aussuchen, ob er die geschäftsführende Große Koalition weiterführt oder ob er sich ebenfalls auf das Experiment Ampel einlässt. In beiden Bundesländern fuhr die CDU ein desaströses Ergebnis ein. Besonders im Ländle dürfte das die Konservativen schmerzen. Immerhin haben sie dort zweitweise ohne Koalitionspartner mit einer absoluten Mehrheit regiert. Doch diese Zeiten sind lange vorbei.

Klatsche für Rechts

Wenig Grund zur Freude hatte bei der Wahl auch die AfD. Man gab sich in Interviews zwar gewollt locker und redete das Ergebnis schön, an der Realität ändert das aber wenig: Die AfD hat ordentlich an Wählern verloren. Die Zweistelligkeit ist in beiden Bundesländern dahin. Als sich an diesem Wahlabend bei den ersten Prognosen die Balken bewegten, da sorgte das schwache Ergebnis der Rechtspopulisten bei vielen wahrscheinlich für Erleichterung. Trotz Pandemiemüdigkeit und einem wachsenden Verdruss in der Bevölkerung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen konnte die AfD weit weniger Wähler mobilisieren als noch vor fünf Jahren.

Natürlich ist es ein gutes Zeichen, wenn weniger Menschen auf die Rattenfänger von rechts hereinfallen. Es ist aber schon einer an Blindheit grenzenden Kurzsichtigkeit geschuldet, nun tatsächlich die Sektkorken knallen zu lassen, weil die AfD schwächelt. Der größte Batzen der AfD-Wähler in Baden-Württemberg hat bei der Landtagswahl vor fünf Jahren die gleiche Entscheidung getroffen. Trotzdem verlor die AfD im Vergleich mit den anderen Parteien anteilsmäßig die meisten Wähler an das Nichtwählerlager. Traurige 16,6 Prozent der vorigen AfD-Wähler blieb der Wahl dieses Mal fern. Zum Vergleich: Die FDP rangiert bei diesem Trend mit einem Verlust von 14,3 Prozent auf dem zweiten Platz. Die Grünen verloren zwar 9 Prozent ihrer Wähler an die Nichtwähler, bilden bei dieser Entwicklung aber das Schlusslicht.

Die richtige Entscheidung?

Ein Grund zur Freude ist das mickrige Ergebnis der AfD also bestimmt nicht. Die meisten Abtrünnigen gingen eben nicht zu den anderen Parteien, sondern blieben der heimischen Couch treu. Wer das Wahlergebnis der AfD nun als großen demokratischen Erfolg verkauft, der hat den Bezug zur Realität verloren. Denn mit der sinkenden Zustimmung zur AfD ließ auch die generelle Wahlbeteiligung deutlich zu wünschen übrig.

Die hämische Freude über eine schwache AfD bestärkt die Nichtwähler in ihrer Entscheidung. Anstatt zu bedauern, dass die Wahlverweigerer nicht der eigenen Partei das Vertrauen geschenkt haben, wird die Einstelligkeit der AfD über Gebühr gefeiert. Den Nichtwählern signalisiert das: Eure Stimmen sind uns egal. Hauptsache, ihr wählt nicht die AfD. Die Rechtsaußen-Partei wird hier zum Maßstab des eigenen Wahlerfolgs erhoben.

Ein schwaches Bild

Als Grund für ihr schlechtes Abschneiden äußert die AfD nun gerne eine Schmutzkampagne gegen sie unter Einbeziehung des Verfassungsschutzes. Sollten diese Maßnahmen tatsächlich wahlentscheidend gewesen sein, gibt das ein ziemliches trauriges Bild ab. Die Wählerinnen und Wähler haben der AfD dann angeblich den Rücken gekehrt, weil sie sich von den Hetzereien anderer Parteien beeinflussen ließen oder sich von einer in Teilen offen rechtsextremen Partei distanzieren wollten. Sie hätten ihre Entscheidung gegen die AfD aber nicht getroffen, weil die Programme der anderen Parteien so attraktiv für sie waren. Die starke Wanderung einstiger AfD-Wähler zu den Nichtwählern spricht leider für diese Theorie.

Noch vor einigen Jahren war die Devise der meisten demokratischen Parteien, möglichst viele abgewanderte Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Schon damals hatte man übersehen, dass sich die Rechtspopulisten großzügig bei den Nichtwählern bedient hatten. Die Parteien links der AfD haben es aber bis heute nicht vermocht, Stimmen in großer Zahl zurückzugewinnen. Eher noch verscheuchten sie sie unter Beteiligung der AfD endgültig ins Lager der Desinteressierten und Resignierten.

Schaut man in die Wahlprogramme der meisten Parteien, so sind diese überhaupt nicht dazu geeignet, irgendwelche neuen oder alten Wähler für sie zu begeistern. Die angestrebten Ziele der Grünen sind für weite Teile der Bevölkerung schlicht nicht erschwinglich. Sie haben keine Lust, an der einen Stelle tiefer in die Tasche zu greifen, wenn sich ihr Leben an anderer Stelle nicht deutlich verbessert. Die CDU ist besonders in Baden-Württemberg für viele kaum noch wählbar. In der einstigen CDU-Hochburg ist die Partei heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Saft- und kraftlos mogelte sie sich durch den Wahlkampf. Die Maskenaffäre wird zumindest die Präsenzwähler vor einem Kreuzchen bei der CDU bewahrt haben.

Ein letztes Aufbäumen

Und auch die SPD gibt in Baden-Württemberg keine besonders gute Figur ab. Auch dort gilt sie weiterhin als unglaubwürdige Umfallerpartei, von der kein großer Wurf mehr zu erwarten ist. Mit viel Glück schaffen sie es dennoch in die nächste Landesregierung. Aber auch nur dann, wenn bei den Grünen das Mitleid überwiegt und sie der CDU die nächste Blamage in fünf Jahren ersparen wollen. Der Niedergang der SPD ist im übrigen kein Selbstläufer. Wie erfolgreiche sozialdemokratische Politik gemacht wird, hat Malu Dreyer nun erneut gezeigt. Sie blieb stärkste Kraft in ihrem Bundesland und wird wohl auch die nächste Landesregierung wieder anführen.

Vielen Wählerinnen und Wählern in Baden-Württemberg nützt der sozialdemokratische Erfolg im Nachbarbundesland jedoch wenig. Viele von ihnen hatten der Politik bereits vor vielen Jahren den Rücken gekehrt. Sie waren bereits vor 2016 verloren. Ihre Wahl der AfD vor fünf Jahren war nichts anderes als ein letztes demokratisches Aufbäumen. Damit wollten sie auf sich und ihre Belange ein letztes Mal aufmerksam machen, bevor sie noch tiefer im Nichtwählersumpf versanken.

Keine Wechselstimmung

Die grün-schwarze Politik in Baden-Württemberg ist für einige Menschen im Ländle eher ein Nachteil. Es gibt im Südwesten allerdings keine echte Wechselstimmung. Das liegt zum einen natürlich daran, dass sich viele Wählerinnen und Wähler zu den Nichtwählern verabschiedet haben. Andererseits vermittelt die Große Koalition in Baden-Württemberg ebenso wie im Bund den Eindruck der Alternativlosigkeit. Das angebliche TV-Duell zwischen Kretschmann und Eisenmann Anfang März war im besten Fall ein Werfen mit Wattebäuschen – und selbst das nur streckenweise.

Die Teflonpolitik von Winfrid Kretschmann beraubte die CDU jeglicher Chance, sich abzusetzen und an Schärfe zu gewinnen. Zwischenzeitlich hat sich die CDU in einem Anfall kompletter politischer Selbstaufgabe bereiterklärt, wieder mit den Grünen zu koalieren. Und so zog das Selbstmordkommando fröhlich von dannen…

Kretschmann kann Merkel

Die CDU macht in Baden-Württemberg den gleichen Fehler wie die SPD auf Bundesebene. In beiden Fällen lassen sich die Parteien von einem absolut beliebigen Regierungschef, oder einer Regierungschefin, kaputtregieren. Nach seinem großen Vorbild Angela Merkel passte Kretschmann die Schwäche der CDU 2016 ab, um seine Wunschkoalition zustandezubringen. Anders als bei der SPD im Bundestag sind aus der CDU bislang keine kritischen Stimmen an einer erneuten Regierungsbeteiligung zu hören. Anscheinend sind die Damen und Herren zu sehr mit der Aufarbeitung der Maskenaffäre beschäftigt…

Winfried Kretschmann verfügt aber nicht bloß über den Merkel-Faktor. Auch das Auftreten seines thüringischen Amtskollegen Bodo Ramelow scheint ihn zu inspirieren. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Wahlentscheidung der meisten Grünen-Wähler in Baden-Württemberg maßgeblich mit der Personalie Kretschmann zusammenhing. Der Mann ist einfach gut. Der jüngste ist er aber nicht mehr. Es ist fraglich, ob er auch den Adenauer-Faktor in sich trägt und bei der Landtagswahl in fünf Jahren erneut kandidiert. Alles sieht danach aus, dass er dann freiwillig abtreten wird. Es bleibt zu hoffen, dass er nicht eine ähnliche Alternativlosigkeit zurücklässt wie Merkel im Bund.


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Abgeschrieben

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Fortschritt will Vorteil haben

Lesedauer: 7 Minuten

Die wichtigste Zutat für Fortschritt ist Veränderung. Der Mensch ist allerdings so gestrickt, dass er auf Veränderung keine Lust hat. Auf Veränderungen lässt er sich nur ein, wenn er sich einen erheblichen Vorteil davon verspricht. Ansonsten geht er nicht selten auf die Barrikaden und versucht alles, um die unliebsame Veränderung abzuwehren. So lassen sich die Unterwanderung von Klimaschutzgesetzen erklären, aber auch der Erfolg und Misserfolg mancher Politiker.

Das Duell der Gleichen

Vor wenigen Tagen standen sich Susanne Eisenmann von der CDU und der amtierende baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim TV-Duell gegenüber. In etwas mehr als 60 Minuten bezogen sie Stellung zu aktuellen landes- und bundespolitischen Themen. Echte Spannung gab es an diesem Abend keine und die meisten Zuschauer waren wohl froh, als die Schlussworte folgten. Viele Momente bei der Live-Konfrontation erinnerten in erschreckender Weise an so manches Kanzlerduell der letzten Jahre.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die beiden Kandidaten waren sich in zu vielen Punkten einig. Immer wieder waren sich Eisenmann und Kretschmann grün. Wie kommt es also, dass sich gerade diese beiden Pappaufsteller in ihren Parteien gegen alle anderen Kandidaten durchgesetzt haben? Warum haben andere Parteien keine Chance auf den Posten des Ministerpräsidenten?

Nötig dafür wäre ein echter Politikwechsel. Ein solcher Umschwung entsteht aber nicht aus netten Sonntagsreden, wie sie neulich wieder zu beobachten waren. Eine politische Kehrtwende erfordert immer den Mut zur Veränderung. Leider mangelt es bei den meisten hier aber bereits beim Willen dazu.

Fortschritt durch Nichtstun

Der Mensch ist ein Herdentier, das immerwährend nach Fortschritt strebt. Der Mensch ist aber auch extrem harmoniebedürftig. Veränderung passt ihm da gar nicht in den Kram. Ohne Veränderung gibt es aber auch keinen echten Fortschritt.

Einfaches Beispiel: Fragt man einen zufälligen Passanten, ob er für mehr direkte Demokratie ist, so fällt die Antwort zu 98 Prozent positiv aus. Bohrt man dann weiter nach, ob man denn bereit wäre, für dieses Ziel konkrete Maßnahmen zu ergreifen, so schwindet die Kooperationsbereitschaft zusehends. Ähnlich ist es beim Klimawandel. Jeder weiß, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern und jeder schreit danach, man möge die nötigen Schritte einleiten. Und trotzdem gibt es viel zu viele Menschen, die meinen, der Kampf gegen den Klimawandel sei die Angelegenheit von Experten. Viel zu wenige werden selbst tätig. Das ist einerseits ein Kommunikationsproblem, andererseits aber auch Bequemlichkeit.

Enorme Kraftanstrengung

Der Mensch lässt sich nur dann auf Veränderung ein, wenn sie ihm einen konkreten Nutzen bringt. Der Erfolg muss die Anstrengung deutlich übersteigen. Es reicht nicht aus, wenn der Gewinn am Ende zwar reichlich ist, die Opfer aber auch. Vielleicht ist dieses Verhalten evolutionär erklärbar. Immerhin steht der Mensch heute nicht umsonst an der Spitze der Nahrungskette. Mit ausgeklügelten Strategien erarbeitete er sich stets einen Vorteil gegenüber möglichen Fressfeinden. Das machte nur Sinn, wenn dieser Vorteil kein Zufallstreffer war, sondern nachhaltig die Existenz der eigenen Spezies gesichert hat.

Trotzdem liebt der Mensch den Weg des geringsten Widerstands. Kurzsichtige Menschen würden nun das Beispiel des Discounterschnitzels heranziehen. Wenn sich mancheiner sein Fleisch lieber im Regal von Aldi & Co. besorgt, anstatt den beschwerlichen Weg zum Metzger anzutreten, sehen das viele als unwiderlegbaren Beweis dafür, dass die reine Kostenfrage einem nachhaltigen Lebensstil im Wege steht. Sie übersehen dabei allerdings, dass sich diese Discountersünder das Schnitzel beim Metzger gar nicht leisten können und ihre Kaufentscheidung weniger mit Bequemlichkeit als mit politischen Rahmenbedingungen zu tun hat.

Diese politischen Rahmenbedingungen spielen auch dann eine zentrale Rolle, wenn es tatsächlich um den Weg des geringsten Widerstands geht. Denn wie durch Magie gelingt es besonders großen Verbänden und Unternehmen immer wieder, Schutzgesetze zu unterwandern. Sie ziehen eine kurzfristige Mobilisierung der Kräfte einem langfristigen Kraftakt stets vor. Eine beachtliche Menge an Energie wird dazu eingesetzt, Schlupflöcher in der neuen Gesetzeslage auszukundschaften und für den eigenen Vorteil zu nutzen. In vielen Fällen ist fast die gleiche Anstrengung nötig, die Schutzstandards dauerhaft einzuhalten. Für die Unterwanderung dieser Standards ist die Kraftaufbringung aber zeitlich begrenzter.

Glasklares Kommunikationsproblem

Diese himmlische Fügung für viele Unternehmen und Konzerne kann man vor allem bei den Themen Klimaschutz und Schutz der Arbeitnehmerschaft beobachten. Durch miese Tricks und durchsichtige Manöver werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihren Lohn geprellt. Maßnahmen zum Schutze der Umwelt und der Natur bedeuten für die Unternehmen ebenfalls enorme Mehrausgaben, die sie durch Anstrengung wieder reinholen müssten. Anstatt sich daran zu halten, suchen sie lieber nach Wegen, wie sie diese Anstrengung umgehen können.

Im Grunde basiert auf diesem Mechanismus ein beträchtlicher Teil des Erfolgs der AfD. Die rechtspopulistische Partei nutzt es gezielt für sich aus, dass es den anderen Parteien nicht gelingt, den erheblichen Nutzen ihrer Vorhaben zu kommunizieren. Dadurch fällt es den Rechten spielend leicht, die kurzfristigen negativen Auswirkungen solcher Pläne bis ins groteske zu übersteigern. Sie profitieren davon, dass es besonders den regierenden Parteien immer schwerer fällt, die Menschen abzuholen und mitzunehmen. Lieber soll alles beim Alten bleiben. Der Fortschritt wird sich schon von allein einstellen – hoffentlich zumindest.

Keine Chance

Ein ähnliches Denkmuster liegt den Wahlen ranghoher Politiker zugrunde. Gerade vergangenen Montag konnte man sehen, was die politische Stunde im Ländle geschlagen hat. Die Zeichen stehen eben nicht auf Veränderung. Auf Fortschritt wird trotzdem gehofft. Winfried Kretschmann musste sich nicht anstrengen, um seine Herausforderin Susanne Eisenmann alt aussehen zu lassen.

Kretschmann war dabei in einer ähnlichen Position wie Angela Merkel als sie auf ihre Herausforderer Steinmeier, Steinbrück und Schulz traf. Je krampfhafter die Kontrahenten versuchten, sich von der Gegenseite abzuheben, desto lächerlicher wurde es. Warum die Herren von der SPD und die Dame von der CDU so schlechte Karten hatten, hat zwei Gründe: Erstens unterschieden sie sich nur minimal von ihren politischen Gegnern und zweitens hat es keiner von ihnen vermocht, die Vorteile und den Fortschritt ihrer Politik deutlich zu machen.

Wie soll man Menschen die verhasste Veränderung denn schmackhaft machen, wenn sie sich nicht einmal einen Ansatz von Fortschritt von der neuen Politik erhoffen dürfen? Dann soll doch lieber alles beim Alten bleiben. Keiner will sich auf die Veränderung an der Spitze einlassen, wenn nicht das Bonbon Fortschritt und Vorankommen winkt. Gut, Frau Eisenmann hatte das zusätzliche Problem, dass sie sich mit jemandem aus der eigenen Partei zu duellieren versuchte. Eine Chance hatte sie mit ihren Argumenten aber von vornherein nicht.


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