Brandmauer mit Substanz

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CDU-Chef Friedrich Merz im Kreuzfeuer: Seine unbedachten Äußerungen zur AfD haben ihn mal wieder in Teufelsküche gebracht. Die Brandmauer zur AfD steht bei den Konservativen nach wie vor auf einem wackeligen Fundament. Die Rechtsaußen-Partei lässt das weitgehend kalt. Sie erfreut sich an einem Umfragehoch nach dem nächsten. Sie profitiert von einer Brandmauer ganz anderer Art – der unverständigen Front gegen ihre Wähler.

Ein Hoch auf die Brandauer

Ein neuer Shitstorm ist entbrannt. Und wieder einmal geht es um die AfD. Im Zentrum der hitzigen Diskussion steht CDU-Chef Friedrich Merz. Er hatte sich in den letzten Wochen wiederholt unglücklich geäußert. Unter anderem warb er im ZDF-Sommerinterview für einen pragmatischen Umgang mit der AfD auf kommunaler Ebene.

Besonders woke Kritiker werfen Merz nun vor, die Brandmauer der Union gegenüber den Rechtsextremen endgültig eingerissen zu haben. Sie können nicht akzeptieren, dass der CDU-Vorsitzende eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD in den Städten und Gemeinden suggerierte. Merz bemüht sich zwischenzeitlich um Schadenbegrenzung: Er habe das alles nicht so gemeint und schließe natürlich auch für die Zukunft jegliche Zusammenarbeit mit der AfD aus. In diesem kalkulierten Zurückrudern steht der ehemalige Chef von BlackRock Rechtsaußen tatsächlich in nichts nach.

Offen bleibt, wie für Merz ein „pragmatischer Umgang mit der AfD“ konkret aussieht. Dass er bei seiner Wortwahl mächtig danebengegriffen hat, steht außer Frage. Dass er die Union bei einer Pressekonferenz als die wahre Alternative für Deutschland mit Substanz bezeichnet hat, reißt für viele seiner Kritiker dem Fass allerdings den Boden aus. Auch parteiintern regt sich Widerstand: Auf keinen Fall will man sprachlich mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht werden.

Abgrenzungsprobleme

Beide Debatten sind kurzsichtig und realitätsfremd. Wer wenn nicht der Oppositionsführer hat das Recht, seine eigene Partei als die Alternative für das Land zu bezeichnen? Selbstverständlich liegt es in der Natur der stärksten Oppositionspartei, die besten Gegenkonzepte zur Regierung für sich zu beanspruchen. Dass die Äußerung nebenbei eine gefährliche antidemokratische Partei herabstuft, ist im Grunde begrüßenswert.

Eine Nähe zwischen Union und AfD ist übrigens auch ohne die kontroversen Äußerungen von Friedrich Merz nicht von der Hand zu weisen. In manchen Debatten im Bundestag erhalten Redner der Union inzwischen mitunter mehr Applaus von der AfD als Sahra Wagenknecht. Zwei CSU-Abgeordnete stimmten im Europaausschuss des Bundestags Anfang Juli gemeinsam mit der AfD ab. Natürlich stellt sich dabei grundsätzlich die Frage, wie ratsam es ist, grundsätzlich anders abzustimmen als die AfD und die eigenen Überzeugungen hinten anzustellen.

Der Fall Thüringen zeigte überdies deutlich, dass es nicht nur in der CDU ein Problem mit der Abgrenzung zur AfD gibt. Um die politische Linke auszuschalten, machte man dort bei der denkwürdigen Wahl des Ministerpräsidenten im Februar 2020 gemeinsame Sache mit der Höcke-Partei. Die angebliche Brandmauer zur AfD bestand schon damals aus nichts weiter als einem Stoffvorhang.

Kein Platz für AfD-Wähler

Die fehlende Brandmauer zur Rechtsaußen-Partei zeigt sich auch daran, dass über keine andere Partei so häufig diskutiert wird wie über die AfD. Wo eine Brandmauer jedoch von Anfang an ausgesprochen gut funktioniert hat, ist gegenüber den Wählern und Sympathisanten der AfD. Für viele gibt es bis heute nichts Entsetzlicheres als die AfD zu wählen. Das initiale Entsetzen der Jahre 2013 und 2014, wie man überhaupt auf die Idee kommen könne, einer solchen Partei seine Stimme zu geben, hat sich bei vielen Menschen etabliert und festgesetzt und eine sachliche Auseinandersetzung mit der fragwürdigen Wahlentscheidung immer schon zuverlässig verhindert.

Erklärtes Ziel ist es nach wie vor, die Ergebnisse der AfD zu schmälern. Mit deren Wählern möchte man aber am liebsten nichts zu tun haben. Das ist eine Milchmädchenrechnung, die leider auf Gegenseitigkeit beruht. Die heutigen potenziellen 20 Prozent der AfD-Wähler haben überhaupt keinen Anreiz zu einer der demokratischen Parteien zurückzukehren. Immer wieder bekamen sie zu hören, warum sie denn auf gar keinen Fall die blaue Partei mit dem roten Pfeil wählen dürften. Immer besser konnten sie es sich in der Rolle der querdenken Revoluzzer bequemmachen. Immer seltener gab es für sie Gründe umzukehren. Enttäuscht sind sie gegangen und überzeugt sind sie geblieben.

Lückenfüller

Selbst Menschen, die mit der AfD so gar nichts am Hut haben, wird immer wieder eine ideologische Nähe zu den rechten Brandstiftern unterstellt. Häufigster Grund: Sie haben Themen angesprochen, zu denen sich zuvor die AfD positioniert hatte. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte an manchen Stellen lieber den Mund halten oder lauthals das Gegenteil dessen verkünden, was die AfD sagt. Dass dieses krampfhafte Aussparen von Themen teilweise lächerlich anmutet und ausschließlich der AfD in die Hände spielt, scheint den Wortführern anderer Parteien egal zu sein.

Diese Tabuisierung bestimmter Sichtweisen erwies sich besonders in der Pandemie als fatal. Geschickt sprach die AfD solche Menschen an, die Zweifel an der Wirksamkeit der Impfstoffe hatten. Die anderen Parteien reagierten mit einer noch vehementeren Verteidigung ihrer Impfstrategie und diskutierten ernsthaft eine allgemeine Impfpflicht. Wer so übergriffig gegen konträre Meinungen vorgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Menschen scharenweise nach rechts abwandern.

Zeit für Debatten

Besonders zu Zeiten der Großen Koalitionen war von enttäuschten Wählern immer wieder zu hören, die ehemaligen Volksparteien wären in ihren Programmatiken gar nicht mehr unterscheidbar. Inzwischen gilt das auch für die übrigen im Bundestag sitzenden demokratischen Parteien. Dass viele von ihnen in trauter Einigkeit Stimmung gegen die AfD und ihre Wähler machen, bestätigt diesen Trend eher als dass er ihm etwas entgegensetzt.

Von einer eindeutigen Positionierung und einem unterscheidbaren Profil hätten in den vergangenen Jahren besonders linke Parteien profitieren können. Dass linke Positionen durchaus erfolgreich sein können und sogar im Sinne sehr vieler Menschen sind, zeigte eindrucksvoll der Schulz-Hype Anfang 2017. Als der frischgebackene SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in seinem Wahlkampf schwerpunktmäßig auf das Thema Gerechtigkeit setzte, erlebte die SPD ein Umfragehoch wie lange nicht mehr. Die Werte der AfD schmolzen indessen dahin. Wären die Sprüche von Sankt Martin ernstgemeint gewesen, hätte die SPD durchaus schon vier Jahre früher den Kanzler stellen können.

Natürlich können sich die unterschiedlichen Parteien nur dann profilieren, wenn sie wieder eine breite Diskussion zu bestimmten Themen zulassen, anstatt sie angestrengt zu unterdrücken. Das führt nämlich momentan dazu, dass sich die Menschen weder vertreten noch verstanden fühlen. Zuflucht bietet ihnen die extreme Rechte, die zwar keine Visionen für dieses Land hat, aber zumindest eine Plattform bietet für Frust und Enttäuschung. Doch Demokratie kennt nur den Mittelweg – und der spielt sich zwischen den Polen ab.


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Ein linkes Problemkind?

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Krise bei den Linken: Mit seinen Äußerungen zur militärischen Unterstützung der Ukraine hat der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow eine Grundsatzdebatte losgetreten. Viele Mitglieder der Partei wenden sich entsetzt ab – in den letzten Tagen kam es verstärkt zu Parteiaustritten. Andere halten dem umstrittenen Politiker treu die Stange. Die Belastbarkeit der Partei wird erneut auf die Probe gestellt.

Ein Ministerpräsident schießt quer

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) begrüßt die Lieferung von Waffen an die Ukraine zur militärischen Unterstützung gegen Russland. Mit diesem Kurswechsel stößt der Politiker nun auf heftigen Gegenwind aus der eigenen Partei. Gegen die Ideen von Ramelow gehen einige seiner Genossinnen und Genossen regelrecht auf die Barrikaden. Sie werfen ihm eine Spaltung der Partei aus machtpolitischem Kalkül vor.

Die Kritik aus den eigenen Reihen reicht von bissigen Kommentaren in den sozialen Medien bis hin zu Parteiaustritten, die seit Ramelows Äußerungen spürbar in die Höhe schnellten. Mehre Linke-Abgeordnete, darunter auch Mitglieder der Fraktion im Erfurter Landtag, werfen dem Ministerpräsidenten eine Sozialdemokratisierung der Partei und eine geschmacklose Anbiederung an potentielle künftige Koalitionspartner vor. Vereinzelt fordern manche explizit den Rücktritt des Thüringer Regierungschefs oder legen ihm einen Parteiaustritt nahe. Nach ihrer Auffassung habe er nach seinen jüngsten Äußerungen nichts mehr in der Partei verloren.

Ähnlich sieht es auch die Linksjugend solid. Die Jugendorganisation hat sogar eine Petition gestartet, mit der sie ein Parteiausschlussverfahren erwirken möchte. Eine Sprecherin sieht in den Äußerungen Ramelows einen Bruch mit dem Grundsatzprogramm der Partei: „Was Bodo Ramelow gesagt hat, ist in einer pazifistischen Partei untragbar. Mit seinen Äußerungen kann er sich zu den Kriegstreibern von Grünen und CDU gesellen.“

Umstrittener Regierungschef

Die radikale Reaktion der Jugendorganisation trifft in der Gesamt-Partei auf breite Unterstützung. Aus der Parteizentrale hieß es am Montag knapp: „Die Äußerungen von Bodo Ramelow spiegeln nicht die Meinung der Partei Die Linke wider. Waffenlieferungen lehnen wir strikt ab.“

Seit längerem ist Ramelow der Führung der Partei ein Dorn im Auge. Sie wirft ihm vor, durch seinen Kurs Wähler vertrieben zu haben, die sich eine deutlich linkere Partei wünschten. Unter Ramelow, so die Spitze der Partei, habe sich Die Linke immer weiter Richtung Mitte bewegt und sei heute praktisch nicht mehr von SPD und Grünen unterscheidbar. Die beiden Koalitionspartner habe er damit kaputtregiert und müsse nun nach neuen Bündnissen Ausschau halten. Auch den Skandal um das Spiel Candy Crush haben viele in der Partei noch nicht verdaut.

Petition und Gegenpetition

Auf eine mögliche Spaltung seiner Partei angesprochen, hat Ramelow selbst seine Positionen immer wieder verteidigt. Seiner Ansicht nach müsse man die Lage ideologiefrei und ohne Denkverbote bewerten. Mit Russland habe man es mit einer Atommacht zu tun, der nur mit konsequenter Härte begegnet werden könne. Die schnelle Beendigung des Kriegs und des Sterbens habe für ihn oberste Priorität. Nichts liege ihm mehr am Herzen als die Leben der Menschen, die unter dem Krieg leiden.

Die Berichterstattungen über die Kritik an seinen Äußerungen hält der Politiker für überzogen. Er gesteht ein, dass es eine Strömung in seiner Partei gibt, die an Abrüstungsfantasien und Diplomatie festhalte und damit die westlichen Werte von Frieden und Freiheit verrate. Diese Strömung hält er für überrepräsentiert, weil sie die Gesamtmeinung der Partei nicht authentisch wiedergebe. Laut eigenen Angaben genieße er enormen Rückhalt in der Partei. Neben der Petition, die seinen Ausschluss aus der Partei fordert, gebe es eine weitere Petition, die sich für seine Ansichten starkmacht. Er bedauert, dass darüber fast gar nicht berichtet würde. Auf die Namen der ihn unterstützenden Mitglieder und Abgeordneten angesprochen, reagiert er bislang ausweichend und macht keine näheren Angaben dazu.

Fakt ist, dass es tatsächlich eine Gruppe von Abgeordneten im Thüringer Landtag gibt, welche die Positionen des Ministerpräsidenten unterstützen. Das sogenannte Ramelow-Lager macht bereits seit Jahren durch Provokationen und gezielte Grenzüberschreitungen von sich reden. Die Parteiführung macht Ramelow unter anderem für das starke Abschneiden der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen 2019 verantwortlich. Die rechtsextreme Partei war dort deutlich zweitstärkste Kraft geworden.

Fataler Zeitpunkt

Einige Mitglieder des Parteivorstands, aber auch Abgeordnete aus dem Bundes- und den Landtagen kritisieren Ramelow außerdem für den Zeitpunkt seiner Äußerungen. „Wir sitzen nicht in vielen westdeutschen Parlamenten. Eine solche Debatte gerade einmal ein halbes Jahr vor der Bremenwahl vom Zaun zu brechen, ist absolut destruktiv“, lässt sich ein Parteimitglied zitieren, das lieber anonym bleiben möchte.

Auch Politikwissenschaftler schlagen Alarm. Sie sehen die Gefahr, dass Die Linke aus den wenigen westdeutschen Landesparlamenten, in denen sie vertreten ist, wieder herausgewählt werden könnte. Prof. Dr. Ingmar Schneck von der Universität Freiburg warnt deshalb eindringlich: „Sollte die Parteiführung den schwelenden Zwist zwischen dem Ramelow-Lager und dem Rest der Partei nicht in den Griff bekommen, droht der Partei bei anstehenden Wahlen ein Debakel.“

Aus der offiziellen Erklärung des Parteivorstands heißt es weiterhin, dass die umstrittenen Äußerungen von Bodo Ramelow noch mehr Menschen zu „kriegstreibenden Parteien wie CDU und Grünen“ führen würden. Laut Einschätzung des obersten Gremiums der Partei würde sich Die Linke damit überflüssig machen. Entsprechend laut ist schon jetzt der Zuspruch, den Ramelow von Vertretern der genannten Parteien erhalten hat.

Beispielsweise wurde von den Grünen jüngst ein Motiv für geplante Wahlkampfplakate zur Bremenwahl geleaked. Auf dem Plakat ist die Silhouette von Bodo Ramelow zu sehen. In weißen Lettern steht auf grünem Grund geschrieben: „Bodo hat recht.“ Ramelow selbst ließ verlauten, gegen diese Vereinnahmung seiner Position gerichtlich vorzugehen. Er erklärte außerdem sinngemäß, man könne vernünftige Argumente nicht in Grund und Boden stampfen, weil die gegnerische Seite dazu applaudiert.


Es zeichnet sich ein Richtungsstreit bei den Linken ab. Welche Seite sich behaupten wird, werden die nächsten Monate zeigen. Momentan behält die Parteiführung noch die Oberhand, aber spätestens nach der Bürgerschaftswahl in Bremen wird sich die Partei erneut mit der Ramelow-Frage beschäftigen müssen.

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Präsidiales Dilemma

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Als die AfD vor knapp zwei Jahren den FDP-Politiker Thomas Kemmerich ins Amt des thüringischen Ministerpräsidenten hob, löste sie damit einen medienträchtigen politischen Skandal aus. Zur anstehenden Wahl des Bundespräsidenten geht die Rechtsaußen-Partei noch einen Schritt weiter. Mit Max Otte nominierte sie dieses Mal sogar einen Kandidaten, welcher der AfD nicht angehört. Mit der Kandidatur treibt die AfD den groß angekündigten Spaltpilz in die CDU. Die ehemalige Volkspartei muss sich entscheiden, ob sie die Intrigen der AfD mitmacht oder ob sie unbeirrt am demokratischen Weg festhält.

Inszenierung mit Ansage

Bei der Wahl des Bundespräsidenten 2017 wollte Die Linke mit der Nominierung des Armutsforschers Christoph Butterwegge ein wenig Spannung in die Angelegenheit bringen. Damals war klar, dass GroKo-Kandidat Frank-Walter Steinmeier mit nahezu 100 Prozent der Stimmen gewählt werden würde, wenn keine halbwegs wählbare Alternative anträte. Die übrigen Kandidaten waren so oder so zum Scheitern verurteilt. Auch Christoph Butterwegge scheiterte grandios am Konsenskandidaten. Trotzdem gelang es den Linken, den übrigen Mitgliedern der Bundesversammlung wenigstens ein paar Stimmen für ihren Kandidaten abzuluchsen.

Um Spannung im Wahlkampf geht es der AfD fünf Jahre später sicher nicht. Die Nominierung von Max Otte bei der anstehenden Wahl des Bundespräsidenten ist der aussichtsreiche Versuch der Rechtspopulisten, den groß angekündigten Spaltpilz in die CDU zu treiben. Die Personalie Otte ist der Rechtsaußen-Partei egal, entscheidend ist, dass er CDU-Mitglied ist.

Bekanntes Muster

Mit der Aufstellung des abtrünnigen CDU-Mannes setzt sich ein bekanntes und vielfach erprobtes Muster der AfD fort. Bereits 2016, mitten in der Flüchtlingskrise, sonderte sich Erika „The Joker“ Steinbach durch äußerst umstrittene Äußerungen von ihrer Partei ab. Letztendlich verließ sie die CDU und gehörte die letzten Monate ihrer Bundestagskarriere dem hohen Haus als fraktionslose Abgeordnete an. Danach machte sie als Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus – Stiftung von sich reden.

Ein weiteres Sorgenkind der CDU wäre vor wenigen Monaten beinahe in den Bundestag eingezogen. Hans-Georg Maaßen fiel bereits als Chef des Verfassungsschutzes negativ auf, weil er die Hetzjagden in Chemnitz relativierte und sich wiederholt wohlwollend zur AfD äußerte. Auch eine Koalition mit den Rechten schloss er nicht aus. Mit ihm wäre faktisch ein AfD-Mann mehr in den Bundestag eingezogen. Das haben die Wählerinnen und Wähler aus seinem Wahlkreis aber mehrheitlich verhindert.

Der immer wieder aufkommende Applaus aus den Reihen der CDU ist das beste, was der AfD passieren kann, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Der Partei geht es nicht um Spannung im Wahlkampf oder darum, einen besonders geeigneten Kandidaten aufzustellen. Der AfD geht es einzig darum, im Gespräch zu bleiben und den Parlamentsbetrieb und die Verfassung insgesamt lächerlich zu machen.

Parlamentarische Bühne

Die Nominierung Ottes reiht sich nahtlos ein in eine Serie aus ähnlichen durchsichtigen Inszenierungen. In der zurückliegenden Wahlperiode machten sich die Abgeordneten der AfD einen Heidenspaß daraus, Hammelsprünge noch und nöcher zu provozieren. In auffallender Regelmäßigkeit zweifelte sie zu später Stunde die Beschlussfähigkeit des Hauses an. In der Folge mussten alle Abgeordnete zur Zählung den Plenarsaal verlassen, was die Sitzung künstlich in die Länge zog. Konnte selbst die AfD die mehrheitliche Anwesenheit der Abgeordneten nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, zog die Fraktion gerne mal spontan aus dem Plenarsaal, um eine unliebsame Abstimmung zu torpedieren. Dieses beinahe kindische Schmierentheater am 14. Dezember 2018 scheiterte am Zusammenhalt der demokratischen Fraktionen.

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14. Dezember 2018: Die AfD missbraucht das Parlament erneut als Bühne für ihre Inszenierungen.

Ein Fall für die Geschichtsbücher ist auch die Wahl des Ministerpräsidenten von Thüringen am 5. Februar 2020. Die Höcke-Fraktion lockte ihre willigen Helfer aus CDU und FDP geschickt in eine Falle, um die Wiederwahl des beliebten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) zu verhindern. Spätestens nach diesem Vorfall war klar, dass es viel zu kurzsichtig ist, der AfD lediglich ein paar dumme rassistische Zwischenrufe und Interviewsequenzen zuzutrauen. Diese Partei spaltet mit ihren Parolen nicht nur die Gesellschaft, sie greift mit ihren Inszenierungen das Parlament als die Herzkammer der Demokratie direkt an.

Präsidiales Dilemma

Natürlich könnte man jetzt den Wähler dafür verantwortlich machen, dass die AfD so stark in den Parlamenten vertreten ist, dass ihre Darbietungen dort nachhaltigen Schaden verursachen. Aber auch das wäre viel zu kurz gegriffen. Es ist einer fehlgeleiteten Politik zu verdanken, die sich viel zu selten am Interesse der Bevölkerung orientiert, dass die AfD heute dort ist, wo sie ist. Es war der Politikstil der letzten Jahre, der die Menschen zuerst abspenstig und dann wütend gemacht hat. Von der aktuellen Situation kann die AfD nur profitieren – egal, wer sich wie angestrengt von Otte distanziert oder es bleibenlässt.

Die CDU könnte natürlich einen eigenen Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl aufstellen. Das käme einem Rausschmiss Ottes gleich, den sich die Mehrheit der Partei zwischenzeitlich sowieso wünscht. Ein solcher Schritt würde aber viele besonders konservative Wählerinnen und Wähler zur AfD treiben. Die CDU steckt dadurch in einem echten Dilemma, weil sie natürlich nicht leichtfertig Wähler verprellen will.

Die CDU könnte aber auch das machen, was sie unter Angela Merkels Führung gelernt hat – nämlich gar nichts. Die Partei könnte die Lage aussitzen und sich bei der Bundesversammlung enthalten. Dann müsste die Union aber mit dem Stempel der Drückeberger leben, was sie politisch sicher nicht voranbringen wird.

Die CDU könnte es aber auch so machen wie schon vor fünf Jahren: Steinmeier wählen. Was dann passieren wird, ist seit Thüringen aber leider auch vorprogrammiert. Die AfD wird sich auf die CDU stürzen und ihr vorwerfen, den Kandidaten aus den eigenen Reihen für den populäreren amtierenden Bundespräsidenten geopfert zu haben. Der Rückenwind, den die CDU für diesen Schritt von den demokratischen Parteien zweifellos erhalten wird, vollendet dann die Intrige der Rechtspopulisten. Sie werden monieren, dass plötzlich akzeptabel ist, wofür sie 2020 heftigst kritisiert wurden.


Egal, wie man es dreht und wendet, die AfD wird aus der Misere als Siegerin hervorgehen. Selbst wenn sich die anderen Parteien absolut fair und demokratisch verhalten – sie haben zugelassen, dass eine antidemokratische Partei Macht und Einfluss erhält. Bei der anstehenden Bundespräsidentenwahl muss es der CDU um Schadensbegrenzung gehen. Auf keinen Fall darf die ehemalige Volkspartei zulassen, dass die AfD den Spaltpilz in ihre Mitte treibt. Macht sie die Spielchen der AfD jedoch mit, riskiert sie weitaus mehr als die eigene Bedeutungsstärke in der Bundesrepublik. Sie stärkt dadurch die Feinde der Demokratie und arbeitet gegen das, was sie vor über 70 Jahren aufgebaut hat.


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