Rechtes Überangebot

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Die neugegründete Partei „Bündnis Deutschland“ versteht sich als konservative Alternative zur CDU und wählbarere Konkurrenz für die AfD. Sie will politisch Heimatlose und Enttäuschte abholen und sie wieder in den demokratischen Diskurs einbinden. Im Dickicht des rechten Spektrums ist sie eine weitere neoliberale Gruppierung, die wie von selbst aus dem Boden zu sprießen scheinen. Und tatsächlich haben immer mehr Menschen in Deutschland das Gefühl, ihre Interessen würden politisch nicht abgebildet werden. Die Repräsentationslücke klafft jedoch nicht auf der rechten Seite des demokratischen Meinungskorridors. Immer deutlicher wird, dass echte linke Parteien mittlerweile Mangelware auf den Wahlzetteln sind.

Alternative zur Alternative

Seit dem 20. November 2022 ist die deutsche Parteienlandschaft um eine Partei reicher. Mit dem Bündnis Deutschland hat sich eine weitere Gruppierung formiert, die sich klar rechts der CDU verortet. Laut eigenen Angaben sehen die Gründerinnen und Grüner der Partei eine Repräsentationslücke im konservativen Spektrum, die von der AfD nicht gefüllt wird. Die neue Partei soll all jenen Wählerinnen und Wählern eine politische Heimat bieten, die sich eine klar konservative und wirtschaftsliberale Politik in Deutschland wünschen. Gesprächen mit anderen Parteien zeigt sich das Bündnis offen.

Die Neugründung ging groß durch die Medien. Die Mitglieder der ersten Stunde hatten ausgiebig Gelegenheit, der breiten Öffentlichkeit die Ziele ihrer Partei zu erläutern. Man wolle spätestens bei der Bürgerschaftswahl in Bremen im kommenden Frühjahr erste politische Erfolge erzielen. Trotzdem stellt sich unweigerlich die Frage, ob ein solch großes Presseecho angemessen war. Immerhin versuchten in den letzten Jahren mehrere Parteien, der AfD den Rang abzulaufen. Jedes dieser Projekte erlitt aber bösen Schiffbruch. Das Bündnis Deutschland hat bis zum heutigen Tage noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel.

Ähnlich wie die Blaue Partei von Frauke Petry und die Liberal-Konservativen Reformer von Bernd Lucke besteht die neue Partei zu einem beträchtlichen Teil aus ehemaligen Mitgliedern der AfD. Auch Überläufer der CDU suchen in dem Bündnis ein neues politisches Glück. Anders als die hoffnungslosen Versuche der ehemaligen AfD-Vorsitzenden besteht die Führungsriege von Bündnis Deutschland nicht aus AfD-Abtrünnigen. Damit enden die Unterschiede zu den rechten Splitterparteien der letzten Jahre auch schon. Auch dem Bündnis Deutschland wird eine programmatische Nähe zur FDP nachgesagt, besonders in Fragen der Wirtschaftspolitik. Es ist daher durchaus möglich, dass die Partei hier punkten kann, weil sich die Liberalen in der Ampelkoalition verheddert und sich gerade bei wirtschaftlichen Fragen kaum durchsetzen können.

Politisch verwahrlost

Die AfD kann viele dieser enttäuschten Wähler nicht mehr mobilisieren. Nach einigen Erfolgsjahren kurz nach der Gründung schrumpft die Partei besonders auf Länderebene immer mehr auf eine verlässliche Stammwählerschaft politisch Frustrierter zusammen. Sie sind schon lange keine Protestwähler mehr, sondern wählen aus gewohntem Frust die AfD. Eine große Zahl an Protestwählern der Jahre 2014 bis 2019 ist wieder dahin zurückgekehrt, wo sie herkamen: ins Nichtwählerlager.

Die AfD zeigte kurzzeitig das demokratische Potenzial dieser Wählerinnen und Wähler auf. Sie waren durchaus für eine politische Beteiligung zu begeistern, auch wenn mit der AfD natürlich kein Blumentopf zu gewinnen war. Das starke Abschneiden der Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl 2017 war schockierend, hätte aber auch als Weckruf genutzt werden können. Stattdessen war es von Anfang an verpönt, Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Mit diesen Menschen wollte man weder vor noch nach der Wahl etwas zu tun haben – und erst recht nicht mit ihren Sorgen und Ängsten.

Der Rechtsruck der Linken

Früher waren es linke Parteien, welche diese Menschen abgeholt haben. Lange vorbei sind aber die Zeiten, in denen sich die SPD für ihre Belange einsetzte. Gerhard Schröder, der Kanzler der Bosse, hat dann auch noch die letzten Wähler vertrieben, die nach einer echten linken Alternative gesucht hatten. Die Linke fing diese enttäuschten Wähler einige Jahre lang auf, bis sie damit begann, sich hauptsächlich mit sich selbst zu beschäftigen. Sehenden Auges ließ man die sorgengeplagten Menschen nach rechts abwandern. Dort wählen einige zuverlässig die AfD oder eine der anderen zahlreichen neurechten Parteien. Das Bündnis Deutschland beruft sich auf eine Repräsentationslücke im rechten Spektrum. In Wirklichkeit herrscht in dieser Ecke aber ein absurdes Überangebot.

Keine dieser rechten Parteien hat sich in den letzten Jahren nennenswert bewegt. Die AfD wurde mit einer offensichtlichen Tendenz zum Rechtsextremismus gegründet. Dieses bei der Parteigründung einkalkulierte Risiko hat die Partei zwischenzeitlich aufgefressen und gibt heute den Ton in der Partei an. Die anderen rechten Parteien wurden oftmals aufgrund der vielen Grenzüberschreitungen der erfolgreichen AfD gegründet oder weil sich die Partei immer mehr als Fundamentalopposition versteht.

Bewegung und Veränderung gab es hingegen im linken Spektrum. Die Grünen haben die meisten ihrer einstigen Grundsätze vollends über Bord geworfen und sind spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine glühende Kriegsverehrer. Die SPD ist durch die vielen Jahre in der Großen Koalition dauerhaft entstellt und die Linken hoffen insgeheim, den freigewordenen Platz der Grünen einzunehmen und würden dafür vielleicht sogar bereitwillig rechts der Sozialdemokraten platznehmen.

Frust ohne Protest

Eine aussichtsreiche traditionell linke Partei gibt es in Deutschland derzeit nicht. Eine Repräsentationslücke macht das aber noch nicht. Beobachtet man aber dann den Hype, der um eine mögliche Wagenknecht-Partei veranstaltet wird, sieht die Lage schon ganz anders aus. Ganz offensichtlich gibt es eine nicht zu unterschätzende Zahl an Menschen, die sich eine dezidiert linke Partei wünschen, die den Kurs der populären linken Politikerin folgt. Verlässliche Schätzungen gehen sogar von einem Wählerpotenzial von bis 30 Prozent aus, was fast dem Niveau einer Volkspartei entspricht. Wahrscheinlich würden nicht alle diese Menschen eine solche Partei tatsächlich wählen, aber sie alle würden die Gründung einer neuen linken Partei als Bereicherung in der Parteienlandschaft ansehen.

Aber egal, ob links oder rechts: Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sieht sich im derzeitigen politischen Spektrum nicht abgebildet. Dass die derzeitigen Herausforderungen wie Energiekrise, Klimawandel und Krieg die Menschen vor enorme Probleme stellen, liegt auf der Hand. Sie haben allen Grund unzufrieden und empört zu sein. Ihr Protest ist dafür erschreckend leise. Es gibt keine ernstzunehmende politische Kraft, welche dieses Potenzial bündelt und zum Ausdruck bringt. Die groß angekündigten Sozialproteste des Heißen Herbst blieben bislang größtenteils aus. Weder AfD noch Linken gelang es, nennenswert viele Menschen auf die Straßen zu bringen.

Es ist nicht gut für eine Demokratie, wenn das Land so augenscheinlich gegen die Wand gefahren wird und die Mehrheit schweigt. Selbst wer die Maßnahmen der Bundesregierung feiert, muss zugeben, dass sie für einen großen Teil der Bevölkerung sehr einschneidend sind und unweigerlich zu Kritik führen müssen. Jeder, der noch recht bei Trost ist, muss sich in diesen Zeiten wundern, warum die Straßen ein paar verzogenen Gören gehören, aber nicht den abertausenden an Menschen, die Angst haben vor der nächsten Heizkostenabrechnung. Wenn diese Menschen der Demokratie nicht für immer verlorengehen sollen, muss eine neue Partei her. Und zwar schnell.


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Ein linkes Problemkind?

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Krise bei den Linken: Mit seinen Äußerungen zur militärischen Unterstützung der Ukraine hat der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow eine Grundsatzdebatte losgetreten. Viele Mitglieder der Partei wenden sich entsetzt ab – in den letzten Tagen kam es verstärkt zu Parteiaustritten. Andere halten dem umstrittenen Politiker treu die Stange. Die Belastbarkeit der Partei wird erneut auf die Probe gestellt.

Ein Ministerpräsident schießt quer

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) begrüßt die Lieferung von Waffen an die Ukraine zur militärischen Unterstützung gegen Russland. Mit diesem Kurswechsel stößt der Politiker nun auf heftigen Gegenwind aus der eigenen Partei. Gegen die Ideen von Ramelow gehen einige seiner Genossinnen und Genossen regelrecht auf die Barrikaden. Sie werfen ihm eine Spaltung der Partei aus machtpolitischem Kalkül vor.

Die Kritik aus den eigenen Reihen reicht von bissigen Kommentaren in den sozialen Medien bis hin zu Parteiaustritten, die seit Ramelows Äußerungen spürbar in die Höhe schnellten. Mehre Linke-Abgeordnete, darunter auch Mitglieder der Fraktion im Erfurter Landtag, werfen dem Ministerpräsidenten eine Sozialdemokratisierung der Partei und eine geschmacklose Anbiederung an potentielle künftige Koalitionspartner vor. Vereinzelt fordern manche explizit den Rücktritt des Thüringer Regierungschefs oder legen ihm einen Parteiaustritt nahe. Nach ihrer Auffassung habe er nach seinen jüngsten Äußerungen nichts mehr in der Partei verloren.

Ähnlich sieht es auch die Linksjugend solid. Die Jugendorganisation hat sogar eine Petition gestartet, mit der sie ein Parteiausschlussverfahren erwirken möchte. Eine Sprecherin sieht in den Äußerungen Ramelows einen Bruch mit dem Grundsatzprogramm der Partei: „Was Bodo Ramelow gesagt hat, ist in einer pazifistischen Partei untragbar. Mit seinen Äußerungen kann er sich zu den Kriegstreibern von Grünen und CDU gesellen.“

Umstrittener Regierungschef

Die radikale Reaktion der Jugendorganisation trifft in der Gesamt-Partei auf breite Unterstützung. Aus der Parteizentrale hieß es am Montag knapp: „Die Äußerungen von Bodo Ramelow spiegeln nicht die Meinung der Partei Die Linke wider. Waffenlieferungen lehnen wir strikt ab.“

Seit längerem ist Ramelow der Führung der Partei ein Dorn im Auge. Sie wirft ihm vor, durch seinen Kurs Wähler vertrieben zu haben, die sich eine deutlich linkere Partei wünschten. Unter Ramelow, so die Spitze der Partei, habe sich Die Linke immer weiter Richtung Mitte bewegt und sei heute praktisch nicht mehr von SPD und Grünen unterscheidbar. Die beiden Koalitionspartner habe er damit kaputtregiert und müsse nun nach neuen Bündnissen Ausschau halten. Auch den Skandal um das Spiel Candy Crush haben viele in der Partei noch nicht verdaut.

Petition und Gegenpetition

Auf eine mögliche Spaltung seiner Partei angesprochen, hat Ramelow selbst seine Positionen immer wieder verteidigt. Seiner Ansicht nach müsse man die Lage ideologiefrei und ohne Denkverbote bewerten. Mit Russland habe man es mit einer Atommacht zu tun, der nur mit konsequenter Härte begegnet werden könne. Die schnelle Beendigung des Kriegs und des Sterbens habe für ihn oberste Priorität. Nichts liege ihm mehr am Herzen als die Leben der Menschen, die unter dem Krieg leiden.

Die Berichterstattungen über die Kritik an seinen Äußerungen hält der Politiker für überzogen. Er gesteht ein, dass es eine Strömung in seiner Partei gibt, die an Abrüstungsfantasien und Diplomatie festhalte und damit die westlichen Werte von Frieden und Freiheit verrate. Diese Strömung hält er für überrepräsentiert, weil sie die Gesamtmeinung der Partei nicht authentisch wiedergebe. Laut eigenen Angaben genieße er enormen Rückhalt in der Partei. Neben der Petition, die seinen Ausschluss aus der Partei fordert, gebe es eine weitere Petition, die sich für seine Ansichten starkmacht. Er bedauert, dass darüber fast gar nicht berichtet würde. Auf die Namen der ihn unterstützenden Mitglieder und Abgeordneten angesprochen, reagiert er bislang ausweichend und macht keine näheren Angaben dazu.

Fakt ist, dass es tatsächlich eine Gruppe von Abgeordneten im Thüringer Landtag gibt, welche die Positionen des Ministerpräsidenten unterstützen. Das sogenannte Ramelow-Lager macht bereits seit Jahren durch Provokationen und gezielte Grenzüberschreitungen von sich reden. Die Parteiführung macht Ramelow unter anderem für das starke Abschneiden der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen 2019 verantwortlich. Die rechtsextreme Partei war dort deutlich zweitstärkste Kraft geworden.

Fataler Zeitpunkt

Einige Mitglieder des Parteivorstands, aber auch Abgeordnete aus dem Bundes- und den Landtagen kritisieren Ramelow außerdem für den Zeitpunkt seiner Äußerungen. „Wir sitzen nicht in vielen westdeutschen Parlamenten. Eine solche Debatte gerade einmal ein halbes Jahr vor der Bremenwahl vom Zaun zu brechen, ist absolut destruktiv“, lässt sich ein Parteimitglied zitieren, das lieber anonym bleiben möchte.

Auch Politikwissenschaftler schlagen Alarm. Sie sehen die Gefahr, dass Die Linke aus den wenigen westdeutschen Landesparlamenten, in denen sie vertreten ist, wieder herausgewählt werden könnte. Prof. Dr. Ingmar Schneck von der Universität Freiburg warnt deshalb eindringlich: „Sollte die Parteiführung den schwelenden Zwist zwischen dem Ramelow-Lager und dem Rest der Partei nicht in den Griff bekommen, droht der Partei bei anstehenden Wahlen ein Debakel.“

Aus der offiziellen Erklärung des Parteivorstands heißt es weiterhin, dass die umstrittenen Äußerungen von Bodo Ramelow noch mehr Menschen zu „kriegstreibenden Parteien wie CDU und Grünen“ führen würden. Laut Einschätzung des obersten Gremiums der Partei würde sich Die Linke damit überflüssig machen. Entsprechend laut ist schon jetzt der Zuspruch, den Ramelow von Vertretern der genannten Parteien erhalten hat.

Beispielsweise wurde von den Grünen jüngst ein Motiv für geplante Wahlkampfplakate zur Bremenwahl geleaked. Auf dem Plakat ist die Silhouette von Bodo Ramelow zu sehen. In weißen Lettern steht auf grünem Grund geschrieben: „Bodo hat recht.“ Ramelow selbst ließ verlauten, gegen diese Vereinnahmung seiner Position gerichtlich vorzugehen. Er erklärte außerdem sinngemäß, man könne vernünftige Argumente nicht in Grund und Boden stampfen, weil die gegnerische Seite dazu applaudiert.


Es zeichnet sich ein Richtungsstreit bei den Linken ab. Welche Seite sich behaupten wird, werden die nächsten Monate zeigen. Momentan behält die Parteiführung noch die Oberhand, aber spätestens nach der Bürgerschaftswahl in Bremen wird sich die Partei erneut mit der Ramelow-Frage beschäftigen müssen.

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Der letzte Sargnagel

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Alle Abgeordneten der Linken-Bundestagsfraktion haben ihre Arbeit künftig am Parteiprogramm auszurichten. Das besagt ein Fraktionsbeschluss vom 20. September 2022. Vorspiel der Entscheidung war eine kontroverse Rede der Abgeordneten Sahra Wagenknecht. Seit Jahren dreht sich die Berichterstattung dieser Partei fast ausschließlich um diese Personalie. Doch Sahra Wagenknecht ist nicht etwa überrepräsentiert. Sie ist das einzige, was diese sterbende Partei noch zu bieten hat. Inhaltlich unterscheiden sich die Linken kaum noch von den Grünen. Einige Parteimitglieder arbeiten besonders engagiert daran, die prominente Politikerin aus der Partei zu kicken. Der Preis dafür liegt auf der Hand.

Kampflos die Segel gestrichen

Die Linkspartei war mal die große Hoffnungsträgerin der sozial Benachteiligten. Besonders in den ostdeutschen Bundesländern konnte die Partei dadurch punkten, dass sie die Sorgen vieler Menschen ernstnahm und ihnen ein glaubwürdiges politisches Angebot machte. In Thüringen ist Die Linke sogar stärkste Fraktion und erreichte dort den Charakter einer Volkspartei, was nicht zuletzt mit der Beliebtheit von Ministerpräsident Bodo Ramelow zusammenhängt. Im Westen hingegen hatten es die Linken schon immer schwerer. Trotzdem sind sie zumindest im hessischen Landtag als Fraktion vertreten.

Von diesen Erfolgen ist die Partei momentan Lichtjahre entfernt. Bei vergangen Wahlen gab es massive Wählerwanderungen. Besonders Grüne und AfD bedienten sich bei den demokratischen Sozialisten. Viele andere entschwanden zu den Nichtwählern. Die einstige Protestpartei ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Krawall und Protest verspricht heute die AfD. Diesen Posten haben die Linken den Rechtspopulisten ohne nennenswerte Gegenwehr überlassen, ihn der rechten Partei sogar förmlich aufgedrängt. Es scheint den Genossinnen und Genossen viel mehr zu gefallen, an einzelnen Punkten zwar Kritik zu üben, im Grunde aber doch alles durchzuwinken, was von der Regierung kommt. Bodo Ramelow hat sogar schon das entschiedene Nein der Linken zu Waffenlieferungen infrage gestellt.

Kein Bedarf

Auf eindeutige Signale reagiert die Partei nicht. Obwohl sie bei der letzten Bundestagswahl nur durch Sonderregelungen in Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen ist, verfolgt sie unbeirrt den Kurs, der sie immer mehr in die politische Bedeutungslosigkeit manövriert. Fleißig kopieren die Entscheidungsträger in der Partei die Positionen der Grünen und verpassen ihnen einen sozialen Anstrich. Die Wähler jedoch durchschauen das Spiel und zeigen den Linken sehr direkt, was sie von dem billigen Grünenabklatsch halten: nichts.

Die Minifraktion im Bundestag ist Zeugnis dafür, dass nur sehr wenige Menschen im Land eine solche Partei wollen oder brauchen. Wenn sich am Parteimanagement nicht bald etwas ändert, wird es den Linken ähnlich ergehen wie vor einigen Jahren den Piraten. Zunächst glaubten viele, es würde sich eine neue Partei in der politischen Landschaft etablieren. Doch Pustekuchen! Mit den wenigen originellen Ansätzen verschwand die Partei alsbald wieder in der Versenkung. Ihren großen Markenkern – die Digitalpolitik – sogen die etablierten Parteien mühelos auf.

Heute zu links, morgen zu rechts

Der Abwärtskurs der Linken ist kein Phänomen der letzten Monate. Seit Jahren mischen sie ganz vorne mit, wenn es darum geht, die eigene Wählerschaft zu verprellen. Dass die Partei überhaupt noch im Gespräch ist, verdankt sie einer einzigen Persönlichkeit: Sahra Wagenknecht. Die promovierte Volkswirtin ist seit Jahren das Aushängeschild ihrer Partei. Schon lange übersteigt ihre Popularität die der Linken.

Wagenknecht ist als Politikerin von jeher umstritten. Schon in den 1990ern fiel sie dadurch auf, dass sie öffentlich den Niedergang der DDR bedauerte und sich in dieses System zurückwünschte. Bei der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 warf man dem damaligen Linken-Parteichef Lothar Bisky vor, mit Sahra Wagenknecht eine Persönlichkeit zu dulden, die zu weit links stünde. Heute freilich muss sich Wagenknecht routinemäßig anhören, ihre Positionen seien rechts. Mit ihren jüngsten Äußerungen zur Coronaimpfung und zu den Wirtschaftssanktionen gegen Russland hat sich die Politikerin erneut eine Menge Kritik eingehandelt.

Gesprächsthema Nr. 1

Es ist trotzdem ein offenes Geheimnis, dass viele Wählerinnen und Wähler nur wegen Sahra Wagenknecht links wählen. Es ist daher umso unverständlicher, warum die Linken eine derartige Schmutzkampagne gegen ihr wichtigstes Mitglied führen. Regelmäßig ist von Posts und Tweets anderer Bundestags- und Landtagsabgeordneter der Partei zu lesen, in denen Wagenknecht unverblümt zum Parteiaustritt aufgefordert wird. Zugegeben hat Die Linke nicht mehr viel zu bieten außer des Streits mit der kontroversen Abgeordneten.

Ihr Überleben hat die Partei in erster Linie Sahra Wagenknecht zu verdanken. Auch die Medien scheinen momentan kein Interesse am Sterben dieser Partei zu haben: Sie heizen den Zank in der Linken weiter an, indem sie stellenweise wichtige Zusammenhänge unterschlagen oder sogar bewusst falsch darstellen. Gleich mehrere Berichterstattungen zum Parteiaustritt des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fabio de Masi stellten seine Entscheidung in eine Reihe mit Parteiaustritten wie beispielsweise die des Wagenkencht-Kritikers Ulrich Schneider. Tatsächlich war de Masi schlicht die innerparteilichen Auseinandersetzungen leid und wollte sich nicht für ein Lager entscheiden.

Krise mit Tradition

Mit ihrem derzeitigen Kurs stehen die Linken vor einer entscheidenden Weggabelung. Sie können mit Wagenknecht weitermachen wie bisher. Dann würden sie mit etwa 2 bis 3 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl endgültig aus dem Parlament fliegen. Oder sie machen ohne Wagenknecht weiter wie bisher. Dann würden sie bei der nächsten Bundestagswahl mit etwa 1 Prozent unter die „Sonstigen“ fallen.

Je länger die Linken sich gegenseitig zerfleischen und in ihren Wahlprogrammen bei den Grünen abschreiben, desto schwieriger wird es für die Partei werden, wieder als authentische und ernstzunehmende politische Kraft wahrgenommen zu werden. Schon einmal stand die damalige PDS kurz vor dem Abgrund. Bei der Bundestagswahl 2002 hielten ihnen Gesine Lötzsch und Petra Pau im Bundestag die Stange – zur Abgeordnetengruppe hatte es bei der vorausgegangenen Bundestagswahl nicht gereicht. Dann kam die rot-grüne Regierung auf die Idee mit Hartz-IV. In der Bevölkerung brodelte es – Widerstand machte sich breit.

Die Linken verstanden es damals hervorragend, den Protest gegen das umstrittene Gesetz aufzufangen und zu kanalisieren. 2005 verdoppelten sie ihr vorheriges Wahlergebnis und legten vier Jahre später noch einmal ein paar Prozentpunkte drauf. Zugetraut hatte es dieser sterbenden Partei damals niemand. Die PDS öffnete sich stattdessen und kooperierte mit der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit, zwei Jahre später erfolgte die Fusionierung.

Eine neue Chance?

Auch heute ist die soziale Lage im Land wieder äußerst angespannt. Die explodierenden Energie- und Heizkosten machen den Menschen Angst. Viele wissen schon heute nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Den Griff zum Heizthermostat zögern viele möglichst lange hinaus. Die Linke hat bereits zu Widerstand und Demonstrationen aufgerufen.

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie sich dieses Engagement auf den Erfolg der Partei auswirken wird. Momentan hadern die Linken noch damit, dass auch die AfD zu Protesten aufruft. Einen großen Teil der Debatte hat man bereits unreflektiert der extremen Rechten überlassen. Die Linke muss sich wie bereits vor knapp zwanzig Jahren ehrlichmachen und sich das Feld der sozialen Ängste und Nöte zurückerobern. Ansonsten bewahrt sie auch bald der Dauerstreit mit Sahra Wagenknecht nicht mehr vor der Bedeutungslosigkeit.


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