Klare Kante gegen rechts?

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Von der Flüchtlingskrise hat keine andere Partei so sehr profitiert wie die AfD. Auch die Debatte um die Klimakrise konnte die nationalistische Partei nutzen, um sich über Wasser zu halten. Seit Corona schwächelt die Partei zwar, es gibt aber weiterhin eine beträchtliche Zahl an Menschen, die ihr die Stimme geben würde. Viele sind entsetzt darüber, dass eine inzwischen so offen rechtsextreme Partei so viele potentielle Wähler anzieht und sich gleichzeitig bürgerlich nennt. Die Reaktion der wirklich bürgerlichen Parteien ist verhalten bis destruktiv. Anstatt klare Kante gegen rechts zu zeigen, verbrüderten sich Union und FDP in Thüringen mit der AfD. Gemeinsamer Feind ist Rot-Rot-Grün. Immer offener treten Ähnlichkeiten zwischen den drei Parteien auf, die über eine Ablehnung des progressiven Lagers hinausgehen.

Nach der skandalösen Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten am 5. Februar 2020 bezeichnete AfD-Chef Alexander Gauland seine Partei als eine bürgerliche Partei. Er wird seitdem nicht müde, diese Behauptung immer wieder zu wiederholen. Auch als die Personalie Bernd Höcke in den vergangenen Monaten wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, bezeichnete er den offiziellen Faschisten als die Mitte der Partei, auch wenn er sich damit oftmals missverstanden fühlte. Der leidenschaftliche Hundekrawattenträger schwadronierte und träumte von einer in seinen Augen bürgerlichen Mehrheit, die den verhassten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu Fall bringen würde. Nun wissen wir alle in der Zwischenzeit, dass Gaulands feuchte Träume nicht ganz aufgingen: Ramelow ist weiter Ministerpräsident, wenn auch nur auf Abruf, und Höckes Flügel musste sich zumindest pro forma auflösen.

Eine bürgerliche Partei?

Gaulands Behauptung, die AfD sei eine bürgerliche Partei, ist natürlich vollkommener Schwachsinn. Wenn die AfD tatsächlich eine bürgerliche Partei ist, steppe ich nackt durch die Straße und singe Loblieder auf den Kapitalismus. Beide Szenarien sollten uns besser erspart bleiben. Aber Klartext: Die AfD ist eine nationalistische, rückwärtsgewandte und zum Teil offen rechtsextreme Partei. Das hindert die Rechtsaußen-Partei allerdings nicht daran, sich das Gewand des Bürgertums überzuziehen und auch immer mehr Wähler aus diesem Spektrum zu gewinnen.

Denn von manchen inhaltlichen Ansichten her ist die AfD tatsächlich nicht so anders als die Parteien, die ihnen bei der Sitzverteilung in den Parlamenten am nächsten sind. Gerade im bürgerlichen und wirtschaftsliberalen Lager kann die AfD immer mehr punkten. Nicht nur die FDP spinnt fleißig die Legende vom faulen Hartz-IV – Empfänger, der den wahren Leistungsträgern der Gesellschaft auf der Tasche liegt. Sie sehen das Problem weniger im System des Arbeitslosengelds II, sondern viel mehr in dessen Empfängern. Bei der AfD kommt meistens noch die Komponente des Migrationshintergrunds dazu, wenn sie den Begriff Hartz-IV in den Mund nimmt.

Herrenüberschuss und Kinderfeinde

Ähnliches gilt für das Frauenbild, welches in allen Parteien rechts der Grünen vorherrscht. Union und FDP halten sich mit antifeministischen Äußerungen zurück, doch es sind gerade die drei Parteien aus Gaulands bürgerlichem Lager, welche an einem chronischen Mangel an Frauen leiden. So kommen Union und FDP auf nur etwas mehr als 20 Prozent Anteil von Frauen in den Bundestagsfraktionen. Bei der AfD sind es gerade einmal kümmerliche 11 Prozent. Wie kann auch nur eine dieser Parteien es wagen, sich als Volkspartei zu bezeichnen, wenn Frauen, immerhin die Mehrheit in der Bevölkerung, nur so unzureichend vertreten sind?

Auch auf die Fridays-for-Future – Demos im letzten Jahr fanden die drei angeblich bürgerlichen Parteien sehr ähnliche Antworten. Der Kanon des rechten Teils des Parlaments war stets der Vorwurf, es handle sich durch die Reihe um notorische Schulschwänzer. Mit ihren wenigen Jahren an Lebenserfahrung könnten die Kiddies bei dieser hochkomplizierten Debatte überhaupt nicht mitreden, das sei eine Sache für Experten. Man zweifelte außerdem die Ernsthaftigkeit der Bewegung an, weil sich ja angeblich kein einziger dieser Schüler in seiner Freizeit für dieses Thema einsetzte. Beinahe einstimmig kamen Union, FDP und AfD zu dem Ergebnis, die FFF-Demos seien ein Ergebnis einer linksrotgrün-versifften Jugend, die nur so großmaulig auf die Straße ging, weil sie in ihrem Leben noch keinen Cent an Steuern gezahlt hatte. Manche konnten diese Meinung diplomatisch ausdrücken, manche nicht.

Beleidigte Leberwürste

All diese Beispiele zeigen, dass Gauland mit einer Behauptung recht hatte: Die AfD steht Union und FDP tatsächlich näher als dem rot-rot-grünen Lager. Und auch nur so ist zu erklären, warum die Thüringer CDU und FDP so offen mit der Höcke-AfD kooperierte. Denn anders als SPD, Linke und Grüne sind Union und FDP nicht entsetzt über den Aufstieg der AfD – sie sind neidisch.

Apropos Neid: Kürzlich brachte die FDP-Fraktion im Bundestag einen Antrag ein, in dem sie für virtuelle Gerichtsverhandlungen warb. Sie hatte dabei alle anderen Fraktionen gegen sich, keine andere Fraktion konnte dem Antrag etwas abgewinnen. Anscheinend ging der Neid der FDP sogar so weit, dass sie wenigstens einmal anstelle der AfD erleben wollte, wie alle anderen Fraktionen gegen sie sind.

Angebot und Nachfrage

Trotzdem ist die AfD viel mehr als nur abgewanderte Wähler, denen die anderen Parteien nicht mehr bürgerlich genug sind. Die Wählerschaft der AfD ist nicht so homogen wie das bei anderen Parteien der Fall ist. Dennoch lassen sich im groben zwei Gruppen an Wählern ausmachen, welche der AfD ihre Stimmen geben. Da sind zum einen solche Wähler, denen FDP und vor allem die Union nicht mehr konservativ und wirtschaftsliberal genug ist. Wie unzufriedene Kunden haben sie sich ein neues Geschäft gesucht, weil die Qualität im alten nicht mehr gestimmt hat.

Und dann sind da noch solche Wähler, die immer wieder als die „Abgehängten“ von sich reden machen. Das sind die Menschen, die schon lange nicht mehr im Blickwinkel der Politik stehen. Teilweise schuften sie schwer und haben am Ende des Monats trotzdem nicht genug Geld in der Tasche, um sich einen gewissen Lebensstandard zu sichern. Es wird oft über sie gesprochen, wenn sie Glück haben auch zu ihnen, aber seit langem schon nicht mehr mit ihnen. Sie sind wie Kunden, die zigmal in ein Geschäft gingen und dann feststellten, dass das Regal mit ihren Waren stets leer war. Natürlich wandern sie dann zur Konkurrenz ab.

Genau dieser Wählergruppe gilt es ein Angebot zu machen. Wenn man deren Sorge und Nöte, ihre Lebensrealitäten mit allen Widrigkeiten endlich wieder ernstnähme, dann hätten sie auch keinen Grund mehr, einer Partei hinterherzulaufen, die Faschisten und Chauvinisten beherbergt. Ja, es sind Wähler abgewandert, weil die Union nicht mehr konservativ genug ist. Die AfD suggeriert das oft genug als den Schlüssel zu ihrem Erfolg. Das ist er aber nicht. Die AfD lebt davon, abgehängte Wählerschichten ein Angebot zu machen und für sich einzunehmen. Gewinnt man diese Wähler zurück, so haben die wenigsten der Konservativen noch einen Grund, der AfD die Treue zu halten. Mit einer Partei, die mit Müh‘ und Not dann vielleicht noch über die Fünf-Prozent – Hürde käme, könnten diese Wähler nichts mehr reißen.

Ein Bollwerk aus Enttäuschten

Es bringt also nichts, die AfD zu kopieren und eine härtere Gangart im Umgang mit Flüchtlingen anzukündigen. Wäre das der Fall, wäre die Rechtsaußen-Partei längst passé. Viel zu leicht lassen sich andere Parteien einreden, der große Fehler wäre fehlender Konservatismus und eine Abkehr vom Nationalstaat. Diese falschen Ansichten ermöglichen es den wirtschaftsliberalen Kräften in der AfD, die Protestwähler wie ein Bollwerk vor sich herzutreiben. Die neoliberalen Fantasien lassen sich am besten umsetzen, wenn die Partei von möglichst vielen gewählt wird, egal ob sie im Endeffekt von einer Entfesselung des Markts profitieren oder nicht. Würde man die wenigen ernsthaften sozialpolitischen Forderungen der AfD umsetzen, würde das definitiv zulasten derer gehen, die sich von der Politik der letzten Jahre im Stich gelassen fühlen. Solange sie das nicht durchschauen, wird sich an ihrer Situation nichts grundlegendes ändern. Und auch nicht an ihrem Grund, AfD zu wählen.

Jede Partei folgt einer Ideologie. Leider heiligt dabei viel zu oft der Zweck die Mittel. Wähler werden über vieles im unklaren gelassen, nur damit sie einer Partei ihre Stimme geben. Das ist grundsätzlich falsch. Bestimmt gibt es auch bei der Union eine ganze Reihe an Punkten, die einem Großteil der Bevölkerung zugutekommen. Doch gerade markthörige Parteien wie Union und FDP hatten es oftmals schwerer, alle Karten auf den Tisch zu legen, ohne Wähler zu vergraulen. Die AfD kann das besser. Und daher kommt der Neid.


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Racheakt im Bundestag – Rot-Rot-Grün stimmt FÜR AfD-Kandidaten

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Das politische Beben nach dem Eklat in Thüringen hält weiter an. Längst hat es auch die Bundesebene erreicht. Abgeordnete von SPD, Linke und Grüne haben sich nun zusammengetan, um der AfD eins auszuwischen. Sie setzten darauf, es den Rechtspopulisten mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Am 5. Februar dieses Jahres kam es im Thüringer Landtag zum politischen Showdown. Der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) musste seinen Platz für den FDP-Mann Thomas Kemmerich räumen. Dabei hatten die Liberalen den Einzug in das Landesparlament nur um Haaresbreite geschafft. Der Skandal: Kemmerich wurde maßgeblich mit Stimmen aus der AfD-Fraktion ins Amt gewählt. Es folgte ein politisches Beben, das rasch auch die Bundesebene ergriff. Im Nachgang sanken die Umfragewerte für CDU und FDP nicht nur in Thüringen. CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer trat schließlich zurück.

Im zweiten Wahlgang zur Mehrheit

Der Politkrimi von Erfurt war sicherlich kein Meisterstück der AfD. Auch der Begriff „Intrige“ verbietet sich bei einer solch offensichtlichen Scharade. Führende Politiker der anderen Parteien machten darauf aufmerksam, dass ein solches Szenario die logische Konsequenz aus der Kandidatur Kemmerichs war. Sie zeigten sich fassungslos darüber, dass dieser die Wahl überhaupt angenommen hatte. Von Paktieren mit Rechtsextremen und einem politischen Tabubruch war die Rede.

Etwas ähnliches wiederholte sich nun während der letzten Sitzung des Deutschen Bundestags. Routinemäßig stellte die AfD-Fraktion einen der ihrigen erneut zur Wahl für das Amt des Parlamentsvizepräsidenten. Der sächsische Abgeordnete Karsten Hilse sah sich bereits zum zweiten Mal dem Urteil der Bundestagskollegen gegenüber – im ersten Wahlgang war er bereits wie seine glücklosen Vorgänger krachend gescheitert. Die Überraschung folgte, als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) das Ergebnis verlas. Insgesamt hatten 352 Abgeordnete für den AfD-Kandidaten gestimmt. Es gab 298 Nein-Stimmen und 37 Enthaltungen.

Eine mathematische Gewissheit

Der Fall ist klar: Verteilt man die 687 abgegebenen Stimmen der anwesenden Parlamentarier auf die Fraktionen, so lässt sich leicht ausrechnen, wer den AfD-Kandidaten ins Amt gehoben hat. Abzüglich der abgegebenen AfD-Stimmen deckt sich die Zahl der übrigen Ja-Stimmen mit der Zahl an anwesenden Abgeordneten aus den Reihen von SPD, Linken und Grünen. Auch wenn einzelne AfD-Abgeordnete diesen Umstand weiterhin dementieren, lässt sich diese Offensichtlichkeit nicht von der Hand weisen.

Die rot-rot-grünen Abgeordneten hatten anscheinend gehofft, Hilse würde die Wahl nicht annehmen können, wenn er so offensichtlich vom ärgsten politischen Gegner der AfD gewählt würde. Doch wie bereits im Fall Kemmerich hatten die Abgeordneten die Rechnung ohne den Ehrgeiz des designierten Kandidaten gemacht. Denn Hilse nahm die Wahl unverblümt an.

Die daraufhin entstehenden Tumulte veranlassten Parlamentspräsident Schäuble dazu, die Sitzung zu unterbrechen. Bereits unmittelbar nach Hilses Erklärung, die Wahl anzunehmen, verließen einige seiner Fraktionskollegen demonstrativ den Saal. Die pfälzische AfD-Abgeordnete Nicole Höchst ließ sich in ihrer grenzenlosen Rage sogar dazu hinreißen, den Tisch direkt vor ihr in seine Einzelteile zu zerlegen.

Himmelweite politische Unterschiede

Einige AfD-Kollegen zeigten sich zwar verunsichert, aber weniger irritiert. Vereinzelt schüttelten sie dem frischgewählten Vizepräsidenten die Hand. Auch die Fraktionsvorsitzenden Weidel und Gauland vermieden überstürzte Reaktionen und gratulierten Hilse. Empörung über die Wahl gab es auch in den anderen Fraktionen des Hauses. FDP-Chef Lindner beispielsweise trat in der Beglückwünschungsrunde zwar an Hilse heran, warf ihm dann allerdings kommentarlos den Blumenstrauß vor die Füße.

Später rechtfertigte er seine schroffe Handlung und betonte, dass er kein Verständnis dafür habe, sich von solchen Menschen ernsthaft wählen zu lassen. Er verwies auf die himmelweiten politischen Unterschiede zwischen AfD und FDP einerseits und dem rot-rot-grünen Lager andererseits.

Während der Unterbrechung der Sitzung konnte einigen Abgeordneten ein Statement zur Wahl Hilses entlockt werden. Von der AfD gab es hingegen zunächst kaum eine direkte Stellungnahme. Die meisten Abgeordneten der Fraktion wollten keine vorschnellen Kommentare abgeben, sondern lieber die von Fraktionschef Gauland bereits einberufene Sonderfraktionssitzung abwarten. Dort solle das weitere Vorgehen besprochen werden.

Nicht mit den Altparteien

Außerhalb der Bundestagsfraktion zeigte man sich weniger zurückhaltend. Verschiedene Landes- und Kommunalpolitiker der AfD drückten ihren Unmut über den Vorgang in Berlin aus. Auf Twitter verwiesen mehrere Politiker auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei, der eine Zusammenarbeit mit SPD, Linken und Grünen kategorisch ausschließe. Vereinzelt wurde sogar die Forderung nach einem Parteiausschlussverfahren gegen Hilse laut. Nach Ansicht einer Gruppe von AfD-Landtagsabgeordneten aus Sachsen sei Hilses Vorgehen nicht mit den Grundwerten der Partei vereinbar.

Viele AfDler stellen nun auch die Führungskompetenzen der beiden Fraktionschefs Weidel und Gauland offen in Frage. Weidel kommentierte die immense Kritik vorerst nicht. Einige Mitarbeiter des Bundestags beobachteten sie dabei, wie sie sich nach ersten kritischen Fragen von Journalisten mit einer Leberwurst in der Hand in ihr Büro zurückzog und dort einschloss. Ihr Kollege Alexander Gauland gab sich betont offensiv. Er kündigte knapp an, dass er sich auf einem Sonderparteitag in wenigen Wochen der Vertrauensfrage der Delegierten stellen würde.

Der neue Bundestagsvizepräsident Hilse kündigte bereits in der Sitzungsunterbrechung an, dass er sein Amt nicht antreten werde. Er gestand Fehler im Umgang mit dem politischen Gegner ein und distanzierte sich von seiner Entscheidung, die Wahl anzunehmen. Man werde es nicht zulassen, dass Rot-Rot-Grün einen Keil zwischen die Abgeordneten der AfD treiben würde.

Die AfD-Bundestagsfraktion stellt somit auch in Zukunft keinen Vizepräsidenten. Erneut wurde betont, dass eine Kooperation mit den sogenannten Altparteien weiterhin ausgeschlossen sei. Enthaltungen seien willkommen, aktive Ja-Stimmen allerdings würden als unzulässige Zusammenarbeit gewertet werden. Immerhin müsse auf die Befindlichkeiten der AfD als stärkste demokratisch gewählte Oppositionspartei eingegangen werden.

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Wider die Instinkte – Wenn Intelligenz tötet

Beitragsbild: Gerd Altmann, pixabay.

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Unter all den Lebewesen, die sich auf unserem Planeten tummeln, neigt wohl keine andere Spezies so sehr zu irrationalem und dummen Verhalten wie der Mensch. Seit Anbeginn aller Zeiten fasziniert er durch sein widersinniges und absolut unlogisches Verhalten. Der angeblich intelligentesten Spezies der Welt steht dabei oftmals der eigene Instinkt im Wege. Ob es nun Fluch oder Segen ist, dass diese Instinkte von schier unendlicher Intelligenz übermannt werden, ist in manchen Fällen kaum unterscheidbar.

Intelligenz ist nicht alles

Schaut man sich die Äußerungen mancher Menschen an, grenzt es schon fast an Komik, dass die Evolutionstheorie ausgerechnet diese Spezies zur intelligentesten auf dem Erdenrund geadelt hat. Anstatt die Klimakatastrophe zu betrauern, sollte man lieber deren Verursacher beklagen. Aber eines muss man den Menschen wirklich zugestehen: Sie sind tatsächlich intelligent. Diese Intelligenz verschafft ihnen nicht nur eine deutlich schnellere Auffassungsgabe, sondern befähigt sie auch zum Sprechen, Schreiben und Lesen. Womit Intelligenz allerdings niemals verwechselt werden sollte, ist Schläue. Die Intelligenz ist viel eher die Grundausstattung, über die der Mensch im Normalfall verfügt. Dieser Speicherplatz kann gefüllt werden. Muss er aber nicht.

Gerade im Zusammenhang mit hochaktuellen Themen wird mal wieder offensichtlich, dass der Mensch eine apokalyptische Neigung zur Selbstauslöschung in sich trägt. Zwei Themen machen das ganz besonders deutlich: die leidvolle Debatte um das Tempolimit auf deutschen Autobahnen einerseits und die linksgrün-versiffte Idee eines Böllerverbots andererseits.

Bleiben wir doch zunächst bei der Geschwindigkeitsbegrenzung. Die hartgesottenen Gegner des Limits halten eine solche Regelung für unsinnig, weil die deutschen Autobahnen als die sichersten weltweit gelten. In diesem Punkt haben sie sogar recht. Und noch etwas anderes ist auffällig: die wenigsten tödlichen Unfälle geschehen auf der Autobahn. Wer das als valides Argument gegen ein Tempolimit nimmt, der müsste in der Konsequenz auch das deutsche Strafgesetz abschaffen. Statistiken belegen nämlich, dass die Anzahl polizeilich erfasster Straftaten in den letzten Jahren rückläufig ist.

Need for Speed

Natürlich käme keiner ernsthaft auf eine solch absurde Idee. Gerade die Mordrate ist in den letzten Jahren gestiegen. Ein ähnliches Prinzip gilt auch auf der Autobahn. Auf diesen Straßen sind vielleicht die wenigsten tödlich verunglückt, die meisten unter ihnen allerdings aufgrund zu hoher Geschwindigkeit.

Es sollte eigentlich unbestritten sein, dass ein Tempolimit immer dazu führt, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit sinkt. Wo zu hohe Geschwindigkeit die Top-Ursache tödlicher Unfälle ist, da sollte nicht mehr über das Ob, sondern möglichst bald über das Wie diskutiert werden.

Freie Fahrt auf der Autobahn? Viele Menschen halten nichts von einem Tempolimit.
Bild: Rolf van Melis, Autobahn A44 1, CC BY-SA 2.0 DE.

Und da sich die Gegner des Tempolimits so gerne damit rühmen, die deutschen Autobahnen seien die sichersten: Perfektionismus endet nicht, wenn man gut ist, sondern wenn man perfekt ist. Eine generell niederschwellige Gefahrenlage auf deutschen Autobahnen sollte eigentlich erst recht Anlass dazu sein, noch sicherer zu werden. Man hört ja schließlich auch nicht auf, seine Kinder impfen zu lassen, weil das Ansteckungsrisiko gering ist. Oder etwa doch?! Und noch einmal: Ein Tempolimit kann nur dazu führen, dass die Zahl der Toten aufgrund von zu hoher Geschwindigkeit zurückgeht. Und jeder Tote auf deutschen Straßen ist ein Toter zu viel.

Höher, schneller, weiter

Schneller heißt schließlich immer auch unkontrollierbarer. Der Mensch strebt danach, Dinge zu kontrollieren. Hier ist eine neue Möglichkeit. Doch dass viele Menschen mit solch einleuchtenden Grundprinzipien gebrochen haben, wird auch bei der Diskussion um ein Böllerverbot an Silvester deutlich. Hier setzen sich viele sogar über einen Urinstinkt aller Lebewesen auf der Erde hinweg: der Angst vor dem Feuer.

Ich kann es gar nicht oft genug sagen: Sprengstoff hat in den Händen von Laien nichts zu suchen. Deswegen ist die Begründung vieler Einzelhandelsketten, auf den Böllerverkauf zu verzichten, auch so scheinheilig. Viele springen auf den Klimazug mit auf, obwohl die enorme Gefahr von Schwarzpulver & Co. schon viel länger bekannt ist.

Feuerwerke erfreuen sich an Silvester weiterhin großer Beliebtheit – trotz offensichtlicher Gefahren.
Bild: Gerd Altmann, pixabay.

Schon der Neandertaler wollte das Feuer unbedingt kontrollieren. Wie soll das funktionieren, wenn man hochexplosives Material anzündet und wegwirft? Eine einmal gezündete Rakete, die in die Lüfte schnellt, ist nicht kontrollierbar, zumindest nicht von Menschenhand. Wozu in den Himmel entsendetes Feuer führen kann, wurde uns dieser Tage auf tragischste Art und Weise in Krefeld erneut vor Augen geführt. Ein generelles Umdenken wird das aber trotzdem nicht bedeuten. Es war ja schließlich keine Rakete…

Explosiver Schwanzvergleich

Dabei ist die Alternative so naheliegend. Wenn man an Silvester schon unbedingt ein zünftiges Feuerwerk will, dann kann man sich doch an vielen US-amerikanischen Städten orientieren. Dort ist es seit langem Gang und Gäbe, dass Pyrotechniker an zentralen Stellen ein Himmelsschauspiel entfesseln. Auch das ist natürlich nicht ohne Risiko. Vielleicht wären zentrale Lasershows dann doch besser. Denn natürlich ist ein Feuerwerk schön. Das ist ein Atompilz aber irgendwie auch.

Beim Thema Böllern geben sich viele Menschen allerdings einsichtig. Doch die Ankündigung, in diesem Jahr auf jeden Fall weniger bis gar nicht zu böllern, war von Anfang an zum traurigen Ritus verdammt. Denn spätestens wenn einem die – Achtung, Wortwitz – Knallerpreise regelrecht entgegenfliegen, gibt es für viele kein Halten mehr. Längst hat das Auto Konkurrenz bekommen, wenn es darum geht, dass testosterongesteuerte Supermarktstricher ihre verkümmerten Schwänzchen kompensieren müssen.

100.000 Jahre Schnee

Hat das noch was mit Intelligenz zu tun? Man weiß es nicht. Wenigstens geben sich viele Menschen beim Thema Böllerverbot gar keine Mühe, sonderlich intelligent zu wirken. Geht es allerdings um den Klimawandel, sieht die Sache schon anders aus. Beim neuen globalen Lieblingsthema ist es inzwischen zur guten Sitte geworden, sich mit Fakten und Zahlen zu bombardieren und zu übertrumpfen. Manche dieser „Argumente“ lassen dann jedoch schnell wieder an der Intelligenz mancher Möchtegern-Klimaforscher zweifeln.

So gibt es doch tatsächlich Menschen, die die derzeitige Situation auf unserem Planeten mit der letzten Eiszeit vergleichen. Sicherlich kennen die meisten derer nicht den Unterschied zwischen einem Eiszeitalter und einer Kaltzeitperiode, aber Wikipedia erweist sich auch in diesem Falle als guter Lehrmeister. Selbst wenn man die letzte Kälteperiode tatsächlich als Eiszeit bezeichnet, so dauerte sie mehr als 100.000 Jahre an. Sicherlich wurde dabei nicht ein Schalter umgelegt, was der Welt hundert Jahrtausende Schnee verschaffte. Irgendwie verhält es sich aber so mit der derzeitigen Wärmeperiode.

Seit Jahrzehnten beobachten wir einen besorgniserregenden Anstieg der Durchschnittstemperatur. Natürlich kommt ein solcher Zeitabschnitt dem Menschen lange vor. Doch er ist überhaupt nicht vergleichbar mit der Dimension der gennannten Kältezeit. Die einsetzende Wärme ist kongruent mit der einsetzenden Industrialisierung auf der Erde. Natürlich ist die derzeitige Klimakrise menschengemacht.

Die süße Wonne des Nichtstuns

Doch was hilft es, die Ursachen zu beklagen, wenn das Problem längst da ist? Fast noch schlimmer sind doch die Lehren, die aus dem abstrusen Vergleich mit der Eiszeit gezogen werden. Ohne großes menschliches Zutun ging noch jede Eiszeit vorbei. Die jetzige Klimakatastrophe allerdings ist menschengemacht und kann auch nur vom Menschen beendet werden. Die Klimakrise ist ein Paradebeispiel dafür, wie der Mensch zur Selbstzerstörung neigt. Die Fakten liegen auf dem Tisch, doch eine natürlich angeborene kleinbürgerliche Bequemlichkeit macht es vielen unmöglich, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Ein weiteres beliebtes Argument der selbsternannten Klimakritiker ist der begrenzte Einfluss, den Deutschland auf die Rettung des Klimas hat. Erst kürzlich betonte Alexander Gauland erneut, dass der CO2-Ausstoß Deutschlands kaum maßgeblich für den raschen Temperaturanstieg sein kann. Die Fakten und Zahlen wurden hierbei erneut ins beinah lächerliche uminterpretiert. Denn Deutschland, ein zwar dicht besiedeltes, aber relativ kleines Land macht nur 1 Prozent der Weltbevölkerung aus, verursacht aber 2 Prozent der jährlichen globalen CO2-Emissionen. Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand.

Gute Menschen, schlechte Menschen

Es wird von manchen immer wieder in Zweifel gezogen, dass Deutschland eine wichtige Vorreiterrolle bei der Klimarettung einnehmen kann. Selbst diese Menschen sind sich allerdings einig darin, dass die angestrebten Maßnahmen, viel Geld kosten würden. Wenn sich ein so hochindustrialisiertes und reiches Land wie Deutschland dem Klimaschutz komplett verweigert, wer soll denn bitteschön dann mit der Rettung des Klimas beauftragt werden? Das bis ins Mark verarmte und geplünderte Afrika vielleicht?

Man sieht: Viele Menschen haben ein regelrechtes Faible dafür, den offensichtlichen Fakten zum Trotz ins Verderben zu marschieren. Auch der wachsende Zuspruch von Rechtspopulisten ist nicht anders zu erklären. Der Frust und der Protest ist mehr als gerechtfertigt, doch der gewählte Lösungsweg führt direkt zur Schlachtbank. Da glauben doch viele ernsthaft, die AfD sei der Schlüssel gegen alle Probleme im Land. Falsch: Die AfD ist ein gut getarnter Metzger, der vom Bestehen der Probleme profitiert.

Diese Partei hat weder eine Antwort auf die Frage der prekären Wohnungssituation noch auf das kriselnde Rentensystem. Solche Probleme werden stets auf den nächsten Parteitag verschoben. Viel einfacher ist es doch, andere für das Schlamassel verantwortlich zu machen. Die Deutschen haben ein Dach über dem Kopf verdient und den Deutschen muss Hartz-IV gezahlt werden. Wann begreifen endlich auch die letzten, dass es eine solche Einteilung in gute und in schlechte Menschen nicht gibt?

„Jetzt grinst mich der Kerl an“

Dabei sollten doch gerade diese Deutschen wissen, wohin eine solche Einteilung in letzter Konsequenz führt. Die Parallelen zur Vergangenheit sind nicht von der Hand zu weisen und trotzdem machen viele Wutbürger einen auf taubstumm, wenn es um dieses ungeliebte Thema geht. Einen besonders gelungenen Beitrag zu dem Thema sendete Stern TV im vergangenen Herbst.

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Manchmal ist es doch zum Heulen: Ob Böllern, Impfen oder Klima, der Mensch fühlt sich aller Gefahren erhaben. Die Fähigkeit, arterhaltende Instinkte zu überwinden, um bis dahin unüberwindbares unter Kontrolle zu bringen, unterscheidet den Menschen von anderen Lebensformen auf der Erde. Manche nennen das Intelligenz. Doch immer mehr wird diese Gabe zur Gefahr nicht nur für die eigene Art, sondern für den Planeten insgesamt. Vielleicht wird die Menschheit in Millionen von Jahren von einer noch intelligenteren Spezies verlacht werden. Auf jeden Fall muss der Mensch lernen, dieses kleine selbstzerstörende Element in sich selbst zu überwinden, bevor die Natur ihn überwindet.

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