Falsch abgebogen

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Unserer Demokratie könnte es eigentlich nicht besser gehen: Der Kampf gegen ihre Feinde liegt voll im Trend, Demokratiefördergesetze haben Hochkonjunktur. Nur die Wähler wollen das partout nicht einsehen. Mittlerweile ist der Einsatz gegen Rechtsaußen längst in ein Schaulaufen autoritärer Fantasien ausgeartet. Und die Einschläge kommen näher: Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie gibt es vor staatlicher Bevormundung und Gängelei kein Entrinnen. Immer höherfrequentierter reiht sich eine fragwürdige politische Entscheidung an die nächste willkürliche Maßnahme. Der betont engagierte Antifaschismus hat Spuren hinterlassen.

Licht und Schatten

Die staatliche Demokratieförderung wirkt. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, schaut man sich die Wahlbeteiligung bei der zurückliegenden Bundestagswahl an. Knapp 83 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, ein lange unerreichter Wert und allein im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 ein Zuwachs von 7 Prozent.

Neben dem Andrang an die Wahlurnen stieg gleichzeitig der Zuspruch für die AfD. Mehr als jeder fünfte Wähler hat sein Kreuz bei der Rechtsaußen-Partei gemacht. Von Gesetzen für die Demokratie und gegen Hass und Hetze haben sich diese Menschen nicht davon abhalten lassen. Auch die medienwirksamen Aufmärsche gegen Faschismus und Rassismus konnten der AfD nichts anhaben. Außer deutlich gestiegenen Werten bei den Linken haben diese Demonstrationen nichts bewirkt.

Der Bock als Gärtner

Denn Hass und Hetze beherrschen weiterhin das Netz. Hate Speech und verbale Drangsalierung gehören mittlerweile zum guten Ton in den sozialen Medien. Und auch in der analogen Wirklichkeit ist wieder sagbar, was lange absolut tabu war. All das konnten die vielen gut gemeinten Demokratiefördergesetze nicht aufhalten, nichts haben sie daran geändert.

Das hat einen Grund. So legitim der Kampf gegen Rechts und das Einstehen für Meinungsvielfalt und Mitbestimmung auch sein mag – solange solche Vorstöße von den Verursachern des Rechtsrucks kommen, bleiben sie im besten Falle kurzsichtig, viel eher aber völlig unglaubwürdig.

Obrigkeitsstaat reloaded

Die AfD fantasiert von einem Land, in dem alle gleich sind, niemand aus der Reihe tanzt und Anderssein zum Verbrechen erklärt wird. In einem Land, in dem der Meinungskorridor immer enger wird und die freie Rede in akuter Gefahr schwebt, fühlen sich solche Typen am wohlsten. Die etablierten Parteien gaben wahrlich ihr Bestes, um der AfD diesen fruchtbaren Nährboden zu bereiten.

Denn das nicht nur die AfD autoritär kann, wissen die meisten spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie und den verhängten Sicherheitsmaßnahmen. Was gut gemeint anfing, kippte alsbald in immer weniger verständliche, dafür aber umso willkürlichere Einschränkungen. Die Reaktion auf die Coronapandemie kann durchaus als Wiedergeburt des deutschen Autoritarismus bezeichnet werden.

Von Handlangern und Vertrauensverlust

Kaum waren die ersten Impfstoffe für ältere und besonders gefährdete Menschen zugelassen, da startete auch schon die Debatte darüber, wie mit Menschen umgegangen werden soll, die sich der Spritze verweigern. Es blieb nicht bei in Gesetze und Verordnungen gegossenen Sanktionen wie das 2G-Regime. Begleitet wurden diese fragwürdigen Maßnahmen durch eine gezielt geschürte Stimmung gegen Ungeimpfte.

Manche Zeitgenossen fanden besondere Freude am Revival staatlich inszenierter Hetze: Während die ARD-Korrespondentin Sarah Frühauf in den Tagesthemen die Melodie von der Tyrannei der Ungeimpften zum Besten gab, drohte der Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD) den unbeugsamen Impfverweigerern unverhohlen: Es müsse darum gehen, auch die letzten Ungeimpften zu „kriegen“. Zwei von unzähligen Beispielen dieser Zeit.

Der Druck wirkte: Die unerbittliche Kampagne führte dazu, dass sich viele aus Sorge vor dem gesellschaftlichen Ausschluss impfen ließen. Immer mehr verkam die Entscheidung für die Impfung von einer medizinischen zu einer politischen Entscheidung. Der freie Wille war gebrochen. Natürlich führte all das zu einem enormen Vertrauensverlust in die Politik.

Zeitenwende in der deutschen Demokratie

Corona ist vorbei, aber das Unbehagen vor dem übergriffigen Staat ist geblieben. Die FFP2-Masken waren noch nicht ganz gefallen, da griff Russland die Ukraine an. Ein entsetzlicher Tabubruch! Die neue Losung war schnell ausgerufen: Der Aggressor muss mit allen Mitteln in die Knie gezwungen werden. Wer sich an unsinnigen Wirtschaftssanktionen und der außer Kontrolle geratenden Rüstungseskalation nicht beteiligen wollte, wurde prompt zum Putinknecht degradiert. Niemand wollte zu den neu getauften Lumpenpazifisten gehören. Es ging schließlich um was Größeres. Die Parallelen zu den Coronamaßnahmen liegen auf der Hand.

Die Neudespoten brauchen indes keinen unmittelbaren Anlass mehr, um ihren autoritären Gelüsten freie Bahn zu verschaffen. Es ist unter Politikern stattdessen regelrecht zum Sport geworden, Bürgerinnen und Bürger für Kritik und Polemik anzuzeigen. Diese Anzeigen dienen aber nicht dazu, für Recht und Ordnung zu sorgen. In erster Linie sind sie inzwischen ein beliebtes Instrument, um Andersdenkende einzuschüchtern und zu drangsalieren. Bestehendes Recht ausnutzen, um den Staat nach seinem Willen umzubauen – kennen wir das nicht woher?

Hinter der Brandmauer

Wer es dennoch wagt, seinem Frust und seiner Empörung an der Wahlurne Luft zu machen, wird sogleich zum Nazi erklärt. Die vielgelobte Brandmauer hat die AfD tatsächlich zu einem heiligen Zufluchtsort für Ausgestoßene und Andersdenkende gemacht. Sie verhindert auch zuverlässig, dass einmal Abtrünnige je wiederkehren.

Währenddessen tritt die autoritäre Fratze der deutschen Staatslenker immer offensichtlicher zutage: Weil der Kanzlersessel anscheinend so bequem zu sein scheint, verschleppt Ex-Kanzler Scholz die Neuwahl um mehrere Wochen und erhält dabei Schützenhilfe von Bundeswahlleiterin Ruth Brand – die organisatorischen Unwägbarkeiten eines solchen Schritts seien schlicht zu groß. Es muss schön sein, solch verlässliche Handlanger um sich zu haben.

Die Einschläge kommen näher

Aber auch das Aus der Ampel kann der entfesselten Willkür nichts anhaben. Weil der selbsterklärten politischen Mitte die Wahlergebnisse vom 23. Februar nicht passen, wird flugs der alte Bundestag einberufen, um über unbegrenzte Kriegskredite abzustimmen. Währenddessen klagt eine Partei über Unregelmäßigkeiten bei der Wahlauszählung, die sie den Einzug ins Parlament gekostet hat. Anstatt diese Bedenken ernstzunehmen und unverzüglich zu untersuchen, zögert der Bundestag die Einberufung des dafür zuständigen Ausschusses lieber über alle Maßen hinaus. Immerhin wäre durch den Einzug des BSW in den Bundestag die schwarz-rote Regierungsmehrheit futsch. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Es ist ein echter Teufelskreis: Je couragierter und medienträchtiger die Demos gegen Rechts vermarktet werden, desto ungebändigter und größer wird die AfD. Je stärker die AfD bei Wahlen abschneidet, desto ungezügelter wird der Kampf gegen Andersdenkende. Die Unfreiheit greift um sich, weil man den Bock zum Gärtner gemacht hat.

Deutschland war in den letzten Jahren nicht das Land gut getarnter Nazis, die sich befeuert durch die AfD wieder aus der Deckung trauten. Und die Nazis in der AfD haben auch nicht die wundersame Eigenschaft, sich besonders schnell zu vermehren. Die knapp 21 Prozent für diese Partei bei der letzten Wahl sind das Ergebnis politischer Entscheidungen. Es sieht momentan nicht danach aus, als könne die neue Regierung aus Union und SPD diesen Aufstieg stoppen.


Die etablierten Parteien lassen sich gerne und ausgiebig als waschechte Demokraten feiern. Sie sind es nicht. Ihr Abdriften ins Autoritäre hat längst das Gegenteil bewiesen. Vor den Trümmern ihrer eigenen Politik weigern sie sich, Verantwortung dafür zu übernehmen und suchen die Schuld bequem bei anderen. Im Kampf darum, Recht zu haben und sich durchzusetzen, opfern sie bereitwillig das, was sie zu schützen vorgeben. Sie sind selbst zu Monstern geworden.


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Pathologische Undemokraten

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Pathologische Undemokraten

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Demokratie geht schrittweise verloren. Der selbsternannten demokratischen Mitte ist das anscheinend nicht schnell genug. Mit einem Blankoscheck für Aufrüstung haben sie gerade einmal drei Wochen nach der Bundestagswahl ein wahres Meisterstück des Wahlbetrugs abgeliefert. Sie haben dazu nicht nur ihre Wahlversprechen in Rekordtempo gebrochen. Die erforderlichen Mehrheiten dazu haben sie sich aus dem abgewählten Bundestag geliehen. Dass nach der Bundestagswahl knapp zwei Dutzend Wahlkreise nicht ordentlich repräsentiert werden, verkommt dabei fast zur Nebensache. Es steht nicht gut um die Demokratie im Land.

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 23. Februar ist nicht schön. Die AfD hat ihr Ergebnis von 2021 verdoppelt, ein Black-Rock – Lobbyist wird nächster Bundeskanzler, gleich zwei Parteien sind mit einer 4 vorm Komma am Einzug ins Parlament gescheitert. Die vielbeschworene demokratische Mitte ist kleiner geworden. Union, SPD und Grüne können nach dem letzten Wahlsonntag nur noch rund 66 Prozent der Sitze im Plenarsaal für sich beanspruchen. Das reicht für eine passable Regierungsmehrheit – nicht jedoch für eine Zweidrittelmehrheit, um zum Beispiel das Grundgesetz zu ändern.

Ohne Speichern weitermachen

Union und SPD passt das so gar nicht. In mühseligen Beratungen haben sie sich auf eine Reform der Schuldenbremse geeinigt, die einseitig Rüstungsausgaben begünstigt. Ein unspezifisches und ungedecktes Milliardenpaket für Infrastruktur gab es als Feigenblatt dazu. Weil den Architekten dieses XXL-Schuldendeals nach der Wahl die erforderlichen Mehrheiten im Parlament fehlen, haben sie sich etwas ganz besonderes ausgedacht: die Einberufung des alten Bundestags, mit den alten Abgeordneten und den alten Mehrheiten.

Die Neukoalitionäre machen sich dabei eine lange vorhandene rechtliche Lücke zunutze. So heißt es in Art.39,  Abs. 2 des Grundgesetztes:

Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen

Dieser kurze Satz ermöglicht zwar, dass der neugewählte Bundestag auch vor Ablauf von 30 Tagen erstmalig zusammentreten kann, er schließt aber auch nicht aus, dass vor der Konstituierung des neuen Bundestags der abgewählte Bundestag noch tagen kann.

Groß angelegter Wahlbetrug

Diese Regelungslücke im Grundgesetz ist zutiefst undemokratisch und ruft zurecht bei jedem aufrechten Demokraten ein Gefühl der Empörung aus. Da hilft es auch wenig, dass es Möglichkeiten gibt, die Konstituierung des neuen Bundestags vorzuziehen. Dieses Szenario sollte die Regel und nicht die Ausnahme sein, die an Bedingungen geknüpft ist.

Selbst wenn man die Einberufung des alten Bundestags nach der Wahl gesetzlich unterbinden würde, wäre das Parlament im Krisenfall voll handlungsfähig: Ein neuer Bundestag ist gewählt und kann zusammentreten. Er muss sogar – nach spätestens 30 Tagen. Wieder einmal haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Dreistigkeit der nachnachfolgenden Generation gründlich unterschätzt.

Auch wenn es in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrfach zu einem solchen Szenario kam, ist dieser Vorgang angesichts der tektonischen Kräfteverschiebungen durch die Wahl am 23. Februar eine niederträchtige und beispiellose Unverschämtheit. Noch nie in der demokratischen Geschichte unseres Landes wurde den Wählerinnen und Wählern so heftig ins Gesicht geschlagen wie in diesen Tagen.

Durch besonders restriktive Regelungen hinsichtlich direktdemokratischer Formate haben die Bürgerinnen und Bürger sowieso nur alle vier Jahre die Möglichkeit, ihren politischen Willen ernsthaft und nachhaltig zu artikulieren. Dieser dokumentierte Wählerwille gilt unverzüglich nach Feststellung des Wahlergebnisses und nicht erst 30 Tage später!

Selbsterfüllende Prophezeiung

Die Taktik der etablierten Parteien degradiert das Wahlergebnis zu einer Verhandlungsmasse, die nach Gutdünken innerhalb einer 30-Tages – Frist hin- und herverschoben werden kann. Sie können sich nicht eingestehen, dass die Bürgerinnen und Bürger die alten Mehrheiten satthatten und sich eine andere Politik wünschen. Das Gebaren der Abgestraften erinnert eher an einen Verschiebebahnhof von Mehrheiten als an Demut vor dem Wählerwillen.

Es gab eine Zeit, da hat es die etablierten Parteien gestört, die Projektionsfläche von Unzufriedenheit und Hass zu sein. Heute ist das anders. So wie die Etablierten sich aufführen, könnte man meinen, sie genießen es regelrecht, von einer immer größeren Gruppe in der Bevölkerung verabscheut zu werden. Als täten sie alles dafür, dem Bild zu genügen, das andere von ihnen zeichnen.

Besonders verlogen zeigen sich wieder einmal Grüne und Linke. Die einen inszenieren ein medienwirksames Tamtam, um dem Paket ihren ideologischen Stempel aufzudrücken, die anderen kneifen, wenn sich Möglichkeiten ergeben, die Einberufung des alten Bundestags zu verhindern. Besonders letztere brauchen sich nicht zu wundern, mittlerweile als fester Bestandteil eines kungelhaften Parteienkartells wahrgenommen zu werden.

Krankhaft undemokratisch

Die alten Parteien haben ein Problem, das immer stärker pathologisch zutagetritt. Sie sind einem Machtwahn, einer regelrechten Regierungssucht verfallen und können es nicht ertragen, dass die Wähler ihnen am 23. Februar einen gewichtigen Teil ihrer Handlungsgrundlage entzogen haben. Sie verfügen im Bundestag nicht mehr über die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Ideen dürfen sie weiter haben, nur umsetzen können sie sie nicht mehr. Indem sie dennoch herumtricksen und den abgewählten Bundestag einberufen, verhalten sie sich wie die Autokraten, die sie angeblich bekämpfen wollen.

Die Auswirkungen dieser vereinbarten Rekordschulden werden die Bürgerinnen und Bürger in den nächsten Jahren deutlich zu spüren bekommen. Aber selbst wenn die volle Entfaltung einige Zeit auf sich warten lässt, steht für viele Wählerinnen und Wähler eines schon heute fest: 23 Wahlkreise stehen heute ohne Direktkandidaten da, vier davon sogar ganz ohne parlamentarische Vertretung. Die Anliegen der Menschen dort werden in den nächsten vier Jahren keine Rolle spielen.

Schuld daran ist die Wahlrechtsreform, welche die Ampel in ihrer Zeit verbrochen hat. Dass damit die meisten Stimmen in einem Wahlkreis kein Ticket mehr in den Bundestag sind, ist für sich schon sehr fragwürdig. Dass aber Wahlkreise komplett verwaist sind, ist eine erschreckende Entwicklung.

Verschwörungstheorie trifft Realität

Selbst die Kandidatur für aussichtsreiche Parteien wie die CSU in Bayern garantiert nach der aktuellen Regelung nicht den Einzug in den Bundestag. Es dürfte bei der nächsten Bundestagswahl für Parteien mit traditionell vielen Direktmandaten daher schwierig werden, ausreichend Kandidaten zu finden, die sich die Strapazen des Wahlkampfs dennoch antun.

Auch die Wählerinnen und Wähler werden sich in vier Jahren zweimal überlegen, ob sie den Weg zur Wahlurne antreten oder nicht. Immerhin wird an Hundertausenden von ihnen faktisch vorbeiregiert. Das ist inzwischen keine Schwurbelei mehr, sondern empirisch nachweisbar. Die Beteiligung von über 83 Prozent bei der letzten Wahl wird auf jeden Fall ein Ausrutscher bleiben.


Demokratie lebt von engagierten Demokraten. Auch wenn die aktuellen Entwicklungen viele Menschen an Staat und Demokratie verzweifeln lassen, ist Resignation ein Geschenk für die Totengräber der Demokratie. Um ihre fatale Politik fortzuführen, müssen sie schon heute zu Maßnahmen greifen, die in die Geschichtsbücher eingehen werden. Sie dürfen damit nicht durchkommen!


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Ernstfall Demokratie

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Vertane Chancen

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Die Bundestagswahl steht an, dabei sind die Ergebnisse der drei Landtagswahlen im Osten nur halb verdaut. In allen drei Bundesländern sind die Regierungen zwar vereidigt, trotzdem sehen sich die Parlamente dort mit einer beängstigend starken AfD konfrontiert. Einmal mehr heißt es: Der Osten ist extrem. Diese Extremismuserzählung greift aber zu kurz. Sie verschleiert, welchen enormen Umbrüchen die östlichen deutschen Bundesländer ausgesetzt waren und wie viel demokratisches Potenzial auf dem Weg verlorenging.

2013 war alles besser?

Die AfD ist Volkspartei im Osten. Die jüngsten Wahlergebnisse lassen gar keinen anderen Schluss zu. In Thüringen liegt die Höcke-Partei sogar gut 10 Prozent vor der zweitplatzierten CDU. In mehreren ostdeutschen Bundesländern verfügt die AfD mittlerweile über eine Sperrminorität, mit der sie wichtige Entscheidungen empfindlich mitbeeinflussen kann.

Vor knapp zwölf Jahren hätte das niemand für möglich gehalten. Der damals neuen Alternative für Deutschland mit ihren wenig opportunen Ideen und Konzepten sagte man ein Schicksal voraus wie vielen neuen Parteien. Sie würde sich innerhalb kurzer Zeit selbst zerlegen und nach ein paar wenigen aufsehenerregenden Wahlerfolgen wieder in der Versenkung verschwinden. Irgendwie hatte man damit auch recht: Die AfD von 2013 hat sich zerlegt und ist in der Versenkung verschwunden. Zurückgeblieben ist eine schwer kontrollierbare rechte Bestie, die unsere Demokratie bei jeder Gelegenheit zu destabilisieren versucht.

Gar nicht so demokratisch

Schnell zeichnete sich der Trend ab, dass die AfD besonders im Osten punkten konnte. Immerhin zog sie dort in die ersten Parlamente ein. Das lag sicher nicht nur an günstig gelegten Wahlterminen, sondern auch an dem demokratischen Aufbruch, den die noch junge Partei simulierte.

Von Anfang an setzte sie auf eine äußerst zugespitzte Rhetorik, die anscheinend in manchen Bundesländern besser ankommt als in anderen. Die Ansprache allein macht’s aber nicht, andere Faktoren spielen ebenso eine Rolle. Politische Ränder hatten in den neuen Bundesländern aber erwiesenermaßen leichteres Spiel: Die Zustimmung zu Parteien wie der DVU, der NPD, aber auch zur PDS sind mehr als nur ein Trend.

Und bevor das ganze in einen weiteren Text ausufert à la „Ich erkläre euch, warum der Osten so extrem ist“, haben reale Wahlergebnisse längst bewiesen, dass die AfD ein gesamtdeutsches Problem ist. Trotzdem trägt sie ihr extremistisches Potenzial im Osten besonders ungeniert zur Schau. Als der CDU-Abgeordnete Andreas Bühl die Vorgänge bei der Konstituierung des Thüringer Landtags als versuchte Machtergreifung einordnete, mag das polemisch gewesen sein, im Wesentlichen aber zutreffend.

Kapitalismus zum Anfassen

Noch heute gilt es als chic, das starke Abschneiden extremer Parteien und die immanente Unzufriedenheit im Osten mit dem Strukturwandel zu erklären. Und es stimmt: Die Abwicklung eines wesentlichen Teils existenzsichernder Wirtschaftszweige in der ehemaligen DDR hat die Menschen dort nachhaltig verunsichert. Die Heilsversprechen aus dem Westen waren kaum ausgesprochen, schon lagen die Träume in Trümmern.

Es greift aber zu kurz, ein paar Werkschließungen zur Mutter aller Probleme zu erklären. Mindestens genau so ernüchternd wird gewesen sein, dass auf diesen harten Schnitt zu Beginn der 1990er Jahre nie eine echte Erholung folgte. Im Gegenteil: Trotz eines nicht gekannten Ausmaßes an politischer Partizipation fielen viele Selbstverständlichkeiten weg. Arbeitsplätze waren plötzlich nicht mehr sicher, die Suche nach einem geeigneten Kita-Platz für den Nachwuchs gestaltete sich auf einmal nervenaufreibend und zäh und echte Obdachlose kannte man sonst bestenfalls aus dem Westfernsehen.

Zu verlockend war der Ruf des Kapitalismus, der über die Mauer schallte. Mit Chiffren wie Fernsehern, Autos und Reisefreiheit versprach er allgemeinen Wohlstand, ein Versprechen, das selbst im Westen dieser Zeit nicht mehr haltbar war. Als sich angesichts dieser Zustände allmählich Widerstand formierte, folgte die westdeutsche Antwort prompt: Ihr wolltet die D-Mark, jetzt lebt auch mit den Nachteilen. In bemerkenswert überheblicher Manier verdrehte man die Tatsachen und unterstellte den ostdeutschen Mitbürgern, sie würden sich über ihr selbstgewähltes Schicksal erheben. So kann Integration und Wiedervereinigung nicht funktionieren. Weder gesellschaftlich noch politisch.

Wege zur Demokratie

Der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz (CDU) ließ sich einmal zu der Bemerkung hinreißen, der Osten des Lands sei nicht demokratiesozialisiert. Das ist nicht nur ein heftiger Punsh ins Gesicht jedes Ostdeutschen, diese bodenlose Frechheit verkennt auch die Realität. Denn die Wege zur Demokratie verliefen für Ost und West völlig unterschiedlich.

Dem Westen der Republik wurde die Demokratie von den Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg quasi übergestülpt. Was beim ersten Mal nicht funktioniert hat, sollte nun beim zweiten Anlauf erfolgreicher sein. Und tatsächlich stieß die Idee einer neuen deutschen Demokratie auf fruchtbaren Boden. Das blanke Entsetzen über die Gräueltaten in der NS-Zeit und das Wirtschaftswunder in den 1950er und 1960er Jahren taten dann ihr Übriges, um die Demokratie in der Gesellschaft zu verankern. Mit den Jahren wurde sie aber immer mehr zum Selbstläufer. Die Menschen richteten sich in ihr ein und hörten auf, sie zu hinterfragen.

Der Preis für demokratische Verhältnisse war im Osten deutlich höher. Nach vierzig Jahren Fremdbestimmung setzten die Menschen dort der Diktatur ein Ende. Sie wollten einen Staat, der demokratisch verfasst war und der dieses Wort nicht nur zum Schein im Namen trug. Als die Mauer gefallen war, endete die Aufbruchstimmung abrupt. Die westdeutsche Politik verstand es meisterlich, sich wie eine Löschdecke über den Ruf nach Mitbestimmung zu werfen und damit ihre liebgewonnene Wohlfühl-Demokratie zu verteidigen.

Geplantes Problemkind

Dabei wäre von der ostdeutschen Erhebung so viel zu lernen gewesen. Die bewährte westdeutsche Demokratie hätte wieder an Fahrt aufnehmen und sich durch die Übernahme bestimmter Strukturen aus dem Osten sogar fortentwickeln können. Wie wäre die weitere deutsche Geschichte wohl verlaufen, wäre es nicht beim Beitritt des Ostens zur Bundesrepublik geblieben, sondern hätte sich stattdessen ein neuer deutscher Staat mit einer eigenen Verfassung gebildet? Stattdessen bremste man eine echte Wiedervereinigung vorschnell aus. Dass ostdeutsche Parteien bei der Bundestagswahl 1990 besonders berücksichtigt wurden, tröstet über diesen Zustand kaum hinweg.

Man war nicht ernsthaft bereit dazu, sich aufeinander zuzubewegen und voneinander zu lernen. Dabei hätte es so viel zu entdecken gegeben. Eine gemeinsame Verfassung hätte der Demokratie einen neuen Push geben können. Der Dornröschenschlaf der Kontroverse ab den 00er-Jahren wäre höchstwahrscheinlich ausgeblieben. Stattdessen hätte man weiter leidenschaftlich miteinander gerungen. Und auch wenn im Meinungsstreit hin und wieder die Fetzen fliegen: Extremistische Kräfte hätten es schwerer gehabt fußzufassen.

Doch man ging einen anderen Weg. Mit dem Beitritt zur Bundesrepublik wurde die nachrangige Stellung der ostdeutschen Bundesländer manifestiert. Formal gab es sie nie, aber schon in den nächsten Jahren zeigte sich immer deutlicher, wer Gewinner und wer Verlierer des wiedervereinigten Deutschlands war. Der Osten wurde perfekt auf seine Rolle als Problemkind vorbereitet, dabei ist völlig klar: Dem Osten musste Demokratie nie beigebracht werden.


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