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Unserer Demokratie könnte es eigentlich nicht besser gehen: Der Kampf gegen ihre Feinde liegt voll im Trend, Demokratiefördergesetze haben Hochkonjunktur. Nur die Wähler wollen das partout nicht einsehen. Mittlerweile ist der Einsatz gegen Rechtsaußen längst in ein Schaulaufen autoritärer Fantasien ausgeartet. Und die Einschläge kommen näher: Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie gibt es vor staatlicher Bevormundung und Gängelei kein Entrinnen. Immer höherfrequentierter reiht sich eine fragwürdige politische Entscheidung an die nächste willkürliche Maßnahme. Der betont engagierte Antifaschismus hat Spuren hinterlassen.
Licht und Schatten
Die staatliche Demokratieförderung wirkt. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, schaut man sich die Wahlbeteiligung bei der zurückliegenden Bundestagswahl an. Knapp 83 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, ein lange unerreichter Wert und allein im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 ein Zuwachs von 7 Prozent.
Neben dem Andrang an die Wahlurnen stieg gleichzeitig der Zuspruch für die AfD. Mehr als jeder fünfte Wähler hat sein Kreuz bei der Rechtsaußen-Partei gemacht. Von Gesetzen für die Demokratie und gegen Hass und Hetze haben sich diese Menschen nicht davon abhalten lassen. Auch die medienwirksamen Aufmärsche gegen Faschismus und Rassismus konnten der AfD nichts anhaben. Außer deutlich gestiegenen Werten bei den Linken haben diese Demonstrationen nichts bewirkt.
Der Bock als Gärtner
Denn Hass und Hetze beherrschen weiterhin das Netz. Hate Speech und verbale Drangsalierung gehören mittlerweile zum guten Ton in den sozialen Medien. Und auch in der analogen Wirklichkeit ist wieder sagbar, was lange absolut tabu war. All das konnten die vielen gut gemeinten Demokratiefördergesetze nicht aufhalten, nichts haben sie daran geändert.
Das hat einen Grund. So legitim der Kampf gegen Rechts und das Einstehen für Meinungsvielfalt und Mitbestimmung auch sein mag – solange solche Vorstöße von den Verursachern des Rechtsrucks kommen, bleiben sie im besten Falle kurzsichtig, viel eher aber völlig unglaubwürdig.
Obrigkeitsstaat reloaded
Die AfD fantasiert von einem Land, in dem alle gleich sind, niemand aus der Reihe tanzt und Anderssein zum Verbrechen erklärt wird. In einem Land, in dem der Meinungskorridor immer enger wird und die freie Rede in akuter Gefahr schwebt, fühlen sich solche Typen am wohlsten. Die etablierten Parteien gaben wahrlich ihr Bestes, um der AfD diesen fruchtbaren Nährboden zu bereiten.
Denn das nicht nur die AfD autoritär kann, wissen die meisten spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie und den verhängten Sicherheitsmaßnahmen. Was gut gemeint anfing, kippte alsbald in immer weniger verständliche, dafür aber umso willkürlichere Einschränkungen. Die Reaktion auf die Coronapandemie kann durchaus als Wiedergeburt des deutschen Autoritarismus bezeichnet werden.
Von Handlangern und Vertrauensverlust
Kaum waren die ersten Impfstoffe für ältere und besonders gefährdete Menschen zugelassen, da startete auch schon die Debatte darüber, wie mit Menschen umgegangen werden soll, die sich der Spritze verweigern. Es blieb nicht bei in Gesetze und Verordnungen gegossenen Sanktionen wie das 2G-Regime. Begleitet wurden diese fragwürdigen Maßnahmen durch eine gezielt geschürte Stimmung gegen Ungeimpfte.
Manche Zeitgenossen fanden besondere Freude am Revival staatlich inszenierter Hetze: Während die ARD-Korrespondentin Sarah Frühauf in den Tagesthemen die Melodie von der Tyrannei der Ungeimpften zum Besten gab, drohte der Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck (SPD) den unbeugsamen Impfverweigerern unverhohlen: Es müsse darum gehen, auch die letzten Ungeimpften zu „kriegen“. Zwei von unzähligen Beispielen dieser Zeit.
Der Druck wirkte: Die unerbittliche Kampagne führte dazu, dass sich viele aus Sorge vor dem gesellschaftlichen Ausschluss impfen ließen. Immer mehr verkam die Entscheidung für die Impfung von einer medizinischen zu einer politischen Entscheidung. Der freie Wille war gebrochen. Natürlich führte all das zu einem enormen Vertrauensverlust in die Politik.
Zeitenwende in der deutschen Demokratie
Corona ist vorbei, aber das Unbehagen vor dem übergriffigen Staat ist geblieben. Die FFP2-Masken waren noch nicht ganz gefallen, da griff Russland die Ukraine an. Ein entsetzlicher Tabubruch! Die neue Losung war schnell ausgerufen: Der Aggressor muss mit allen Mitteln in die Knie gezwungen werden. Wer sich an unsinnigen Wirtschaftssanktionen und der außer Kontrolle geratenden Rüstungseskalation nicht beteiligen wollte, wurde prompt zum Putinknecht degradiert. Niemand wollte zu den neu getauften Lumpenpazifisten gehören. Es ging schließlich um was Größeres. Die Parallelen zu den Coronamaßnahmen liegen auf der Hand.
Die Neudespoten brauchen indes keinen unmittelbaren Anlass mehr, um ihren autoritären Gelüsten freie Bahn zu verschaffen. Es ist unter Politikern stattdessen regelrecht zum Sport geworden, Bürgerinnen und Bürger für Kritik und Polemik anzuzeigen. Diese Anzeigen dienen aber nicht dazu, für Recht und Ordnung zu sorgen. In erster Linie sind sie inzwischen ein beliebtes Instrument, um Andersdenkende einzuschüchtern und zu drangsalieren. Bestehendes Recht ausnutzen, um den Staat nach seinem Willen umzubauen – kennen wir das nicht woher?
Hinter der Brandmauer
Wer es dennoch wagt, seinem Frust und seiner Empörung an der Wahlurne Luft zu machen, wird sogleich zum Nazi erklärt. Die vielgelobte Brandmauer hat die AfD tatsächlich zu einem heiligen Zufluchtsort für Ausgestoßene und Andersdenkende gemacht. Sie verhindert auch zuverlässig, dass einmal Abtrünnige je wiederkehren.
Währenddessen tritt die autoritäre Fratze der deutschen Staatslenker immer offensichtlicher zutage: Weil der Kanzlersessel anscheinend so bequem zu sein scheint, verschleppt Ex-Kanzler Scholz die Neuwahl um mehrere Wochen und erhält dabei Schützenhilfe von Bundeswahlleiterin Ruth Brand – die organisatorischen Unwägbarkeiten eines solchen Schritts seien schlicht zu groß. Es muss schön sein, solch verlässliche Handlanger um sich zu haben.
Die Einschläge kommen näher
Aber auch das Aus der Ampel kann der entfesselten Willkür nichts anhaben. Weil der selbsterklärten politischen Mitte die Wahlergebnisse vom 23. Februar nicht passen, wird flugs der alte Bundestag einberufen, um über unbegrenzte Kriegskredite abzustimmen. Währenddessen klagt eine Partei über Unregelmäßigkeiten bei der Wahlauszählung, die sie den Einzug ins Parlament gekostet hat. Anstatt diese Bedenken ernstzunehmen und unverzüglich zu untersuchen, zögert der Bundestag die Einberufung des dafür zuständigen Ausschusses lieber über alle Maßen hinaus. Immerhin wäre durch den Einzug des BSW in den Bundestag die schwarz-rote Regierungsmehrheit futsch. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Es ist ein echter Teufelskreis: Je couragierter und medienträchtiger die Demos gegen Rechts vermarktet werden, desto ungebändigter und größer wird die AfD. Je stärker die AfD bei Wahlen abschneidet, desto ungezügelter wird der Kampf gegen Andersdenkende. Die Unfreiheit greift um sich, weil man den Bock zum Gärtner gemacht hat.
Deutschland war in den letzten Jahren nicht das Land gut getarnter Nazis, die sich befeuert durch die AfD wieder aus der Deckung trauten. Und die Nazis in der AfD haben auch nicht die wundersame Eigenschaft, sich besonders schnell zu vermehren. Die knapp 21 Prozent für diese Partei bei der letzten Wahl sind das Ergebnis politischer Entscheidungen. Es sieht momentan nicht danach aus, als könne die neue Regierung aus Union und SPD diesen Aufstieg stoppen.
Die etablierten Parteien lassen sich gerne und ausgiebig als waschechte Demokraten feiern. Sie sind es nicht. Ihr Abdriften ins Autoritäre hat längst das Gegenteil bewiesen. Vor den Trümmern ihrer eigenen Politik weigern sie sich, Verantwortung dafür zu übernehmen und suchen die Schuld bequem bei anderen. Im Kampf darum, Recht zu haben und sich durchzusetzen, opfern sie bereitwillig das, was sie zu schützen vorgeben. Sie sind selbst zu Monstern geworden.