Wind of Change

Lesedauer 6 Minuten

Die neue Bundesregierung hat noch nicht einmal losgelegt, schon folgt der nächste Höhenflug der AfD. Der Erfolg verwundert kaum: ein wochenlanges Gezänk um das richtige Abstimmungsverhalten wird nahtlos abgelöst von einem Koalitionsvertrag der sozialen Kälte. Währenddessen bahnt sich eine parlamentarische Konstellation an, die denkbar günstig für Rechtsaußen ist. Klar ist schon jetzt, dass in den nächsten vier Jahren die extreme Rechte den kritischen Ton angeben wird. Unser Land wird sich verändern.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik schneidet eine rechtsextreme Partei in den Umfragen bundesweit am besten ab. Mit 25 Prozent liegt die AfD knapp vor der Union. Der erneute Aufschwung der Rechtsextremen kam schneller als gedacht: Die neue schwarz-rote Regierung ist noch nicht einmal im Amt, schon geht die AfD durch die Decke. Das Schicksal Thüringens ließ für die Bundesrepublik nicht lange auf sich warten.

Kein Erkenntnisproblem

Alles an den aktuellen Umfragen ist ein Debakel. Es gelingt einer rechtsextremen Partei nicht nur, sich von allen anderen Parteien abzusetzen. Mittlerweile reichen sogar gerade einmal 25 Prozent – also jeder vierte Befragte – um sich als stärkste Partei rühmen zu dürfen.

Aber auch die designierten Regierungsparteien knacken Rekorde. Noch nie zuvor sind regierungstragende Parteien so schnell und so steil abgestiegen wie nach der Bundestagswahl im Februar. Und noch nie gab es einen derart schnellen Abstieg, bevor die neue Regierung auch nur ein Gesetz eingebracht hatte.

Der Grund dafür dürfte im Koalitionsvertrag liegen, gegen den nicht nur die Jusos auf die Barrikaden gehen. Das einzig positive an dem Schriftstück: An den meisten Stellen haben die Koalitionäre kein Erkenntnisproblem. Stattdessen werden viele der drängendsten Probleme angesprochen. Durchsetzungsstarke Lösungen bietet der Vertrag aber kaum.

So scheint die SPD die Union davon überzeugt zu haben, dass die Löhne und Gehälter im Land zu niedrig sind. 15 Euro Minimum schwebt den Sozialdemokraten seit Monaten vor. Die Zahl findet sich auch im Koalitionsvertrag wieder. Darüber entscheiden soll aber die Mindestlohnkommission, die schon in der Vergangenheit nicht für große Sprünge beim Mindestlohn bekannt war.

Sozialpolitischer Totalausfall

Auch bei Themen wie dem Wohnungsmangel und der Migration bleibt die designierte Bundesregierung erwartungsgemäß dünnlippig. Wer eine konkrete Zielmarke für den Neubau von Wohnungen sucht, wird im vorgelegten Koalitionsvertrag nicht fündig. Die Schmach ihrer Vorgängerin bei diesem Thema will sich die neue Regierung scheinbar ersparen. Ähnlich unverbindlich klingt der Koalitionsvertrag bei der Eindämmung unkontrollierter Migration. Eine gemeinsame europäische Vereinbarung soll es richten.

Sozialpolitisch ist der Koalitionsvertrag ebenfalls ein Totalausfall. Besonders arrogant kommt er beim Thema Gesundheit daher. Streckenweise geht es nur darum, die Patienten besser zu steuern und unnötige Arztkontakte zu vermeiden. Wenn viele Menschen im Land monatelang auf einen Facharzttermin warten, ist es schlicht arrogant, mit dem angestrebten Primärarztsystem auch noch die freie Arztwahl zu beschneiden.

Erschreckend – aber ebenfalls kaum überraschend – sind die Punkte, bei denen schnell Einigkeit herrschte. Dass die Koalitionäre am liebsten unbegrenzt Geld in Waffen und Aufrüstung stecken wollen, war spätestens klar, als sie milliardenschwere Kriegskredite auf Kosten künftiger Generationen durch den schon abgewählten Bundestag gepeitscht haben. Woher das Geld dafür kommen soll, hätten sie ehrlicherweise gleich dazuschreiben können – es weiß sowieso jeder.

Konjunkturprogramm für Rechtsaußen

Gestraft ist das Land aber nicht nur mit einer Regierung, mit der sich die soziale Kälte im Land rapide ausbreiten wird. Auch von den künftigen Oppositionsparteien ist kein großer Wurf zu erwarten. Sehr wahrscheinlich werden sich zwei oppositionelle Lager bilden: die AfD ganz rechts und Links-Grün, die der Regierung zeigen werden, wie man die AfD noch schneller noch stärker macht.

Inhaltliche Kritik wird von den demokratischen Oppositionsparteien nur punktuell zu hören sein. Während die Grünen hauptsächlich kritisieren werden, die Aufrüstung gehe nicht schnell genug voran, wird sich der Widerspruch der Linken in den üblichen linkspopulistischen Floskeln erschöpfen. Sie werden den Sozialabbau im Land an den Pranger stellen, obwohl sie diesen durch ihr Ja zu den Kriegskrediten selbst mitbeschlossen haben.

Am lautesten wird diese Elite-Opposition sein, wenn es um den Umgang mit der AfD geht. Spahn, Wadephul und andere haben das Startsignal gegeben: Weil sie eine 20-Prozent – Partei inhaltlich stellen und ihnen nicht grundsätzlich Ausschussvorsitze vorenthalten wollen, ist der heilige woke Zorn schon über sie hereingebrochen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Grüne und Linke wieder zu Demos gegen Rechts aufrufen, bei denen Antifaschismus zwar auf den Transparenten steht, die AfD währenddessen aber weiter zulegt.

Wind of change

Den Ton in der Opposition wird in den nächsten vier Jahren stattdessen die AfD angeben. Sie wird darüber entscheiden, worüber besonders laut gestritten wird und was die Menschen auf die Palme bringt. Weil sich die restliche Opposition lieber an der AfD abarbeiten wird, kann das Gift der extremen Rechten ungehindert tiefer in die Gesellschaft vordringen.

Fest steht schon heute: Unser Land wird sich in den nächsten vier Jahren verändern. Wir werden in vier Jahren in einem Land leben, in dem nichts gerechter zugeht, in dem noch mehr Menschen nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen und wo die innere und äußere Sicherheit durch eine wahnwitzige Aufrüstungsspirale noch skrupelloser aufs Spiel gesetzt wird als heute. Vor allem werden wir aber in einem Land leben, in dem demokratische Parteien weiter an Rückhalt verloren und die extreme Rechte als jubelnder Sieger hervorgehen wird.

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Die Quersteller

Lesedauer: 7 Minuten

Sachsen bekommt keine stabile Regierung. Nach einem wochenlangen Hin und Her sind die Verhandlungsführer ergebnislos auseinandergegangen. Dem Freistaat stehen damit ungewisse Zeiten bevor. Auch in Brandenburg und Thüringen sieht es nicht viel rosiger aus. Während in dem einem Bundesland mit Müh und Not ein Kompromiss zustandekam, eiert man in dem anderen weiter um eine friedensorientierte Präambel herum. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner wird immer wieder gestört durch Einmischungen von außen. Nicht allen Beteiligten scheint klar zu sein, welches Risiko damit einhergeht.

Senkrechtstart

Das BSW schreibt Geschichte: Noch nie ist es einer Partei gelungen, so kurz nach ihrer Gründung die 5-Prozent – Hürde bei einer bundesdeutschen Wahl so deutlich zu übersteigen und dann auch noch dreimal in Folge zweistellig in Landesparlamente einzuziehen. Bei einer so enormen Zustimmung liegt die Regierungsbeteiligung quasi auf der Hand. Doch es stockt im Osten. In Sachsen sind die Verhandlungen über ein Regierungsbündnis mittlerweile sogar vollends gescheitert.

Traut man den Medienberichten und den mehr oder weniger gelungenen Stilblüten vieler Politiker trägt für diesen Umstand einzig und allein eine Frau die Verantwortung: Parteigründerin Sahra Wagenknecht. In der öffentlichen Berichterstattung wird sie als die Strippenzieherin stilisiert, die selbstherrlich über das Schicksal ihrer Partei und das von drei Bundesländern entscheidet.

Die graue Eminenz?

Und es stimmt: Sahra Wagenknecht möchte bei den Entscheidungen über Koalitionen und Regierungsbildungen mitreden. Aber wundert das irgendjemanden wirklich? Immerhin hat sie den Verein nach sich selbst benannt. Es wäre doch wesentlich skurriler, würde sie sich entspannt zurücklehnen und dabei zusehen, wie ein Grundpfeiler ihrer Partei nach dem anderen abgeräumt wird.

Dazu kommt noch ein weiteres Phänomen. Das BSW wächst langsam und nimmt nur sehr behutsam neue Mitglieder auf. Das führt dazu, dass diese Partei über viel weniger entscheidungsfreudiges Personal verfügt wie die anderen Parteien. Selbstverständlich laufen die Fäden noch immer bei Sahra Wagenknecht zusammen.

Noch ganz dicht?

Was viele andere als Einmischungen in interne Verhandlungen interpretieren, ist letztendlich nichts anderes als die Wiederholung von Dingen, die den Wählerinnen und Wählern im Wahlkampf versprochen wurden. Die Debatte erweckt aber eher den Eindruck, Frau Wagenknecht käme mit völlig überraschenden Absurditäten um die Ecke, damit die Regierungsbeteiligung des BSW doch noch verhindert wird.

Mit angeblichen Einmischungen ist Sarah Wagenknecht aber nicht allein. Andere gehen da deutlich rabiater vor. Der BSW-Balken bei den Hochrechnungen war noch nicht einmal ganz oben, da warnte CDU-Chef Friedrich Merz schon vor einer Zusammenarbeit mit der neuen Partei. Das Geschwafel über eine unberechenbare Black Box wich alsbald der Debatte um eine Brandmauer mehr.

Als Friedrich Merz merkte, dass sich seine eigene Partei und das BSW in Sachsen und Thüringen allmählich annäherten, da holte er zum maximalen Gegenschlag aus. Unverhohlen forderte er die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, möglichst binnen 24 Stunden, und damit den faktischen Kriegseintritt Deutschlands. Dass er bei einer derart kriegsbesoffenen Rhetorik der BSW-Chefin Wagenknecht allen Ernstes unerfüllbare Forderungen vorwirft, sät arge Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit dieses Mannes.

Von allen Seiten

Seitdem die AfD den Laden aufmischt, werden Regierungsbildungen immer schwieriger. Angela Merkel (CDU) brauchte bei ihrem letzten Anlauf fast ein halbes Jahr, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Die Causa Thüringen, wo sich plötzlich fünfprozentige FDP-Menschen im Amt des Ministerpräsidenten wiederfanden, zeigt ebenfalls, welche enorme Macht die AfD mittlerweile besitzt. Dass die Lage gerade in Sachsen und Thüringen so verworren ist, liegt aber nicht allein an Rechtsaußen.

Auch die künftigen Koalitionäre – oder das, was von ihnen übrigblieb – schießen gern mal quer. Es war offensichtlich, dass sich einige CDU-Abgeordnete im sächsischen Landtag mit Klauen und Zähnen gegen eine Zusammenarbeit mit den verhassten „Neokommunisten“ wehrten, wie sie sie gerne bezeichnen. Diese Abneigung führte sogar so weit, dass die Kandidatin der AfD bei der Wahl der Stellvertreter des Landtagspräsidenten im ersten Wahlgang durchkam – der Kandidat des BSW aber nicht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Währenddessen glänzte die SPD bei der Regierungsbildung in Sachsen ebenfalls nicht gerade mit Konstruktivität. Nachdem die Abgeordneten des BSW für einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses stimmten, unterbrach die kleinste Fraktion im Landtag empört die Sondierungen. Wahlversprechen einzuhalten, ist bei der SPD wohl grundsätzlich nicht gerne gesehen.

Auf dem Weg in die Unregierbarkeit

Die einzige Partei, die durchgehend ihren guten Willen zeigte, war das BSW. Man reichte den möglichen Partnern ein ums andere Mal die Hand, machte Kompromisse und ließ sich sogar auf Formulierungen im Sondierungspapier ein, die schneller dahinfließen als das Wachs einer brennenden Kerze. Die prompte Antwort von Mario Voigt (CDU) aus Thüringen: Salbungsvolle Worte auf X,  um die Westbindung und Vasallentreue zur NATO seiner Partei zu bekräftigen.

Mit dem kompletten Abbruch der Sondierungen in Sachsen ging man dort noch einen Schritt weiter. Ein wenig beschleicht einen das Gefühl, die Verantwortlichen in den drei Bundesländern wüssten nicht, welche Tragweite ihr Handeln hat. In Thüringen ist eine Mehrheit jenseits der AfD überhaupt nicht möglich, in Brandenburg und Sachsen führt am BSW ebenfalls kein Weg vorbei. Mit der Entscheidung in Sachsen wurde der Freistaat endgültig unregierbar.

Zerplatzte Träume

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge in Sachsen entwickeln. In der naiven Hoffnung, vielleicht doch noch eine Mehrheit zustandezubekommen, könnten schon bald Neuwahlen ins Haus stehen. Das wäre ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für die AfD, welche die CDU im nächsten Durchlauf mit Sicherheit rechts überholen wird.

In allen drei ostdeutschen Bundesländern war die Wahlbeteiligung im September so hoch wie noch nie. Mit teilweise deutlich mehr als 70 Prozent zeigten die Bürgerinnen und Bürger dort, wie wichtig ihnen Mitbestimmung ist. Sie gingen an die Urne in der Hoffnung, eine politische Kehrtwende zu erreichen und die nächsten fünf Jahre vernünftig regiert zu werden. Zumindest in Sachsen wurde dieser Traum jäh zerstört. Für all diejenigen, die nach Jahren der demokratischen Abstinenz wieder ihr Kreuzchen gemacht haben, dürfte sich das anfühlen wie eine schallende Ohrfeige.


Vielleicht verlangte der Wählerauftrag Unmögliches von den beteiligten Parteien. Oder die ständigen Einmischungen von außen haben eine Einigung verhindert. In jedem Fall stehen insbesondere Sachsen harte politische Zeiten bevor. Manche müssen auf lukrative Ministerposten verzichten. Bei anderen geht es um die schlichte Existenz. Es ist eine demokratische Tragödie.

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Programme statt Personen

Lesedauer: 5 Minuten

Wer wird Deutschland ab 2025 regieren? Ins Spiel gebracht haben sich mittlerweile eine ganze Reihe von Personen unterschiedlicher Parteien. Die Auswahl an potenziellen Bundeskanzlern war selten so groß wie heute. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien kann aus ihren Zustimmungswerten einen klaren Regierungsauftrag für sich beanspruchen, zu leicht könnte sie überstimmt werden. Die Zersplitterung des Parteiensystems macht stattdessen Gespräche auf Augenhöhe immer nötiger.

Klare Sache

Deutschland braucht einen neuen Kanzler. Mit jedem weiteren Tag im Amt macht Olaf Scholz (SPD) das deutlicher. Die Union sieht ihre Chance gekommen und scharrt schon mit den Hufen. Die Bundestagswahl ist bereits zwölf Monate vor dem Wahlsonntag ein Thema. Ginge es nach der CDU, hieße der nächste Bundeskanzler Friedrich Merz.

Seine Ernennung zum Kanzlerkandidaten ging überraschend geräuschlos über die Bühne. Auf einen echten Kampf ums Kanzleramt hat die Union diesmal verzichtet. Zwar brachte sich auch Markus Söder von der bayerischen Schwesterpartei in Stellung, da dieser aber am laufenden Band Kanzler werden will, nimmt seine Ambitionen niemand mehr ernst.

Um dem ganzen nachträglich doch noch ein wenig Spannung zu verleihen, brachte man geschwind den Namen „Hendrik Wüst“ ins Spiel. Die Kandidatur des unbekannten Ministerpräsidenten war kaum in den Medien, da stand Herr Merz schon als Sieger fest.

Ein Verlegenheitskandidat?

Die Union braucht dieses Theater. Einerseits betont sie immer wieder, der Parteichef hätte das Erstzugriffsrecht, andererseits gibt es dann doch immer wieder andere Interessenten. Dieses Phänomen gab es schon zu Amtszeiten von Angela Merkel, die neben ihrer Tätigkeit als Parteichefin sogar zufällig selbst Bundeskanzlerin war und ihre erneute Kandidatur trotzdem immer irgendwie rechtfertigen musste.

In gewisser Weise können die Wähler der Union dennoch dankbar sein, dass sie sich so schnell auf Friedrich Merz festgelegt hat. Was dabei herauskommt, wenn die Partei die K-Frage zu lange unbeantwortet lässt, sieht man am Wahlkampf 2021, als den Konservativen quasi nichts anderes übrigblieb, als den tragikomischen Armin Laschet ins Rennen zu schicken.

Mit der wenig überraschenden Nominierung von Friedrich Merz stand auch die SPD unter Zugzwang. Bei den Sozen war das Ergebnis ebenso vorhersehbar: Olaf Scholz soll die Partei ein weiteres Mal in die Bundestagswahl führen. Seine Nominierung ist logisch, aber völlig aussichtslos. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Merz einen Fau-pax leistet, der gewaltig genug ist, um ihn den Wahlsieg zu kosten. Auch in den letzten Monaten hat er viel Ekelhaftes von sich gegeben – die Umfragewerte der Union berührte das nicht.

Zuwachs für’s Kanzlerduell

Zumindest werden die beiden in geselliger Runde miteinander streiten. Denn wie schon bei der letzten Bundestagswahl greifen auch andere Parteien nach der Macht. Die AfD hat zwar leicht abgebaut, liegt in den Umfragen aber nur knapp unter 20 Prozent. Die Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen verliehen der Kanzlerkandidatur von Alice Weidel den letzten Schliff. Es ist das erste Mal in der bundesdeutschen Geschichte, dass sich eine rechtsextreme Partei ernsthafte Ambitionen auf das Kanzleramt leisten kann.

Die Grünen glauben indes, sie hätten ein Dauerabo für die Kanzlerkandidatur gewonnen. Mit Robert Habeck setzen sie dieses Mal zwar auf einen charismatischen Politiker, dieses Einlenken kommt aber vier Jahre zu spät. Dass die Partei gerade so noch auf zweistellige Werte kommt, bei der EU-Wahl knapp halbiert wurde und gerade aus zwei Landtagen geflogen ist, scheint für die selbsternannte Klimapartei kein Problem zu sein.

Kanzlerkandidat kann heute offenbar jeder werden. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat eine formale Kandidatur gar nicht nötig – sie ist sowieso omnipräsent in Talkshows und Wahlsendungen. Der Gipfel an Lächerlichkeit wäre erreicht, wenn sich auch Die Linke anschickt, einen Kanzlerkandidaten zu opfern. Getreu dem alten FDP-Motto: Auch mit wenigen Prozentpunkten kann man Regierungschef werden.

Wahlkampf der Visionen

Das Duell ums Kanzleramt ist nicht mehr zeitgemäß. Schon bei der letzten Bundestagswahl stellten sich drei Kandidaten den Fragen der Moderatoren. In der Zwischenzeit haben sich die Zustimmungswerte weiter verschoben. Mit der Union gibt es zwar eine klar führende Kraft, aber selbst mit ihren traurigen 30 Prozent wird sie dem Anspruch einer Volkspartei nicht mehr gerecht.

Seit 2021 erleben wir das erste Mal seit 60 Jahren eine Koalition auf Bundesebene mit mehr als zwei Fraktionen. In Rede stand eine solche Konstellation aber schon seit einigen Jahren. Solche Regierungsbildungen sind immer die Folge eines Machtverlusts einzelner Parteien. Auch die Macht künftiger Kanzler wird dadurch geschmälert.

Deswegen würden Gesprächsrunden mit den Spitzenkandidaten sämtlicher aussichtsreicher Parteien die politische Realität im Land deutlich besser abbilden. Im Vordergrund stünde nicht mehr die Frage, wer nächster deutscher Bundeskanzler wird. Der Fokus läge stattdessen auf den Programmen und Vorschlägen der einzelnen Parteien. Da selbst Koalitionen mit zwei Parteien ein Auslaufmodell sind, könnten auf diese Weise besonders gut mögliche Schnittmengen aber auch Unterschiede zwischen den Akteuren sichtbar werden. Auch der Wahlkampf wäre dann weniger auf Personen zugeschnitten, sondern auf Inhalte und Visionen.


Deutschland ist politisch gespalten wie selten. Die Vielzahl an Parteien im Bundestag sind das beste Zeugnis dafür. Diese Spaltung ist auf Dauer nur durch Dialogbereitschaft und gegenseitigen Austausch zu überwinden. Wer allerdings die Schotten dichtmacht und sich in exklusiver Kungelrunde zusammentut, obwohl andere Parteien mindestens den gleichen Anspruch auf Teilnahme hätten, verspielt das letzte bisschen Glaubwürdigkeit, das bleibt, um die Demokratie vor ihren Feinden zu verteidigen.

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