Mehr als schlechte Laune

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Die deutschen Bürgerinnen und Bürger sind nicht zufrieden. Sie sind nicht zufrieden mit dem öffentlichen Personenverkehr, mit dem Umgang mit Landwirten, mit dem Zustand vieler Schulen, der medizinischen Versorgung oder mit der allgemeinen wirtschaftlichen Situation. Deswegen gehen sie in großer Zahl auf die Straße, mittlerweile auch, um einer befürchteten rechten Machtergreifung zuvorzukommen. Viele dieser berechtigten Proteste schieben weite Teile der Politik auf chronische schlechte Laune. Damit beweisen solche Politiker erneut eindrucksvoll, dass sie den Bezug zu den Menschen lange verloren haben. Die vielen Demonstrationen der letzten Monate sind Zeichen einer potenziell lebendigen Demokratie, aber auch einer gefährlichen Vernachlässigung von Wählerinteressen.

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“Die Eisenbahn ist kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr.“ Mit diesem einen längst realen Zustand beschreibenden Credo schwur Klaus Weselsky die deutsche Bevölkerung im letzten Monat auf eine lange Streikphase bei der Deutschen Bahn ein. Der gefühlt endlose Tarifkonflikt der DB reiht sich nahtlos ein in eine ähnliche Protestbereitschaft bei verdi, Landwirten, Apothekern und mittlerweile sogar bei der Breite der Bevölkerung, die empört gegen rechtsextreme Deportationsfantasien auf die Straße geht. Am 1. März schließlich machten unterschiedliche Akteure bei einer gemeinsamen Demo ihrem Unmut Luft. Die klare Botschaft: Die Regierung macht einen miesen Job.

Tatsächlich lässt sich bei der steigenden Demonstrationsbereitschaft der letzten Jahre eine Veränderung beobachten. Immer seltener geht es um konkrete Sachthemen mit einem klaren Adressaten. Stattdessen belegen schon die zahlreichen Protesttransparente und -banner, dass es den Demonstranten um etwas größeres geht. Mit ihren lauten und zahlenstarken Auftritten stellen sie die Regierung und die herrschende Politik insgesamt in Frage. Keiner dieser Aufmärsche kommt mehr ohne solche Schilder aus, welche die komplette Regierung zum Rücktritt auffordern.

Nur ein Gefühl?

Der Frust über die politischen Verhältnisse kommt allmählich in der Mitte der Gesellschaft an. Vor wenigen Jahren waren Demos, welche die Regierung als ganzes an den Pranger stellten, noch als rechts verfemt. Heute sind solche Protestbekundungen eher die Norm.

Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass über ihre Köpfe hinweg Politik gemacht wird. Das zumindest wird ihnen eingeredet – es ist nichts weiter als ein Gefühl. Sie seien selbst schuld, wenn sie Rattenfängern wie der AfD auf den Leim gingen und die hervorragende Regierungsarbeit nicht zu schätzen wüssten. Mit jeder dieser Ferndiagnosen von eingebildeter schlechter Laune schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in die herrschende Politik ein wenig mehr. Denn konkretes Regierungshandeln wie die verpfuschte Energiepreisbremse, der lächerlich lange Zoff um die Finanzierung des Deutschlandtickets und das Bonbon der Cannabislegalisierung führen den Menschen ein ums andere Mal vor Augen, dass die Regierung den Blick für das Wesentliche längst verloren hat.

Wenn sie dann auf sich aufmerksam machen und gegen dieses Staatsversagen auf die Straße gehen, wird ihnen in vielen Fällen leichtfertig eine offene Flanke nach rechts außen vorgeworfen. Dabei tun sie nur das, was eigentlich Job der Regierung wäre: Sie fordern demokratische Teilhabe ein und wenden sich inzwischen sogar offen gegen die Feinde der rechtsstaatlichen Verfassung.

PR-Gag für Rechts

Die Notwendigkeit für Massendemos gegen die bekanntgewordenen Deportationspläne der AfD und anderer Rechtsextremisten sind ein Zeugnis völligen Politikversagens. Es ist um unser Land und unsere Demokratie inzwischen so schlecht bestellt, dass es die widerwärtigsten Kreaturen vom rechten Rand fast 80 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager tatsächlich wagen, halböffentlich über die Verschleppung von Menschen zu sprechen, die ihrer Ansicht nach nicht zu Deutschland gehören. Die große Mehrheit der Gesellschaft hält entschlossen dagegen und zeigt Rechtsaußen sehr deutlich, was sie von solchen menschenverachtenden Plänen hält. Führende Köpfe der Koalitionsparteien und Mitglieder der Bundesregierung nehmen die Proteste wohlwollend zur Kenntnis und reihen sich teilweise in die Demozüge ein. Nicht im Traum kommen sie auf die Idee, ihre Mitverantwortung für diese fatale Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen.

Stattdessen pendelt die Regierung zwischen hilflosem Gebaren und blindem Aktionismus hin und her. Mit Prestigeprojekten wie der Cannabislegalisierung versucht sie Wahlversprechen einzulösen, die einer beträchtlichen Zahl an Menschen am Allerwertesten vorbeigehen. Aber nicht einmal bei diesem Klientelgeschenk denkt die Ampel weiter als bis zum nächsten Parteitag. Wichtige Frage wie Kontrollen, Grenzwerte und grundsätzliche Praktikabilität sind bei Verkündung des Gesetzes ungeklärt und offenbaren wie schon bei anderen Vorhaben die völlige Planlosigkeit dieser Truppe.

Demokratie von oben

Jedenfalls erkennt die Regierung, dass die Stimmung am Brodeln ist und insbesondere der rechte Rand vom Unmut profitiert. Statt aber die Ursachen für diese Entwicklung zu beheben, werden flugs ein paar Demokratiefördergesetze aus der Taufe gehoben, die den Bezug zur Wirklichkeit ein weiters Mal vermissen lassen. Es mag wie ein edles Ansinnen daherkommen, wenn die Regierung die Demokratie fördern will, es ist aber sicher nicht ihre Aufgabe, der Bevölkerung zu erklären, wie Demokratie funktioniert. Das Volk bestimmt in unserem Land, wie der Hase läuft. Alles andere ist übergriffig und anmaßend.

Es stellt sich zudem die Frage, wie die Demokratie durch ein Gesetz geschützt werden soll. Demokratie lässt sich nicht verordnen oder vorschreiben, sie wird jeden Tag neu ausgehandelt und erkämpft. Wenn die Bürgerinnen und Bürger in großer Zahl auf die Straße gehen und der Bundesregierung Versagen und Inkompetenz vorwerfen, dann ist das ihr gutes Recht. Es ist mehr als frech, ihnen dafür Rechtsoffenheit oder gar Extremismus vorzuwerfen. Am Ende stärkt man damit nur solche Kräfte, die man eigentlich bekämpfen will.

Die Regierung hat nicht begriffen, dass Verbote und Denunziationen nicht dazu beitragen, den Extremismus in den Griff zu kriegen. Beamte und Richter, bei denen Zweifel an der Verfassungstreue bestehen, aus dem Dienst zu entfernen, mag ein wichtiges Signal sein, löst aber nicht das zugrundeliegende Problem. Eine Politik, die sich im Laufe der Jahre immer weiter von den Bürgerinnen und Bürgern entfernt hat, trug dazu bei, dass solche Demokratiefeinde heute auf so großes Interesse stoßen. Alle Politiker sollten für die Proteste auf den Straßen eigentlich dankbar sein und den Menschen endlich wieder zeigen: Wir hören euch.


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