Zeit für Trash

Lesedauer: 7 Minuten

Ein Stück lebendige Fernsehgeschichte verschwindet: Die Erfolgsserie „Demokratie in Deutschland“ wird zum Ende der laufenden Staffel abgesetzt. Sinkende Quoten und ungebremst steigende Kosten haben die Programmverantwortlichen zu diesem Entschluss getrieben. Die Serie lief mehr als 75 Jahre.

Die Überraschung steht Werner L. ins Gesicht geschrieben: Gerade hat er erfahren, dass die Erfolgsserie „Demokratie in Deutschland“ abgesetzt werden soll – und damit auch sein Arbeitsplatz. Seit fast acht Jahren gehört er zum Kamerateam des beliebten Formats. „Eigentlich gehörte ich immer zu den eher neuen Kollegen. Andere waren bedeutend länger dabei. Schauspieler und Crewmitglieder standen teils Jahrzehnte vor und hinter der Kamera. Da geht schon ein Stück Fernsehgeschichte verloren.“

Eine Serie der Unterschiede

Werner L. hat das richtige Stichwort gegeben: „Demokratie in Deutschland“ (oder DiD, wie Fans die Serie nennen) war seit Ende der 1940er-Jahre fester Bestandteil der deutschen Serienlandschaft. In den vielen Jahren ihrer Laufzeit durchlebte die Serie viele Höhen und Tiefen. Sie wagte Neues, lieferte packende Momente und beging Tabubrüche. Jahrzehntelang zeichnete sie das Bild einer Gesellschaft, in der alle Menschen gleich und doch wiederum anders waren. Im Kosmos der Serie zählte nicht, wie man aussah, wo man herkam oder wie viel Geld auf dem eigenen Konto liegt.

DiD war die erste und bislang einzige Serie, bei der regelmäßig mehrere Hundert Darsteller zum Hauptcast gehörten. Zwischen den Charakteren gab es jede Menge Konflikte, Allianzen wurden geschmiedet und Widersacher ausgebootet. Hinter der Kamera war das anders: Manche Schauspieler fühlten sich der Serie so sehr verbunden, dass sie in ihrer aktiven Zeit aus dem Leben schieden.

Kostenfrage

Dass die Serie so erfolgreich wurde, war keine Selbstverständlichkeit. Schon nach den ersten Folgen im Sommer 1949 wurde ihr eine kurze Lebensdauer vorausgesagt. Der Grund: zu steif, zu unmodern, zu viele Männer. Das änderte sich in den Folgejahren. Immer mehr Frauen übernahmen Hauptrollen. Über die Jahre gab es aber auch lesbische und schwule Charaktere, es wurden Transmenschen dargestellt, Gehörlose und Kleinwüchsige kamen ans Set. Mit ihren teilweise eigenwilligen Rollen war die Serie immer ganz nah am Puls der Zeit.

Schon das vorzeitige Ende der zwanzigsten Staffel zu Jahresbeginn deuteten viele als ein schlechtes Omen. Dass die Serie nun zum Ende der 21. Staffel eingestellt werden soll, damit hatte aber keiner gerechnet. Wie so oft scheiterte auch DiD unter anderem am Geld.

So wurden schon seit Längerem die stetig steigenden Kosten für die Darstellergagen bemängelt. Einerseits verlangten einige Schauspieler angesichts des Erfolgs der Serie immer höhere Gagen. Andererseits war der Cast in den letzten Jahren so stark gewachsen, dass die Produktionsfirma schon vor wenigen Monaten über 100 Rollen komplett strich. Diese Entscheidung enttäuschte wiederum viele Fans. Vor allem der Rausschmiss einer Gruppe besonders beliebter Antagonisten stieß vielen Zuschauern hart auf.

Einsame Entscheidungen

Auch die Kosten für die eigentliche Produktion der Serie gerieten in den letzten Jahren immer mehr aus dem Ruder. Die Drehzeiten dauerten teils bis spät in die Nacht, an manchen Tagen wurde sogar fast nahtlos weitergedreht. Dazu kam, dass die Kulisse an vielen Stellen sichtbar in die Jahre gekommen war. An manchen geschlossenen Drehorten regnete es rein, an anderen kam der Putz von der Decke.

Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang erst vor wenigen Wochen ein Beschluss des ausgeschiedenen Vorstands, der über eine Rechtslücke doch noch über Kredite entschied, um einerseits das Set zu sanieren und andererseits in Sicherheitsmaßnahmen zu investieren, um Störenfriede draußenzuhalten. Der neue Vorstand fühlte sich übergangen und zog sogar vor Gericht. Das Image der Serie war ein weiteres Mal beschädigt.

Serie ohne Sexappeal

Letztendlich führten aber andere Umstände zu den deutlich sinkenden Quoten der letzten Jahre. Viele langjährige Fans beschwerten sich darüber, der Serie wäre der „Biss“ verlorengegangen. Von den immergleichen Drehorten und wenig abwechslungsreichen Themen fühlten sie sich nicht mehr angesprochen. Das Storytelling empfanden immer mehr Zuschauer als wenig authentisch und teilweise sogar als absurd und abgehoben.

Auch Medienexperten bemerken einen zunehmenden Verfall der Serie. Während sie sich in ihren erfolgreichsten Zeiten in den 1970er und 1980er Jahren durch ihre anschauliche und mitreißende Sprache auszeichnete, kritisieren heute viele den mitunter primitiven Tonfall der Charaktere.

Selbst die Darsteller treten lange nicht mehr so geschlossen auf wie noch in früheren Jahren. Von Neid und sogar Hass ist die Rede. Erst jüngst ist ein Streit zwischen mehreren Schauspielern ans Licht gekommen, in dem sie sich nicht einmal mehr über die Verteilung der Garderobenräume einig werden können.

Zeit für Trash

Die aktuelle Staffel soll bis zum regulären Ende fortgesetzt werden. Danach werden keine neuen Folgen mehr produziert, heißt es in einer Pressemitteilung des Senders. Was das für die regionalen Serienableger bedeutet, ist noch ungewiss. Während der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Marcus Schröder, eine eigenständige Fortsetzung der Serie erwägt, kamen aus anderen Bundesländern überwiegend verhaltene Reaktionen. Der Intendant von TV Thüringen, Bernd Hucke, zeigte sich sogar erleichtert, dass mit der Serie ein weiterer „nicht gewinnorientierter Kostenfaktor“ verschwindet.

Auch die Reaktionen der Zuschauer fielen gemischt aus. Wie zu ihren erfolgreichsten Zeiten versteht es DiD weiterhin meisterlich zu polarisieren. So hat Jens T. aus Halberstadt der Serie schon vor Jahren abgeschworen: „Mich hat dieses ganze Hin und Her einfach nur noch gelangweilt. Mittlerweile schaue ich AfT (Anm. d. Red.: Alternative foller Trash), das ist Unterhaltung pur.“

Wenig begeistert von den überbordenden Trash-Formaten ist hingegen Pauline R. aus Stuttgart. Sie ist der Meinung, Formate wie DiD gehören gefördert: „Es ist doch eine Schande, was sonst mittlerweile im Fernsehen läuft. Ich habe mich sogar einer Initiative angeschlossen, um DiD zu bewahren.“

Dass sie damit Erfolg haben wird, ist fraglich. Medienexperten sind sich aber dennoch sicher, dass die Serie bei vielen Menschen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. „Allein, weil sie über Jahrzehnte lief, wird sie im kollektiven Gedächtnis erhalten bleiben“, betont Mirko L., Chefredakteur der Fernsehwoche. „Trotzdem denke ich, dass sich die Gespräche bald um andere Dinge drehen werden. Der ganze Merch des DiD-Universums und all die Fanclubs aus der ganzen Republik werden aus der öffentlichen Wahrnehmung bald verschwunden sein. Jetzt beginnt das Zeitalter des Trash.“

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Blindheit der Macht

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Ein Fünftel der Wähler wählt rechtsextrem. Der Kanzler braucht zwei Anläufe, um ins Amt zu kommen. Satire ist das Ticket in den Knast. Es steht nicht gut um Demokratie und Meinungsfreiheit in Deutschland. Doch statt sich diesen offensichtlichen Fehlentwicklungen couragiert entgegenzustellen, reitet eine abgehobene Politikerklasse weiter das tote Pferd vom Kampf gegen Rechts. Doch Verbotsdebatten, geschürte Empörung und Demokratie per Gesetz spornen die Entfremdung nur weiter an.

Verkalkuliert

Ein Verlierer sitzt im Kanzleramt. Und alle Welt kann es sehen. Friedrich Merz vollendete am 6. Mai das, was er vor langer Zeit begonnen hatte: eine Serie von Misserfolgen und Niederlagen. Den Machtkampf gegen seine Kontrahentin Angela Merkel hat er schon vor über zwanzig Jahren verloren, den Parteivorsitz ergatterte er erst beim dritten Anlauf und auch bei der Kanzlerwahl patzte er. Er wollte nicht wahrhaben, wie die Stimmung im Land wirklich ist. Vermutlich waren es ein paar abtrünnige Sozialdemokraten, die ihm einen Schubs in die richtige Richtung geben wollten. Doch auch danach hat er nicht verstanden, dass die Deutschen einen Kanzler Merz einfach nicht wollen.

Seine Devise „Mehrheit um jeden Preis“ ist gescheitert. Es war ihm bis zum Schluss egal, ob es die Grünen, die Rechtsextremen oder eben die Sozen sind, die ihn ins Kanzleramt hieven. Seine Reaktion auf die Verkündung des Ergebnisses des ersten Wahlgangs fiel entsprechend aus – es gab schlichtweg keine. Ohne eine Miene zu verziehen, erhob er sich von seinem Platz und verließ zügig den Saal – kühl, kontrolliert, desinteressiert, als hätte Julia Klöckner gerade ihren privaten Speiseplan verlesen.

Kanzlerwahl um jeden Preis

Wahrscheinlich dürften redselige Schriftführer aus den eigenen Reihen zu dieser gefassten Haltung beigetragen haben. Von Einsicht oder Selbstreflektion war allerdings nichts zu spüren. Für Herrn Merz war dieser Vorfall vermutlich ein einmaliger Ausrutscher, die Tragweite dieses Vormittags und seine Hintergründe sind bei diesem verbohrten Mann nicht angekommen.

Und auch wenn dieses kurzweilige Amüsement am 6. Mai auf das Konto einiger standhafter Sozialdemokraten gehen dürfte, zeigt sich der Juniorpartner in der Koalition auch nicht gerade von seiner selbstkritischen Seite. Zwar fiel die Entscheidung für den Koalitionsvertrag mit rund 85 Prozent scheinbar eindeutig aus, dass sich allerdings 44 Prozent der Parteimitglieder überhaupt nicht an dem Votum beteiligt haben, hätte ein Weckruf sein sollen.

Aktenkundiges Demokratieversagen

Der Fehlstart von Kanzler Merz führte zu großer medialer Aufmerksamkeit und breiter Berichterstattung – in Deutschland und anderswo. Auch der Auslandspresse ist nicht entgangen, wie umstritten Friedrich Merz im eigenen Land ist und wie aufschlussreich sein Scheitern für den Zustand der deutschen Demokratie ist.

Die teilweise spöttischen Kommentierungen zu diesem wenig galanten Amtsantritt sind aber mittlerweile keine Ausnahme mehr in der Berichterstattung über deutsche Politik. Mit Sorge hat jüngst auch der renommierte Economist auf das wahnwitzige Urteil bayrischer Richter reagiert, die einen Journalisten zu sieben Monaten Knast auf Bewährung verurteilt haben, weil er es wagte, die gerade ausgeschiedene Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit einer satirischen Bildmontage zu kritisieren. Die ausländischen Medien haben offenbar erkannt, was die meisten deutschen Politiker vehement bestreiten: Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist in Gefahr.

Die Anzeigenhauptmeister

Man muss aber nicht unbedingt den Economist, Le Monde oder den Figaro lesen, um sich über den Zustand der deutschen Demokratie kundzutun. Erst vor kurzem hat eine repräsentative Umfrage von INSA ergeben, dass jeder dritte Bundesbürger schon einmal seine eigene politische Meinung zurückhielt, um nicht in Teufelsküche zu kommen.

Anstatt sich dieser offensichtlichen Fehlentwicklung entgegenzustellen, ist es unter den Mandatsträgern regelrecht zum Sport geworden, möglichst viele unliebsame Bürger mitsamt ihren unbequemen Meinungen anzuzeigen. Spitzenreiter in dieser fragwürdigen neuen Disziplin sind Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), aber durch die erstmalige Verhängung einer Freiheitsstrafe dürfte auch Nancy Faeser von der SPD in höhere Kreise aufgestiegen sein. Das ist übrigens die Frau, die maßgeblich verschiedene Gesetze zur angeblichen Verteidigung der Demokratie vorangetrieben hat.

Ablenkungsmanöver

Auch eine weitere Kennzahl gibt Aufschluss über den Zustand der Demokratie im Land. Mehr als 20 Prozent der Wähler haben am 23. Februar eine erwiesenermaßen rechtsextreme Partei gewählt. Die AfD hat tatsächlich viele Nazis in ihren Reihen. Und sicher meint es diese Partei nicht gut mit Rechtsstaat und Demokratie. Ihr aber die alleinige Schuld für das vergiftete Klima und die gesellschaftlichen Zerwürfnisse zu geben, überschätzt ihre Macht über alle Maße.

Denn auch die AfD kann keinen Rechtsruck herbeizaubern. Das Land ist nicht durchsetzt mit Nazis, die nur auf die AfD gewartet und in der Zwischenzeit andere Parteien gewählt haben. Viele Wähler sind zur AfD abgewandert, weil die übrigen Parteien sie nicht mehr ansprachen. Der Grund für die Stärke der AfD sind fatale politische Fehlentscheidungen und nicht ein Land voller Nazis.

Mit Blindheit geschlagen

Doch die Rechtsextremen könnten bei der nächsten Wahl 30 Prozent holen und es würde sich nichts Grundsätzliches am Umgang mit ihren Wählern ändern. Um diesem Szenario dennoch vorzubeugen, wird in den letzten Wochen wieder stärker über ein Verbotsverfahren gegen die AfD diskutiert. Noch heftiger kann man die Wähler dieser Partei nicht vor den Kopf stoßen. Ein solches Verbot käme einer vollständigen politischen Entmündigung gleich und wird von vielen Kritikern völlig zurecht als Umerziehungsmethode gedeutet.

Mittlerweile greifen die etablierten Parteien nach jedem Strohhalm, der sich ihnen bietet, um die AfD zu schwächen – und erreichen damit regelmäßig das Gegenteil. Auch die zigste Verbotsdebatte wird daran nichts ändern. Mit windigen Tricks wie kurzfristigen Anpassungen der Geschäftsordnung im Bundestag, der Einberufung eines abgewählten Parlaments und dem systematischen Vorenthalten von Schlüsselpositionen spielen die vielgelobten demokratischen Parteien auf Zeit, weil auch sie immer deutlicher spüren, dass die Uhr tickt.

In ihrem leidenschaftlichen Kampf gegen Rechts ergeben sie sich widerstandslos ihrem Schicksal. Sie sind mit Blindheit geschlagen und haben nicht die Kraft, das Ruder herumzureißen. Immer mehr entwickelt sich der Bundestag zur Lachbude der Nation, wo sich eine Politikerklasse einnistet, die den Bezug zur Bevölkerung lange verloren hat. Wie viele Wahlgänge und Koalitionspartner wohl beim nächsten Mal nötig sind?

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Stimmungsschwankungen

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Stammwähler haben ausgedient. Die Wahl einer bestimmten Partei ist für viele Wähler heute kein politisches Bekenntnis mehr. Die Wählerwanderung steht voll im Trend. Besonders deutlich wird das durch die sprunghaften Gewinne und Verluste von Parteien – Verdopplungen und Halbierungen innerhalb kurzer Zeit sind keine Seltenheit mehr. Was zunächst nach lebendiger Demokratie aussieht, zeugt von zunehmendem Vertrauensverlust der Wähler in die Parteien. Für die Demokratie wird das zunehmend zum Problem.

Unverhofft kommt oft

Totgesagte leben länger. Der Linken ist gelungen, was bis vor wenigen Monaten noch völlig ausgeschlossen schien: der Wiedereinzug in den Bundestag. Mit Heidi Reichinnek an der Spitze blieb es nicht bei einem lauwarmen Revival linker Ideen. Die Partei legte stattdessen ein kometenhaftes Comeback hin. Mit 8,8 Prozent hat sie sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 sogar fast verdoppelt.

Profitiert hat die Partei auf den letzten Metern von einer überaus charismatischen Frontfrau und einer medienträchtigen Kampagne gegen Rechtsaußen. Ohne die Empörung über die Migrationspolitik der Union und die Abstimmungen vom 29. und 31. Januar im Bundestag wäre die Linke mitsamt ihren Silberlocken nach der Bundestagswahl untergegangen.

Dabei sind stimmungsabhängige Erfolge von Parteien gar keine Ausnahme. Schon häufig verhalfen kontroverse Debatten oder Bewegungen Parteien zu ungeahnten Wahlerfolgen. Die Klimabewegung von vor rund sechs Jahren befreite die Grünen von der Einstelligkeit, während die Pegida-Demonstrationen und die Flüchtlingskrise das rechte Gedankenschlecht der AfD entfesselten.

Und auch für die Linke ist es das zweite Mal in ihrer Parteigeschichte, dass ihr ein Trend zugutekommt: Kurz nach Einführung der Hartz-Gesetze stieg auch schon vor zwanzig Jahren das Interesse an linker Politik. Das ist trotzdem kein Vergleich zu 2025: Der Wiederaufstieg in dieser Dimension ist bislang einzigartig. In so kurzer Zeit haben sich die Zustimmungswerte keiner Partei je verdoppelt.

Wahlkampf auf Augenhöhe

Seit Jahren bleibt es nicht bei einer Zurschaustellung von Umfragewerten oder Wahlergebnissen einzelner Parteien. Viel interessanter ist die Frage: Wo kommen die Wähler her und wo gehen sie hin? Das Modell der Wählerwanderung fußt darauf, dass immer mehr aussichtsreiche Parteien miteinander konkurrieren.

Währenddessen gleichen sich die Werte großer und kleiner Parteien bei Wahlen immer weiter an. Echte dominante Volkparteien gibt es schon lange nicht mehr. Die einst Starken haben deutlich an Rückhalt verloren und müssen sich heute mit Werten um die 25 Prozent zufriedengeben. Kleinparteien sehen währenddessen ihre Chance und erreichen Traumwerte von 15 Prozent und mehr. Das schlägt sich auch im Wahlkampf nieder: Zweikämpfe gehören der Vergangenheit an. Im Studio fachsimpeln heute mindestens fünf Personen um die Wette.

Stimmungsschwankungen

Der Trend verläuft aber mitnichten linear und auf keinen Fall ausgeglichen. Vor allem die mittelgroßen und kleinen Parteien unterliegen teils heftigen Schwankungen. Das Ausscheiden aus dem Bundestag ist heute nicht mehr zwingend der Todesstoß für eine Partei. Die FDP hat dabei besondere Freude am Rein-Raus – Spiel entdeckt. Während Christian Lindner seine Partei 2017 vor der Bedeutungslosigkeit rettete und zweistellig wieder in den Bundestag führte, hat er auch ihren erneuten Rauswurf acht Jahre später zu verantworten.

Andere Parteien folgen diesem Beispiel. Verdoppelungen und Halbierungen zwischen zwei Wahlen sind keine Seltenheit mehr. Den Grünen liefen bei der letzten EU-Wahl fast die Hälfte ihrer Wähler davon. Die AfD hat sich zwischen 2013 und 2017 dafür nahezu verdreifacht.

Eine Partei geht steil

Das Partei-Hopping liegt also voll im Trend – und das wird zunehmend zum Problem. Auch wenn Wählerwanderungen grundsätzlich ein Signal für eine lebendige und gesunde Demokratie sind, haben die Schwankungen mittlerweile Ausmaße erreicht, die von einem immer größer werdenden Vertrauensverlust in die Parteien zeugen. Das wird besonders dadurch deutlich, wenn Wähler in ideologisch völlig konträre Lager wechseln. Die SPD hat in den letzten Jahren massiv an die AfD verloren und selbst von den Grünen wandern immer wieder Wähler nach Rechtsaußen ab. Dahinter steckt keine politische Verwirrtheit, sondern maßlose Enttäuschung.

Wie hoffnungsvoll viele Wähler auf neue Impulse reagieren, hat in den letzten Monaten das BSW gezeigt. Wie keine Partei zuvor hat sie es geschafft, eine beträchtliche Zahl an Menschen zu mobilisieren und von der AfD zurückzugewinnen. Spätestens mit der Bundestagswahl im Februar endete dieser Traum allerdings. Von der AfD gewann die Wagenknechtpartei nur noch mickrige 60.000 Stimmen – der kleinste Batzen der in den Bundestag eingezogenen Parteien.

Besonders deutlich wird dieses Schwächeln in Thüringen, wo das BSW bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr seinen bislang größten Erfolg feierte. Eine zähe Regierungsbildung, interner Streit und faule Kompromisse verscheuchten viele Wähler sogleich wieder. Von den fast 16 Prozent im September sind bei der Bundestagswahl nur noch 9,4 Prozent übriggeblieben. Das Phänomen BSW steht exemplarisch dafür, wie kurz die Geduld der Wähler mittlerweile ist und wie oft sie schon enttäuscht wurden.

Argumente zweitrangig

Sie haben schlicht genug vom inhaltlichen Einheitsbrei der Parteien. Immer öfter erleben sie, dass sie wählen können, was sie wollen, ohne dass sich nachhaltig etwas für sie verändert. Immer mehr Wähler wenden sich daher Kräften zu, die für einen grundsätzlich anderen Politikstil stehen. Inhalte und Argumente treten dabei in den Hintergrund. In erster Linie wollen die Menschen angesprochen und mitgenommen werden. Dass eine solche Meta-Partei unter Umständen rechtsextrem ist, spielt für viele keine Rolle mehr.

Die etablierten Parteien haben das bis heute nicht verstanden. Sie inszenieren sich nur zu gern als die ärgsten Verfechter der Demokratie, die sie durch ihr eigenes Handeln jedoch abbauen. Durch ihr Wahlverhalten haben die Bürgerinnen und Bürger längst gezeigt, dass sie sich mehr Mitsprache und Verständnis wünschen – und eben das bei den Etablierten nicht mehr finden können. Auch zwanzig weitere Demokratiefördergesetze werden daran nichts ändern.

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