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Ein Stück lebendige Fernsehgeschichte verschwindet: Die Erfolgsserie „Demokratie in Deutschland“ wird zum Ende der laufenden Staffel abgesetzt. Sinkende Quoten und ungebremst steigende Kosten haben die Programmverantwortlichen zu diesem Entschluss getrieben. Die Serie lief mehr als 75 Jahre.
Die Überraschung steht Werner L. ins Gesicht geschrieben: Gerade hat er erfahren, dass die Erfolgsserie „Demokratie in Deutschland“ abgesetzt werden soll – und damit auch sein Arbeitsplatz. Seit fast acht Jahren gehört er zum Kamerateam des beliebten Formats. „Eigentlich gehörte ich immer zu den eher neuen Kollegen. Andere waren bedeutend länger dabei. Schauspieler und Crewmitglieder standen teils Jahrzehnte vor und hinter der Kamera. Da geht schon ein Stück Fernsehgeschichte verloren.“
Eine Serie der Unterschiede
Werner L. hat das richtige Stichwort gegeben: „Demokratie in Deutschland“ (oder DiD, wie Fans die Serie nennen) war seit Ende der 1940er-Jahre fester Bestandteil der deutschen Serienlandschaft. In den vielen Jahren ihrer Laufzeit durchlebte die Serie viele Höhen und Tiefen. Sie wagte Neues, lieferte packende Momente und beging Tabubrüche. Jahrzehntelang zeichnete sie das Bild einer Gesellschaft, in der alle Menschen gleich und doch wiederum anders waren. Im Kosmos der Serie zählte nicht, wie man aussah, wo man herkam oder wie viel Geld auf dem eigenen Konto liegt.
DiD war die erste und bislang einzige Serie, bei der regelmäßig mehrere Hundert Darsteller zum Hauptcast gehörten. Zwischen den Charakteren gab es jede Menge Konflikte, Allianzen wurden geschmiedet und Widersacher ausgebootet. Hinter der Kamera war das anders: Manche Schauspieler fühlten sich der Serie so sehr verbunden, dass sie in ihrer aktiven Zeit aus dem Leben schieden.
Kostenfrage
Dass die Serie so erfolgreich wurde, war keine Selbstverständlichkeit. Schon nach den ersten Folgen im Sommer 1949 wurde ihr eine kurze Lebensdauer vorausgesagt. Der Grund: zu steif, zu unmodern, zu viele Männer. Das änderte sich in den Folgejahren. Immer mehr Frauen übernahmen Hauptrollen. Über die Jahre gab es aber auch lesbische und schwule Charaktere, es wurden Transmenschen dargestellt, Gehörlose und Kleinwüchsige kamen ans Set. Mit ihren teilweise eigenwilligen Rollen war die Serie immer ganz nah am Puls der Zeit.
Schon das vorzeitige Ende der zwanzigsten Staffel zu Jahresbeginn deuteten viele als ein schlechtes Omen. Dass die Serie nun zum Ende der 21. Staffel eingestellt werden soll, damit hatte aber keiner gerechnet. Wie so oft scheiterte auch DiD unter anderem am Geld.
So wurden schon seit Längerem die stetig steigenden Kosten für die Darstellergagen bemängelt. Einerseits verlangten einige Schauspieler angesichts des Erfolgs der Serie immer höhere Gagen. Andererseits war der Cast in den letzten Jahren so stark gewachsen, dass die Produktionsfirma schon vor wenigen Monaten über 100 Rollen komplett strich. Diese Entscheidung enttäuschte wiederum viele Fans. Vor allem der Rausschmiss einer Gruppe besonders beliebter Antagonisten stieß vielen Zuschauern hart auf.
Einsame Entscheidungen
Auch die Kosten für die eigentliche Produktion der Serie gerieten in den letzten Jahren immer mehr aus dem Ruder. Die Drehzeiten dauerten teils bis spät in die Nacht, an manchen Tagen wurde sogar fast nahtlos weitergedreht. Dazu kam, dass die Kulisse an vielen Stellen sichtbar in die Jahre gekommen war. An manchen geschlossenen Drehorten regnete es rein, an anderen kam der Putz von der Decke.
Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang erst vor wenigen Wochen ein Beschluss des ausgeschiedenen Vorstands, der über eine Rechtslücke doch noch über Kredite entschied, um einerseits das Set zu sanieren und andererseits in Sicherheitsmaßnahmen zu investieren, um Störenfriede draußenzuhalten. Der neue Vorstand fühlte sich übergangen und zog sogar vor Gericht. Das Image der Serie war ein weiteres Mal beschädigt.
Serie ohne Sexappeal
Letztendlich führten aber andere Umstände zu den deutlich sinkenden Quoten der letzten Jahre. Viele langjährige Fans beschwerten sich darüber, der Serie wäre der „Biss“ verlorengegangen. Von den immergleichen Drehorten und wenig abwechslungsreichen Themen fühlten sie sich nicht mehr angesprochen. Das Storytelling empfanden immer mehr Zuschauer als wenig authentisch und teilweise sogar als absurd und abgehoben.
Auch Medienexperten bemerken einen zunehmenden Verfall der Serie. Während sie sich in ihren erfolgreichsten Zeiten in den 1970er und 1980er Jahren durch ihre anschauliche und mitreißende Sprache auszeichnete, kritisieren heute viele den mitunter primitiven Tonfall der Charaktere.
Selbst die Darsteller treten lange nicht mehr so geschlossen auf wie noch in früheren Jahren. Von Neid und sogar Hass ist die Rede. Erst jüngst ist ein Streit zwischen mehreren Schauspielern ans Licht gekommen, in dem sie sich nicht einmal mehr über die Verteilung der Garderobenräume einig werden können.
Zeit für Trash
Die aktuelle Staffel soll bis zum regulären Ende fortgesetzt werden. Danach werden keine neuen Folgen mehr produziert, heißt es in einer Pressemitteilung des Senders. Was das für die regionalen Serienableger bedeutet, ist noch ungewiss. Während der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Marcus Schröder, eine eigenständige Fortsetzung der Serie erwägt, kamen aus anderen Bundesländern überwiegend verhaltene Reaktionen. Der Intendant von TV Thüringen, Bernd Hucke, zeigte sich sogar erleichtert, dass mit der Serie ein weiterer „nicht gewinnorientierter Kostenfaktor“ verschwindet.
Auch die Reaktionen der Zuschauer fielen gemischt aus. Wie zu ihren erfolgreichsten Zeiten versteht es DiD weiterhin meisterlich zu polarisieren. So hat Jens T. aus Halberstadt der Serie schon vor Jahren abgeschworen: „Mich hat dieses ganze Hin und Her einfach nur noch gelangweilt. Mittlerweile schaue ich AfT (Anm. d. Red.: Alternative foller Trash), das ist Unterhaltung pur.“
Wenig begeistert von den überbordenden Trash-Formaten ist hingegen Pauline R. aus Stuttgart. Sie ist der Meinung, Formate wie DiD gehören gefördert: „Es ist doch eine Schande, was sonst mittlerweile im Fernsehen läuft. Ich habe mich sogar einer Initiative angeschlossen, um DiD zu bewahren.“
Dass sie damit Erfolg haben wird, ist fraglich. Medienexperten sind sich aber dennoch sicher, dass die Serie bei vielen Menschen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. „Allein, weil sie über Jahrzehnte lief, wird sie im kollektiven Gedächtnis erhalten bleiben“, betont Mirko L., Chefredakteur der Fernsehwoche. „Trotzdem denke ich, dass sich die Gespräche bald um andere Dinge drehen werden. Der ganze Merch des DiD-Universums und all die Fanclubs aus der ganzen Republik werden aus der öffentlichen Wahrnehmung bald verschwunden sein. Jetzt beginnt das Zeitalter des Trash.“