Bessere Zeiten

Lesedauer: 7 Minuten

Freitag, 31. März 2023, 19:59:55…56…57…58…59…

*gong*

Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.

Daaa-da. Da-da-da-daaa! Heute im Studio: Judith Rakers.

Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau.

Verlängerung des Lockdowns

Nach einer erneuten Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder haben sich die Beteiligten auf eine Verlängerung des Lockdowns um vier Wochen verständigt. Das war das Ergebnis nach mehr als sechs Stunden Beratung im Kanzleramt. Erste Geschäftsöffnungen sollen demnach frühestens Ende April möglich sein.

Der derzeitige Weihnachtslockdown ist mit bisher gut vier Monaten ungewöhnlich lange. In den vergangenen Jahren waren zumindest zeitweise vorsichtige Lockerungen ermöglicht worden. Weil die Infektionszahlen seit Wochen zwar stagnieren, aber nicht sinken, ließ man in den vergangenen Monaten gastronomische Betriebe, Kultureinrichtungen und weite Teile des Einzelhandels konsequent geschlossen.

Neuer Impfstoff

In mehreren europäischen Ländern steht ein neuartiger Impfstoff gegen das Coronavirus kurz vor der Zulassung. Das Präparat der deutsch-französischen Firma Bon Triage ist laut Hersteller in so großer Menge verfügbar, dass es innerhalb weniger Wochen an weite Teile der Bevölkerung verimpft werden könne. Kritiker werfen dem Unternehmen eine mangelhafte Teststrategie vor und bezweifeln die Effektivität des Wirkstoffs. Bon Triage selbst verwahrt sich gegen solche Vorwürfe. Das Unternehmen wies darauf hin, dass der neue Impfstoff bei 30- bis 50-jährigen zuverlässig dafür schütze, im Falle einer Corona-Erkrankung den Geruchs- und Geschmackssinn zu verlieren.

Corona-Abschluss an Hochschulen und Universitäten

An mehreren deutschen Hochschulen und Universitäten feierten hunderte Bachelor-Studierende heute ihren Abschluss. Die meisten der Absolventinnen und Absolventen hatten ihr Studium vor drei Jahren zu Beginn des ersten coronabedingten Lockdowns begonnen. Im Gegensatz zu den höheren Semestern sind die heutigen Abgängerinnen und Abgänger nie in den Genuss eines regulären Studienbetriebs gekommen.

In virtuellen Graduierungsfeiern blickten Studierende sowie Professorinnen und Professoren auf drei außergewöhnliche Jahre zurück. Während vor allem die Dekaninnen und Dekane, aber auch vereinzelt Studierendenvertretungen, die gute Organisation des Studiums in der Pandemie lobten, übten verschiedene bildungsnahe Institutionen deutliche Kritik. Gerade einmal 5 Prozent der aktuellen Studierendengeneration konnte ihr Studium in der vorgeschriebenen Regelzeit absolvieren. Fast die Hälfte hatte bereits im Vorfeld aufgegeben.

Neue Virusmutation

In mehreren deutschen Gesundheitszentren wurde innerhalb der letzten 24 Stunden die neue hochansteckende Mutation des Coronavirus nachgewiesen. In insgesamt 428 Fällen von Infektionen handelt es sich um die neue Mutante. Die Mutation mit dem Namen Sars-CovRV:$!794<ß trat erstmalig vor zwei Wochen in Aserbaidschan auf und breitete sich von dort rasend schnell bis nach Europa aus.

Seit Ausbruch der Pandemie vor drei Jahren ist die neue Mutation bereits die 42.322., die Forscher sicher identifizieren konnten. Sie gehen aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Fundierte Aussagen bezüglich der Wirksamkeit bisher erforschter Medikamente und Impfstoffe gegen die Mutante können die Forscher noch nicht treffen.

Trumps politische Zukunft

Mit der Ankündigung, im kommenden Jahr wieder zu den Präsidentschaftswahlen anzutreten, hat der frühere US-Präsident Donald Trump ein politisches Beben in den Vereinigten Staaten ausgelöst. Laut eigener Aussage fühlt sich der 76-jährige dazu berufen, die USA aus dem Zustand einer – Zitat – „tiefen politischen Lähmung“ zu befreien.

Die Aussicht auf eine erneute Kandidatur Trumps sorgte besonders bei den Demokraten für Aufruhr. Interimspräsidentin Kamala Harris sprach von einer politischen Katastrophe. Sie merkte an, dass sich das Land keine weiteren vier Jahre mit Trump als Präsident leisten könne. Vertreter des republikanischen Lagers warfen ihr hingegen vor, Trumps Ansage dazu zu missbrauchen, die angespannte politische Lage weiter schlechtzureden. Harris hatte das Präsidentenamt vor vier Wochen interimsweise übernommen, nachdem Präsident Joe Biden plötzlich verstorben war.

Keine Kanzlerkandidatur 2025

Auf der heutigen Pressekonferenz zur Lage der Nation hat sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zu ihrer politischen Zukunft geäußert. Sie kündigte an, bei der Bundestagswahl im Jahr 2025 nicht mehr für das Amt der Regierungschefin anzutreten. Es sei „Zeit für einen politischen Wechsel“, so Merkel wörtlich.

Die Opposition meldete große Zweifel an, dass Merkel das Kanzleramt nach dann insgesamt zwanzig Jahren tatsächlich verlassen würde. Führende Politiker von AfD, FDP und Linkspartei wiesen darauf hin, dass die Frage der Nachfolge Merkels noch völlig ungeklärt sei. Sie befürchten, dass Merkel, wie bereits vor zwei Jahren, die schwere Krise des Lands sowie den Mangel an potentiellen Nachfolgern dazu ausnutzen würde, an der Macht zu bleiben.

Die Union dementierte diese Vorwürfe währenddessen. Mehrere Politiker haben bereits Interesse an Merkels Nachfolge angemeldet, darunter Generalsekretär Philipp Amthor, Gesundheitsminister Jens Spahn sowie BlackRock-Vorstand Friedrich Merz.

Wettervorhersage

Und hier nun die Wettervorhersage für morgen, Samstag den 1. April.

Hoher Luftdruck bestimmt weiterhin unser Wetter und sorgt für klares, aber mitunter eisiges Wetter. Vor allem im Sauerland und in der Eifel wird die Nacht zwar sternenklar, dafür aber klirrend kalt. Die Temperaturen variieren zwischen -17 bis 0 Gad. Am Tag bleibt das Wetter vorerst fast unverändert. Im Nordwesten teilweise zweistellige Minusgrade, am Kaiserstuhl leichte Plusgrade.

In den kommenden Tagen deutet sich ein deutlicher Wetterumschwung an. Bis Dienstag ist mit frühsommerlich warmen Temperaturen zu rechnen, im Raum Köln werden bis zu 35 Grad im Schatten erwartet. Besonders am Wochenende und zu Beginn der nächsten Woche besteht aufgrund des Tauwetters starke Hochwassergefahr. In Teilen Deutschlands wird gleichzeitig vor Waldbränden gewarnt.

Um 23:15 Uhr meldet sich Caren Miosga mit den Tagesthemen. Sie beschäftigt sich heute mit folgenden Themen: Zählfehler bei den Corona-Mutationen? Warum die wahre Zahl an Mutanten weitaus höher liegen könnte. Außerdem führt sie ein Exklusiv-Interview mit SPD-Chef Karl Lauterbach. Der Spitzenpolitiker verrät, wie er seine Partei bei den kommenden Wahlen wieder in die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz führen will, aus denen sie vor zwei Jahren ausgeschieden sind.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

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K(l)eine Lobby

Lesedauer: 9 Minuten

Die Maßnahmen gegen die Pandemie sind hart – nicht nur für Verbraucher. Auch viele Gastronomen, Hotelbetreiber und Krankenpfleger haben in der Pandemie ein schweres Los gezogen. Und obwohl diese Gruppen am härtesten von der Coronakrise gezeichnet sind, werden sie teilweise in der Luft hängengelassen. Immer offensichtlicher wird: Wer Macht und Einfluss hat, kann seine Schäfchen ins trockene bringen. Wer über keine Lobby verfügt, der muss schauen, wie er zurechtkommt. Und immer klarer wird, dass sich die Regierung mit diesem lobbygeführten Kurs keinen Gefallen tut.

Lockdown 2.0

Mehr als 20.000 Neuinfektionen an einem Tag – Nach dieser Horrormeldung vom vergangenen Herbst sah sich die Bundesregierung gezwungen, die Maßnahmen gegen das Virus drastisch zu verschärfen. Obwohl er lange kategorisch ausgeschlossen wurde, kam der zweite flächendeckende Lockdown dann doch. Wie bereits im Frühjahr versprach die Regierung reflexartig schnelle und unkomplizierte Hilfen für kleine Betriebe und Selbstständige. Die vielgepriesenen Novemberhilfen waren aber selbst im Januar bei vielen Betroffenen noch nicht auf dem Konto. Einige große Konzerne hingegen durften die Staatshilfen mit offenen Armen empfangen. Viele von ihnen gaukelten den Steuerzahlern eine herannahende Unternehmenspleite  vor, um dem Staat das Geld aus den Rippen zu leiern. An den Arbeitsverhältnissen der Beschäftigten änderte das wenig.

Die Rechnung ist einfach: Die Vorstände und Aktionäre sind Dauergast in Ministerien und bei Entscheidungsträgern. Mit einer Heerschar an Lobbyisten können sie die Politik so beeinflussen, dass ihnen Gesetze bloß nicht auf die Füße fallen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben können das nicht. Ansonsten hätten sich viele prekäre Arbeitsverhältnisse während der Coronakrise sicher nicht noch verschlimmert.

Denn seit fast einem Jahr ist das medizinische Personal in den Krankenhäusern noch mehr am Limit als zuvor. Zwar genossen sie besonders im Frühjahr eine deutlich höhere gesellschaftliche Wertschätzung für ihre Arbeit, echte Verbesserungen in ihren Jobs blieben aber aus. Warum? Weil der Deutsche Bundestag es vorzog, in den Applaus auf den Balkons und in den Wohnzimmern einzustimmen, anstatt echte Lösungen anzubieten. Währenddessen mussten Krankenpflegerinnen und -pfleger mit teilweise mangelhafter Schutzausrüstung dem Virus die Stirn bieten. Statt mehr Geld bekamen manche Pflegekräfte die Kündigung, weil sie einer Impfung zum jetzigen Zeitpunkt ablehnend gegenüberstehen.

Viel Geld für kleines Risiko

Ähnliches gilt für die Arbeiterinnen und Arbeiter in Fleischereibetrieben. Nach der Masseninfektion beim Schlachtbetrieb Tönnies im Juni 2020 war der Aufschrei gegen die unmenschlichen Arbeitsverhältnisse in den Betrieben groß. Nachdem die Erkrankung bei den meisten Beschäftigten abgeklungen war, ebbte allerdings auch die öffentliche Empörung ab. Es ist unwahrscheinlich, dass sich an den Arbeitsverhältnissen in den Schlachtereibetrieben seither grundlegend etwas geändert hat. Die Überzeugungskraft der Mitarbeiter gegenüber der Politik war leider nicht groß genug. Anders sah es da bei den direkt Verantwortlichen der Masseninfektionen aus. Es gab zwar den ein oder anderen Rücktritt, nachhaltige Konsequenzen hatte der Skandal aber für keinen von ihnen.

Natürlich kann man in der derzeitigen unberechenbaren Situation auch große Konzerne nicht in der Luft hängenlassen. Wer in Not ist, dem muss geholfen werden. Es fällt aber schwer, das zu glauben, wenn die gleichen Unternehmen, die mit zig Millionen Euro an Steuergeld überhäuft wurden, im Jahr der Krise ähnliche Summen an ihre Aktionäre und Vorstände auszahlen. Befürworter dieser perversen Praxis betonen immer wieder, dass diese Krisengewinner schließlich ein weitaus höheres Risiko trügen, für das sie entlohnt werden müssten. Das Risiko schwindet allerdings, wenn man weiß, dass in jeder schwierigen Lage sofort der Staat aushilft.

Auch die Arbeitsplätze in den Unternehmen werden in diesem Zusammenhang häufig in fast erpresserischer Art und Weise ins Feld geführt. Wer keine Unternehmen rettet, der zerstört Arbeitsplätze, heißt es dann immer. Es wäre ja schön, wenn die Hilfsgelder an die Beschäftigten gingen, aber das ist fernab jeglicher Realität. Stattdessen setzen Unternehmen wie die Lufthansa tausende Menschen auf die Straße, obwohl sie vorher noch horrende Summen erhielten, um genau das zu verhindern.

Schulgipfel, und keiner kommt

Immer offener tritt zutage, dass die Hilfen tatsächlich Unternehmensrettungen sind, aber als Rettung gefährdeter Arbeitsplätze versagen. Begünstigt werden juristische Personen und einige wenige Nutznießer in den oberen Etagen der Konzerne. Am Tisch sitzen meist die Vertreter der Vorstände, viel zu selten die Vertreter der Belegschaft. So wird ein Autogipfel nach dem anderen abgehalten, weil diese Industrie über eine mächtige Lobby verfügt. Schulgipfel stehen dagegen selten auf der Agenda. Finden solche Gesprächsrunden doch einmal statt, dann meist in exklusiver Runde der zuständigen Minister. Was die Lehrkräfte und Schüler tagtäglich leisten, wird auch dort nicht abgebildet.

Im Lockdown bleiben die Schulen dicht. Home Schooling ist angesagt, egal ob sich die Eltern das erlauben können oder nicht. Zu hoch ist die Gefahr von Corona-Massenausbrüchen an Schulen. Viele Arbeitnehmer tingeln währenddessen weiter zur Arbeit. Es ist richtig, dass die meisten Unternehmen weiter wirtschaften können, um noch schlimmere ökonomische Folgen der Krise zu vermeiden. Gut ist auch, dass es in vielen Betriebsstätten durchdachte Hygienekonzepte gibt. Dieses Szenario ist allerdings nicht der Vernunft zu verdanken, sondern rührt schlicht daher, dass Arbeitgeberverbände Präsenzarbeit in weiten Teilen durchgesetzt haben. Der Einfluss der Schulen reicht nicht aus, um flächendeckenden Präsenzunterricht zu ermöglichen.

Die Pandemie macht Schule

Natürlich gibt es ein Infektionsrisiko in gefüllten Klassenzimmern. Aber dieses Risiko besteht doch mindestens in gleicher Weise in deutschen Büros und anderen Stätten, wo die Arbeit kinderleicht aus dem Home Office verrichtet werden kann. Selbst wenn viele Arbeitnehmer zwischenzeitlich allein in ihrem Büro sitzen – viele pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die sich lange vor Corona gerade im Winter als Virentreiber erwiesen haben.

Pläne, wie mit der Pandemie im Schulbetrieb umgegangen werden kann, liegen massenweise vor. Der Ideenreichtum reicht hier von Luftfilteranlagen bis zu hybriden Konzepten, die einen ständigen Wechsel zwischen Präsenz- und Online-Lehre vorsehen, um die Klassenräume nicht zu überfüllen. Aber selbst wenn ein solches Konzept zum Tragen kommt: Die mangelhafte Ausstattung an den Schulen macht das nicht wett. Denn lange vor Corona bot sich in vielen Unterrichtsräumen ein ähnliches Bild: kaputte Fenster, ein tropfender Wasserhahn, Risse in den Wänden, eine vorbeiflitzende Maus und hinten in der Ecke steht der obligatorische Overhead-Projektor.

Gesundheitsschutz vs. Lobbyhörigkeit

Das Ziel Gesundheitsschutz tritt in der Pandemie immer wieder hinter den Lobbywünschen einiger einflussreicher Akteure zurück. Das führt schnell zu einer Ungenauigkeit der Maßnahmen und letztendlich zu einer Gesundheitsgefährdung. Restaurants und Bars haben im vergangenen Jahr strenge Hygienemaßnahmen erarbeitet und umgesetzt. Es hat nichts genutzt, im Herbst mussten sie erneut dichtmachen. Verschont von diesen harten Regelungen blieben dagegen Großkonzerne, die den Betrieb fast unbeeinträchtigt fortsetzten. Die Hygienekonzepte dort waren wohl sicherer als in der Gastronomie. Oder war es vielleicht doch der stärkere Einfluss auf die Politik?

Aus verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Richtungen wird schon lange angezweifelt, dass gastronomische Betriebe und Hotels tatsächlich die schlimmsten Corona-Hotspots sind. Oppositionelle und Forscher betonen immer wieder, dass die Hygienekonzepte kleine lokale Ausbrüche schnell beherrschbar und nachverfolgbar machen.

Unnötiges Risiko

Jüngst verhängte die Regierung eine FFP2-Maskenpflicht. Die Menschen werden so besonders bei näherem Kontakt besser geschützt. An einem dichter getakteten ÖPNV-Netz scheiterte die Regierung aber bislang. Zu klein waren hierfür die Investitionen, zu gering der Einfluss auf Konzerne und Verkehrsbetriebe. Auch gegenüber der Arbeitgeberschaft knickt die Politik immer wieder ein. Zuckersüßes Bittebitte-Sagen reicht nicht aus, um Infektionen am Arbeitsplatz einzudämmen. Eine Home-Office – Pflicht muss her.

Alles andere gefährdet möglicherweise die Gesundheit vieler Menschen. Wer mit Bus und Bahn zur Arbeit fährt, obwohl diese Arbeit bequem in den eigenen vier Wänden erledigt werden könnte, der setzt sich bereits auf dem Arbeitsweg einem unnötigen Risiko aus. Es stellt sich immer häufiger die Frage, ob die Politik die Lobbyisten an der langen Leine hält oder ob die Lobbyisten die Politik in Ketten legt.

Interessenspolitik darf in Zeiten der Pandemie keinen Platz haben. Nicht nur, dass dadurch unnötige Risiken provoziert werden – das Verständnis der Menschen für harte Maßnahmen schwindet ebenso. Dichtes Gedränge in Montagehallen und Büros ist erlaubt, aber ein Waldspaziergang zu zweit in einem Ort 20 Kilometer weit weg von zu Hause ist es unter Umständen nicht. Kein Mensch kann so etwas verstehen. Kein Virus wird so bekämpft. Keiner wird davon überzeugt.


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Die Frustkescher

Lesedauer: 8 Minuten

Im Frühjahr 2020 überschlugen sich die Ereignisse. Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland außer Kontrolle zu geraten drohte, ergriff die Bundesregierung drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr. Statt zu applaudieren, beschwor die AfD einen schier unaufhaltsamen Weg in die Diktatur. Und das, obwohl sie ebendiese Maßnahmen wenige Wochen zuvor noch lautstark gefordert hatte. Die Zustimmungswerte der Rechtspopulisten streifte das nur peripher. Es wird immer deutlicher, dass es vielen Leuten gefällt, dagegen zu sein. Dahinter steckt nachhaltige Enttäuschung und Frustration.

Seit etwas mehr als einem Jahr leidet die Welt unter Corona. Nachdem das Virus bereits im Januar 2020 auch außerhalb Chinas festgestellt wurde, artete das Infektionsgeschehen rasend schnell zur Pandemie aus. Am 27. Januar 2020 wurden schließlich die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekannt. Viele Menschen waren völlig zurecht besorgt. Man war beunruhigt, weil so wenig über das neuartige Virus bekannt war, außer dass es teilweise verheerende Krankheitsverläufe gab, die nicht selten tödlich endeten. Es blieb nicht bei einigen wenigen Fällen in Deutschland. Im Frühjahr suchte die erste Welle der Pandemie sämtliche europäischen Länder heim. Allein in Deutschland registrierte man zeitweise bis zu knapp 8.000 Neuinfektionen an einem Tag.

Alles auf Lockdown

Die Menschen hatten Angst. Das erkannte auch die Politik und leitete Maßnahmen ein. Geschäfte schlossen, Menschen blieben über Ostern zu Hause, Schulen und Kitas machten zu, eine Maskenpflicht wurde verhängt – mit diesen Maßnahmen versuchte die Bundesregierung, eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Zu den ärgsten Verfechtern dieser Maßnahmen der ersten Stunde gehörte – man lese und staune – die AfD.

Die Rechtspopulisten erkannten noch vor der Bundesregierung die Tragweite der neuen Krankheit. Sie wussten als erste, wie gefährlich das Virus war und dass man schnell gegenlenken musste. Früher als alle anderen forderten sie eine harte Gangart im Umgang mit dem Erreger. Inbrünstig rief Rechtsaußen nach knallharten Regeln wie sie bereits in Italien zum Einsatz kamen. Ihnen gefiel, wie das südeuropäische Land die Pandemie managte.

Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland immer schwerer kontrollierbar wurde, ließ sich die Bundesregierung schweren Herzens auf solch einschneidende Maßnahmen ein. Auch wenn der ökonomische Schaden überhaupt nicht absehbar war, fuhr sie die Wirtschaft konsequent herunter. Die Bürgerinnen und Bürger bat sie eindringlich, auf unnötige Kontakte zu verzichten und zu Hause zu bleiben. Es ist dem disziplinierten Verhalten der Vielen zu verdanken, dass es im Sommer einige Wochen der Entspannung mit nur noch wenigen hundert Neuinfektionen pro Tag gab.

Hauptsache anti

Eigentlich alles tutti für die AfD könnte man meinen. Doch so überraschend wie Darmwinde kommen und gehen, drehte sich auch bei den Rechtspopulisten der Wind. Forderten sie im Februar noch eine harte Gangart, wollten sie von solchen Erwägungen wenige Monate danach nichts mehr wissen. Sie schlossen sich einer immer lauter werdenden Minderheit in der Bevölkerung an, die das Land im strammen Marsch hin zu einer Diktatur sah.

Und die Wähler der AfD? Ungeachtet dieser spektakulären 180-Grad – Wendung blieben die Umfragewerte der Partei ziemlich konstant. Die blau lackierten Faschisten hatten sich schon vor Corona in einem Umfragetief verfangen. Kamen sie bei der Bundestagswahl 2017 noch auf fast 13 Prozent der Stimmen, suggerierten neuere Umfragewerte eine Zustimmung von lediglich etwa 9 Prozent. Der ausgebliebene deutliche Einbruch bei diesen Werten lässt nur einen Schluss zu: Die AfD wendet sich immer unvoreingenommen gegen alles, was von der Regierung kommt – und den Wählern gefällt’s. Wie keine andere Partei versteht die AfD es meisterlich, die Frustration derer zu bündeln, die sich schon lange enttäuscht von der Politik abgewendet haben. Dieser rechtspopulistische Opportunismus offenbart einen großen Vertrauensverlust gegenüber der Politik und der Demokratie. Diese Menschen sind der festen Überzeugung, dass alles schlecht ist, was von der herrschenden Politik kommt. Sie wurden einfach zu oft enttäuscht.

Bloß nicht AfD

Corona mag die Umfragewerte der Unionsparteien beflügelt haben. Wie bei keiner anderen Partei schnellten die Zustimmungswerte der Konservativen während der ersten Welle der Pandemie in die Höhe. Man schien Merkels Partei einen souveränen Umgang mit dem Virus zuzutrauen. Trotzdem vermochte es auch die Union nicht, der AfD endgültig den Garaus zu machen. Es gelang den regierungstragenden Parteien weiterhin nicht, den Rechtspopulisten das Wasser abzugraben. Dabei machte es die AfD den anderen Parteien durch ihre krasse Kehrtwende in der Corona-Politik doch nun wirklich nicht sonderlich schwer.

Die schwindende Zustimmung zur AfD seit 2019 ist einzig damit zu erklären, dass einige ihrer Wähler eingesehen haben, dass auch von dieser Partei keine Politik in ihrem Sinne zu erwarten ist. Zu den verfemten Altparteien führte sie das nicht. CDU, SPD und Grüne nannten den Wählerinnen und Wählern immer wieder hunderte von Gründen, die AfD nicht zu wählen. Eines blieben sie den Menschen dabei aber schuldig: Einen einzigen Grund stattdessen sie zu wählen.

Politik von oben

Somit ist eigentlich sicher, dass die meisten der AfD-Abtrünnigen nicht zu CDU oder SPD zurückkehrten. Viele von ihnen werden dem Politikbetrieb stattdessen für immer den Rücken gekehrt haben. Sie sind endgültig Nichtwähler geworden. Auch der prozentuale Anteil dieser Gruppe hat sich in den Statistiken der letzten Monate kaum verändert. Das liegt aber vor allem daran, dass Statistiken dazu neigen, Unentschlossene und Nichtwähler zusammenzufassen. Die Aussagekraft dieser Kohorte ist also eingeschränkt.

Stattdessen klaute sich die Union die Stimmen munter bei anderen Parteien. Nachdem sie einsehen musste, dass das bei den Sozialdemokraten aufgrund mikroskopischer Umfragewerte nicht mehr lange möglich sein wird, boten sie nun auch gutverdienenden Grünen-Wählern ein politisches Zuhause. Gerade unter diesen grunddemokratischen Gutwählern werden sie aber kaum jemanden finden, der nachhaltig von der Politik der letzten Jahre enttäuscht wurde. Immer offensichtlicher machen die selbsternannten Parteien der Mitte fast ausschließlich denen ein politisches Angebot, die an einem Weiter-so der Politik Interesse haben – oder es zumindest gut verkraften können.

9 Prozent verloren?

Dass eine in Teile offen rechtsextremistische Partei mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einzieht, hätte eigentlich ein Weckruf sein müssen. Anstatt aber die Gründe für das Erstarken der Rechten kritisch zu hinterfragen, suchten vor allem die Regierungsparteien die Schuld fast ausschließlich bei den Wählerinnen und Wählern. Man zeigte sich empört darüber, dass es Menschen gab, die ihre Stimme allen Ernstes einer Partei schenkten, die von einem Mahnmal der Schande sprach und an der Grenze am liebsten auf Flüchtlinge schießen würde. Die Frage nach der eigenen Schuld trat stets hinter selbstgerechten Bevormundungen der Wähler zurück.

Auch in der jetzigen Situation wird viel zu wenig hinterfragt, was 9 Prozent der Bevölkerung dazu veranlasst, weiter zur AfD zu halten. Mit ihrem obskuren Bäumchen-wechsle-dich – Spiel in der Corona-Politik haben die Rechten doch bewiesen, dass von ihnen kein großer Wurf zu erwarten ist. Ihr Einzug in den Bundestag war vielleicht die letzte Chance, davongelaufene Wähler zurückzugewinnen. Dass diese nach dem Corona-Trauerspiel weiterhin der AfD vertrauen oder sogar bereits zu Nichtwählern wurden, ist Beleg genug, dass auch dieser Weckruf verschlafen wurde.

Es zeigt natürlich, dass die AfD ihren Wählern viel eingeredet hat. Dass wir auf dem Weg in eine Diktatur sind und dass im Parlament ein Ermächtigungsgesetz durchgedrückt werden soll, ist vollkommener Blödsinn. Trotzdem wären die Rechten mit ihren Parolen auf taube Ohren gestoßen, wenn sich die Menschen von der Politik vertreten und ernstgenommen gefühlt hätten. Der Schulz-Hype war vielleicht die letzte Chance der SPD, eine Veränderung im Land herbeizuführen. Der ehemalige Kanzlerkandidat sprach augenscheinlich zunächst die Sprache der Mehrheit. Als jedoch klar wurde, wie mut- und kraftlos sein Programm war, wendeten sich die Menschen wieder ab.


Die AfD wird in diesem Land nichts zum Guten verändern können. Sie kann spalten und Angst machen. Aber sie kann auch Menschen politisieren, die lange die Hoffnung aufgegeben hatten. Statt dieses Potenzial zu nutzen und die Menschen von den eigenen Ideen zu überzeugen, überließ man sie ungläubig der AfD. Die verliert aber an Rückhalt. Die demokratischen Parteien können nur sehr wenige von ihnen auffangen. Der Rest hat noch nachdrücklicher das Gefühl, dass ihre Meinung keinen interessiert.


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