Fatale Dynamik

Lesedauer: 8 Minuten

Mehr Waffen erhöhen die Resilienz. Angesichts der unfassbaren Tat in Uvalde am 24. Mai 2022 klingt dieser Satz wie aus einer anderen Welt. Vor knapp zwei Wochen lief dort ein 18-jähriger Täter in einer Grundschule Amok. Er tötete 21 Menschen und zerstörte das Leben von weitaus mehr. Die Bewohner der Kleinstadt, die USA, die ganze Welt ist entsetzt über diese Bluttat. Gleichzeitig fliegen an vielen anderen Orten die Bomben und scharfe Munition wird verschossen. Es wird Zeit, die lobbykratische Geisterfahrt zu beenden und endlich einzusehen, dass Waffen niemals nur der Verteidigung dienen.

Die texanische Kleinstadt Uvalde ergänzt seit dem 24. Mai 2022 die Liste der Städte, in denen sich ein unfassbares Massaker ereignet hat. Der 18-jährige Täter marschierte dort schwer bewaffnet in die Robb Elementary School. Er tötete neunzehn Grundschüler und zwei Lehrerinnen. Zahlreiche weitere Personen wurden bei dem Amoklauf verletzt. Den Täter traf schließlich eine Polizeikugel tödlich. Die 15.000 Einwohner große Ortschaft im Südwesten Texas bleibt fassungslos zurück.

Traurige Routine

Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Besonders US-amerikanische Städte erlangen durch solche Vorfälle immer wieder traurige Bekanntheit. Doch auch in Deutschland sind derartige Exzesstäter leider keine Seltenheit. Die Tat in Uvalde weckt schmerzhafte Erinnerungen an die Amokläufe in Winnenden, in Heidelberg und in Erfurt. Letzterer jährt sich 2022 zum zwanzigsten Mal.

Die Bilder sind nach jedem Angriff die gleichen: Absperrbänder vor den Schulen, Polizisten, die Menschen aus dem Gebäude in Sicherheit bringen, weinende Angehörige, die angesichts dieser Taten zusammenbrechen. Jeder kennt diese Bilder. Jeder kennt aber auch die salbungsvollen Worte, die Politiker nach sämtlichen solcher Angriffe routiniert in die Kameras sprechen: Die Waffengesetze müssen verschärft werden.

Auch US-Präsident Joe Biden beeilte sich nach dem jüngsten Amoklauf, strengere Regeln beim Waffenverkauf in Aussicht zu stellen. Er vergisst dabei, dass viele seiner Vorgänger mehrmals in ihren Amtszeiten von ähnlichen Restriktionen gesprochen haben. Nichts hat sich seitdem geändert: Die Amokläufe gingen weiter, Familien wurden zerstört, Politiker erzählen die gleichen Lügen.

Im Waffenrausch

Joe Biden hat dieses Mal ein ganz besonderes Glaubwürdigkeitsproblem: Erst im vergangenen Jahr hatte der texanische Gouverneur Greg Abbott die Waffengesetze weiter gelockert und es Tätern wie Salvador Ramos spielend leicht gemacht, solche Taten zu verüben. Solche Gesetze begünstigen nicht nur Amokläufe an Schulen: Auch Supermärkte und andere Einrichtungen wurden in den letzten Jahren immer wieder Schauplatz brutalster Verbrechen. Erst vor knapp zwei Wochen eröffnete ein ebenfalls 18-jähriger Täter in einem Geschäft in Buffalo das Feuer und tötete dabei zehn Menschen.

Jeder weiß, dass kein einziger Politiker in den USA die Waffengesetze wirklich verschärfen möchte. Viel zu tief sind die Amtsträger mit der Waffenlobby verstrickt. Heute kommt quasi jeder Bürger der USA völlig legal an potentiell tödliche Schusswaffen. Die Hersteller hätten mit einem bösen Umsatzrückgang zu rechnen, würde in die amerikanische Waffenpolitik endlich Vernunft einziehen.

Auch international zeigen sich die USA in Punto Waffenhandel und -lieferungen selten bescheiden. Ungeniert diktieren sie anderen Nationen, mindestens 2 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Waffen auszugeben. Weltweit sind die USA Spitzenreiter bei den angeblichen „Verteidigungs“-Ausgaben.

Fatale Dynamik

Das Argument der Verteidigungsfähigkeit ist eine uralte Legende, um höhere Rüstungsausgaben zu rechtfertigen. Die Regierungen der Welt stecken Unsummen in Waffen und Kriegsgerät, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Auch Bündnispartnern steht man mit großzügigen Waffenlieferungen gerne zur Seite. Putin hat diese Logik weiter eskalieren lassen und nennt seinen Angriff auf die Ukraine nun einen Präventivkrieg, der den angeblich kriegslüsternen Bestrebungen der NATO etwas entgegensetzen soll.

Das Beispiel Ukraine zeigt deutlich, dass Aufrüstung immer eine gefährliche Spirale in Gang setzt. Keine Seite wird es jemals hinnehmen, dass andere Länder signifikant mehr in Rüstung stecken als man selbst. Steigende Rüstungsausgaben sind immer eine Provokation gegenüber anderen Staaten. Sie mögen die Gefechtsfähigkeit des eigenen Landes aufwerten, erhöhen aber immer die Kriegsgefahr. Im atomaren Zeitalter ist dieses Wettrüsten besonders gefährlich, weil territoriale Konflikte schnell zu einem globalen Inferno ausarten können.

Waffen für’s Schaufenster gibt es nicht. Es ist eine Lüge, wenn man behauptet, man besorgte sich nur deshalb Waffen, um anderen zu zeigen, wozu man unter gewissen Umständen in der Lage wäre. Wer sich eine Waffe anschafft, hat in letzter Konsequenz immer vor, diese auch einzusetzen. Salvador Ramos hat sich sein Gewehr nicht zugelegt, um damit ausschließlich auf Instagram zu prahlen. Er hatte ganz genau geplant, wo und wann diese Waffe zum Einsatz kommen sollte.

Lobbykratischer Realitätsverlust

Taten wie solche in Uvalde passieren in den letzten Jahren immer wieder. Die Täter sind in den meisten Fällen männlich. Bevorzugt schlagen sie an Orten zu, wo sich viele Menschen auf wenig Raum versammeln, zum Beispiel in Einkaufszentren oder in Schulen. Doch noch etwas anderes fällt ins Auge: Sehr viele dieser Taten ereignen sich in den USA. Immer wieder greifen Menschen dort zu Schusswaffen und richten Blutbäder an. Die Skrupellosigkeit und Brutalität der Täter erschüttern immer wieder, obwohl ähnliche Taten auch schon in Deutschland passiert sind.

Liegt es ausschließlich an den laxen Waffengesetzen, dass die USA immer wieder Schauplatz solch verheerender Taten werden? Sicher ist nicht nur die Rechtslage der Grund für die völlige Enthemmung der Amokschützen. Trotzdem hängt das eine direkt mit dem anderen zusammen. Viele Waffen in den USA sind nicht deshalb legal, weil führende Politiker Waffen per se für harmlos halten. Sie wissen um die Gefahren scharfer Waffen, haben sich aber in einem für sie sehr bequemen Lobbyumfeld eingerichtet.

Krankende Gesellschaften

Die schier grenzenlose Lobbyhörigkeit in den USA ist Ausdruck eines zutiefst kapitalistischen Politik- und Gesellschaftsverständnisses: Wer das beste Angebot vorlegt, bekommt den Zuschlag, egal, ob die Vorhaben moralisch vertretbar sind. Gepaart mit einer psychisch immer ungesünderen Gesellschaft sind Massaker wie in Uvalde vorprogrammiert.

Denn der große Einfluss von Lobbys und Wirtschaft auf die Lebenswirklichkeit der Menschen hinterlässt deutliche Spuren. Ist der Markt erst einmal entfesselt und wird keiner kapitalistischen Fantasterei Grenzen gesetzt, kommen die Menschen mit Fair Play immer weniger vom Fleck. In dieser Umgebung wächst eine Ellbogengesellschaft heran, der nicht jeder Zeitgenosse gewachsen ist. Viele menschliche Bedürfnisse bleiben auf der Strecke und die Gesellschaft entwickelt sich unweigerlich in eine fatale Richtung.

Es entsteht eine Gesellschaft der Individuen, in welcher der Zusammenhalt immer weniger zählt. Niemand gibt mehr auf den anderen Acht und so fällt gar nicht auf, dass einige wenige einem krankhaften Wahn verfallen. Wenn Politiker dann davon sprechen, man müsse mehr Geld in Waffen und Kriegsabenteuer investieren oder dass Lehrerinnen und Lehrer noch schwerer bewaffnet werden müssten, rechtfertigt das die menschenverachtende Weltsicht solcher Psychopathen.


Viele Länder dieser Welt haben mit krankenden Gesellschaften zu kämpfen. In ihnen scheint kein Platz mehr zu sein für Rücksicht und Verständnis. Die Menschen in diesen Ländern fühlen sich immer machtloser gegenüber politischen Entscheidungen, die zwar ihre Leben beeinflussen, bei denen sie aber nur wenig Mitspracherecht hatten. Es kommt zu persönlicher Isolation und manchmal eben auch zu Übersprungshandlungen. Erlaubt der Staat dann fast allen Menschen, eine Waffe mit sich zu führen, drückt der eine oder andere tatsächlich ab. Uvalde hätte verhindert werden können. Genau so wie andere Taten, die noch kommen werden.


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Die Alibi-Impfung

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Noch vor einigen Monaten konnten es die meisten kaum erwarten: Die ersten Impfstoffe standen in Deutschland kurz vor der Zulassung. Seitdem hat die Impfkampagne verschiedene Phasen durchgemacht. Nachdem nach deutlichen Startschwierigkeiten endlich genügend Impfstoff für alle da war, wich die Impfvorfreude einer regelrechten Impfeuphorie. Fast allen Menschen in Deutschland konnte ein Impfangebot gemacht werden. Der Fortschritt zeigte Wirkung, die Infektionszahlen schmolzen dahin. Seitdem verliert auch die Impfung zusehends an Popularität. Maßgeblichen Anteil daran haben die Vergünstigungen und Freiheiten, die neuerdings wieder ohne Pieks verfügbar sind.

Unzivilisierte Ungeimpfte

Wieder Ärger mit der Impfkampagne: Doch dieses Mal liegt die Schuld nicht bei Politik und Regierung. Stattdessen ist etwas eingetreten, was vor wenigen Wochen noch völlig undenkbar schien. Reihenweise verzichten Bürgerinnen und Bürger auf ihre Zweitimpfung. Anstatt aber geordnet und zivilisiert abzusagen, kreuzen viele einfach nicht zu ihren Terminen auf. Diesen Menschen scheint nicht bewusst zu sein, welchen Schaden sie der Impfkampagne und dem Kampf gegen die Pandemie damit zufügen.

Denn immerhin geht es hier nicht um geplatzte Kontrolltermine beim Zahnarzt. Es ist noch nicht lange her, da waren Impfstoffe absolute Mangelware. Besonders Deutschland trat beim Thema Impfen unbeholfen auf der Stelle, während Länder wie Israel den Einwohnern ein umfangreiches Impfangebot machen konnten. Erst mit der Zeit kamen die Impfungen in Deutschland ins Rollen. Im Sommer 2021 ist die Impfpriorisierung auch hierzulande weitgehend aufgehoben. Umso ärgerlicher ist es, wenn manche Leute kurzfristig und ohne Vorankündigung einen Rückzieher machen.

Sie nehmen damit anderen Menschen die Möglichkeit, sich zeitnah impfen zu lassen. Manche von ihnen fielen zwar nicht in die Priorisierungsgruppen, haben eine Impfung aber aus anderen Gründen nötig. Lange hofften sie auf die Zulassung wirksamer Impfstoffe. Und nun dürfen sie wegen solch rücksichtsloser Menschen unnötig lange auf ihre Impfung warten.

Sanktionen gegen die Impfdeserteure

Diese Spätzünder unter den Impfverweigerern kamen reichlich spät auf den Trichter, dass sie allein die Erstimpfung gegen jegliche Varianten des Coronavirus schützt. Ihre Entscheidung mag fragwürdig erscheinen, ist aber wohl nicht zu ändern. Das unentschuldigte Fehlen bei der Zweitimpfung ist aber bestimmt nicht die logische Schlussfolgerung daraus. Dieses Verhalten ist nachhaltig rücksichtslos und zeugt außerdem von einer absoluten Rückgratlosigkeit.

Anstatt sich einzugestehen, dass man die Impfung für völligen Quatsch hält oder einfach keine Lust auf die zu erwartenden Nebenwirkungen hat, gibt man lieber dem sozialen Druck nach und macht gehorsam einen Impftermin aus. Weil man durch die Erstimpfung seine Pflicht als guter Bürger erfüllt hat, kann man den Termin zur Zweitimpfung guten Gewissens sausen lassen. Soweit die Logik der ewig Erstgeimpften.

Manche befürworten nun allen Ernstes, Sanktionen gegen solche Menschen zu verhängen. Das ist traurig, aber scheinbar bitter nötig. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass die körperliche Unversehrtheit eines jeden einzelnen immer im Vordergrund stehen muss. Wer sich keinen Impfstoff injizieren lassen möchte, der sollte diese Freiheit weiterhin haben. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Menschen würden wegen ihrer Impfentscheidung bestraft, sondern einzig und allein wegen ihres rücksichtslosen Verhaltens ihren Mitmenschen gegenüber.

Die Alibi-Impfung

Dabei ist schon auffallend, wann die Bereitschaft zur Zweitimpfung nachgelassen hat. Die versäumten Termine liefen erst dann aus dem Ruder, als die Inzidenzwerte ins Bodenlose rauschten. Mit sinkenden Infektionszahlen nahm also auch die Impfbereitschaft ab. Vielleicht redeten sich manche Leute ein, bei einer scheinbar niedrigeren Bedrohungslage durch das Virus, könnte auf die Zweitimpfung verzichtet werden. Immerhin bedeuten die niedrigen Infektionszahlen auch, dass in vielen Bereichen kräftig gelockert wird.

So ist es seit einigen Wochen fast bundesweit nicht mehr nötig, eine vollständige Impfung oder einen tagesaktuellen negativen Corona-Test vorzuweisen, wenn man am normalen Leben teilnehmen möchte. Ungeimpfte sind nun nicht mehr verpflichtet, sich regelmäßig ein Wattestäbchen in die Nase rammen zu lassen, um ins Kino, in die Bar oder ins Restaurant zu gehen. Weswegen sollte man dann noch die Zweitimpfung über sich ergehen lassen? Immerhin ist allgemein bekannt, dass die Nebenwirkungen der meisten Präparate bei der Zweitimpfung deutlich heftiger ausfallen.

Diese Bürde möchte man natürlich nicht auf sich nehmen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Außerdem hat man mit der Erstimpfung ja bereits unter Beweis gestellt, dass man den Kampf gegen das Virus im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt. Niemand kann erwarten, dass man womöglich schwere Nebenwirkungen in Kauf nimmt, ohne das unmittelbar etwas dabei herausspringt.

Das Misstrauen kehrt zurück

Diese offensichtliche Denkweise entlarvt die angebliche Solidarität auf dem Weg zur Herdenimmunität als ein bloßes Scheinargument. Dass eine große Zahl an vollständig Geimpften ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Pandemie ist, spielt für viele Menschen zwar eine Rolle, viel wichtiger sind aber die Vergünstigungen, die nach einer Impfung winken. Die Vereinbarung eines Impftermins ist bei vielen leider auf nichts anderes zurückzuführen als sozialen Druck und die Sehnsucht nach einem Mindestmaß an Bequemlichkeit. Dafür nimmt man auch gerne die Nebenwirkungen in Kauf und tut nebenbei noch etwas Gutes. Entfällt diese Notwendigkeit aber, schwindet auch die Impfbereitschaft.

Dann bricht eine andere Denkweise wieder Bahn, die seit vielen Jahren unbemerkt vor sich hingegärt hat. Denn die Käuflichkeit der Politik hat auch vor Medizin und Pharmakonzernen nicht haltgemacht. Viele Menschen wissen heute nicht mehr, was und wem sie glauben sollen und welche Interessen tatsächlich hinter bestimmten Vorhaben stehen. Dieses pauschale Misstrauen wurde von der allgemeinen Furcht vor dem Virus und der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität zeitwiese überdeckt. Die Menschen hofften auf ein Wundermittel gegen das völlig neuartige Virus, das wie aus dem Nichts kam. Verständlicherweise sah die überwältigende Mehrheit die Impfung als den aussichtsreichsten Weg aus der Pandemie.

Als die Politik dann auch noch Lockerungen für Geimpfte zusicherte, gab es für viele kein Halten mehr. Die Aussicht auf ein Stück wiedergewonnene Normalität ließ viele die Bedenken gegen profitgetriebene Pharmaunternehmen zunächst vergessen. Doch schon heute argwöhnt viele, wie aggressiv die Politik die Impfung bewirbt. Manche fallen dann leichter auf Verschwörungstheorien herein, obwohl die eigentliche Intention der Impfwerbung doch der Schutz der Bevölkerung ist.


Doch immer mehr Menschen interessiert das nicht. Nach zahlreichen aufgedeckten Bezahlstudien und einem politischen Gebaren, das eher entzweit als eint, verzichten sie eher auf die Zweitimpfung, wenn es ihrer Meinung nach nicht unbedingt nötig ist. In ihnen schwelt ein Kampf zwischen Misstrauen und Bequemlichkeit. Der Sieger dieses Kampfes hängt von der jeweiligen Infektionslage ab. Immer offensichtlicher wird, dass nicht nur überfüllte Krankenhäuser und überforderte Gesundheitsämter in der Pandemie Zeugnis dafür sind, was in den vergangenen Jahren schieflief.


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Vertrauensbildende Maßnahmen

Lesedauer: 8 Minuten

Es helfen keine Lippenbekenntnisse, keine Ultimaten und anscheinend auch keine Rücktritte und Parteiaustritte. Die Union wird das Gespenst der Korruption nicht los. Mit den Herren Nüßlein und Löbe haben CDU und CSU erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das vielen in ihren Parteien nicht zu trauen ist. Das strukturelle Problem in der Union lässt sich kaum noch wegreden. Wie die Parteien und die Fraktion mit diesem Problem umgeht, ist eine Sache. Eine andere ist, welchen enormen Schaden Skandale wie die Maskenaffäre tatsächlich verursachen.

Einen Schritt voraus

Eigentlich sollte dieser Beitrag mit den Verfehlungen der beiden Bundestagsabgeordneten Nüßlein und Löbel beginnen. Doch wie es im Leben nun einmal so ist, holen die Ereignisse selbst den fleißigsten Blogschreiber gerne einmal ein. Pünktlich zur Einführung des neuen Lobbyregisters gab nun auch der thüringische CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann sein Mandat auf. Neben einer Verwicklung in die Maskenaffäre seiner Fraktionskollegen war er wohl in Lobbytätigkeiten für Aserbaidschan verstrickt.

Die dubiosen Nebentätigkeiten von Unionspolitikern haben ein wenig was von Zeitschleife. Immerhin sind die drei jüngsten aufgedeckten Skandale nur das vorläufige Ende einer langen Kette von Ungereimtheiten, Schattenkonten und Korruption. Auffallend ist dabei jedoch, dass bei den meisten dieser Enthüllungen Politikerinnen und Politiker von CDU und CSU im Brennpunkt standen.

Nüßlein, Amthor, Schäuble

Die Liste an unrühmlichen Vorgängern von Hauptmann, Löbel und Nüßlein ist ellenlang. Die neuesten lobbyistischen Entgleisungen kamen zu einer Zeit, als die Entdeckung der fragwürdigen Nebentätigkeiten des Youngsters Philipp Amthor noch lange nicht verdaut waren. Aber auch davor hat sich die Union häufig nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Es ist noch gar nicht so lange her, da stand die Unbestechlichkeit unseres Staatsoberhaupts in Frage. Geschickt zog sich der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff durch seinen Rücktritt aus der Affäre. Das Strafverfahren gegen ihn ging ohne einen Schuldspruch zu Ende. Davor hatten die schwarzen Konten von Wolfgang Schäuble und Helmuth Kohl das Vertrauen in die Volkspartei erschüttert.

Falsche Doktoren und schwarze Kassen

Aber nicht nur an der Lobbyfront ereignet sich ein Skandal nach dem nächsten. Auch in anderen Bereichen erweisen sich viele Unionspolitiker immer wieder als wenig vertrauenswürdig. Die erschlichenen Doktortitel von Herrn zu Guttenberg und Frau Schavan eskalierten beide Male in einer Lügerei, dass sich die Balken bogen. Wenigstens dieses würdelose Trauerspiele haben sich die wenigen anderen falschen Doktoren aus anderen Parteien gespart.

Immer deutlicher wird, dass es sich bei diesen ganzen Affären nicht um Einzelfälle handelt. Viel eher drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei der Union um ein strukturelles Problem handelt. Ganz offensichtlich ist einem Großteil der Politikerinnen und Politiker aus dieser Partei ein grundlegendes Gespür für Moral und Ehre verlorengegangen. Anders lässt sich das Verhalten einiger Entlarvten nicht deuten. So ließ sich Ex-Kanzler Kohl als Ehrenvorsitzender feiern, obwohl er den Karren längst in den Dreck gefahren hatte. Annette Schavan trat nach dem Plagiatsskandal erneut im Wahlkampf an – und erdreistete sich sogar, den aberkannten Doktortitel auf dem Wahlzettel beizubehalten. Auch Georg Nüßlein macht keine Anstalten, sich aus dem Bundestag zu verabschieden. Zukünftig bezieht er als fraktionsloser Abgeordneter die üppigen Diäten.

Finanzieller Vorteil

Seit sechzehn Jahren trägt die Union Regierungsverantwortung für Deutschland. Gepaart mit der inhärenten Wirtschaftsnähe dieser Partei entsteht ein äußert unguter Mix. Die Skandale um Abgeordnete und Politiker sind dabei nur der extremste Auswuchs dieser fatalen Symbiose. Schaut man sich die Summen an Spenden von Unternehmen und Konzernen an, wird man schnell feststellen, dass CDU und CSU mit Abstand Spitzenreiter in dieser Kategorie sind.

Die wirtschaftsnahen Positionen der Union werden zusätzlicher Anreiz für die Wirtschaftsakteure gewesen sein, ihr Geld in diese beiden Parteien zu investieren. Durch diese großzügige finanzielle Ausstattung hatte der Parteienverbund im Wahlkampf natürlich stets einen deutlichen Vorteil gegenüber der politischen Konkurrenz. Oder glaubt ernsthaft noch jemand, es ist ein Zufall, dass die Union nach Rezo und den zahlreichen Skandalen noch immer die Hosen im Land anhat?

Gewöhnlich korrupt

Eine wichtige Rolle hat hierbei bestimmt auch der Gewöhnungseffekt gespielt. Die Bundesrepublik gibt es seit 72 Jahren. In 52 davon regierte die Union. Allein die derzeitige Regierungsperiode dauert seit sechzehn Jahren an. Natürlich möchten CDU und CSU ihre Macht nicht ohne weiteres aufgeben. Die Bereitschaft, sich durch Korruption an der Macht zu halten, wächst. Dass es ohne Bestechlichkeit bei der Union nicht geht, hat die lange Amtszeit von Helmut Kohl als Bundeskanzler gezeigt. Die Spendenaffäre wurde zwar erst 1999 aufgedeckt, die Konten bestanden aber wohl über die gesamte Amtszeit des eisernen Kanzlers hinweg.

Auch wenn sich viele Abgeordnete der Unionsparteien bestens in dieser korrupten Umgebung eingerichtet haben, dürfen sich echte Demokraten nicht an diesen Zustand gewöhnen. Die Verfehlungen in der CDU und CSU sind nicht nur eine Schande für unser Land, sie sind eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie. Denn die teilweise kriminellen Machenschaften einzelner Abgeordneter bringen das demokratische System weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus in Verruf. Solange es solche Skandale gibt, solange wird der Ruf des korrupten Halunken pauschal allen Politikern anhaften.

Aber nicht nur die politisch Aktiven geraten durch ein solches Verhalten in Misskredit. Auch rechtschaffende und fleißige Unternehmer sind von dieser Rufschädigung nicht ausgenommen. Es gibt bestimmt mehr als genug korrupte Geschäftsleute auf dieser Welt. Und der Kapitalismus darf nicht das Ende der Geschichte sein. Verstrickungen wie solche von Nüßlein und Löbel lassen aber an der Integrität ganzer Wirtschaftszweige Zweifel keimen.

Politik für’s Volk?

Als erklärter Gegner der Politik von CDU und CSU könnte man sich eigentlich darüber freuen, dass sich die Schwesternparteien gerade selbst demontieren. Als erklärter Demokrat kann man das aber nicht. Die teilweise illegalen Lobbytätigkeiten mancher Politiker zeigen deutlich, wessen Interessen für die Union am meisten zählen. Völlig offensichtlich wird, für wen hier eigentlich Politik gemacht wird. Tipp: Das Volk ist es nicht.

Zurecht zweifeln viele daher an der angeblichen Volkssouveränität im Land. Das Bild des korrupten und verlogenen Politikers verfestigt sich soweit, dass selbst CDU-Chef Armin Laschet von einer „Raffke-Mentalität“ in seiner Partei spricht. Milde Strafen oder sogar Freisprüche wie im Falle von Ex-Bundespräsident Christian Wulff erschüttern zusätzlich den Glauben an die Justiz.

Viel Politik, wenig Anstand

Das hinterlässt Spuren. Bei der Bundestagswahl 2013 entschieden sich über 18 Millionen der Wahlberechtigten dazu, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Wahlbeteiligung lag auf einem beschämenden Tiefstand von rund 72 Prozent. Vier Jahre später verzichteten erneut 55 Prozent der vorigen Nichtwähler auf ihr Stimmrecht. Die Enttäuschung über die politische Entwicklung saß wohl noch zu tief. Doch auch bei den Erstwählern blieb eine satte Million den Wahlen fern.

Solche Zahlen lassen sich nicht damit erklären, dass die Wahlprogramme der Parteien die Wahlberechtigten nicht ansprachen. Mit sechs Fraktionen ist die Meinungspluralität im Bundestag so groß wie selten zuvor. Im Grunde gibt es sechs unterschiedliche Stoßrichtungen, wohin es mit Deutschland gehen soll. Das Problem muss tieferliegen. Viele haben das Vertrauen in den politischen Apparat an sich verloren. Schuld daran sind Menschen wie Georg Nüßlein und Nikolas Löbel. Sie sind schuld daran, wenn weniger Menschen zur Wahl gehen. Sie sind schuld daran, dass sich die Anständigen aus der Politik zurückziehen.


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