Der Ton wird rauer

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Politik funktioniert fast immer über Emotionen. Gute Politiker sprechen unsere innersten Bedürfnisse an, weil sie wissen, was wir uns wünschen. Sie nehmen unsere Wünsche ernst und zeigen Wege auf, wie diese in Erfüllung gehen können. Schlechte Politiker hingegen nutzen unsere Ängste aus, um Erfolg zu haben. In der Coronapandemie spielte Angst oft eine große Rolle. An manchen Stellen konnte man sich nicht sicher sein, ob die Politik diese Angst überwinden wollte oder mit ihr spielte. Spätestens seit der Diskussion um 2G ist aber klar: Angst und teils offene Drohungen sind inzwischen ein gängiges Mittel in der Politik.

Der beste Nährboden für Angst ist Unwissenheit. Etwas nicht zu wissen oder zu kennen, erzeugt nicht automatisch Angst. Und doch ist Angst oft auf Unkenntnis und fehlende Informationen zurückzuführen. Kleine Kinder fürchten sich im Dunkeln, weil sie nicht sehen können, was um sie herum geschieht. Durch kleine Lichtquellen wirkt im Kinderzimmer eigentlich Vertrautes plötzlich völlig beängstigend. Diese Urangst vor dem Unbekannten wohnt allen Menschen inne und soll uns vor zu großen Risiken bewahren.

Viele offene Fragen

Anfang 2020 wurde die Menschheit mit einem völlig neuartigen Virus konfrontiert. Sehr wenig war über die neue Krankheit bekannt. Die Übertragungswege waren zunächst ein komplettes Mysterium, ebenso wie die Frage, wie gefährlich das Virus ist. Die meisten Menschen hatten Angst und diese Angst führte dazu, dass sie vorsichtig waren. Auch der Staat musste auf die unübersichtliche Notlage reagieren. Geschäfte blieben wochenlang geschlossen, das öffentliche Leben schlief fast ganz ein. Im Frühjahr 2020 erlebten wir eine Welle der Solidarität, als die Menschen wieder stärker aufeinander Acht gaben, weil sie das Virus nicht einschätzen konnten.

Inzwischen sind anderthalb Jahre vergangen. Viele haben sich zwischenzeitlich an ein Leben mit dem Virus fast gewöhnt. Es ist für sie normal geworden, auf öffentlichen Plätzen und in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen. Auch können viele das Virus heute besser einschätzen. Kennen tun es aber weiterhin nur die wenigsten.

Durch himmelschreiende Schlampereien bei der Datenerfassung, durch zahlreiche Skandale und wegen völlig kaputtgesparter Gesundheitsämter sind auch fast zwei Jahre nach den ersten Infektionen viele Fragen zu Covid-19 ungeklärt. Es ist bis heute nicht abschließend geklärt, wo die Hotspots für Infektionen liegen und wer als Pandemietreiber in Frage kommt. Man rühmt sich seit neun Monaten dafür, einen Impfstoff entwickelt zu haben und kann doch nicht einmal sagen, wie wirksam die Präparate sind und wogegen genau sie wirken.

Ein Scheunentor für Verschwörungstheorien

Gerade weil der Kenntnisstand zur Pandemie so intransparent ist, sind viele Menschen weiterhin verängstigt. Eine seriöse Risikobewertung war ihnen nie möglich. Darum ließ die Mehrheit einen Lockdown nach dem anderen über sich ergehen, akzeptierte Ausgangssperren und ließ sich mit kurzfristig erprobten Impfstoffen gegen das Virus immunisieren. Die Angst war dabei stets ein Treiber im Kampf gegen die Pandemie.

Die Regierung verließ sich bisweilen auf eine äußerst fragile Datenlage. Anstatt die Gründe für diese Intransparenz kritisch zu hinterfragen, rechtfertigte sie die weitreichenden Einschränkungen mit einem äußerst fragwürdigen Kenntnisstand. Dieses Vorgehen lud regelrecht dazu ein, sich seine eigene Wahrheit zusammenzuschustern. Mancher ließ sich dabei von seiner Vernunft leiten, andere neigten zu Übervorsicht oder einem äußerst laxen Umgang mit den Sicherheitsvorkehrungen. Wieder andere huldigten wirren Hetzrednern und haben seitdem jeglichen Bezug zur Realität verloren.

Die neuesten Zahlen

Betrachtet man die Berichterstattung zur Pandemie, so kann einem recht schnell Angst und Bange werden. Mit immer verfeinerten Kennzahlen versucht man seit 2020, die Gefährlichkeit des Virus abzubilden. Der große Nachteil solcher Erhebungen ist allerdings, dass über das Zustandekommen der Ergebnisse oft wenig bekannt ist. Die Gesamtzahl der Neuinfektionen von 2020 wich alsbald dem Inzidenzwert, der die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen in Relation zu einer bestimmten Einwohnerzahl ausgibt. Immer lauter werden allerdings die Zweifel an diesem Wert. Wenn für Ungeimpfte eine generelle Testpflicht besteht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein Ungeimpfter positiv getestet wird. Nicht höher liegt dann allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass er stationär behandelt werden muss oder bereits mit dem Tode ringt. Die Gefährlichkeit der Krankheit lässt sich so nur unzureichend erfassen.

Monatelang verließ sich die Tagesschau fast ausschließlich auf die Zahl der Neuinfektionen. Die Nennung der neuesten Infektionszahlen war lange Zeit fester Bestandteil jeder Sendung. Das hatte einerseits einen informativen Charakter, machte den Menschen bei hoher Zahl aber Angst und verleitete zur Unvorsicht, wenn am Abend zuvor nur von 200 Neuinfektionen bundesweit die Rede war.

Die falschen Schlüsse

Auch die Bilder leergeräumter Supermarktregale verfehlten häufig ihren Zweck der reinen Informationsweitergabe. Stattdessen führten sie zu einer Welle der Nachahmer, die innerhalb weniger Tage auch hierzulande zum Notstand im Einzelhandel führten. Auch die Bilder von Leichensäcken und Behelfsfriedhöfen erinnerten eher an ein Kriegsszenario. Zwar befanden sich die Gesundheitssysteme mancher Länder jenseits des Kollaps, doch bewirken auch die seriösesten Beschwichtigungen wenig im Angesicht solcher Bilder. Der Verweis auf ein stabiles deutsches Gesundheitssystem säte eher Zweifel als Vertrauen.

Den meisten Menschen war sowieso klar, dass auch unser Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen stieß. Plötzlich war von Ärztinnen und Ärzten und von Pflegekräften die Rede, die nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Begründet wurde all das mit einer höheren Belastung durch die Pandemie. Es ist unstrittig, dass Covid-19 zu einem Anstieg der stationären und intensivmedizinischen Behandlungen führte. Am Limit war das Gesundheitspersonal allerdings lange vor Corona. Statt in der Notlage die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, sah man tatenlos dabei zu, wie mitten in der Pandemie 20 Krankenhäuser geschlossen wurden und die Sana-Kliniken trotz Coronahilfen ausgerechnet beim Personal den Rotstift anlegten.

Der Druck steigt

Durch diese falsche Prioritätensetzung wich die Politik der Angst schon bald einer Politik des Drucks. Die Bilder von überfordertem Klinikpersonal nutze man geschickt dazu, um daraus die passenden Schlüsse zu ziehen. Solch katastrophalen Zustände ließen sich nur dann abwenden, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft sei. Die Aussicht auf lukrative Vergünstigungen erhöhte die Impfbereitschaft weiter. Immer mehr Menschen jenseits der Risikogruppen nahmen das Impfangebot wahr. Der soziale Druck stieg.

Gleichzeitig hatten die Menschen das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Es war ihrer Impfbereitschaft zu verdanken, dass ein erneuter Lockdown in weite Ferne rückte. Indem man die Impfkampagne derart moralisch anreicherte, teilte man die Bevölkerung in gute und schlechte Menschen.

Im nächsten Schritt hob man die Testpflicht für Geimpfte auf. Dadurch stieg der Druck auf Ungeimpfte weiter. Immerhin mussten sie sich nun vor jeder öffentlichen Veranstaltung und vor jedem Besuch im Restaurant rechtfertigen, obwohl weiterhin nicht abschließend geklärt ist, in welchem Maße Ungeimpfte infektiöser sind als Geimpfte.

Der Ton wird rauer

Durch die Abschaffung der kostenlosen Tests brach sich endgültig eine Rhetorik der Drohgebärde Bahn. Entscheidend ist dabei nicht der Beschluss, dass Schnelltests in Zukunft kostenpflichtig sein sollen, sondern der Zeitraum zwischen Beschlussfassung und Inkrafttreten.

Immerhin liegen zwischen der Entscheidung und der Umsetzung zwei Monate und eine Bundestagswahl. Dieses großzügige Zeitfenster dienst nicht vorrangig dazu, den Ungeimpften entgegenzukommen, sondern erhöht den Druck auf diese Gruppe weiter. Unverhohlen droht man den Nicht-Geimpften an, sie durch die 2G-Regelung vollends vom öffentlichen Leben auszuschließen. Das Reden ist hier wichtiger als das Handeln. Solche Debatten sind nichts weiter als Drohgebärden. Die Drohung kann sich besonders gut entfalten, wenn zwischen Ankündigung und Einlösung genügend Zeit liegt.

Die Besserstellung von Geimpften ist seit Januar im Gespräch. Ihre Wirkung hat diese subtile Drohung nicht verfehlt. Die Impfquote schoss nach oben. Die Diskussion um 2G soll nun auch dem harten Kern der Impfrevoluzzer den Garaus machen. Warum Ungeimpfte plötzlich eine größere Bedrohung für die Allgemeinheit sein sollen, interessiert dabei nicht. Ebenso wenig, weswegen eine medizinisch angeblich so notwendige Maßnahme so viel Aufschub verdient. Den sanften Druck von gestern gibt es nicht mehr. Heute gibt die offene Drohung das Wort an.


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Mit harter Hand

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In der südwestdeutschen Landeshauptstadt Stuttgart ist es am vergangenen Wochenende erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Die hauptsächlich jungen Unruhestifter setzten sich über die geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hinweg und griffen Polizisten tätlich an. Die baden-württembergische Landesregierung möchte diesen Krawallen nun ein Ende setzen und stellt daher ein ungewöhnliches wie konsequentes Maßnahmenkonzept vor.

Stuttgarter Verhältnisse

Nach den wiederholt gewaltvollen Krawallen in Stuttgart greift die Landesregierung nun mit Härte durch. Am vergangenen Wochenende hatten sich mehrere hundert Menschen trotz polizeilicher Maßnahmen nicht an die Verordnungen zur Eindämmung der Covid-19 – Pandemie gehalten. In zahlreichen Fällen verstießen die hauptsächlich jungen Menschen gegen das allgemein gültige Abstandsgebot. Die Freitreppe am Stuttgarter Schlossplatz war dermaßen mit Leuten besetzt, dass sich die Polizei gezwungen sah, gegen die nicht genehmigte Versammlung vorzugehen.

Daraufhin kam es zu einzelnen gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten, die innerhalb kurzer Zeit in massive Ausschreitungen ausarteten. Vereinzelt bewarfen die Regelbrecher die Polizeikräfte mit Glasflaschen und anderen Wurfgeschossen. Insgesamt fünf Beamte wurden verletzt, es kam zu einer Vielzahl von Festnahmen.

Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobel (CDU) reagierte mit Entsetzen auf die Vorfälle vom letzten Wochenende: „Es ist mir absolut schleierhaft, warum sich immer wieder so viele Menschen an solchen Gewalttaten beteiligen. Zum Glück haben wir nun Maßnahmen beschlossen, die solche Eskalationen in Zukunft verhindern werden.“ Der Politiker bezieht sich dabei auf ein kürzlich vorgelegtes Maßnahmenpaket, das noch diesen Monat für Baden-Württemberg in Kraft treten wird.

Eiserner Besen gegen Krawall

Demnach behält sich die Landesregierung vor, in einzelnen Landkreisen strikte Ausgangssperren zu verhängen, wenn es zu häufig oder zu heftig zu derartigen Ausschreitungen kommt. Richtwert für diese Beschränkungen ist die Krawall-Inzidenz, die sich stark an den Inzidenzwerten zur Eindämmung der Coronapandemie anlehnt.

Ein Landkreis hat fortan mit Einschränkungen zu rechnen, wenn es innerhalb von sieben Tagen unter 100.000 Einwohnern zu einer bestimmten Zahl an Gewalteskalationen kommt. Kommen bei solchen Ausschreitungen Polizeibeamte zu Schaden, steigert das die Inzidenz zusätzlich, und zwar in Abhängigkeit von der Schwere der Verletzung.

Mehr Ordnung in drei Stufen

Die Landesregierung stuft hier zwischen unterschiedlichen Beschränkungsgraden ab. Ab einer Krawall-Inzidenz von 35 soll im gesamten Landkreis der Ausschank alkoholischer Getränke ausgesetzt werden. Weder gastronomische Betriebe noch der Einzelhandel dürfen dann alkoholhaltige Getränke verkaufen, bevor die Inzidenz nicht mindestens fünf Tage unter dem kritischen Wert liegt.

Steigt die Anzahl von Krawallen trotzdem, tritt die nächste Beschränkungsstufe in Kraft. Vorsorglich sollen dann alle Geschäfte schließen, die im Eingangsbereich mit großen Glasscheiben ausgestattet sind. Zu groß ist die Gefahr, dass diese durch Randalierer eingeschlagen werden. Hilft auch das nicht, kommt die dritte Beschränkungsstufe zum Einsatz. Sie sieht ein komplettes Einfrieren des öffentlichen Lebens vor. Außer Supermärkten und Discountern haben dann nur noch Arztpraxen und Einrichtungen geöffnet, die für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur vonnöten sind. Den Menschen im Landkreis bleibt es untersagt, das Haus ohne triftigen Grund zu verlassen. Darunter fallen medizinische Notfälle, die Lebensmittelversorgung, die Ausführung von Haustieren und der Weg zur Arbeit, sofern man in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Passierscheine sollen einem Missbrauch vorbeugen.

Ein wandelbares Konzept

Viele Gastronominnen und Gastronomen befürchten, dass sie die neuen Regelungen endgültig ihre Existenz kosten könnten. Corinna L. betreibt seit einigen Jahren ein kleines Lokal in der Stuttgarter Innenstadt. Der Corona-Lockdown trieb sie an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Durch die gerade in Kraft getretenen Lockerungen schöpfte sie neuen Mut für ihre finanzielle Zukunft. „Die nun beschlossenen Anti-Krawall – Regeln machen all meine Hoffnungen zunichte. Ich kann nur hoffen, dass sich die Menschen ab sofort benehmen“, beklagt die 41-jährige.

Währenddessen überlegen führende Politiker von Baden-Württemberg bereits, die neuen Maßnahmen auf weitere Bereiche auszudehnen. So sollen sämtliche Demonstrationen der selbsternannten Querdenker ab sofort aufgelöst werden, wenn eine bestimmte Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern gegen die Maskenpflicht verstoßen (Maskeninzidenz). Im Wiederholungsfall könnten derartige Demonstrationen und Kundgebungen für einzelne Landkreise für einen festgelegten Zeitraum komplett untersagt werden.

Geordnete Bahnen

Auch im Einzelhandel möchte man mit den neuen Regeln scheinbar hart durchgreifen. Wie aus bislang unveröffentlichten Gesprächsprotokollen hervorgeht, denkt man darüber nach, Kundinnen und Kunden zu sanktionieren, wenn es zu häufig zur Missachtung des Abstandsgebots an den Kassen kommt. In einem solchen Fall sollen die Geschäfte augenblicklich evakuiert werden und ihre Pforten erst am nächsten Geschäftstag wieder öffnen.

Möglich ist außerdem eine Übertragung der Maßnahmen auf den öffentlichen Personenverkehr. Mehrere Schienenunternehmen haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, sich an den Vorhaben der Landesregierung zu beteiligen. Man erhofft sich dadurch, dass das Ein- und Aussteigen auf baden-württembergischen Bahnsteigen wieder geordnet vonstattengehen kann. Steigen einzelne Fahrgäste zu häufig zu vorschnell in die Züge, fahren die Unternehmen den Bahnhof bis auf weiteres nicht mehr an (Rein-Raus – Inzidenz).

Ausnahmen für Geimpfte

Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) ist von den Vorhaben ebenfalls überzeugt. Allerdings kündigte sie bereits Ausnahmeregelungen für bereits Geimpfte an: „Alle beschlossenen Maßnahmen eignen sich wunderbar dazu, auch die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Es wäre nicht verhältnismäßig, Geimpfte in diesen Kampf miteinzubeziehen. Durch ihre Impfung haben sie sich ihre Freiheitsrechte bereits hart zurückerkämpft.“ Geimpften müssen alle bürgerlichen Rechte zuerkannt bleiben. Dazu gehören laut Justizministerium auch die Rechte auf Drängeln, Quetschen und Krawall.

Besonders im heiß diskutierten Fall um die Stuttgarter Freitreppe sollen weitere Personengruppen nicht in die Krawall-Inzidenz miteinfließen. Beispielsweise sollen Vorbestrafte ebenfalls von den neuen Regelungen ausgenommen sein. Da sie bereits im Vorfeld eine Strafe verbüßt hätten, könne man davon ausgehen, dass von ihnen eine geringere Krawallgefahr ausgehe. Sie seien in gewisser Weise gegen Krawall jeglicher Art immunisiert und müssten sich folglich auch an keine Beschränkungen halten. Die Landesregierung ist zuversichtlich, das Problem mit Ausschreitungen im Ländle zügig in den Griff zu bekommen.

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Nicht allein

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Es gab einmal eine Zeit, da war Corona der heißeste Scheiß. Jeder sprach darüber, jeder hatte Angst davor, jeder war vorsichtig. An Corona hat sich zwischenzeitlich wenig geändert, außer dass es fragwürdigen mutierten Zuwachs bekommen hat. Der Umgang mit der Pandemie hat sich allerdings sehr gewandelt – in vielen Bereichen leider nicht zum positiven. Ein gefühlt ewiger Lockdown und eine fehlende plausible Öffnungsstrategie erzeugte viel eher eine kontraproduktive Pandemiemüdigkeit. Doch ein laxer Umgang mit dem Virus ist und bleibt gefährlich.

Vier Nullen für Corona

Zu Jahresbeginn sah es so aus, als würden die verschärften Maßnahmen gegen das Coronavirus tatsächlich fruchten. Die Infektionszahlen und der Inzidenzwert gingen kontinuierlich zurück. Mit deutlich über 10.000 Neuinfektionen pro Tag lagen die Zahlen zwar weiterhin viel zu hoch, aber von den 30.000 im November und Dezember war man glücklicherweise wieder weit entfernt. Doch seit einigen Tagen verändern sich die Werte kaum noch. Es scheint, als hätten sie sich bei um die 10.000 eingependelt.

Die unweigerliche Schlussfolgerung daraus: Die jetzt geltenden Maßnahmen sind erschöpft. Ihre Wirksamkeit ist an ihre Grenzen gestoßen. Das mag so stimmen, aber was wäre dann der nächste Schritt? Nehmen wir die anhaltend hohen Zahlen in Kauf oder schärfen wir erneut nach? Sollen Restaurants und weite Teile des Einzelhandels noch länger geschlossen bleiben? Oder müssen wir unseren Blick noch stärker auf einen Bereich richten, der in den letzten Monaten immer mehr aus der Wahrnehmung geraten ist?

Die Privatpandemie

Es ist ein unumstößlicher Fakt, dass die jetzigen Infektionen nicht von Kontakten beim Friseur oder im Fitnessstudio herrühren können – die Geschäfte haben schließlich dicht. Der Übeltäter muss an anderer Stelle zu finden sein und da bleiben im Grunde nur zwei größere Felder übrig: die Arbeitsstätten der Menschen und der private Raum. Trotz fehlender Home-Office – Pflicht sind viele Betriebe und Unternehmen wieder auf das Arbeiten von zu Hause umgestiegen. Viel bedeutender für das Infektionsgeschehen sind hingegen private Treffen, bei der munter gegen die Kontaktbeschränkungen verstoßen wird.

Selbst wenn man solche Szenarien noch nicht selbst beobachtet hat, lassen sich fünfstellige Infektionszahlen nicht ausschließlich mit Ansteckungen im Büro erklären. Jeder weiß, dass der private Raum in vielen Fällen ein Hotspot ist, aber kaum jemand redet darüber. Einerseits sind Treffen in den eigenen vier Wänden kaum staatlicher Kontrolle unterworfen – und das ist gut so – andererseits herrscht bei vielen das Gefühl vor, allein mit ihrem Fehlverhalten zu sein.

Egozentrische Verdrängung

Statt sich nur mit einer anderen Person zu treffen, tun sich viele dieser Menschen gleich mit vier oder fünf Mitmenschen zusammen. Manche machen das regelmäßig, andere sporadisch. In einer bemerkenswerten egozentrischen Verdrängungsleistung blenden sie die etwaige Existenz anderer Regelbrecher konsequent aus. Sie scheinen offenbar zu vergessen, dass jeder, auch sie selbst, ein potentieller Superspreader ist. Sie ignorieren die Tatsache, dass ihre zahlreichen Gäste auch nach der Feier ein Leben haben und jedwede Bakterien und Viren in die Welt hinaustragen und an weitere Kontakte abgeben.

Obwohl sie sich in ihrem eigenen Zuhause absolut sicher fühlen, bleiben ihre Aktivitäten natürlich nicht vollkommen unbemerkt. Es gibt immer Menschen, die das Fehlverhalten mitbekommen. Mancheiner schüttelt darüber fassungslos den Kopf, andere lassen sich selbst zu einer rauschenden Party am nächsten Wochenende hinreißen – bei den anderen ist ja auch nichts schlimmeres passiert. Dass manche mit der Corona-Party von letzter Nacht geradezu herumprahlen, befördert die Kettenreaktion zusätzlich. Und solange man draußen die Maske trägt…

Danke für gar nichts

Die Menschen haben keine Lust mehr auf Corona. Und die Menschen haben keine Lust mehr, Kontakte einzuschränken, nur mit Maske einzukaufen und auf den Friseurbesuch zu verzichten. Neuerdings spricht man hier von einer Pandemiemüdigkeit. Jeder, dem diese Maßnahmen stinken und der sich nach dem Normalzustand sehnt, verhält sich absolut menschlich. Absolut unmenschlich ist es allerdings, eine Verlängerung des Endlos-Lockdowns herbeizuführen. Es ist zumutbar, seine Kontakte für eine begrenzte Zeit auf ein Minimum zu reduzieren. Es gibt keine zwingende Notwendigkeit, ständig miteinander abzuhängen. Man muss atmen und man muss einkaufen. Man muss aber keine Partys feiern.

Die Dauer des aktuellen Lockdowns lässt sich mit Müh‘ und Not vielleicht noch inkompetenten Politikern andichten. Die Höhe der Infektionszahlen sicher nicht. Hierfür sind in erster Linie die verantwortlich, die anscheinend nie gelernt haben bis 1 zu zählen und denen jegliches Rückgrat fehlt. Ihnen ist es zu verdanken, dass die vielen Anständigen im Land noch sehr lange Zeit auf große kulturelle Veranstaltungen, auf Besuche im Kino und nicht zuletzt auf ausgiebiges Feiern verzichten müssen. Sie sind schuld daran, dass einen noch lange ein ungutes Gefühl beschleicht, selbst wenn man sich an die Vorgaben hält.

Es gibt einen harten Kern an Idioten, welche die Maßnahmen von Anfang an mit Füßen getreten haben oder zumindest sehr früh damit anfingen. Dann gibt es wiederum solche Menschen, die sich zwar lange an die Regeln hielten, inzwischen aber auch immer öfter Ausnahmen machen, weil sie die Einschränkungen leid sind. Um zu verhindern, dass auch diese Menschen das nächste Superspreader-Event schmeißen, müssen Kontakte zukünftig wieder klar nachverfolgbar sein. In Restaurants, Bars und Kinos mit strengen Hygieneauflagen ginge das sicherlich leichter als in den heimischen Wohnzimmern.

Raus aus der Illegalität

Die vorsichtige Öffnung von gastronomischen Betrieben und Einrichtungen des Kulturbereichs hätte gleich mehrere wünschenswerte Effekte. Einerseits wäre das Infektionsgeschehen zumindest teilweise wieder kontrollierbar. Immerhin lassen sich Besuche an solchen Orten und etwaige Kontakte leicht nachverfolgen. Wie mit legalen Drogen könnte man das Pandemiegeschehen so schrittweise in den Griff bekommen, weil sich Risikokontakte weniger im Verborgenen abspielen, sondern in aller Öffentlichkeit.

Auf der anderen Seite würden sich viele Menschen nicht mehr so eingesperrt fühlen wie sie es jetzt tun. Wichtige menschliche Bedürfnisse wie die Pflege sozialer Kontakte könnten ganz regelkonform erfüllt werden. Natürlich birgt der Besuch einer Kneipe in Pandemiezeiten ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Weil aber in der Öffentlichkeit jeder Maske tragen muss, ist das Risiko einer Ansteckung auch nicht höher, als wenn man sich im privaten Raum trifft – ohne Maske.

Gerade weil das Gefühl des Eingesperrtseins entschärft würde, hätten es die selbsternannten Querdenker schwerer, ihre Scharen zu rekrutieren. Natürlich würden sich auch weiterhin Menschen angesprochen fühlen, wenn von Abschaffung der Demokratie und DDR 2.0 die Rede ist, aber immerhin hätten die meisten Menschen weniger Grund, frustriert zu sein. Der Kampf gegen die Pandemie ginge weiter. Die Kumpanei mit dem Virus im privaten Raum wäre eingedämmt.


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