Politische Leerstelle

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In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Euphorie für politische Umfragen entwickelt. Beinahe fetischhaft verfolgen manche, wie es um die Gunst der Parteien bei den Wählerinnen und Wählern steht. Am Wahlabend erlebten sie dann so manche Überraschung. Doch Umfragewerte und Wahlergebnisse haben ein Problem: Sie werden von immer weniger Menschen gemacht. Viele Bürgerinnen und Bürger gehen entweder überhaupt nicht mehr zur Wahl oder sie wählen eine Partei, um eine andere Partei zu blockieren. Sie haben schlicht keine politische Vertretung mehr. Seit Jahren wächst diese Gruppe an politisch Verwahrlosten stetig an. Für die Demokratie ist das ein ernsthaftes Problem.

Überraschender Sieg

Der SPD ist bei der Bundestagswahl 2021 etwas gelungen, wovon sie viele Jahre nur träumen konnte: Sie wurde stärkste Kraft im Parlament. Altkanzler Schröder verfrachtete die Partei durch Sozialabbau und Hartz-Reformen für viele in die Unwählbarkeit. Angela Merkel trieb die Sozialdemokraten in insgesamt drei Großen Koalitionen vor sich her und hielt sie an der kurzen Leine. Durch den selbstgewählten Abtritt der ewigen Kanzlerin schöpfte die SPD neuen Mut und ging zögerlich, dann aber immer selbstbewusster in den Wahlkampf.

Am 26. September 2021 war die SPD die große Siegerin des Abends. Auch bei der Landtagswahl im Saarland im März 2022 triumphierte die SPD und holte sich sogar die absolute Mehrheit. Auch die Grünen treiben seit Jahren auf einem Hoch. Bei der Bundestagswahl 2021 schnitt die Partei sogar noch besser ab als beim Erdrutschsieg der FDP 2009.

Blinder Fleck

Der Erfolg der Parteien lässt sich spielend einfach an den Balken am Wahlabend ablesen. Nicht nur der Stimmanteil der Parteien wird dadurch wiedergegeben, auch die Gewinne und Verluste lassen sich mit der bewährten Methode darstellen. Doch seit Jahren verliert die klassische Lesart des Wahlergebnisses an Schlagkraft. Korkenknallen angesichts des Ergebnisses bei der Bundestagswahl gab es bestenfalls in der Parteizentrale. Eine echte Wechselstimmung wie nach der Abwahl von Helmut Kohl gab es unter den Bürgerinnen und Bürgern nicht.

Dabei sind die Gewinne und Verluste der Parteien mitunter beträchtlich. Die Euphorie im Volk bleibt trotzdem aus. Es gibt bei den Balken und Tortendiagrammen am Wahlabend einen immer größer werdenden blinden Fleck: die Nichtwähler und solche Wähler, die ihr Kreuz zufällig vergeben haben.

Zum Nichtwähler gemacht

Betrachtet man nämlich die Wählerwanderung, stellt man schnell fest, dass die etablierten Parteien gar nicht so sehr in Konkurrenz zueinander stehen, wie sonst immer beschworen wird. Es gibt Abwanderungen von einer Partei zur anderen, doch die zahlenstärksten Verluste müssen die meisten Parteien schon lange ans Lager der Nichtwähler abdrücken. Auf Landes- und Kommunalebene wiegt dieser demokratische Verlust besonders schwer: Bei der Landtagswahl in NRW am 15. Mai blieb fast die Hälfte der Wahlberechtigten den Wahllokalen fern.

Solch demokratieschädlichen Zustände als Erfolg für einzelne Parteien oder gar die parlamentarische Demokratie zu feiern, grenzt an Realitätsverweigerung. Wenn fast 50 Prozent der Bevölkerung nicht zur Wahl geht, steht am Ende die Hälfte ohne politische Vertretung da. Reflexartig reagieren manche da mit Häme und verbieten den unglückseligen Vertretungslosen zu jammern. Immerhin haben sie ihr Schicksal selbst so gewählt, als sie nicht an der Wahl teilnahmen.

Andersrum wird ein Schuh daraus: Das fehlende politische Angebot, die häufigen Enttäuschungen mit Politikern und das Gefühl, von der Politik nicht ernstgenommen zu werden, trieb viele dieser Menschen zu ihrer Entscheidung, am Wahlsonntag nicht das Haus zu verlassen. Die fehlende politische Repräsentanz dieser Leute ging ihrer verpassten Stimmabgabe voraus.

Verengtes Spektrum

Verluste fahren seit Jahren vor allem zwei Parteien ein – selbst unter denen, die noch zur Wahl gehen. Den beiden ehemaligen Volksparteien CDU und SPD laufen die Wähler davon. Die beiden „Großen“ verlieren besonders viele Wähler ans Nichtwählerlager. Die Klientel anderer Parteien ist hingegen relativ stabil, wenn nicht sogar im Aufschwung. Grüne und FDP durften sich bei den letzten Wahlen über das Krönchen der Königsmacher freuen, weil ohne sie keine Regierung zustandekam.

Doch das Spektrum von Grünen bis AfD reicht bei weitem nicht aus, um das vielfältige Meinungsspektrum im Land abzubilden. Die sogenannten Klientelparteien können gar nicht allen Menschen eine politische Heimat bieten, das ist auch gar nicht ihre Aufgabe. Doch die beiden Volksparteien sind mittlerweile so beliebig und profillos geworden, dass es für viele Menschen überhaupt keinen Unterschied mehr macht, wen sie wählen. Diese Erkenntnis ist meist der erste Schritt zu den Nichtwählern. Wenn meine Stimme sowieso keinen Unterschied macht, dann kann ich es auch gleich bleiben lassen.

Personalfragen

Die Festung, die CDU und SPD einst bildeten, bröckelt. Nach Jahren der beinahe zwanghaften Kooperation befinden sich beide Parteien in einem desolaten Zustand. Immer weniger werden diese Parteien wegen ihres Programms gewählt, dafür gibt es Grüne und FDP. Stattdessen versuchen viele Wählerinnen und Wähler durch die Wahl von CDU und SPD potenzielle Koalitionen zu ermöglichen oder auszuschließen. Im Fokus des Wahlkampfes 2021 stand nicht, ob CDU oder SPD die Wahl gewinnen. Im Fokus stand, mit wem Baerbock und Lindner regieren werden.

Mit solchen Personalfragen können die meisten Menschen nichts anfangen. Für sie ist nicht entscheidend, wer an der Spitze steht, sondern ob Politik in ihrem Sinne gemacht wird. Sie haben in den letzten Jahren immer wieder erfahren, dass ihre Bedürfnisse und Probleme die Entscheidungsträger in Bund und Land immer weniger interessieren. Sie können mit einem Tempolimit auf der Autobahn nichts anfangen, weil sie darin eine Beeinträchtigung ihres Lebensstils erkennen – und zwar ausschließlich das. Gendern und vielfältige Sprache empfinden sie als Bevormundung, nicht als Bereicherung. Und wenn ein Cem Özdemir (Grüne) die Ramschpreise für Obst und Gemüse abschaffen will, dann gibt es für sie Tütensuppe.

Viel Gerede um nichts

Geht doch einmal die Wundertüte um, sind viele bestenfalls Zaungäste, während andere beherzt hineingreifen. Der Pflegebonus und die Grundrente sind gute Ideen, von denen aber viel zu viele Menschen ausgeschlossen sind. Für viele macht es nach 40 Beitragsjahren unter’m Strich kaum einen Unterschied, ob sie die reguläre Mickrigrente oder die viel gepriesene Grundrente bekommen. Geredet wird über solche Pläne lange und ausgiebig, bei rum kommt dafür viel zu wenig.

Die Friseurin, die knapp zwei Jahre nach dem ersten Lockdown dringend darum gebeten wird, die zu viel gezahlten Coronahilfen unverzüglich und am besten auf einen Schlag zurückzuzahlen, dürfte eher zerknirscht sein, wenn sich große Konzerne großzügig vom Staat durch die Krise hieven lassen, gleichzeitig aber Rekordgewinne verzeichnen und fleißig Dividenden ausschütten. Eine solche Ungleichbehandlung zerstört das Vertrauen in einen durchsetzungsstarken und bürgernahen Staat. Denn Entlassungen gab es in solchen Konzernen trotzdem.

Premiere in der Bundesrepublik

Für solche Schicksale und Ungerechtigkeiten gibt es aktuell keine ernstzunehmende Kraft im deutschen Parteiensystem. Eine Zeit lang hofften einige Menschen, bei der AfD eine neue politische Heimat gefunden zu haben. Doch alsbald mussten sie feststellen, dass diese Partei überhaupt keine Chance hat, das Zepter zu übernehmen, doch nicht so treusorgend ist, wie sie sich immer geriert oder sie aufgrund innerparteilicher Querelen in diesem Leben nicht mehr aus dem Quark kommt. Wer nicht davor schon Nichtwähler war, der ist es dafür heute.

Einzig Die Linke würde gemäß ihrem Parteiprogramm eine politische Vertretung für diese Menschen sein. Sie ist es aber nicht. Viel lieber begnügen sich die demokratischen Sozialisten damit, die sozialeren Grünen zu sein. Seit sie in der Regierung sitzen, ist es bei den Grünen mit sozialen Vorhaben nämlich auch nicht mehr weit her. Und so erlebt die Bundesrepublik gerade etwas, was in ihrer Geschichte noch nicht vorkam: Eine Partei gibt sich komplett auf.

Eine exklusive Demokratie

Die sozialen Forderungen der Linken sind zwischenzeitlich nur noch Beiwerk einer Partei, die sich mit bestimmten personellen Entscheidungen längst mit der Rolle als Steigbügelhalter der Grünen abgefunden hat. Dieser Verrat an den Grundwerten und der Stammwählerschaft der Partei schlägt sich auch in deren Wahlergebnissen nieder. Die Linke kann sich anstrengen, wie sie will: Sie wird von den Wählerinnen und Wählern nicht mehr als die soziale Opposition wahrgenommen.

Dem vorausgegangen ist ein jahrelanger Kraftakt des politischen Zerstörungswillens, um das einzureißen, was andere über lange Zeit aufgebaut hatten. Man überließ manche Politikfelder komplett den Rechten und schlug den Wählern damit sprichwörtlich ins Gesicht. Wenn sich eine Partei so verhält, beschädigt sie die Demokratie enorm. Sie lässt es sehenden Auges zu, dass ein großer Teil der Bevölkerung ohne politische Vertretung im Parlament bleibt oder zwingt diese Menschen regelrecht, sich Parteien zuzuwenden, die ganz sicher nicht in ihrem Sinne agieren.

Seit Jahren ist Die Linke fleißig damit beschäftigt, ihrer Parteigeschichte einen Sargnagel nach dem anderen zu verpassen. Die SPD hat sich mal wieder in einer Regierung verheddert, in der sie viele sinnvolle Ziele nicht umsetzen kann. Mit der FDP auf den Regierungsbänken wird es keinen sozialen Aufschwung in unserem Land geben. Es scheint allmählich Normalität zu werden, dass manche Menschen politisch den Kürzeren ziehen. Eine Demokratie darf sich so etwas nicht erlauben. Die Bundesrepublik Deutschland darf kein Land werden, indem sich nur noch die Bessergestellten einbringen und eine Stimme haben.


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Krisenverlierer

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Die Linke hat es dieser Tage nicht leicht. Der völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine stellte ihr Russlandbild auf den Kopf. Im Raum stand sogar ein Ja zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Diese Grundsatzentscheidung lieferte neuen Zündstoff im scheinbar ewig währenden innerparteilichen Streit. Auch bei diesem Thema befasst sich die Partei lieber mit der Abstrafung einzelner Abweichler aus den eigenen Reihen, statt mit den realen Problemen der Menschen im Land. Dadurch verspielt die Partei zunehmend an Glaubwürdigkeit und kann keine überzeugenden Antworten mehr liefern. Doch gerade jetzt ist eine starke Linke mehr gefragt als je zuvor…

Kurskorrektur extrem?

Der Krieg in der Ukraine stellt Die Linke erneut vor eine harte Bewährungsprobe. Konsequent stellte sich die Partei gegen jede Form von Kriegsbeteiligung und Waffenlieferungen. Ihr besonderes Verständnis für Russland brachte sie immer wieder in Bedrängnis. Ein ums andere Mal verwiesen Mitglieder der Partei auf die amerikanischen Verfehlungen und deren kriegerischen Verstrickungen im Nahen Osten.

Nach Putins völkerrechtswidrigem Einmarsch in die Ukraine soll nun alles anders sein. Der ehemalige Parteichef Gregor Gysi zeigte sich wohlwollend gegenüber den Plänen der Bundesregierung und der Oppositionsführerin Union hinsichtlich des weiteren Umgangs mit der Ukraine und Russland. Von ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Waffenexporten wich die Partei trotzdem nicht ab. Sie hält fest an dem Grundsatz, dass sich Deutschland nie wieder an Kriegen beteiligen dürfe.

Harte Worte

Eine Handvoll Abgeordnete der Linken waren über Gysis Appell dermaßen empört, dass sie im Anschluss an die Abstimmung im Bundestag eine Erklärung abgaben, in der sie auf eine Mitverantwortung der NATO an der entstandenen Situation hinwiesen. In einem Brandbrief reagierte Gregor Gysi auf diese Stellungnahme. Er zeigte sich entsetzt über „die völlige Emotionslosigkeit“ des sogenannten Wagenknecht-Lagers.

Einmal mehr ist ein offener Streit in der Partei Die Linke entbrannt. Dieses Mal geht es nicht um Koalitionsfragen oder das Gendern. Es geht um eine Grundsatzfrage der demokratischen Sozialisten: Wollen sie die NATO weiterhin grundlegend ablehnen und Waffenlieferungen für alle Zeiten ausschließen? Es geht dieses Mal aber auch um die Existenz einer Bundestagsfraktion.

Ein hoher Preis

Die Linke zog im vergangenen Jahr mit Ach und Krach in den Bundestag ein. Bereits am Wahlabend sackte sie in Hochrechnungen unter die 5-Prozent – Hürde. Sie verdankt es drei Direktmandaten, dass sie überhaupt eine Fraktion bilden kann. Es reicht aus, wenn drei Mitglieder die Fraktion verlassen, damit die Partei den Fraktionsstatus verliert und ein Dasein als Abgeordnetengruppe fristen muss. Dann nämlich würde die Anzahl der in den Bundestag eingezogenen Mitglieder weniger als 5 Prozent der Gesamtzahl der Parlamentarier ausmachen.

Dieses Szenario ist nach dem Eklat um die Wagenknecht-Erklärung und Gysis Reaktion darauf nicht unwahrscheinlich. Der Linken-Ikone Wagenknecht wurde in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten der Parteiaustritt nahegelegt. Sowohl Feinde von linker Politik als auch deren Unterstützer sahen für Sahra Wagenknecht keine Perspektive in der Partei. Sie attestierten eine zunehmende Entfremdung zwischen der Politikerin und ihrer Partei.

Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch das angestrebte Parteiausschlussverfahren gegen Sahra Wagenknecht im letzten Frühjahr. Einzelne Mitglieder der Partei reagierten damit auf das damals gerade erschienene Buch der Abgeordneten, in dem sie heftige Kritik an der politischen Linken und deren Umgang mit bestimmten politischen und gesellschaftlichen Fragen übte. Es bleibt abzuwarten, ob eine solch opportunistische Entrüstung erneut gegen Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer hereinbricht. Ihr Mann Oskar Lafontaine ist einem drohenden Parteiausschluss inzwischen zuvorgekommen: Er trat in der zurückliegenden Woche aus der Partei aus.

Chance für die Kleinen

In den letzten Jahren reihte sich an eine Krise an die andere. Die Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) war überschattet von Ereignissen, die das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Politik nachhaltig erschüttert hat. Dass sich die ehemalige Kanzlerin gleich dreimal in ihrer Amtszeit für eine Große Koalition entschied, hat diesem Trend sicher nichts entgegengesetzt. Volksparteien können in schwierigen Situationen eine politische Heimat bieten und in der Krise effektiv zusammenarbeiten. Wenn diese Kollaboration allerdings zu einem Dauerzustand wird, verlieren die großen Parteien an Schärfe und Profil. Die Wählerinnen und Wähler wenden sich dann lieber den kleineren Parteien zu, von denen sie sich einen Kurswechsel erhoffen.

An keiner anderen Partei kann man dieses Phänomen in den letzten Jahren so gut beobachten wie bei der AfD. Die Partei war kaum aus der Taufe gehoben, da rannten ihr enttäuschte Wähler die Bude ein. Manche von ihnen haben das Vertrauen in die etablierten Parteien für immer verloren, auch Die Linke konnte ihnen kein politisches Angebot machen.

Das letzte Mal, dass diese Partei ihr Profil wirklich schärfen und neue Wählerinnen und Wähler hinzugewonnen konnte, war die Finanzkrise ab dem Jahr 2008. Bei der Bundestagswahl 2009 fuhr Die Linke mit knapp unter 12 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis ein.

In die rechte Ecke

Heute ist die Partei von einem solchen Traumergebnis meilenweit entfernt. Die Herausforderungen durch den großen Flüchtlingsstrom ab 2015 bot dieser Partei massenweise Ansätze, um zu ihrer alten Stärke zurückzufinden. Trotzdem wirkte sie auf viele Wahlberechtigte wenig vertrauenswürdig. Die Wählerinnen und Wähler entschieden sich stattdessen für andere Parteien – allen voran die AfD.

Es wäre mit linker Politik nicht vereinbar gewesen, hätte die Partei damals die Schließung sämtlicher Grenzen gefordert. Viele schlossen daraus aber, es wäre die beste Lösung, die Arme aufzureißen und alle Geflüchteten unreflektiert ins Land zu lassen. Das war genau so naiv und kurzsichtig wie jegliche Kritik an dieser Art der Flüchtlingspolitik sogleich in die rechte Ecke zu verbannen. Man darf sich über steigende Wahlergebnisse der AfD nicht wundern, wenn man einen beträchtlichen Teil der Wähler dort sehen möchte.

Krisenverlierer

Seit Jahren spielen die realen Probleme der Menschen im Land für viele Linke nur noch eine untergeordnete Rolle. Anträge zu diesen Themen werden zwar regelmäßig in den Bundestag eingebracht, trotzdem wenden sich immer mehr Wählerinnen und Wähler ab. Sie kennen beide Gesichter der Partei: einerseits die Verfechterin für soziale Gerechtigkeit und die Heimat für Abgehängte und Entrechtete, andererseits den moralischen Zeigefinger, der bestimmte Äußerungen und Verhaltensweisen tabuisiert. Beides gleichzeitig geht nicht. Die Linke muss sich endlich entscheiden, welchen Weg sie geht. Die ständigen Richtungsstreitereien verprellen die Wählerschaft umso mehr.

Auch in der Zeit der Coronapandemie blieb Die Linke erschreckend lange stumm und farblos. Auch nach zwei Jahren mit SARS-Cov-2 ist kein klarer Kurs erkennbar. Einerseits stimmt man in den Kanon einer aggressiven Impfkampagne mit ein, andererseits verheddert man sich in den kontroversen Aussagen einzelner Parteimitglieder.

Das gleiche gilt für die Haltung in der wieder entflammten Ukrainekrise. Man ist bereit, viele Prinzipien über Bord zu werfen, um sich von einer besonders lauten und medienwirksamen Minderheit in der Partei abzugrenzen. Diese Abgrenzung führt aber zu keiner eigenen Positionierung, sondern direkt in die Arme des politischen Mainstreams. Es ist daher kein Wunder, dass sich immer weniger Menschen ernsthaft vorstellen können, diese Partei zu wählen.

Massenweise Ansätze

In den Umfragen liegt Die Linke derzeit bei teilweise unter 5 Prozent. Selbst kurz vor der letzten Bundestagswahl lag sie höher und fuhr am Wahlabend trotzdem ein desaströses Ergebnis ein. Dabei ist eine parlamentarische Linke wichtiger als jemals zuvor. Die traditionell linksorientierten Parteien SPD und Grüne verabschieden sich immer mehr von klassischen linken Themen. Von ihnen ist in der laufenden Legislaturperiode kein großer Wurf in puncto soziale Gerechtigkeit zu erwarten, erst recht nicht mit der FDP in der Regierung.

Statt sich mit der nachhaltigen Bekämpfung des Pflegekräftemangels zu beschäftigen, begründet die Bundesregierung die katastrophale Lage in deutschen Krankenhäusern mit externen Faktoren wie der hohen Corona-Inzidenz und einer ausbaufähigen Impfbereitschaft. Sie verschwendet keinen Gedanken daran, dass hinter den unhaltbaren Zuständen grundsätzlich schlechte Arbeitsbedingungen, zu geringe Löhne und eine Impfpflicht steckt, welche die Lage zusätzlich verschärft.

Dazu kommt die weitere Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit, Kettenbefristung und Mini-Löhne, die garantiert in die Altersarmut führen. Gut zwei Drittel der jungen Menschen haben Angst davor, im Alter in die Armut zu rutschen. Besonders betroffen davon sind die Frauen. Linke Politik könnte sie hier effektiv abholen und im demokratischen Gefüge integrieren.

Auch die drohende Explosion der sowieso schon steigenden Heiz- und Energiekosten sind ein Thema, das linke Parteien unbedingt aufgreifen sollten, weil sie darauf potentiell gute Antworten geben können. Doch in all diesen Bereichen übertönt sich Die Linke durch innerparteiliche Querelen und Auseinandersetzungen selbst. Sie ist heute für viele eine Partei mit durchaus respektablen Ansichten, charismatischem Personal, aber einem enormen Glaubwürdigkeitsproblem. Die jüngsten Entwicklungen deuten eher darauf hin, dass die Partei dieses Problem so schnell nicht in den Griff bekommen wird und demnächst in die politische Bedeutungslosigkeit verschwinden könnte.


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Kanzlerkandidat aus Höflichkeit

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Die SPD bleibt sich treu: Auch in diesen Bundestagswahlkampf zieht sie frohen Mutes mit einem völlig unbrauchbaren Kanzlerkandidaten. Mit Olaf Scholz legt die ehemalige Volkspartei sogar noch eine Schippe oben drauf: Der treue Großkoalitionär und Hartz-IV – Verfechter soll möglichst überzeugend die Idee der sozialen Gerechtigkeit verkörpern. Mit ihm möchte die SPD wieder ins Kanzleramt ziehen, obwohl sich die Partei gefährlich der Einstelligkeit nähert. Doch auch seine aussichtsreicheren Kontrahenten vermögen es nicht, in der Bevölkerung die Hoffnung auf einen politischen Kurswechsel zu wecken. Dabei ist die Auswahl dieses Mal ungewöhnlich groß…

Der Dritte im Bunde

Die parlamentarische Sommerpause hat begonnen, der Wahlkampf nimmt allmählich an Fahrt auf. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten findet sich Armin Laschet in seiner neuen Rolle als Kanzlerkandidat immer besser zurecht. Die Grünen nominierten mit Annalena Bearbock im April ebenfalls eine aussichtsreiche Kandidatin für den Posten der Regierungschefin. Die Umfragen zeigen, dass sich beide Kandidaten berechtigte Hoffnungen machen dürfen, die nächste Regierung anzuführen.

Die Arena des Kanzlerkampfs müssen sich die beiden allerdings mit einem dritten Akteur teilen. Auch die SPD meldet Führungsansprüche an und schickt Olaf Scholz ins Rennen. Drei Kanzlerkandidaten vor einer Bundestagswahl hat es in Deutschland zuvor nicht gegeben. Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, könnte man nun meinen. Doch die Kandidatur von Olaf Scholz ist nichts weiter als ein schlechter Treppenwitz. Die SPD verweigert sich weiterhin der Realität und kommt nicht damit klar, dass sie selbst die zweite Geige im Staat längst abgegeben hat.

Klare Gewinner, klare Verlierer?

Schaut man sich die Umfragewerte zur Bundestagswahl an, so zeichnet sich ein klares Bild. Die Union ist mit Abstand die stärkste Kraft im Land. Deutlich abgeschlagen kommen die übrigen Parteien . Mit Ausnahme der Grünen schafft es keine von ihnen, auf über 20 Prozent zu kommen. Die Grünen sind die einzige Partei, die der Union gefährlich werden könnte. Ernsthafte Ambitionen, die nächste Regierung anzuführen, macht sich keine der übrigen Parteien – mit Ausnahme der SPD.

Nun haben sich die Umfragewerte besonders in letzter Zeit als wenig zuverlässig erwiesen. In Sachsen-Anhalt erlebte die AfD kürzlich ihr blaues Wunder. Trotzdem stimmte der grobe Trend in den Umfragen meistens. Das prognostizierte Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen CDU und AfD blieb zwar aus, allerdings behielten die Befragungen recht damit, dass diese beiden Parteien die beiden stärksten werden würden. Der AfD erging es wie vielen Parteien zuvor: Gebauchpinselt von wohlwollenden Umfragen fiel das letztendliche Wahlergebnis enttäuschend mager aus. Auch der SPD könnte es nach der Wahl am 26. September so gehen.

Germany’s Next Vizekanzler

Nach dem Schulz-Hype 2017 rechnete niemand ernsthaft damit, dass die SPD so desaströs verlieren würde. Seitdem waren die Sozen stets darum bemüht zu beweisen, dass es immer noch ein bisschen schlechter ging. Bei manchen Landtagswahlen landeten sie zwischenzeitlich im einstelligen Bereich. Das heißt aber lange nicht, dass die SPD nicht auch ein überraschend gutes Ergebnis einfahren könnte. Momentan liegt sie bei den Zustimmungswerten bei etwa 16 Prozent. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber durchaus möglich, dass sie bei der Wahl im September 20 Prozent holt.

Jeder weiß aber, dass die SPD meilenweit davon entfernt ist, die nächste Bundesregierung anzuführen. Rechnerisch sind mehrere Regierungsbeteiligungen drin. Doch ob Ampel, Deutschland oder Grün-Rot-Rot – bei allen diesen Farbenspielen nimmt die SPD nur eine untergeordnete Rolle ein. Die Omnipräsenz von Olaf Scholz bei der K-Frage lässt sich eigentlich nur so erklären, dass er den Kandidaten von Union und Grünen aufzeigen möchte, auf welchen Vizekanzler sie sich unter Umständen einlassen.

Ein alter Bekannter

Olaf Scholz ist aber auch aus anderen Gründen als Kanzlerkandidat völlig ungeeignet. Als ewiger Verfechter von Hartz-IV, Sozialabbau und Niedriglohn ist er einer der Gründe, warum die SPD so viele Wählerinnen und Wähler verloren hat. Er fügt sich zwar dem neuerlichen Kanon der Partei, mit dem sie fleißig nach links blinkt, doch ernsthafte kritische Töne zum antisozialen Kurs der letzten Jahre schlägt er nicht an.

Wie sollte er das auch glaubwürdig rüberbringen? Immerhin war Olaf Scholz an mehreren Bundesregierungen unter Angela Merkel beteiligt – immer in einer Großen Koalition. Als Vizekanzler seit 2018 machte er sich wohl Hoffnungen Angela Merkel auf ihrem Posten bald beerben zu können, doch für die meisten Wählerinnen und Wähler ist er nichts weiter als ein Architekt der allseits verhassten Großen Koalition. Als Mitglied der noch amtierenden Regierung hat er es natürlich schwer, echte Impulse für Veränderung zu setzen. Martin Schulz war da vor vier Jahren in einer deutlich komfortableren Position. Andererseits haben es auch Größen wie Willy Brandt vermocht, den Koalitionspartner trotz Ministeramt in die Opposition zu verbannen.

Keine Lust auf Neuanfang

Die Voraussetzungen für einen Machtwechsel im Kanzleramt sind jedenfalls denkbar günstig. Spätestens seit Angela Merkels Ankündigung, bei der Bundestagswahl 2021 nicht erneut anzutreten, stand fest, dass die Karten neu gemischt werden. Im Laufe der Monate hatten sich dann auch die drei Kanzlerkandidaten herauskristallisiert, obwohl das besonders bei der Union eine schwere Geburt war. Trotz des zwangsläufigen Kanzlerwechsels kam eine echte Wechselstimmung bislang aber nicht auf.

Angela Merkel machte sich in ihrer Amtszeit als Kanzlerin stets eine Heidenfreude daraus, ihre Koalitionspartner kaputtzuregieren und letztendlich von der Schwäche der anderen zu profitieren. Aber selbst zu ihren besten Zeiten lag mehr Wechselstimmung in der Luft als jetzt. Als Martin Schulz vor vier Jahren als der große Heilsbringer der SPD vermarktet wurde, da dachten viele, Merkels Kanzlerschaft endete nach zwölf Jahren. Die Kanzlerkandidaten von 2021 wirken blass und kraftlos im Vergleich zu St. Martin von 2017.

Künstlich erzeugtes Angebot

Der Schulz-Hype war womöglich die letzte Chance für die SPD, etwas in diesem Land zu bewegen. Doch wieder einmal verpassten die Sozen den Zug. Kurzzeitig gab es dieses Jahr einen vergleichbaren Trubel um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. Doch schon bevor ein ganz besonders spitzfindiger österreichischer Plagiatsjäger die Kanzlerkandidatin des Abschreibens bezichtigte, hatte sich die Euphorie um die potentiell erste grüne Kanzlerin schon wieder gelegt.

Merkels freiwilliger Rückzug wäre eigentlich die Stunde der SPD. 2017 feixte die einstige Volkspartei noch, als sie gegen Merkels Willen die Ehe für Alle durchsetzte. Solch ambitioniertes Aufbegehren gegen den Koalitionspartner lässt die SPD dieses Jahr lieber bleiben. Man möchte sich vor den Wählerinnen und Wählern schließlich als seriöse Partei gerieren und sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Vielleicht hat die Partei aber auch insgeheim eingesehen, dass ihr lautstarkes Gezeter gegen die Union im Wahlkampf wenig nützen wird.

Das Aufeinandertreffen der Kanzlerkandidaten am 20. Mai im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war ein Schlagabtausch mit Wattebäuschen. Die Teilnehmer bemühten sich zwar um Konfrontation, doch war jedem klar, dass sie mit Baerbock und Laschet zwei Wunschkoalitionspartner vor sich hatten. Die Anwesenheit von Olaf Scholz ließ das Spektakel dann vollends zur Farce verkommen. Mit drei Anwärtern ums Kanzleramt sollte den Zuschauerinnen und Zuschauern eine echte Auswahl vorgegaukelt werden. Längst ist vielen aber klar, dass keine der drei Kandidaten einen echten Wechsel herbeiführen wird. Und so bleibt eine echte Wechselstimmung weiter aus.


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