Brandmauer mit Substanz

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CDU-Chef Friedrich Merz im Kreuzfeuer: Seine unbedachten Äußerungen zur AfD haben ihn mal wieder in Teufelsküche gebracht. Die Brandmauer zur AfD steht bei den Konservativen nach wie vor auf einem wackeligen Fundament. Die Rechtsaußen-Partei lässt das weitgehend kalt. Sie erfreut sich an einem Umfragehoch nach dem nächsten. Sie profitiert von einer Brandmauer ganz anderer Art – der unverständigen Front gegen ihre Wähler.

Ein Hoch auf die Brandauer

Ein neuer Shitstorm ist entbrannt. Und wieder einmal geht es um die AfD. Im Zentrum der hitzigen Diskussion steht CDU-Chef Friedrich Merz. Er hatte sich in den letzten Wochen wiederholt unglücklich geäußert. Unter anderem warb er im ZDF-Sommerinterview für einen pragmatischen Umgang mit der AfD auf kommunaler Ebene.

Besonders woke Kritiker werfen Merz nun vor, die Brandmauer der Union gegenüber den Rechtsextremen endgültig eingerissen zu haben. Sie können nicht akzeptieren, dass der CDU-Vorsitzende eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD in den Städten und Gemeinden suggerierte. Merz bemüht sich zwischenzeitlich um Schadenbegrenzung: Er habe das alles nicht so gemeint und schließe natürlich auch für die Zukunft jegliche Zusammenarbeit mit der AfD aus. In diesem kalkulierten Zurückrudern steht der ehemalige Chef von BlackRock Rechtsaußen tatsächlich in nichts nach.

Offen bleibt, wie für Merz ein „pragmatischer Umgang mit der AfD“ konkret aussieht. Dass er bei seiner Wortwahl mächtig danebengegriffen hat, steht außer Frage. Dass er die Union bei einer Pressekonferenz als die wahre Alternative für Deutschland mit Substanz bezeichnet hat, reißt für viele seiner Kritiker dem Fass allerdings den Boden aus. Auch parteiintern regt sich Widerstand: Auf keinen Fall will man sprachlich mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht werden.

Abgrenzungsprobleme

Beide Debatten sind kurzsichtig und realitätsfremd. Wer wenn nicht der Oppositionsführer hat das Recht, seine eigene Partei als die Alternative für das Land zu bezeichnen? Selbstverständlich liegt es in der Natur der stärksten Oppositionspartei, die besten Gegenkonzepte zur Regierung für sich zu beanspruchen. Dass die Äußerung nebenbei eine gefährliche antidemokratische Partei herabstuft, ist im Grunde begrüßenswert.

Eine Nähe zwischen Union und AfD ist übrigens auch ohne die kontroversen Äußerungen von Friedrich Merz nicht von der Hand zu weisen. In manchen Debatten im Bundestag erhalten Redner der Union inzwischen mitunter mehr Applaus von der AfD als Sahra Wagenknecht. Zwei CSU-Abgeordnete stimmten im Europaausschuss des Bundestags Anfang Juli gemeinsam mit der AfD ab. Natürlich stellt sich dabei grundsätzlich die Frage, wie ratsam es ist, grundsätzlich anders abzustimmen als die AfD und die eigenen Überzeugungen hinten anzustellen.

Der Fall Thüringen zeigte überdies deutlich, dass es nicht nur in der CDU ein Problem mit der Abgrenzung zur AfD gibt. Um die politische Linke auszuschalten, machte man dort bei der denkwürdigen Wahl des Ministerpräsidenten im Februar 2020 gemeinsame Sache mit der Höcke-Partei. Die angebliche Brandmauer zur AfD bestand schon damals aus nichts weiter als einem Stoffvorhang.

Kein Platz für AfD-Wähler

Die fehlende Brandmauer zur Rechtsaußen-Partei zeigt sich auch daran, dass über keine andere Partei so häufig diskutiert wird wie über die AfD. Wo eine Brandmauer jedoch von Anfang an ausgesprochen gut funktioniert hat, ist gegenüber den Wählern und Sympathisanten der AfD. Für viele gibt es bis heute nichts Entsetzlicheres als die AfD zu wählen. Das initiale Entsetzen der Jahre 2013 und 2014, wie man überhaupt auf die Idee kommen könne, einer solchen Partei seine Stimme zu geben, hat sich bei vielen Menschen etabliert und festgesetzt und eine sachliche Auseinandersetzung mit der fragwürdigen Wahlentscheidung immer schon zuverlässig verhindert.

Erklärtes Ziel ist es nach wie vor, die Ergebnisse der AfD zu schmälern. Mit deren Wählern möchte man aber am liebsten nichts zu tun haben. Das ist eine Milchmädchenrechnung, die leider auf Gegenseitigkeit beruht. Die heutigen potenziellen 20 Prozent der AfD-Wähler haben überhaupt keinen Anreiz zu einer der demokratischen Parteien zurückzukehren. Immer wieder bekamen sie zu hören, warum sie denn auf gar keinen Fall die blaue Partei mit dem roten Pfeil wählen dürften. Immer besser konnten sie es sich in der Rolle der querdenken Revoluzzer bequemmachen. Immer seltener gab es für sie Gründe umzukehren. Enttäuscht sind sie gegangen und überzeugt sind sie geblieben.

Lückenfüller

Selbst Menschen, die mit der AfD so gar nichts am Hut haben, wird immer wieder eine ideologische Nähe zu den rechten Brandstiftern unterstellt. Häufigster Grund: Sie haben Themen angesprochen, zu denen sich zuvor die AfD positioniert hatte. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte an manchen Stellen lieber den Mund halten oder lauthals das Gegenteil dessen verkünden, was die AfD sagt. Dass dieses krampfhafte Aussparen von Themen teilweise lächerlich anmutet und ausschließlich der AfD in die Hände spielt, scheint den Wortführern anderer Parteien egal zu sein.

Diese Tabuisierung bestimmter Sichtweisen erwies sich besonders in der Pandemie als fatal. Geschickt sprach die AfD solche Menschen an, die Zweifel an der Wirksamkeit der Impfstoffe hatten. Die anderen Parteien reagierten mit einer noch vehementeren Verteidigung ihrer Impfstrategie und diskutierten ernsthaft eine allgemeine Impfpflicht. Wer so übergriffig gegen konträre Meinungen vorgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Menschen scharenweise nach rechts abwandern.

Zeit für Debatten

Besonders zu Zeiten der Großen Koalitionen war von enttäuschten Wählern immer wieder zu hören, die ehemaligen Volksparteien wären in ihren Programmatiken gar nicht mehr unterscheidbar. Inzwischen gilt das auch für die übrigen im Bundestag sitzenden demokratischen Parteien. Dass viele von ihnen in trauter Einigkeit Stimmung gegen die AfD und ihre Wähler machen, bestätigt diesen Trend eher als dass er ihm etwas entgegensetzt.

Von einer eindeutigen Positionierung und einem unterscheidbaren Profil hätten in den vergangenen Jahren besonders linke Parteien profitieren können. Dass linke Positionen durchaus erfolgreich sein können und sogar im Sinne sehr vieler Menschen sind, zeigte eindrucksvoll der Schulz-Hype Anfang 2017. Als der frischgebackene SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in seinem Wahlkampf schwerpunktmäßig auf das Thema Gerechtigkeit setzte, erlebte die SPD ein Umfragehoch wie lange nicht mehr. Die Werte der AfD schmolzen indessen dahin. Wären die Sprüche von Sankt Martin ernstgemeint gewesen, hätte die SPD durchaus schon vier Jahre früher den Kanzler stellen können.

Natürlich können sich die unterschiedlichen Parteien nur dann profilieren, wenn sie wieder eine breite Diskussion zu bestimmten Themen zulassen, anstatt sie angestrengt zu unterdrücken. Das führt nämlich momentan dazu, dass sich die Menschen weder vertreten noch verstanden fühlen. Zuflucht bietet ihnen die extreme Rechte, die zwar keine Visionen für dieses Land hat, aber zumindest eine Plattform bietet für Frust und Enttäuschung. Doch Demokratie kennt nur den Mittelweg – und der spielt sich zwischen den Polen ab.


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Kanzlerkandidat aus Höflichkeit

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Die SPD bleibt sich treu: Auch in diesen Bundestagswahlkampf zieht sie frohen Mutes mit einem völlig unbrauchbaren Kanzlerkandidaten. Mit Olaf Scholz legt die ehemalige Volkspartei sogar noch eine Schippe oben drauf: Der treue Großkoalitionär und Hartz-IV – Verfechter soll möglichst überzeugend die Idee der sozialen Gerechtigkeit verkörpern. Mit ihm möchte die SPD wieder ins Kanzleramt ziehen, obwohl sich die Partei gefährlich der Einstelligkeit nähert. Doch auch seine aussichtsreicheren Kontrahenten vermögen es nicht, in der Bevölkerung die Hoffnung auf einen politischen Kurswechsel zu wecken. Dabei ist die Auswahl dieses Mal ungewöhnlich groß…

Der Dritte im Bunde

Die parlamentarische Sommerpause hat begonnen, der Wahlkampf nimmt allmählich an Fahrt auf. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten findet sich Armin Laschet in seiner neuen Rolle als Kanzlerkandidat immer besser zurecht. Die Grünen nominierten mit Annalena Bearbock im April ebenfalls eine aussichtsreiche Kandidatin für den Posten der Regierungschefin. Die Umfragen zeigen, dass sich beide Kandidaten berechtigte Hoffnungen machen dürfen, die nächste Regierung anzuführen.

Die Arena des Kanzlerkampfs müssen sich die beiden allerdings mit einem dritten Akteur teilen. Auch die SPD meldet Führungsansprüche an und schickt Olaf Scholz ins Rennen. Drei Kanzlerkandidaten vor einer Bundestagswahl hat es in Deutschland zuvor nicht gegeben. Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, könnte man nun meinen. Doch die Kandidatur von Olaf Scholz ist nichts weiter als ein schlechter Treppenwitz. Die SPD verweigert sich weiterhin der Realität und kommt nicht damit klar, dass sie selbst die zweite Geige im Staat längst abgegeben hat.

Klare Gewinner, klare Verlierer?

Schaut man sich die Umfragewerte zur Bundestagswahl an, so zeichnet sich ein klares Bild. Die Union ist mit Abstand die stärkste Kraft im Land. Deutlich abgeschlagen kommen die übrigen Parteien . Mit Ausnahme der Grünen schafft es keine von ihnen, auf über 20 Prozent zu kommen. Die Grünen sind die einzige Partei, die der Union gefährlich werden könnte. Ernsthafte Ambitionen, die nächste Regierung anzuführen, macht sich keine der übrigen Parteien – mit Ausnahme der SPD.

Nun haben sich die Umfragewerte besonders in letzter Zeit als wenig zuverlässig erwiesen. In Sachsen-Anhalt erlebte die AfD kürzlich ihr blaues Wunder. Trotzdem stimmte der grobe Trend in den Umfragen meistens. Das prognostizierte Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen CDU und AfD blieb zwar aus, allerdings behielten die Befragungen recht damit, dass diese beiden Parteien die beiden stärksten werden würden. Der AfD erging es wie vielen Parteien zuvor: Gebauchpinselt von wohlwollenden Umfragen fiel das letztendliche Wahlergebnis enttäuschend mager aus. Auch der SPD könnte es nach der Wahl am 26. September so gehen.

Germany’s Next Vizekanzler

Nach dem Schulz-Hype 2017 rechnete niemand ernsthaft damit, dass die SPD so desaströs verlieren würde. Seitdem waren die Sozen stets darum bemüht zu beweisen, dass es immer noch ein bisschen schlechter ging. Bei manchen Landtagswahlen landeten sie zwischenzeitlich im einstelligen Bereich. Das heißt aber lange nicht, dass die SPD nicht auch ein überraschend gutes Ergebnis einfahren könnte. Momentan liegt sie bei den Zustimmungswerten bei etwa 16 Prozent. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber durchaus möglich, dass sie bei der Wahl im September 20 Prozent holt.

Jeder weiß aber, dass die SPD meilenweit davon entfernt ist, die nächste Bundesregierung anzuführen. Rechnerisch sind mehrere Regierungsbeteiligungen drin. Doch ob Ampel, Deutschland oder Grün-Rot-Rot – bei allen diesen Farbenspielen nimmt die SPD nur eine untergeordnete Rolle ein. Die Omnipräsenz von Olaf Scholz bei der K-Frage lässt sich eigentlich nur so erklären, dass er den Kandidaten von Union und Grünen aufzeigen möchte, auf welchen Vizekanzler sie sich unter Umständen einlassen.

Ein alter Bekannter

Olaf Scholz ist aber auch aus anderen Gründen als Kanzlerkandidat völlig ungeeignet. Als ewiger Verfechter von Hartz-IV, Sozialabbau und Niedriglohn ist er einer der Gründe, warum die SPD so viele Wählerinnen und Wähler verloren hat. Er fügt sich zwar dem neuerlichen Kanon der Partei, mit dem sie fleißig nach links blinkt, doch ernsthafte kritische Töne zum antisozialen Kurs der letzten Jahre schlägt er nicht an.

Wie sollte er das auch glaubwürdig rüberbringen? Immerhin war Olaf Scholz an mehreren Bundesregierungen unter Angela Merkel beteiligt – immer in einer Großen Koalition. Als Vizekanzler seit 2018 machte er sich wohl Hoffnungen Angela Merkel auf ihrem Posten bald beerben zu können, doch für die meisten Wählerinnen und Wähler ist er nichts weiter als ein Architekt der allseits verhassten Großen Koalition. Als Mitglied der noch amtierenden Regierung hat er es natürlich schwer, echte Impulse für Veränderung zu setzen. Martin Schulz war da vor vier Jahren in einer deutlich komfortableren Position. Andererseits haben es auch Größen wie Willy Brandt vermocht, den Koalitionspartner trotz Ministeramt in die Opposition zu verbannen.

Keine Lust auf Neuanfang

Die Voraussetzungen für einen Machtwechsel im Kanzleramt sind jedenfalls denkbar günstig. Spätestens seit Angela Merkels Ankündigung, bei der Bundestagswahl 2021 nicht erneut anzutreten, stand fest, dass die Karten neu gemischt werden. Im Laufe der Monate hatten sich dann auch die drei Kanzlerkandidaten herauskristallisiert, obwohl das besonders bei der Union eine schwere Geburt war. Trotz des zwangsläufigen Kanzlerwechsels kam eine echte Wechselstimmung bislang aber nicht auf.

Angela Merkel machte sich in ihrer Amtszeit als Kanzlerin stets eine Heidenfreude daraus, ihre Koalitionspartner kaputtzuregieren und letztendlich von der Schwäche der anderen zu profitieren. Aber selbst zu ihren besten Zeiten lag mehr Wechselstimmung in der Luft als jetzt. Als Martin Schulz vor vier Jahren als der große Heilsbringer der SPD vermarktet wurde, da dachten viele, Merkels Kanzlerschaft endete nach zwölf Jahren. Die Kanzlerkandidaten von 2021 wirken blass und kraftlos im Vergleich zu St. Martin von 2017.

Künstlich erzeugtes Angebot

Der Schulz-Hype war womöglich die letzte Chance für die SPD, etwas in diesem Land zu bewegen. Doch wieder einmal verpassten die Sozen den Zug. Kurzzeitig gab es dieses Jahr einen vergleichbaren Trubel um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. Doch schon bevor ein ganz besonders spitzfindiger österreichischer Plagiatsjäger die Kanzlerkandidatin des Abschreibens bezichtigte, hatte sich die Euphorie um die potentiell erste grüne Kanzlerin schon wieder gelegt.

Merkels freiwilliger Rückzug wäre eigentlich die Stunde der SPD. 2017 feixte die einstige Volkspartei noch, als sie gegen Merkels Willen die Ehe für Alle durchsetzte. Solch ambitioniertes Aufbegehren gegen den Koalitionspartner lässt die SPD dieses Jahr lieber bleiben. Man möchte sich vor den Wählerinnen und Wählern schließlich als seriöse Partei gerieren und sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Vielleicht hat die Partei aber auch insgeheim eingesehen, dass ihr lautstarkes Gezeter gegen die Union im Wahlkampf wenig nützen wird.

Das Aufeinandertreffen der Kanzlerkandidaten am 20. Mai im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war ein Schlagabtausch mit Wattebäuschen. Die Teilnehmer bemühten sich zwar um Konfrontation, doch war jedem klar, dass sie mit Baerbock und Laschet zwei Wunschkoalitionspartner vor sich hatten. Die Anwesenheit von Olaf Scholz ließ das Spektakel dann vollends zur Farce verkommen. Mit drei Anwärtern ums Kanzleramt sollte den Zuschauerinnen und Zuschauern eine echte Auswahl vorgegaukelt werden. Längst ist vielen aber klar, dass keine der drei Kandidaten einen echten Wechsel herbeiführen wird. Und so bleibt eine echte Wechselstimmung weiter aus.


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Die Frustkescher

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Im Frühjahr 2020 überschlugen sich die Ereignisse. Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland außer Kontrolle zu geraten drohte, ergriff die Bundesregierung drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr. Statt zu applaudieren, beschwor die AfD einen schier unaufhaltsamen Weg in die Diktatur. Und das, obwohl sie ebendiese Maßnahmen wenige Wochen zuvor noch lautstark gefordert hatte. Die Zustimmungswerte der Rechtspopulisten streifte das nur peripher. Es wird immer deutlicher, dass es vielen Leuten gefällt, dagegen zu sein. Dahinter steckt nachhaltige Enttäuschung und Frustration.

Seit etwas mehr als einem Jahr leidet die Welt unter Corona. Nachdem das Virus bereits im Januar 2020 auch außerhalb Chinas festgestellt wurde, artete das Infektionsgeschehen rasend schnell zur Pandemie aus. Am 27. Januar 2020 wurden schließlich die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekannt. Viele Menschen waren völlig zurecht besorgt. Man war beunruhigt, weil so wenig über das neuartige Virus bekannt war, außer dass es teilweise verheerende Krankheitsverläufe gab, die nicht selten tödlich endeten. Es blieb nicht bei einigen wenigen Fällen in Deutschland. Im Frühjahr suchte die erste Welle der Pandemie sämtliche europäischen Länder heim. Allein in Deutschland registrierte man zeitweise bis zu knapp 8.000 Neuinfektionen an einem Tag.

Alles auf Lockdown

Die Menschen hatten Angst. Das erkannte auch die Politik und leitete Maßnahmen ein. Geschäfte schlossen, Menschen blieben über Ostern zu Hause, Schulen und Kitas machten zu, eine Maskenpflicht wurde verhängt – mit diesen Maßnahmen versuchte die Bundesregierung, eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Zu den ärgsten Verfechtern dieser Maßnahmen der ersten Stunde gehörte – man lese und staune – die AfD.

Die Rechtspopulisten erkannten noch vor der Bundesregierung die Tragweite der neuen Krankheit. Sie wussten als erste, wie gefährlich das Virus war und dass man schnell gegenlenken musste. Früher als alle anderen forderten sie eine harte Gangart im Umgang mit dem Erreger. Inbrünstig rief Rechtsaußen nach knallharten Regeln wie sie bereits in Italien zum Einsatz kamen. Ihnen gefiel, wie das südeuropäische Land die Pandemie managte.

Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland immer schwerer kontrollierbar wurde, ließ sich die Bundesregierung schweren Herzens auf solch einschneidende Maßnahmen ein. Auch wenn der ökonomische Schaden überhaupt nicht absehbar war, fuhr sie die Wirtschaft konsequent herunter. Die Bürgerinnen und Bürger bat sie eindringlich, auf unnötige Kontakte zu verzichten und zu Hause zu bleiben. Es ist dem disziplinierten Verhalten der Vielen zu verdanken, dass es im Sommer einige Wochen der Entspannung mit nur noch wenigen hundert Neuinfektionen pro Tag gab.

Hauptsache anti

Eigentlich alles tutti für die AfD könnte man meinen. Doch so überraschend wie Darmwinde kommen und gehen, drehte sich auch bei den Rechtspopulisten der Wind. Forderten sie im Februar noch eine harte Gangart, wollten sie von solchen Erwägungen wenige Monate danach nichts mehr wissen. Sie schlossen sich einer immer lauter werdenden Minderheit in der Bevölkerung an, die das Land im strammen Marsch hin zu einer Diktatur sah.

Und die Wähler der AfD? Ungeachtet dieser spektakulären 180-Grad – Wendung blieben die Umfragewerte der Partei ziemlich konstant. Die blau lackierten Faschisten hatten sich schon vor Corona in einem Umfragetief verfangen. Kamen sie bei der Bundestagswahl 2017 noch auf fast 13 Prozent der Stimmen, suggerierten neuere Umfragewerte eine Zustimmung von lediglich etwa 9 Prozent. Der ausgebliebene deutliche Einbruch bei diesen Werten lässt nur einen Schluss zu: Die AfD wendet sich immer unvoreingenommen gegen alles, was von der Regierung kommt – und den Wählern gefällt’s. Wie keine andere Partei versteht die AfD es meisterlich, die Frustration derer zu bündeln, die sich schon lange enttäuscht von der Politik abgewendet haben. Dieser rechtspopulistische Opportunismus offenbart einen großen Vertrauensverlust gegenüber der Politik und der Demokratie. Diese Menschen sind der festen Überzeugung, dass alles schlecht ist, was von der herrschenden Politik kommt. Sie wurden einfach zu oft enttäuscht.

Bloß nicht AfD

Corona mag die Umfragewerte der Unionsparteien beflügelt haben. Wie bei keiner anderen Partei schnellten die Zustimmungswerte der Konservativen während der ersten Welle der Pandemie in die Höhe. Man schien Merkels Partei einen souveränen Umgang mit dem Virus zuzutrauen. Trotzdem vermochte es auch die Union nicht, der AfD endgültig den Garaus zu machen. Es gelang den regierungstragenden Parteien weiterhin nicht, den Rechtspopulisten das Wasser abzugraben. Dabei machte es die AfD den anderen Parteien durch ihre krasse Kehrtwende in der Corona-Politik doch nun wirklich nicht sonderlich schwer.

Die schwindende Zustimmung zur AfD seit 2019 ist einzig damit zu erklären, dass einige ihrer Wähler eingesehen haben, dass auch von dieser Partei keine Politik in ihrem Sinne zu erwarten ist. Zu den verfemten Altparteien führte sie das nicht. CDU, SPD und Grüne nannten den Wählerinnen und Wählern immer wieder hunderte von Gründen, die AfD nicht zu wählen. Eines blieben sie den Menschen dabei aber schuldig: Einen einzigen Grund stattdessen sie zu wählen.

Politik von oben

Somit ist eigentlich sicher, dass die meisten der AfD-Abtrünnigen nicht zu CDU oder SPD zurückkehrten. Viele von ihnen werden dem Politikbetrieb stattdessen für immer den Rücken gekehrt haben. Sie sind endgültig Nichtwähler geworden. Auch der prozentuale Anteil dieser Gruppe hat sich in den Statistiken der letzten Monate kaum verändert. Das liegt aber vor allem daran, dass Statistiken dazu neigen, Unentschlossene und Nichtwähler zusammenzufassen. Die Aussagekraft dieser Kohorte ist also eingeschränkt.

Stattdessen klaute sich die Union die Stimmen munter bei anderen Parteien. Nachdem sie einsehen musste, dass das bei den Sozialdemokraten aufgrund mikroskopischer Umfragewerte nicht mehr lange möglich sein wird, boten sie nun auch gutverdienenden Grünen-Wählern ein politisches Zuhause. Gerade unter diesen grunddemokratischen Gutwählern werden sie aber kaum jemanden finden, der nachhaltig von der Politik der letzten Jahre enttäuscht wurde. Immer offensichtlicher machen die selbsternannten Parteien der Mitte fast ausschließlich denen ein politisches Angebot, die an einem Weiter-so der Politik Interesse haben – oder es zumindest gut verkraften können.

9 Prozent verloren?

Dass eine in Teile offen rechtsextremistische Partei mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einzieht, hätte eigentlich ein Weckruf sein müssen. Anstatt aber die Gründe für das Erstarken der Rechten kritisch zu hinterfragen, suchten vor allem die Regierungsparteien die Schuld fast ausschließlich bei den Wählerinnen und Wählern. Man zeigte sich empört darüber, dass es Menschen gab, die ihre Stimme allen Ernstes einer Partei schenkten, die von einem Mahnmal der Schande sprach und an der Grenze am liebsten auf Flüchtlinge schießen würde. Die Frage nach der eigenen Schuld trat stets hinter selbstgerechten Bevormundungen der Wähler zurück.

Auch in der jetzigen Situation wird viel zu wenig hinterfragt, was 9 Prozent der Bevölkerung dazu veranlasst, weiter zur AfD zu halten. Mit ihrem obskuren Bäumchen-wechsle-dich – Spiel in der Corona-Politik haben die Rechten doch bewiesen, dass von ihnen kein großer Wurf zu erwarten ist. Ihr Einzug in den Bundestag war vielleicht die letzte Chance, davongelaufene Wähler zurückzugewinnen. Dass diese nach dem Corona-Trauerspiel weiterhin der AfD vertrauen oder sogar bereits zu Nichtwählern wurden, ist Beleg genug, dass auch dieser Weckruf verschlafen wurde.

Es zeigt natürlich, dass die AfD ihren Wählern viel eingeredet hat. Dass wir auf dem Weg in eine Diktatur sind und dass im Parlament ein Ermächtigungsgesetz durchgedrückt werden soll, ist vollkommener Blödsinn. Trotzdem wären die Rechten mit ihren Parolen auf taube Ohren gestoßen, wenn sich die Menschen von der Politik vertreten und ernstgenommen gefühlt hätten. Der Schulz-Hype war vielleicht die letzte Chance der SPD, eine Veränderung im Land herbeizuführen. Der ehemalige Kanzlerkandidat sprach augenscheinlich zunächst die Sprache der Mehrheit. Als jedoch klar wurde, wie mut- und kraftlos sein Programm war, wendeten sich die Menschen wieder ab.


Die AfD wird in diesem Land nichts zum Guten verändern können. Sie kann spalten und Angst machen. Aber sie kann auch Menschen politisieren, die lange die Hoffnung aufgegeben hatten. Statt dieses Potenzial zu nutzen und die Menschen von den eigenen Ideen zu überzeugen, überließ man sie ungläubig der AfD. Die verliert aber an Rückhalt. Die demokratischen Parteien können nur sehr wenige von ihnen auffangen. Der Rest hat noch nachdrücklicher das Gefühl, dass ihre Meinung keinen interessiert.


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