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Schneller als die Ampel: Schon sechs Monate nach seinem Amtsantritt gilt Friedrich Merz (CDU) als der unbeliebteste Bundeskanzler, den das Land je gesehen hat. Innerhalb kürzester Zeit liefert sich seine Partei in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf – Rennen mit der extremen Rechten. Der Grund dafür liegt auf der Hand. In wirklich jeder Bevölkerungsgruppe macht sich der Kanzler mit seiner Politik unmöglich. Verlieren kann er wirklich gut…
Friedrich Merz hat ein Problem: Er macht Politik für alle. Aber keiner hat ihn lieb. Stattdessen nörgeln alle ständig an ihn herum. Er redet von einer außer Kontrolle geratenen Migrationspolitik, welche mittlerweile das allgemeine Stadtbild prägt. Postwendend folgen ein Shitstorm und zahlenstarke Demonstrationen. Er lobt Israel für dessen entschlossenen Kriegseinsatz im Iran. Schon wird ihm Heuchelei und ein Messen mit zweierlei Maß vorgeworfen. Er will soziale Sicherungssysteme auf deren Effizienz abklopfen – sein Herbst der Reformen geht in den Wehklagen der Opposition unter. Selbst auf den Kanzlerstuhl hat er es erst beim zweiten Anlauf geschafft. Noch nie hatte ein deutscher Regierungschef so große Chancen, als glückloser Kanzler in die Geschichtsbücher einzugehen.
Einer von 80 Millionen
Dabei gibt sich Fritze Merz redlich Mühe. Bei seiner Politik ist für jeden was dabei. Er hat Ideen für Junge, für Alte, für Frauen wie Männer, für Arme und Reiche. Begeistert sind von seinen Vorschlägen allerdings die wenigsten. Beispiel Wehrpflicht: Um unserem Land wieder militärische Schlagkraft zu verleihen und auf den angriffslustigen Russen vorzubereiten, will seine Partei die Wehrpflicht wieder einsetzen. Und weil die CDU weiß, dass keiner von den jungen Leuten so wirklich Lust auf Bund hat, haben sich die Konservativen etwas ganz Besonderes einfallen lassen: die Wehrpflicht á la Lostopf.
Grundsätzlich soll jeder kriegsbegeisterte Jüngling die Chance haben, seinem Land an der Waffe zu dienen. Melden sich jedoch nicht ausreichend Freiwillige, startet die Kriegslotterie. Der Zufall entscheidet dann darüber, welche Heranwachsenden zum Wehrdienst verpflichtet werden sollen.
Keinen Bock auf Bund
Und wie reagieren die potenziell Betroffenen auf diese innovativ ausgestaltete Wehrpflicht? Sie sind so ergriffen davon, dass im Internet zuhauf Verweigerungsschreiben kursieren. Ganz offensichtlich haben diese jungen Männer Besseres zu tun, als sich vor den Karren der Kriegstüchtigkeit spannen zu lassen. Wie schon bei der Klimapolitik haben sie begriffen, dass sie erneut die Leidtragenden einer völlig verfehlten Außen- und Sicherheitspolitik sind.
Auf diese Kriegsmüdigkeit unter den jungen Menschen ist man in Regierungskreisen aber anscheinend vorbereitet. Mit immer offensichtlicherer Kriegspropaganda mittels Großplakaten, Stadtbahnbemalung und Schulbesuchen von Offizieren versucht man, der jungen Generation den Krieg doch noch schmackhaft zu machen. Und wenn das alles nichts nutzt, dann hat es sich eben ganz mit der zunächst freiwilligen Wehrplicht.
Zurück zur Leistungsgesellschaft
Kanzler Merz möchte auch etwas gegen die steigende Zahl an Arbeitslosen tun. Seine Losung: Leistung muss sich wieder lohnen. Das Augenmerk von Merz liegt jedoch mitnichten auf der arbeitenden Bevölkerung. Anstatt die vielgelobten Leistungsträger der Gesellschaft zu fördern, sollen die Arbeitslosen bluten. Die Arbeitslosenversicherung in ihrer bewährten Form wird abgeschafft und durch eine armutsgarantierende Grundsicherung ersetzt.
Damit verschwinden die Arbeitslosen völlig vom Radar, weil sie mit anderen Bedürftigen in einen Topf geworfen werden. Der Unterschied zwischen schuldlos Arbeitslosem und resigniertem Totalverweigerer verschwimmt und der Staat hat sich nebenbei einer wichtigen Fürsorgepflicht entledigt.
Schluss mit Schmusekurs
Doch für den Kanzler ist hier noch lange nicht Schluss. Er ist sich sicher: Den Sozialstaat in seiner jetzigen Form können wir uns nicht mehr leisten. Das ist nichts anderes als eine unverhohlene Drohung an all diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen staatliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Der Arbeitslose fällt sofort in Armut, die Alleinerziehende hat noch mehr Angst vor dem Wocheneinkauf und der chronisch Kranke muss die Zähne zusammenbeißen, weil es Pflegegrad 1 bald nicht mehr gibt.
Und insbesondere prekär Beschäftigte haben künftig noch weniger zu lachen. Sie haben die Wahl zwischen einem miesen Job mit schlechter Bezahlung und teils unmenschlichen Arbeitsbedingungen einerseits und dem sozialen Todesstoß andererseits. Sie werden alles tun, um nicht zu den vermeintlichen Verlierern zu gehören – und tun es in gewisser Weise doch.
Selbstbestimmt im Alter?
Auch eine weitere Gruppe hat Friedrich Merz im Visier: die Rentner. Deren Gebete hat der großmütige Kanzler endlich erhört und ermöglicht es ihnen, in Zukunft so lange zu arbeiten, wie sie wollen. Der gute Friedrich verwechselt dabei nur Ursache mit Wirkung. Die meisten Senioren arbeiten nicht, weil sie noch immer nicht genug haben, sondern weil selbst 45 Jahre Rentenbeiträge und mehr nicht ausreichen, um sich einen angenehmen Lebensabend zu gestalten.
Die sogenannte Aktivrente fußt daher auf einer dreisten Lüge, weil sie ein abgehobenes Zerrbild von Menschen zeichnet, die teilweise jahrzehntelang geschuftet und Kinder großgezogen haben. Nebenbei redet sie ebenjenen Menschen ein schlechtes Gewissen ein. Schließlich kann man ja wohl erwarten, dass man auch mit fast 70 noch zu Hilfstätigkeiten auf dem Bau oder zum lebenslangen Zeitungsaustragen herangezogen werden kann.
Wieder einmal sticht die Politblase die Realität, denn anders als manche betagte Abgeordnete haben viele Bürgerinnen und Bürger irgendwann schlicht keine Kraft mehr dazu, einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen. Am ehesten kommt diese Aktivrente noch für Banker und Manager großer Konzerne in Betracht. Aber die haben in der Regel überhaupt keinen Anreiz, über ein gewisses Alter hinaus noch einem Job nachzugehen.
Auch hier lenkt die Bundesregierung vom eigentlichen Skandal ab, indem sie einen anderen provoziert. Denn wer sich über die Rente mit 70 oder gar 73 aufregt, dem fällt es leichter, eine Rente mit 67 zu akzeptieren. Was vor einigen Jahren noch der Top-Aufreger war, wird so leise, still und heimlich an die Salonfähigkeit herangeführt.
Wenn unser Bundeskanzler eines kann, ist es ablenken. Wie wenigen Politikern zuvor gelingt es ihm meisterhaft, den Blick von den echten Problemen zu wenden, indem er Nebenschauplätze konstruiert. Dass es zuvorderst seine Aufgabe wäre, die Ursachen der Probleme zu bekämpfen, verkommt dabei zur Randnotiz. Können wir uns so einen Kanzler tatsächlich noch dreieinhalb Jahre lang leisten?