Eine Frage der Prioritäten

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Anfang des kommenden Jahres gibt es das erste Mal seit knapp zwanzig Jahren vorgezogene Neuwahlen. Kanzler Scholz (SPD) muss die Vertrauensfrage stellen, weil seine Regierung nach dem Rausschmiss der FDP keine Parlamentsmehrheit mehr besitzt. Viel wird darüber diskutiert, wer Schuld ist an dem vorzeitigen Aus und warum Deutschland nun auf politisch ungewisse Zeiten zusteuert. Woran die Regierung letztendlich zerbrach, findet allerdings kaum Erwähnung. Denn im Ziel war sich die Regierung im Grunde einig. Für anstehende Neuwahlen ist diese gefühlt alternativlose Politik ein Problem.

Wie geht es weiter in Deutschland? Welche Parteien werden an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein? Wer wird Bundeskanzler? Nach dem Auseinanderbrechen der Ampelkoalition sind viele Fragen offen. Beantwortet werden sie frühestens ab dem 23. Februar, wenn die Wählerinnen und Wähler einen neuen Bundestag gewählt haben – und auch nur dann, wenn der provisorische Zeitplan des Kanzlers eingehalten wird.

Personalfragen

Mit seiner Fernsehansprache am 6. November hat Noch-Kanzler Scholz (SPD) auf jeden Fall Geschichte geschrieben. Nie wirkte er entschlossener und motivierter, Chef von Deutschland zu sein. Nie hatte er weniger Grund dazu. Seitdem wird heftig über den Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) diskutiert, der seinerseits dem Kanzler einen kalt geplanten Koalitionsbruch vorwirft. Der schlecht vorbereitete Rosenkrieg war perfekt, als sich Verkehrsminister Volker Wissing weigerte, seinen Stuhl zu räumen und dafür mit dem Justizministerium on top belohnt wurde.

Seitdem versucht Kanzler Scholz nach Kräften, die ihm wichtigen Themen mit nur noch einem Koalitionspartner durchs Parlament zu drücken. Er hat jedoch die Rechnung ohne die Union gemacht, die den scheidenden Kanzler mit einer Fundamentalblockade zu einer raschen Vertrauensfrage zwingen will. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) nutzt seine Chance, sich als künftiger Kanzler in Stellung zu bringen, der die Bürgerinnen und Bürger vor der bösen rot-grünen Minderheitsregierung rettet.

Hauptsache Krieg

In den Hintergrund rückt dabei, woran die Regierung letztendlich zerbrochen ist. Immerhin stand die Ampel von Anfang an unter keinem guten Stern. Nach drei Jahren Dauerclinch war man den regelmäßigen Schlagabtausch der drei Alphamännchen gewohnt und trotzdem eskalierte der Streit schließlich wegen des wohl ältesten Zankapfels der Welt: Es lag am Geld.

Konkret ging es darum, wie man die noch umfangreichere militärische Unterstützung der Ukraine finanzieren kann. Während die FDP am liebsten bei den unteren Einkommensschichten und bei Sozialleistungen den Rotstift ansetzen wollte, sperrten sich die beiden anderen Koalitionspartner gegen diesen kriegsbedingten Sozialabbau. Sie wollten lieber mit einer erneuten Aussetzung der Schuldenbremse an noch mehr Waffen und Munition kommen. Wie man den Krieg beenden und in der Ukraine nachhaltig für Frieden sorgen kann, spielte bei dem großen Streit keine Rolle. Selbst an ihrem Tiefpunkt waren sich die Ampelparteien also in existenziellen Fragen nach wie vor einig.

Bequemlichkeit mit Folgen

Seit ihrer Einführung im Jahr 2009 ist die Schuldenbremse die perfekte Ausrede, schlechte Politik zu machen. Sie ist einer der Grundpfeiler für die gefühlte Alternativlosigkeit in der Politik, weil sie echte Zukunftsinvestitionen verhindert. Sie ist Teil des Grundgesetzes – und darum schwer wieder loszuwerden. Der politische Wille dazu besteht momentan auch nicht. Es ist viel bequemer, sie wie eine Monstranz vor sich herzutragen und mit ihr die eigene politische Antriebslosigkeit zu verschleiern.

Welch verheerende Ausmaße es annehmen kann, wenn echte Investitionsanreize fehlen und sich Bund und Länder in Finanzfragen selbst die Handfesseln anlegen, kann man seit Mitte September in Dresden besichtigen. Weil schlicht die Gelder gefehlt haben, konnte die Carolabrücke nicht saniert werden. Es ist ein Wunder, dass bei ihrem Einsturz niemand zu Schaden kam.

Eine Frage der Prioritäten

Unter der Schuldenbremse leiden aber dennoch täglich zig Menschen: die Arbeitnehmerin, die im Stau steht, weil die Straßen voll sind – eine adäquate Bahnverbindung gibt es nämlich schon lange nicht mehr. Die Schulklasse, die in den Wintermonaten in Jacken im Unterricht sitzt, weil es zieht wie Hechtsuppe. Oder die Hochschwangere, die drei Ortschaften weiterfahren muss, weil in ihrer Stadt die Geburtsstation im Krankenhaus aus Kostengründen dichtgemacht hat.

Für all diese Unzumutbarkeiten wäre Geld dringend erforderlich. Wegen der Schuldenbremse fließt aber kein einziger Cent. Es ist angesichts solch katastrophaler Zustände mehr als zynisch, wenn Politiker die hochgelobte Disziplin zur finanziellen Enthaltsamkeit bereitwillig über Bord werfen wollen, wenn es um die Anschaffung von Waffen und Kriegsgerät geht. Wer sich dann noch über Unmut in der Bevölkerung echauffiert, für den kommt jeder Psychiater zu spät.

Eine neue Chance

Ganz offensichtlich wäre die Lockerung der Schuldenbremse nicht die einzige Geldquelle für die Militärhilfen gewesen. Weil der FDP die Schuldenbremse doch noch ein bisschen wichtiger ist als ihren Ex-Koalitionspartnern, kamen sie mit einem noch neoliberaleren Vorschlag um die Ecke. Geht es um arme Kinder, Klimaschutzprojekte oder artgerechte Tierhaltung muss in Deutschland die Spendendose herhalten. Bei Krieg und Zerstörung gibt es aber ein Sammelsurium an Möglichkeiten, die Mittel aufzutreiben.

Anstatt all das zu kritisieren und eine Debatte über soziale Ungerechtigkeit in Deutschland einzuleiten, stürzen sich die großen Medien allerdings nur auf Personalfragen. Wer hat wen hinter’s Licht geführt? Wer ist der bessere Kanzler? Wessen Schuld war das Ampel-Aus? Dass großer Sozialabbau nur durch kleineren Sozialabbau verhindert werden sollte, kommt kaum zur Sprache.

Die Bürgerinnen und Bürger haben voraussichtlich am 23. Februar die Wahl. Sie haben erneut die Möglichkeit, für ihre Belange einzutreten und ihren Willen zu artikulieren. Die jüngsten Wahlergebnisse haben deutlich gezeigt, dass mittlerweile ein tiefes Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien besteht. Wähler und Politiker sollten den Bruch der Ampel daher als Weckruf verstehen und die Chance nutzen, aufeinander zuzugehen.


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Die Krisenmacher

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Die Quersteller

Lesedauer: 7 Minuten

Sachsen bekommt keine stabile Regierung. Nach einem wochenlangen Hin und Her sind die Verhandlungsführer ergebnislos auseinandergegangen. Dem Freistaat stehen damit ungewisse Zeiten bevor. Auch in Brandenburg und Thüringen sieht es nicht viel rosiger aus. Während in dem einem Bundesland mit Müh und Not ein Kompromiss zustandekam, eiert man in dem anderen weiter um eine friedensorientierte Präambel herum. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner wird immer wieder gestört durch Einmischungen von außen. Nicht allen Beteiligten scheint klar zu sein, welches Risiko damit einhergeht.

Senkrechtstart

Das BSW schreibt Geschichte: Noch nie ist es einer Partei gelungen, so kurz nach ihrer Gründung die 5-Prozent – Hürde bei einer bundesdeutschen Wahl so deutlich zu übersteigen und dann auch noch dreimal in Folge zweistellig in Landesparlamente einzuziehen. Bei einer so enormen Zustimmung liegt die Regierungsbeteiligung quasi auf der Hand. Doch es stockt im Osten. In Sachsen sind die Verhandlungen über ein Regierungsbündnis mittlerweile sogar vollends gescheitert.

Traut man den Medienberichten und den mehr oder weniger gelungenen Stilblüten vieler Politiker trägt für diesen Umstand einzig und allein eine Frau die Verantwortung: Parteigründerin Sahra Wagenknecht. In der öffentlichen Berichterstattung wird sie als die Strippenzieherin stilisiert, die selbstherrlich über das Schicksal ihrer Partei und das von drei Bundesländern entscheidet.

Die graue Eminenz?

Und es stimmt: Sahra Wagenknecht möchte bei den Entscheidungen über Koalitionen und Regierungsbildungen mitreden. Aber wundert das irgendjemanden wirklich? Immerhin hat sie den Verein nach sich selbst benannt. Es wäre doch wesentlich skurriler, würde sie sich entspannt zurücklehnen und dabei zusehen, wie ein Grundpfeiler ihrer Partei nach dem anderen abgeräumt wird.

Dazu kommt noch ein weiteres Phänomen. Das BSW wächst langsam und nimmt nur sehr behutsam neue Mitglieder auf. Das führt dazu, dass diese Partei über viel weniger entscheidungsfreudiges Personal verfügt wie die anderen Parteien. Selbstverständlich laufen die Fäden noch immer bei Sahra Wagenknecht zusammen.

Noch ganz dicht?

Was viele andere als Einmischungen in interne Verhandlungen interpretieren, ist letztendlich nichts anderes als die Wiederholung von Dingen, die den Wählerinnen und Wählern im Wahlkampf versprochen wurden. Die Debatte erweckt aber eher den Eindruck, Frau Wagenknecht käme mit völlig überraschenden Absurditäten um die Ecke, damit die Regierungsbeteiligung des BSW doch noch verhindert wird.

Mit angeblichen Einmischungen ist Sarah Wagenknecht aber nicht allein. Andere gehen da deutlich rabiater vor. Der BSW-Balken bei den Hochrechnungen war noch nicht einmal ganz oben, da warnte CDU-Chef Friedrich Merz schon vor einer Zusammenarbeit mit der neuen Partei. Das Geschwafel über eine unberechenbare Black Box wich alsbald der Debatte um eine Brandmauer mehr.

Als Friedrich Merz merkte, dass sich seine eigene Partei und das BSW in Sachsen und Thüringen allmählich annäherten, da holte er zum maximalen Gegenschlag aus. Unverhohlen forderte er die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, möglichst binnen 24 Stunden, und damit den faktischen Kriegseintritt Deutschlands. Dass er bei einer derart kriegsbesoffenen Rhetorik der BSW-Chefin Wagenknecht allen Ernstes unerfüllbare Forderungen vorwirft, sät arge Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit dieses Mannes.

Von allen Seiten

Seitdem die AfD den Laden aufmischt, werden Regierungsbildungen immer schwieriger. Angela Merkel (CDU) brauchte bei ihrem letzten Anlauf fast ein halbes Jahr, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Die Causa Thüringen, wo sich plötzlich fünfprozentige FDP-Menschen im Amt des Ministerpräsidenten wiederfanden, zeigt ebenfalls, welche enorme Macht die AfD mittlerweile besitzt. Dass die Lage gerade in Sachsen und Thüringen so verworren ist, liegt aber nicht allein an Rechtsaußen.

Auch die künftigen Koalitionäre – oder das, was von ihnen übrigblieb – schießen gern mal quer. Es war offensichtlich, dass sich einige CDU-Abgeordnete im sächsischen Landtag mit Klauen und Zähnen gegen eine Zusammenarbeit mit den verhassten „Neokommunisten“ wehrten, wie sie sie gerne bezeichnen. Diese Abneigung führte sogar so weit, dass die Kandidatin der AfD bei der Wahl der Stellvertreter des Landtagspräsidenten im ersten Wahlgang durchkam – der Kandidat des BSW aber nicht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Währenddessen glänzte die SPD bei der Regierungsbildung in Sachsen ebenfalls nicht gerade mit Konstruktivität. Nachdem die Abgeordneten des BSW für einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses stimmten, unterbrach die kleinste Fraktion im Landtag empört die Sondierungen. Wahlversprechen einzuhalten, ist bei der SPD wohl grundsätzlich nicht gerne gesehen.

Auf dem Weg in die Unregierbarkeit

Die einzige Partei, die durchgehend ihren guten Willen zeigte, war das BSW. Man reichte den möglichen Partnern ein ums andere Mal die Hand, machte Kompromisse und ließ sich sogar auf Formulierungen im Sondierungspapier ein, die schneller dahinfließen als das Wachs einer brennenden Kerze. Die prompte Antwort von Mario Voigt (CDU) aus Thüringen: Salbungsvolle Worte auf X,  um die Westbindung und Vasallentreue zur NATO seiner Partei zu bekräftigen.

Mit dem kompletten Abbruch der Sondierungen in Sachsen ging man dort noch einen Schritt weiter. Ein wenig beschleicht einen das Gefühl, die Verantwortlichen in den drei Bundesländern wüssten nicht, welche Tragweite ihr Handeln hat. In Thüringen ist eine Mehrheit jenseits der AfD überhaupt nicht möglich, in Brandenburg und Sachsen führt am BSW ebenfalls kein Weg vorbei. Mit der Entscheidung in Sachsen wurde der Freistaat endgültig unregierbar.

Zerplatzte Träume

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge in Sachsen entwickeln. In der naiven Hoffnung, vielleicht doch noch eine Mehrheit zustandezubekommen, könnten schon bald Neuwahlen ins Haus stehen. Das wäre ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für die AfD, welche die CDU im nächsten Durchlauf mit Sicherheit rechts überholen wird.

In allen drei ostdeutschen Bundesländern war die Wahlbeteiligung im September so hoch wie noch nie. Mit teilweise deutlich mehr als 70 Prozent zeigten die Bürgerinnen und Bürger dort, wie wichtig ihnen Mitbestimmung ist. Sie gingen an die Urne in der Hoffnung, eine politische Kehrtwende zu erreichen und die nächsten fünf Jahre vernünftig regiert zu werden. Zumindest in Sachsen wurde dieser Traum jäh zerstört. Für all diejenigen, die nach Jahren der demokratischen Abstinenz wieder ihr Kreuzchen gemacht haben, dürfte sich das anfühlen wie eine schallende Ohrfeige.


Vielleicht verlangte der Wählerauftrag Unmögliches von den beteiligten Parteien. Oder die ständigen Einmischungen von außen haben eine Einigung verhindert. In jedem Fall stehen insbesondere Sachsen harte politische Zeiten bevor. Manche müssen auf lukrative Ministerposten verzichten. Bei anderen geht es um die schlichte Existenz. Es ist eine demokratische Tragödie.

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Programme statt Personen

Lesedauer: 5 Minuten

Wer wird Deutschland ab 2025 regieren? Ins Spiel gebracht haben sich mittlerweile eine ganze Reihe von Personen unterschiedlicher Parteien. Die Auswahl an potenziellen Bundeskanzlern war selten so groß wie heute. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien kann aus ihren Zustimmungswerten einen klaren Regierungsauftrag für sich beanspruchen, zu leicht könnte sie überstimmt werden. Die Zersplitterung des Parteiensystems macht stattdessen Gespräche auf Augenhöhe immer nötiger.

Klare Sache

Deutschland braucht einen neuen Kanzler. Mit jedem weiteren Tag im Amt macht Olaf Scholz (SPD) das deutlicher. Die Union sieht ihre Chance gekommen und scharrt schon mit den Hufen. Die Bundestagswahl ist bereits zwölf Monate vor dem Wahlsonntag ein Thema. Ginge es nach der CDU, hieße der nächste Bundeskanzler Friedrich Merz.

Seine Ernennung zum Kanzlerkandidaten ging überraschend geräuschlos über die Bühne. Auf einen echten Kampf ums Kanzleramt hat die Union diesmal verzichtet. Zwar brachte sich auch Markus Söder von der bayerischen Schwesterpartei in Stellung, da dieser aber am laufenden Band Kanzler werden will, nimmt seine Ambitionen niemand mehr ernst.

Um dem ganzen nachträglich doch noch ein wenig Spannung zu verleihen, brachte man geschwind den Namen „Hendrik Wüst“ ins Spiel. Die Kandidatur des unbekannten Ministerpräsidenten war kaum in den Medien, da stand Herr Merz schon als Sieger fest.

Ein Verlegenheitskandidat?

Die Union braucht dieses Theater. Einerseits betont sie immer wieder, der Parteichef hätte das Erstzugriffsrecht, andererseits gibt es dann doch immer wieder andere Interessenten. Dieses Phänomen gab es schon zu Amtszeiten von Angela Merkel, die neben ihrer Tätigkeit als Parteichefin sogar zufällig selbst Bundeskanzlerin war und ihre erneute Kandidatur trotzdem immer irgendwie rechtfertigen musste.

In gewisser Weise können die Wähler der Union dennoch dankbar sein, dass sie sich so schnell auf Friedrich Merz festgelegt hat. Was dabei herauskommt, wenn die Partei die K-Frage zu lange unbeantwortet lässt, sieht man am Wahlkampf 2021, als den Konservativen quasi nichts anderes übrigblieb, als den tragikomischen Armin Laschet ins Rennen zu schicken.

Mit der wenig überraschenden Nominierung von Friedrich Merz stand auch die SPD unter Zugzwang. Bei den Sozen war das Ergebnis ebenso vorhersehbar: Olaf Scholz soll die Partei ein weiteres Mal in die Bundestagswahl führen. Seine Nominierung ist logisch, aber völlig aussichtslos. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Merz einen Fau-pax leistet, der gewaltig genug ist, um ihn den Wahlsieg zu kosten. Auch in den letzten Monaten hat er viel Ekelhaftes von sich gegeben – die Umfragewerte der Union berührte das nicht.

Zuwachs für’s Kanzlerduell

Zumindest werden die beiden in geselliger Runde miteinander streiten. Denn wie schon bei der letzten Bundestagswahl greifen auch andere Parteien nach der Macht. Die AfD hat zwar leicht abgebaut, liegt in den Umfragen aber nur knapp unter 20 Prozent. Die Wahlergebnisse in Brandenburg, Sachsen und Thüringen verliehen der Kanzlerkandidatur von Alice Weidel den letzten Schliff. Es ist das erste Mal in der bundesdeutschen Geschichte, dass sich eine rechtsextreme Partei ernsthafte Ambitionen auf das Kanzleramt leisten kann.

Die Grünen glauben indes, sie hätten ein Dauerabo für die Kanzlerkandidatur gewonnen. Mit Robert Habeck setzen sie dieses Mal zwar auf einen charismatischen Politiker, dieses Einlenken kommt aber vier Jahre zu spät. Dass die Partei gerade so noch auf zweistellige Werte kommt, bei der EU-Wahl knapp halbiert wurde und gerade aus zwei Landtagen geflogen ist, scheint für die selbsternannte Klimapartei kein Problem zu sein.

Kanzlerkandidat kann heute offenbar jeder werden. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht hat eine formale Kandidatur gar nicht nötig – sie ist sowieso omnipräsent in Talkshows und Wahlsendungen. Der Gipfel an Lächerlichkeit wäre erreicht, wenn sich auch Die Linke anschickt, einen Kanzlerkandidaten zu opfern. Getreu dem alten FDP-Motto: Auch mit wenigen Prozentpunkten kann man Regierungschef werden.

Wahlkampf der Visionen

Das Duell ums Kanzleramt ist nicht mehr zeitgemäß. Schon bei der letzten Bundestagswahl stellten sich drei Kandidaten den Fragen der Moderatoren. In der Zwischenzeit haben sich die Zustimmungswerte weiter verschoben. Mit der Union gibt es zwar eine klar führende Kraft, aber selbst mit ihren traurigen 30 Prozent wird sie dem Anspruch einer Volkspartei nicht mehr gerecht.

Seit 2021 erleben wir das erste Mal seit 60 Jahren eine Koalition auf Bundesebene mit mehr als zwei Fraktionen. In Rede stand eine solche Konstellation aber schon seit einigen Jahren. Solche Regierungsbildungen sind immer die Folge eines Machtverlusts einzelner Parteien. Auch die Macht künftiger Kanzler wird dadurch geschmälert.

Deswegen würden Gesprächsrunden mit den Spitzenkandidaten sämtlicher aussichtsreicher Parteien die politische Realität im Land deutlich besser abbilden. Im Vordergrund stünde nicht mehr die Frage, wer nächster deutscher Bundeskanzler wird. Der Fokus läge stattdessen auf den Programmen und Vorschlägen der einzelnen Parteien. Da selbst Koalitionen mit zwei Parteien ein Auslaufmodell sind, könnten auf diese Weise besonders gut mögliche Schnittmengen aber auch Unterschiede zwischen den Akteuren sichtbar werden. Auch der Wahlkampf wäre dann weniger auf Personen zugeschnitten, sondern auf Inhalte und Visionen.


Deutschland ist politisch gespalten wie selten. Die Vielzahl an Parteien im Bundestag sind das beste Zeugnis dafür. Diese Spaltung ist auf Dauer nur durch Dialogbereitschaft und gegenseitigen Austausch zu überwinden. Wer allerdings die Schotten dichtmacht und sich in exklusiver Kungelrunde zusammentut, obwohl andere Parteien mindestens den gleichen Anspruch auf Teilnahme hätten, verspielt das letzte bisschen Glaubwürdigkeit, das bleibt, um die Demokratie vor ihren Feinden zu verteidigen.

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