K(l)eine Lobby

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Die Maßnahmen gegen die Pandemie sind hart – nicht nur für Verbraucher. Auch viele Gastronomen, Hotelbetreiber und Krankenpfleger haben in der Pandemie ein schweres Los gezogen. Und obwohl diese Gruppen am härtesten von der Coronakrise gezeichnet sind, werden sie teilweise in der Luft hängengelassen. Immer offensichtlicher wird: Wer Macht und Einfluss hat, kann seine Schäfchen ins trockene bringen. Wer über keine Lobby verfügt, der muss schauen, wie er zurechtkommt. Und immer klarer wird, dass sich die Regierung mit diesem lobbygeführten Kurs keinen Gefallen tut.

Lockdown 2.0

Mehr als 20.000 Neuinfektionen an einem Tag – Nach dieser Horrormeldung vom vergangenen Herbst sah sich die Bundesregierung gezwungen, die Maßnahmen gegen das Virus drastisch zu verschärfen. Obwohl er lange kategorisch ausgeschlossen wurde, kam der zweite flächendeckende Lockdown dann doch. Wie bereits im Frühjahr versprach die Regierung reflexartig schnelle und unkomplizierte Hilfen für kleine Betriebe und Selbstständige. Die vielgepriesenen Novemberhilfen waren aber selbst im Januar bei vielen Betroffenen noch nicht auf dem Konto. Einige große Konzerne hingegen durften die Staatshilfen mit offenen Armen empfangen. Viele von ihnen gaukelten den Steuerzahlern eine herannahende Unternehmenspleite  vor, um dem Staat das Geld aus den Rippen zu leiern. An den Arbeitsverhältnissen der Beschäftigten änderte das wenig.

Die Rechnung ist einfach: Die Vorstände und Aktionäre sind Dauergast in Ministerien und bei Entscheidungsträgern. Mit einer Heerschar an Lobbyisten können sie die Politik so beeinflussen, dass ihnen Gesetze bloß nicht auf die Füße fallen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben können das nicht. Ansonsten hätten sich viele prekäre Arbeitsverhältnisse während der Coronakrise sicher nicht noch verschlimmert.

Denn seit fast einem Jahr ist das medizinische Personal in den Krankenhäusern noch mehr am Limit als zuvor. Zwar genossen sie besonders im Frühjahr eine deutlich höhere gesellschaftliche Wertschätzung für ihre Arbeit, echte Verbesserungen in ihren Jobs blieben aber aus. Warum? Weil der Deutsche Bundestag es vorzog, in den Applaus auf den Balkons und in den Wohnzimmern einzustimmen, anstatt echte Lösungen anzubieten. Währenddessen mussten Krankenpflegerinnen und -pfleger mit teilweise mangelhafter Schutzausrüstung dem Virus die Stirn bieten. Statt mehr Geld bekamen manche Pflegekräfte die Kündigung, weil sie einer Impfung zum jetzigen Zeitpunkt ablehnend gegenüberstehen.

Viel Geld für kleines Risiko

Ähnliches gilt für die Arbeiterinnen und Arbeiter in Fleischereibetrieben. Nach der Masseninfektion beim Schlachtbetrieb Tönnies im Juni 2020 war der Aufschrei gegen die unmenschlichen Arbeitsverhältnisse in den Betrieben groß. Nachdem die Erkrankung bei den meisten Beschäftigten abgeklungen war, ebbte allerdings auch die öffentliche Empörung ab. Es ist unwahrscheinlich, dass sich an den Arbeitsverhältnissen in den Schlachtereibetrieben seither grundlegend etwas geändert hat. Die Überzeugungskraft der Mitarbeiter gegenüber der Politik war leider nicht groß genug. Anders sah es da bei den direkt Verantwortlichen der Masseninfektionen aus. Es gab zwar den ein oder anderen Rücktritt, nachhaltige Konsequenzen hatte der Skandal aber für keinen von ihnen.

Natürlich kann man in der derzeitigen unberechenbaren Situation auch große Konzerne nicht in der Luft hängenlassen. Wer in Not ist, dem muss geholfen werden. Es fällt aber schwer, das zu glauben, wenn die gleichen Unternehmen, die mit zig Millionen Euro an Steuergeld überhäuft wurden, im Jahr der Krise ähnliche Summen an ihre Aktionäre und Vorstände auszahlen. Befürworter dieser perversen Praxis betonen immer wieder, dass diese Krisengewinner schließlich ein weitaus höheres Risiko trügen, für das sie entlohnt werden müssten. Das Risiko schwindet allerdings, wenn man weiß, dass in jeder schwierigen Lage sofort der Staat aushilft.

Auch die Arbeitsplätze in den Unternehmen werden in diesem Zusammenhang häufig in fast erpresserischer Art und Weise ins Feld geführt. Wer keine Unternehmen rettet, der zerstört Arbeitsplätze, heißt es dann immer. Es wäre ja schön, wenn die Hilfsgelder an die Beschäftigten gingen, aber das ist fernab jeglicher Realität. Stattdessen setzen Unternehmen wie die Lufthansa tausende Menschen auf die Straße, obwohl sie vorher noch horrende Summen erhielten, um genau das zu verhindern.

Schulgipfel, und keiner kommt

Immer offener tritt zutage, dass die Hilfen tatsächlich Unternehmensrettungen sind, aber als Rettung gefährdeter Arbeitsplätze versagen. Begünstigt werden juristische Personen und einige wenige Nutznießer in den oberen Etagen der Konzerne. Am Tisch sitzen meist die Vertreter der Vorstände, viel zu selten die Vertreter der Belegschaft. So wird ein Autogipfel nach dem anderen abgehalten, weil diese Industrie über eine mächtige Lobby verfügt. Schulgipfel stehen dagegen selten auf der Agenda. Finden solche Gesprächsrunden doch einmal statt, dann meist in exklusiver Runde der zuständigen Minister. Was die Lehrkräfte und Schüler tagtäglich leisten, wird auch dort nicht abgebildet.

Im Lockdown bleiben die Schulen dicht. Home Schooling ist angesagt, egal ob sich die Eltern das erlauben können oder nicht. Zu hoch ist die Gefahr von Corona-Massenausbrüchen an Schulen. Viele Arbeitnehmer tingeln währenddessen weiter zur Arbeit. Es ist richtig, dass die meisten Unternehmen weiter wirtschaften können, um noch schlimmere ökonomische Folgen der Krise zu vermeiden. Gut ist auch, dass es in vielen Betriebsstätten durchdachte Hygienekonzepte gibt. Dieses Szenario ist allerdings nicht der Vernunft zu verdanken, sondern rührt schlicht daher, dass Arbeitgeberverbände Präsenzarbeit in weiten Teilen durchgesetzt haben. Der Einfluss der Schulen reicht nicht aus, um flächendeckenden Präsenzunterricht zu ermöglichen.

Die Pandemie macht Schule

Natürlich gibt es ein Infektionsrisiko in gefüllten Klassenzimmern. Aber dieses Risiko besteht doch mindestens in gleicher Weise in deutschen Büros und anderen Stätten, wo die Arbeit kinderleicht aus dem Home Office verrichtet werden kann. Selbst wenn viele Arbeitnehmer zwischenzeitlich allein in ihrem Büro sitzen – viele pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die sich lange vor Corona gerade im Winter als Virentreiber erwiesen haben.

Pläne, wie mit der Pandemie im Schulbetrieb umgegangen werden kann, liegen massenweise vor. Der Ideenreichtum reicht hier von Luftfilteranlagen bis zu hybriden Konzepten, die einen ständigen Wechsel zwischen Präsenz- und Online-Lehre vorsehen, um die Klassenräume nicht zu überfüllen. Aber selbst wenn ein solches Konzept zum Tragen kommt: Die mangelhafte Ausstattung an den Schulen macht das nicht wett. Denn lange vor Corona bot sich in vielen Unterrichtsräumen ein ähnliches Bild: kaputte Fenster, ein tropfender Wasserhahn, Risse in den Wänden, eine vorbeiflitzende Maus und hinten in der Ecke steht der obligatorische Overhead-Projektor.

Gesundheitsschutz vs. Lobbyhörigkeit

Das Ziel Gesundheitsschutz tritt in der Pandemie immer wieder hinter den Lobbywünschen einiger einflussreicher Akteure zurück. Das führt schnell zu einer Ungenauigkeit der Maßnahmen und letztendlich zu einer Gesundheitsgefährdung. Restaurants und Bars haben im vergangenen Jahr strenge Hygienemaßnahmen erarbeitet und umgesetzt. Es hat nichts genutzt, im Herbst mussten sie erneut dichtmachen. Verschont von diesen harten Regelungen blieben dagegen Großkonzerne, die den Betrieb fast unbeeinträchtigt fortsetzten. Die Hygienekonzepte dort waren wohl sicherer als in der Gastronomie. Oder war es vielleicht doch der stärkere Einfluss auf die Politik?

Aus verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Richtungen wird schon lange angezweifelt, dass gastronomische Betriebe und Hotels tatsächlich die schlimmsten Corona-Hotspots sind. Oppositionelle und Forscher betonen immer wieder, dass die Hygienekonzepte kleine lokale Ausbrüche schnell beherrschbar und nachverfolgbar machen.

Unnötiges Risiko

Jüngst verhängte die Regierung eine FFP2-Maskenpflicht. Die Menschen werden so besonders bei näherem Kontakt besser geschützt. An einem dichter getakteten ÖPNV-Netz scheiterte die Regierung aber bislang. Zu klein waren hierfür die Investitionen, zu gering der Einfluss auf Konzerne und Verkehrsbetriebe. Auch gegenüber der Arbeitgeberschaft knickt die Politik immer wieder ein. Zuckersüßes Bittebitte-Sagen reicht nicht aus, um Infektionen am Arbeitsplatz einzudämmen. Eine Home-Office – Pflicht muss her.

Alles andere gefährdet möglicherweise die Gesundheit vieler Menschen. Wer mit Bus und Bahn zur Arbeit fährt, obwohl diese Arbeit bequem in den eigenen vier Wänden erledigt werden könnte, der setzt sich bereits auf dem Arbeitsweg einem unnötigen Risiko aus. Es stellt sich immer häufiger die Frage, ob die Politik die Lobbyisten an der langen Leine hält oder ob die Lobbyisten die Politik in Ketten legt.

Interessenspolitik darf in Zeiten der Pandemie keinen Platz haben. Nicht nur, dass dadurch unnötige Risiken provoziert werden – das Verständnis der Menschen für harte Maßnahmen schwindet ebenso. Dichtes Gedränge in Montagehallen und Büros ist erlaubt, aber ein Waldspaziergang zu zweit in einem Ort 20 Kilometer weit weg von zu Hause ist es unter Umständen nicht. Kein Mensch kann so etwas verstehen. Kein Virus wird so bekämpft. Keiner wird davon überzeugt.


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Fair statt quer

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Corona erweist sich immer öfter als fataler Katalysator für Probleme in den unterschiedlichsten Bereichen. Es verschärft die prekären Verhältnisse in den Krankenhäusern und im Gesundheitswesen, es verschlimmert die unmenschlichen Zustände in Schlachtereien, aber es treibt auch die Entfremdung von der Demokratie voran, die lange vor Corona einsetzte. Nur ein echter Politikwechsel hin zu mehr Bürgernähe kann dazu beitragen, ein Auseinanderdriften in Zeiten ohne Abstand zu verhindern.

Schlecht, schlechter, Corona

Diskutieren Politiker, Wissenschaftler und andere Experten über die Folgen der Coronakrise, darf eines nicht fehlen: die Brennglas-Metapher. Besonders gut verdeutlicht sie die Missstände, die durch die Pandemie offensichtlich wurden. Dabei ist sie inzwischen schon fast zu einer Floskel verkommen. Das ist schade, bringt sie die Probleme doch besonders wahr und klar zum Ausdruck. Denn einerseits verschärfte sich die Situation in deutschen Krankenhäusern durch das Virus enorm. Wo der Betrieb bisher mit Ach und Krach gerade so am Laufen gehalten wurde, da befindet sich viel medizinisches Personal heute jenseits seines Limits. Andererseits kann das Brennglas auch nur dort verschlechtern, wo bereits zuvor ein Missstand war. Die extrem dünne Personaldecke in den Krankenhäusern oder die katastrophalen Zustände in deutschen Fleischereibetrieben sind keine Erfindung des Virus.

Unter diesen skandalösen Bedingungen konnte das Virus nur besonders gut gedeihen. Plötzlich wusste jeder im Land, dass die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter jeden Morgen in überfüllten Bussen zur Arbeit gekarrt wurden. Außerhalb der viel zu langen Arbeitszeiten mussten sie in schuhkartonähnlichen Baracken ausharren. Man ist fast geneigt, von Massenarbeiterhaltung zu sprechen.

Ein ernsthaftes Problem

Es ist richtig, dass all das nun endlich an die Öffentlichkeit kam. Es ist ebenso richtig, dass sich die Menschen darüber empören und die Politik unter Druck setzen. Richtig wäre auch, wenn diesen Problemen endlich Abhilfe geschaffen würde. Es stimmt aber leider genau so, dass ein Missstand bis heute viel zu wenig zur Sprache kam. Die Corona-Pandemie hat doch auch offensichtlich gezeigt, in welch schlechtem Zustand sich unsere Demokratie heute befindet.

Ich meine damit übrigens nicht, dass die Parteien darüber streiten, wie sie rechtzeitig zur Bundestagswahl genügend Kandidaten aufstellen sollen oder in welcher Form die Wahlen überhaupt stattfinden. All das sind Probleme, die relativ leicht zu lösen sind. Ich rede vom frappierenden Vertrauensverlust gegenüber der Demokratie, der durch die Pandemie besonders deutlich wurde. Es ist nämlich nicht so, dass die selbsternannten Querdenker lediglich von Stadt zu Stadt ziehen und eine Demo nach der anderen abhalten. Sie ziehen regelmäßig tausende Menschen an, die ihnen folgen, ihnen zuhören und sie sogar bejubeln. Am schlimmsten allerdings ist: Sie glauben ihnen.

Nun kann man leicht die Nase rümpfen und sich über diese Aufläufe echauffieren. Man kann diese Menschen sehr einfach als Nazis, Reichsbürger und anderes undemokratisches Geschmeiß diffamieren. Und ganz bestimmt besteht der harte Kern der Querdenker aus solchen Leuten. Es leuchtet allerdings nicht ein, wo diese Anti-Demokraten auf einmal alle hergekommen sein sollen. Es muss doch einen Anlass dafür geben, warum sie für die Theorien dieser Szene so empfänglich sind. Sie protestieren laut, dass sie die Schnauze endgültig vollhaben. Was also hat ihre Schnauzen so lange gefüllt?

Eine Luftnummer

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das deutsche Grundgesetz ist eindeutig: Das Volk ist der Souverän. Die Politikerinnen und Politiker sind verpflichtet, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu handeln. Schaut man sich allerdings das Regierungshandeln der letzten Jahre an, so ist von diesem Grundsatz nicht viel geblieben. Menschen arbeiten in äußerst prekären Arbeitsverhältnissen, die Rente reicht vielen hinten und vorne nicht, in den Schulen bröckelt der Putz von der Decke. Gleichzeitig werden Millionen in unsinnigen Mautbestrebungen versenkt, die Rüstungsindustrie muss nicht einmal mehr „Bitte“ sagen und Banken werden mit Steuergeldern aus der selbstverschuldeten Krise gezogen. Mit echter Demokratie und Volksnähe hat das nichts zu tun.

Seit vielen Jahren hört die Regierung viel eher auf die Befindlichkeiten der Wirtschaft als auf die realen Nöte ihrer Bevölkerung. Den bisherigen Höhepunkt erreichte diese Interessensverirrung tatsächlich in der Coronakrise. Die Regierung steckte Milliarden an Steuergeld in die Lufthansa, um das marode Unternehmen auch in der Krise weich landen zu lassen. Wow, könnte man jetzt meinen, endlich mal was für Arbeitsplätze und soziale Absicherung. Doch weit gefehlt! Nicht ein Cent war an den tatsächlichen Erhalt eines einzigen Arbeitsplatzes geknüpft. Stattdessen kündigte Lufthansa jüngst an, fast 30.000 Stellen zu streichen.

Und raus bist du

Die Bodenhaftung und das Gespür für die Sorgen und Nöte der ganz normalen Bevölkerung hat die Politik vor langer Zeit verloren. Resigniert haben viele längst das Handtuch geworfen und wurden zu Nichtwählern. Es ändert sich ja doch nichts. Man kann wählen, wen man will, die persönlichen Lebensumstände tangiert das nicht einmal peripher. Diese Ignoranz hat viele Menschen vom demokratischen Diskurs entwöhnt. Sie selbst haben viele der Spielregeln der Demokratie verlernt, weil sie lange nicht mitspielen durften. Das führt dann beispielsweise zu einer völligen Umdeutung des Begriffs der Meinungsfreiheit. Für immer mehr bedeutet die Meinungsfreiheit heute, dass sie unwidersprochen sagen können, was sie wollen. Es ist die penetrante Taubheit der Regierung gegenüber den Menschen, die zu dieser verqueren Entwicklung geführt hat.

Durch Corona sind wir einer Situation gelandet, die schnelles und unbequemes Handeln erfordert. Das beinhaltet auch eine temporäre Einschränkung einiger Grundrechte. Selbst in Zeiten einer blühenden Demokratie wäre so etwas eine Zumutung. Doch in der jetzigen Situation haben wir es mit einer großen Zahl an Skeptikern zu tun, die sich in ihrer Meinung bestätigt fühlen. Die Beschneidung der Grundrechte interpretieren sie doch zwangsläufig als direkten Angriff auf die Demokratie. Nachdem lange an ihnen vorbeiregiert wurde, müssen sie doch jetzt davon ausgehen, dass es tatsächlich ihrer persönlichen Freiheit an den Kragen geht.

Mehr als drei Kreuzchen

Rechten Rattenfängern spielt das natürlich in die Karten. Längst hat sich die AfD mit der Querdenkerszene verbrüdert. Anstatt nun alle Menschen, die auf solche Demos gehen, pauschal als Verschwörungstheoretiker und Rechte abzutun, muss es doch die oberste Priorität echter Demokraten sein, diesem wilden Treiben von rechts Einhalt zu gebieten. Denn die Ultrarechte wird es immer geben. Wichtigstes Anliegen muss sein, die Menschen durch echte Bürgerbeteiligung nicht einmal in diese Richtung denken zu lassen.

Offensichtlich reicht es vielen Menschen nicht aus, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen. Zwischen den Wahlen fühlen sie sich häufig ohnmächtig. In Deutschland hat sich eine politische Kultur etabliert, in der von den Bürgern erwartet wird, ihre demokratischen Rechte in der Wahlkabine abzugeben. Aber nur wenn die Geschicke des Landes auch nach und vor einer Wahl beeinflusst werden können, entsteht echte Demokratie. Nur wenn das Volk das Parlament effektiv kontrollieren kann, wird Frust zu Begeisterung und Verdruss zu Motivation.

Wenn der Souverän entscheidet

Ein Bürgerrat ist ein sinnvoller Schritt, um die Interessen aus dem Volk ins Parlament zu tragen. Über Bürgervetos sollen die Menschen bemächtigt werden, Nein zu kritischen Gesetzen zu sagen, wenn sie andere konstruktive Vorschläge machen können. Sollten Bürgerbegehren tatsächlich zu Gesetzesvorlagen führen, sollten die Menschen dazu berechtigt sein, in bundesweiten Volksabstimmungen darüber zu entscheiden.

All diese Initiativen würden die Politik enorm beleben. Besonders die Parteien würden davon profitieren, weil sie neue Anreize hätten, möglichst viele Menschen von ihren Ideen zu überzeugen. Auch die Menschen selbst wären zufriedener, weil sie die Gewissheit hätten, dass sie an den Entscheidungen beteiligt waren. Sie würden viel eher hinter Gesetzen stehen, als wenn jemand darüber entscheidet, dem sie vor Urzeiten einmal ihre Stimme gegeben haben.

Das alles lässt sich aber nur dann realisieren, wenn die Politik endlich begreift, dass sie mit ihrer unsäglichen Wirtschaftshörigkeit auf keinen grünen Zweig kommt. Es muss nicht immer darum gehen, dass sie etwas rechnet. In manchen Bereichen hat der Profitgedanke nichts zu suchen. Wirtschaftspolitische Entscheidungen müssen im Einklang mit Bürgerinteressen stehen. Wenn es andersrum erwartet wird, verlieren die Menschen den Glauben an die Demokratie. Stattdessen glauben sie solchen, denen es ganz bestimmt nicht um die Wahrheit geht.


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Dafür oder dagegen

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Der Ausgang der anstehenden US-Präsidentschaftswahl ist völlig ungewiss. Trump schwächelt zwar, ein möglicher Sieg für ihn ist aber weiterhin nicht vom Tisch. Sein Herausforderer Biden hat es bis heute nicht geschafft, den Menschen über Donald Trump die Augen zu öffnen. Das ist auch kein Wunder, wählen viele schließlich nicht FÜR Trump, sondern GEGEN Biden. Auch in der deutschen Parteienlandschaft zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab. Viele wählen nicht für die Populisten, sondern gegen das Establishment.

And the next president is…

Ende des Jahres stehen die US-Amerikaner erneut vor der Wahl: Wer soll ihr Land in den nächsten vier Jahren regieren? Darf sich der amtierende Präsident Donald Trump weiter im Weißen Haus verschanzen, ein sinnvolles Anti-Kriegs – Abkommen nach dem anderen aufkündigen und viele weitere egoistische Wirtschaftsembargos verhängen? Oder soll zukünftig Joe Biden die Geschicke des Staatenbunds bestimmen – ein in die Jahre gekommener Hardcore- Establishmentverfechter, den außer fehlendem Haarvolumen und Make-up nicht viel von seiner glücklosen Vorgängerin Hillary Clinton unterscheidet?

Auch bei der US-Wahl 2020 zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen den beiden Kontrahenten ab. Wie bereits vor vier Jahren ist vollkommen ungewiss, wer die Wahl gewinnen wird. Trump schwächelt zwar in Umfragen, sein Rückhalt ist aber weiterhin enorm. Eines ist allerdings jetzt schon klar: Wer sein Kreuz hinter Trump macht, der stimmt nicht zwangsläufig für den amtierenden Präsidenten. Denn jede Stimme, die Trump einheimsen kann, ist eine Ohrfeige für Biden.

Pest und Cholera

Das Wahlsystem in den USA lässt prinzipiell gar keinen anderen Schluss zu. Im Rennen sind in der Regel nur zwei aussichtsreiche Kandidaten, einer für die Demokraten, der andere für die Republikaner. Und doch ziehen viele Amerikaner den tobsüchtigen, egoisitischen, organenen Mann einem Kandidaten vor, der zwar auf den ersten Blick stinklangweilig wirkt, aber bestimmt auch über eine Menge Lebenserfahrung verfügt. Wie bereits 2016 wird für Trump nicht gestimmt, weil er ein so unfassbar geeigneter Präsident ist, sondern weil sein Gegenspieler ein so unfassbar ungeeigneter Kandidat ist.

Selbst wenn Hilary Clinton 2016 die Wahl gewonnen hätte: Ähnlich wie Trump hätte sie das nur mit einem hauchdünnen Vorsprung geschafft. Und das hat Gründe. Viele Wählerinnen und Wähler spürten, dass es mit einer Präsidentin Clinton nicht vorwärts gegangen wäre. Von ihrer Präsidentschaft versprachen sich viele viel zu wenig. Sie war die Kandidatin des Establishments, der sozialen Unsicherheit und der Reichen und Mächtigen. Es ist ein Trauerspiel, dass die Wähler selbst einem Donald Trump eher das Vertrauen aussprachen – einem offensichtlichen Chauvinisten, der Frauen beschimpft und es mit der Wahrheit überhaupt nicht genau nimmt.

Und auch bei der kommenden Wahl dürfte es eng werden. Es ist natürlich möglich, dass Joe Biden der nächste Präsident der USA wird. Dann aber ganz sicher nicht, weil seine Argumente so überzeugt haben. Auch die schlechten Umfragewerte von Donald Trump hängen direkt mit dessen Missmanagement der Corona-Krise zusammen. Joe Biden ist ein Kandidat, der ausschließlich von der Führungsschwäche Trumps profitiert. Er führt einen Wahlkampf gegen seinen Kontrahenten, aber nicht für seine eigene Sache. Dann müsste er nämlich zugeben, dass er wie Trump ohne echten Plan dasteht. Er müsste gestehen, dass seine Alternative alles andere als erstrebenswert ist. Denn eine Zukunft ohne Trump ist nicht unbedingt eine bessere Zukunft – schon gar nicht, wenn sie Joe Biden heißt.

Eine zweite CDU

In Deutschland haben die Wähler traditionell die Wahl zwischen mehr als zwei Parteien. Man könnte meinen, dass die Wahl einer bestimmten Partei nicht dazu geeignet ist, einer anderen Partei eins auszuwischen. Spätestens seit die AfD am politischen Horizont erschienen ist, hat sich das aber geändert. Natürlich gibt es Menschen, die die AfD aus voller Überzeugung wählen. Das gilt aber nicht für die Mehrheit der AfD-Wähler. Die meisten wählen diese Partei, weil sie sich entweder von keiner der anderen Parteien vertreten fühlen oder weil sie es dem Establishment zeigen wollen.

Einige Parteien im Land tun auch wirklich alles, um die Serie an Wahlerfolgen der AfD nicht abreißen zu lassen. Jüngstes Beispiel ist vermutlich Olaf Scholz. Der stolze Olaf darf die SPD bei der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerkandidat vertreten – es sei denn, die Partei besinnt sich rechtzeitig eines besseren.

Olaf Scholz ist nämlich der fleischgewordene Wahlgrund für die AfD. Er steht für alles, was die AfD-Wähler ablehnen. Er gilt als Wegbereiter der Hartz-Reformen, die viele Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse gestürzt haben. Und er war immer mit ganzem Herzen dabei, wenn es um die Errichtung einer großen Koalition ging. Zweimal war er bisher in einer solchen Regierung Minister. Mit Angela Merkel scheint es bisher keine größeren Reibereien gegeben zu haben. Viel eher hat man den Eindruck, Olaf Scholz will die SPD zur neuen Schwesterpartei der CDU umformen. Und genau dieser Mann soll ernsthaft einen Neuaufbruch verkörpern? Tatsächlich verkörpert dieser Mann nur eines: Er ist eine wandelnde Provokation an das wählende Volk. Seine Kandidatur wird keinen einzigen Wähler von der AfD zurückgewinnen. Eher gehen da die Menschen gar nicht zur Wahl.

Eine wandelnde Provokation

Denn auch um die Umfragewerte der AfD ist es seit Monaten nicht besonders gut bestellt. Seitdem die Lockerungen der Corona-Maßnahmen Fuß gefasst haben, steigen die Werte der Partei zwar allmählich wieder, an das Ergebnis der letzten Bundestagswahl kommen sie aber weiter nicht ran. Das hängt ähnlich wie bei Trump aber nicht mit der guten Performance der politischen Konkurrenz zusammen. Einzig die CDU konnte ihren Rückhalt in der Bevölkerung während der Corona-Krise merklich ausweiten. Alle anderen Parteien waren bisher nicht in der Lage, den AfD-Wählern ein besseres Angebot zu unterbreiten. Folglich bleiben diese Menschen bei der AfD – oder werden zu Nichtwählern. So sind die sinkenden Umfragewerte der AfD zu interpretieren. Mit Olaf Scholz und der SPD haben sie wenig zu tun.

Die Leute lassen sich nämlich nicht auf Dauer für blöd verkaufen. Hartz-IV und den maroden Arbeitsmarkt gibt es schon seit längerem, und ganz bestimmt ist Olaf Scholz nicht allein dafür verantwortlich. Doch die Sozialdemokraten haben da gerade jemanden zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt, der momentan bei gleich zwei Skandalen in den Seilen hängt. Zum einen ist da der Cum-Ex – Skandal. Der amtierende Finanzminister und frühere Bürgermeister Hamburgs hat sich in dieser Affäre bereits in zahlreichen Widersprüchen verheddert. Und auch beim noch aktuelleren Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard macht Scholz kaum eine bessere Figur. Als Finanzminister hat er viel zu lange weggesehen und damit die kriminellen Geschäfte von Wirecard zumindest laufen lassen. Wie kann es so jemand eigentlich wagen, den Anspruch zu stellen, deutscher Regierungschef zu werden?

Alles auf Volksnähe

Gerade die Regierung sollte das gesamte Volk im Blick haben. Aber nicht nur in Deutschland wird seit Jahren am Volk vorbeiregiert. Die Interessen der einzelnen jucken die Politiker schon lange nicht mehr. Natürlich spüren das die Wählerinnen und Wähler. Und dann suchen sie sich Alternativen. Die Populisten geben den Enttäuschten zumindest das Gefühl, an ihrer Seite zu stehen. Mit ihren platten Parolen und ihren rassistischen Ressentiments täuschen sie vielen eine Volksnähe vor, die angeblich den Interessen der Bevölkerung dient. In Wahrheit allerdings machen Politiker wie Donald Trump eine fast noch wirtschaftshörigere Politik als das verhasste Establishment. Unter dem Deckmantel des Bürgerverständnisses können sie das aber meist gut verstecken.

Die deutsche Bundesregierung hingegen gibt sich immer weniger Mühe, die beinahe symbiotische Beziehung zur Wirtschaft zu verschleiern. Immer offensichtlicher kommuniziert sie an die Bürger, in wessen Auftrag sie wirklich handelt. Nach dem Dieselskandal machte die Regierung rege von der freien Meinungsäußerung Gebrauch und erklärte, dass ein solches Vorgehen nicht akzeptabel wäre. Schlagkräftige Konsequenzen blieben aber bis heute aus. Stattdessen knickte die Regierung vor dem augenscheinlichen Rechtsbruch der Autokonzerne ein und ließ die Autofahrer bluten. Plötzlich waren umweltpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung des Feinstaubs Priorität Numero uno. Um die Umwelt ging es der Regierung allerdings nicht. Sie hatte einfach Schiss, sich mit den Konzernen anzulegen.

Gegen den politischen Mainstream

Auch bei den Cum-Ex – Geschäften agierte die Regierung nicht im Sinne der Steuerzahler. Anstatt die ergaunerten Steuermilliarden zurückzufordern, pfeifen die Verantwortlichen bis heute darauf, den betrogenen Steuerpflichtigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und auch die angebliche Rettung von Lufthansa ist das, was sie vorgibt zu sein: die Rettung eines Konzerns, nicht aber der darin prekär Beschäftigten. Die Regierung pumpte gewaltige Steuersummen in das Unternehmen, kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichzeitig aber nicht vor Arbeitsplatzverlust schützen.

Moment, eigentlich sollte es eher heißen: Die Regierung will die Beschäftigten nicht schützen. Können tut sie es. Denn was wir in den letzten Jahren erleben, ist kein schlichtes Missmanagement der Politik. Im Prinzip managt die Politik ihre Angelegenheiten sogar ziemlich gut. Die Regierung versagt nicht in ihrem Auftrag, den Willen des Volkes umzusetzen. Sie missachtet ihn. Sie macht keine schlechte Politik für die Menschen im Land; sie macht überhaupt keine Politik für die Menschen im Land. Im Ergebnis ist das dann natürlich auch eine schlechte Politik für die Menschen.

Das schlimme daran: Auch wenn sich die GroKo in letzter Zeit zum Normalzustand der Regierung entwickelt hat, erleben wir das gleiche Trauerspiel in unterschiedlichen Konstellationen. Und plötzlich steht eine neue Partei bereit, die verspricht, den Wählern all das zu geben, was ihnen in den letzten Jahren vorenthalten blieb. Eine Partei, die alle anderen Parteien und Meinungen als politischen Mainstream geißelt und vorgibt, die einzig gute politische Alternative zu sein. Und immer deutlicher wird: Wer diese Menschen wählt, wählt vor allem die anderen nicht.


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