Wie die Linken die Menschen rechts liegenlassen

Lesedauer: 9 Minuten

Linkssein gilt heute eher als Beleidigung und nicht mehr so sehr als politische Einordnung. Immer öfter heißt es Rechts gegen Links. Als ob es nicht irgendwas dazwischen gäbe. Und genau dieses Dazwischen ist das Problem. Die echte Linke hat es sich viel zu lange gefallen lassen, dass alle dazwischen zu einem linken Mob stilisiert wurden. Die Linke hat damit an Bedeutung eingebüßt und viele Wähler an die verloren, die mit aller Macht versuchen, linke Alternativen verächtlich zu machen.

Lechts und Rinks

Früher war völlig klar: Wählst du SPD, dann bist du ein Linker. Wählst du CDU, dann fühlst du dich der demokratischen Rechten zugehörig. Klar, die Zeiten des Drei-Fraktionen – Parlaments sind lange vorbei. Der Bundestag ist eher damit beschäftigt, nicht zeitnah aus allen Nähten zu platzen. Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag schließlich so gefüllt wie nie. Fast langweilig, dass den Damen und Herren hinter den Regierungsbänken nichts originelleres als eine Große Koalition eingefallen ist.

Die politischen Einordnungen links und rechts sind allerdings weiterhin rege in Gebrauch. Gerade der Begriff der politischen Linken hat sich in den letzten Jahren allerdings massiv verändert. Glaubt man der Propaganda der AfD, so wimmelt es im Land von Sozialisten und linken Ideologen. Im Kern bezeichnet die AfD die Politik aller anderen Fraktionen im Parlament als links. Gut, im Prinzip liegen sie damit gar nicht mal so falsch. Erstens sitzt die AfD nun einmal ganz rechts im Parlament, weswegen es wirklich kein Kunststück ist, sich links von den Gauleitern und Baumännern aufzuhalten. Zweitens macht es die AfD den anderen Fraktionen ziemlich leicht, im Schatten ihres teilweise rechtsextremen Personals wie linke Hallodris dazustehen.

Wenn allerdings die Bundeskanzlerin als „Sozialdemokratin“ diffamiert wird, hört der Realitätssinn auf. Die Politik von CDU und FDP ernsthaft als links zu bezeichnen, muss doch jedem echten Linken wie ein kräftiger Hieb in die Magengegend vorkommen. Reihum geißelt die AfD die Politik der übrigen Fraktionen als linksliberal oder sogar als linksgrün-versifft. Das Wort „links“ verkommt für die Anhänger der Rechtspopulisten immer mehr zur ultimativen Herabsetzung anderer Positionen. Doch machen es bestimmte andere Lager der AfD mitunter viel zu leicht. Nur zu willig lassen sie sich die roten Socken überstülpen und feiern sich dafür, dass sie von rechtsaußen als Gutmenschen betitelt werden. Warum die AfDler alle Schlechtmenschen sein wollen, wird viel zu selten hinterfragt.

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Die Grenzen gesunden Menschenverstands

Dass weder Angela Merkel noch Christian Lindner ernsthaft linke Politik betreiben, steht vollkommen außer Frage. Doch was ist denn dann überhaupt wirklich links? Wikipedia bezeichnet jene Ansätze als links, „welche die Aufhebung von Ungleichheit und als Unterdrückung begriffenen Sozialstrukturen zugunsten der wirtschaftlich oder gesellschaftlich Benachteiligten zum Ziel haben“. So weit, so unverständlich. Nach der klassischen Auffassung werden die Parteien links der CDU dem linken Parteienspektrum zugeordnet. Doch gerade in diesem Umfeld haben sich in den letzten Jahren die schärfsten Veränderungen im Selbstverständnis linker Politik vollzogen.

Die Grünen gelten für die AfD dabei als DAS Feindbild überhaupt. Für sie sind die Grünen der Inbegriff der verhassten linksgrün-versifften 68er-Mentalität. Doch bereits hier stößt der gesunde Menschenverstand an seine Grenzen. Um es in einem Satz auszudrücken: Die Grünen sind nicht links. Zum Linkssein gehört mehr als sich von seinen parlamentarischen Opponenten so schimpfen zu lassen. Grundsätzlich ist linke Politik sozial, friedlich und tolerant.

Die Grünen sind nicht links!

All diese Beispiele haben die Grünen in der Vergangenheit widerlegt. Es stimmt, dass die Grünen einst als Friedens- und Umweltpartei gegründet wurden. Die Umweltpartei sind sie vielleicht auch geblieben. Immerhin profitieren sie am meisten von der Klimadebatte; ein Blick auf die Umfrageergebnisse reicht hier aus. Doch wie sieht es mit dem Frieden aus? Bei den letzten namentlichen Abstimmungen im Bundestag über Einsätze der Bundeswehr im Ausland haben die Grünen fast immer einstimmig mit Ja gestimmt. Wirklich überraschen kann das keinen. Unter Schröder haben die Grünen immerhin den Einsatz der Armee in Afghanistan mitgetragen, natürlich alles unter dem Deckmantel der außenpolitischen Verantwortung.

Sozial sind die Grünen auch schon lange nicht mehr. Genau in ihre wenig ruhmreiche Regierungszeit vor fünfzehn Jahren fällt die Einführung von Hartz-IV und damit der rapide Sozialabbau in Deutschland. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie leichtfertig gerade junge Menschen ihr Kreuz bei dieser Partei machen und sich von der vielversprechenden Klimapolitik der Grünen blenden lassen. Zur Erinnerung: Die Grünen befürworten einen Preis für CO2, der kinderleicht auf die Verbraucher umgelegt werden kann. Damit verpufft der klimafreundliche Effekt größtenteils, weil damit nur die Kleinen ihre schädlichen Emissionen runterfahren. Die Großen müssen zwar etwas tiefer in die Tasche greifen, können aber weiterhin problemlos gegen das Klima handeln.

Schröder, Afghanistan, Hartz-IV. Was nützt es, in alten Wunden zu stochern? Viel wichtiger ist doch, was heute ist. Die Grünen sind vielleicht die lautesten, wenn es darum geht, klare Kante gegen Rechts zu zeigen. Das ist gut so. Doch manch Grüner vergisst dabei, die Werte zu vertreten, die er verwirklicht sehen will. Auf die Frage, ob er Fleischesser oder Frauke Petry mehr hasst, antwortete Anton Hofreiter unverblümt, dass sich sein ganzer Hass gegen die ehemalige AfD-Politikerin richtet. Im folgenden erklärt er, warum Frau Petry mit ihren Positionen seines Hasses würdig ist. Das ist Verrohung der Gesellschaft vom feinsten.

Protest unter falschem Vorzeichen

Okay, die Grünen sind also nicht links. Aber wer ist es dann? Im Prinzip gibt es in der heutigen Bundesrepublik keine ernstzunehmende Partei mehr, die tatsächlich links ist. Wer früher links gewählt hat, der musste kein grundüberzeugter Sozialist sein. Die einstige Arbeiterpartei SPD bot all denjenigen eine politische Heimat, die in der Republik sozial vernachlässigt wurden oder schlicht der Arbeiterschicht angehörten. Heute ist das nicht mehr so. SPD und Linke müssen sich heute auf eine immer kleinerwerdende Stammwählerschaft verlassen. Die meisten wählen diese Parteien, weil sie das schon immer taten, nicht aber, weil sie sich von ihnen ganz besonders angesprochen fühlen. Diesen Job haben andere übernommen. Anders ist nicht zu erklären, warum gerade die ehemaligen linken Parteien so viele Wähler an die AfD verloren haben.

Natürlich ist die CDU weiterhin unangefochtener Spitzenreiter, was die Wählerabwanderung zur AfD anbelangt. Doch hier wandern die Wähler aus dem umgekehrten Grund ab: Die CDU ist nicht mehr rechts genug. Nach der jahrelangen Großkoaliererei und dem Kuschelkurs mit der SPD ist die Union zu einer profillosen Hülle ihrer selbst verkommen und verliert ihre erzkonservativen Wähler. Solche waren nie für linke Politik zugänglich. Aber viele andere waren es dennoch. Und hört man den klassischen „Protestwählern“ einmal genau zu, so erkennt man zwischen den Zeilen ein regelrechtes Verlangen nach linker Politik. Unter dem Vorzeichen der Flüchtlingskrise wird sich über all das empört, was echte linke Politik schon immer verurteilt hat: Hartz IV, mickrige Renten und eine desolate Arbeitsmarktsituation.

Mit ihren Sorgen und Ängsten wurden diese Menschen allein gelassen. Es gab keine linke Alternative zu der neoliberalen Politik der letzten Jahre. Die SPD war maßgeblich an den Verschlechterungen beteiligt. Die Linkspartei war entweder total im Klinsch oder kopierte fleißig das hippe linksliberale Image der Grünen. Viele Menschen wurden zu Nichtwählern. Die AfD, die die Alternative bereits im Namen trägt, sprach all diese Ängste an. Es ist bezeichnend, dass diese Partei gerade durch die Flüchtlingskrise einen deutlichen Aufschwung erlebte. Die Flüchtlingswelle seit dem Sommer 2015 hat die Verlustängste vieler Bürgerinnen und Bürger offenbart, wenn nicht sogar verschärft.

Das Klima ist die neue Flüchtlingskrise

Wie empfänglich viele Wähler der AfD für linke Politik sind, war eindeutig am Schulz-Effekt zu sehen. Augenscheinlich vertrat Martin Schulz zu Beginn seiner Kanzlerkandidatur eine Politik, die sich den Sorgen der Menschen annahm. Schwupps, erlebte die SPD einen Höhenflug bei den Umfrageergebnissen. Und zwar nicht zulasten der CDU. Mit den Christdemokraten lieferten sich die Sozen über Wochen ein Kopf-an-Kopf – Rennen. Gesunken ist stattdessen der Zuspruch für die AfD. Auch viele Nichtwähler konnte Schulz kurzfristig von sich überzeugen. Er sammelte also genau jene Wähler auf, die sich von keiner Partei vertreten fühlten oder sogar schon den Rechtspopulisten auf den Leim gegangen waren.

Es kam wie es kam. Martin Schulz konnte den linken Kurs gegen parteiinternen Widerstand nicht aufrechterhalten. Die Alternative war wieder blau. Sie akzeptierten den Preis, eine Partei mit teilweise offen rechtsextremen Agitatoren zu wählen und dafür selbst als Rassisten verfemt zu sein.  Viele wurden wieder im Stich gelassen. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

Das neue große Aufregerthema: das Klima. Natürlich geht echter Klimaschutz in der heutigen Situation nicht ohne Umdenken und auch nicht ohne Verzicht. Aber natürlich kann niemand dem arbeitenden Volk erklären, warum jeder einzelne so viel tiefer in die Tasche greifen muss und so viel mehr echten Verzicht hinnehmen muss als große Konzerne. Es ist widersinnig. Es gibt dafür keine Erklärung. Echte linke Politik würde das nicht zulassen…


Nachtrag (15. Januar 2020): Die Partei Die Linke hat auf ihrer Internetseite einen interessanten, ähnlichen Beitrag veröffentlicht. Zum Beitrag

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Eigentlich war Hitler ein Versager

Vorschaubild: Gerd Altmann, Pixabay.

Lesedauer: 12 Minuten

Es gibt in unserem Land Menschen, die lange den Mund hielten. Heute sprechen Sie von Gesinnungshaft, Volksaustausch und Schießbefehl. In der AfD haben Sie ein Forum gefunden, sich Gehör zu verschaffen. Viele bewundern und bejubeln diese Partei, von anderen wird sie scharf kritisiert. Immer häufiger werden ihr faschistoide Tendenzen bescheinigt. Ja, es gibt Menschen, die lange den Mund hielten – und das aus gutem Grund.

Eine aufgeklärte Gesellschaft

Vor etwas mehr als zehn Jahren verkündete meine damalige Deutschlehrerin, dass sie ihren Unterricht etwas anders gestalten wollte. Die Zeit des langatmigen Bücherwälzens und Aufsatzschreibens sollte ein Ende haben. Stattdessen wollte sie uns literarisch wertvolles möglichst zeitgemäß vermitteln. Konkret bedeutete das: ein Ausflug ins Kino. Mit Sicherheit gibt es bessere Filmbegleitungen als eine überdreht-enthusiastische Deutschlehrerin und einer Horde pubertierender Jugendlicher, von denen man auf die meisten verzichten konnte. Andererseits war der Kinobesuch eine willkommene Abwechslung vom drögen Schulalltag eines Neuntklässlers.

Auch die Filmauswahl hätte schiefer gehen können. Frau Küschder (Name bis zur Unkenntlichkeit verändert) hatte sich für den Film „Die Welle“ mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle entschieden. Zu dem Streifen ist viele Jahre zuvor auch ein gleichnamiger Roman erschienen, doch den wollte uns unsere Deutschlehrerin anscheinend nicht zumuten. Ehrlich gesagt, hat mir der Film tatsächlich gereicht. Kurzes Wrap-Up: In dem Film geht es um einen übermotivierten Lehrer (Parallelen zur Wirklichkeit rein zufällig), der seinen Schülern was über den Faschismus in Deutschland erzählen soll. Die meisten der Kids winken gelangweilt ab: das könnte heute gar nicht mehr passieren, viel zu aufgeklärt wäre die heutige Gesellschaft. Der Lehrer wagt also ein Experiment. Innerhalb kürzester Zeit bildet er seine Schützlinge zu einer Art Schülerarmee (SA?) aus, die „ganz Deutschland überrollen“ soll. Die meisten Jugendlichen lassen sich fasziniert mitreißen bis ihnen Jürgen Vogel klarmacht, dass sie gerade all ihre Beschwörungen einer aufgeklärten Gesellschaft selbst zugrunderichten.

Keine leichte Kost

Ich bin mir bis heute unsicher, ob mich dieser Film faszinierte oder einfach nur verstörte. Vielleicht von beidem etwas. Fakt ist, dass er darauf abzielte, Menschen wachzurütteln. Nur weil einmal etwas schiefging und es uns heute gut geht, heißt das noch lange nicht, dass es nicht wieder zur Katastrophe kommen kann. Die Zeit meinte sogar, der Film sei „der rechte Film zur rechten Zeit.“ Zugegeben leistete der Film eine Menge zu dieser angeblich so aufgeklärten Gesellschaft. Im Endeffekt machte er unsere Gesellschaft noch aufgeklärter.

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Das war vor zehn Jahren. Wie würden die Reaktionen auf einen solchen Film wohl heute ausfallen? Ich wage zu vermuten: völlig anders. Heute würde sich eine beachtliche Gruppe an Menschen darüber echauffieren, dass mal wieder viel zu aggressiv auf eine faschistische Gefahr in unserem Land hingewiesen werden würde. Man kann sich lebhaft Kommentare vorstellen wie: „Alimentierte Messermörder vom IS sind also keine Gefahr?“ oder „Mal wieder typisch, auf dem linken Auge blind.“ Aber wozu solch offensichtliche Reaktionen herausfordern? Der Film hat vor einem Jahrzehnt gut funktioniert. Heute brauchen wir ihn nicht mehr. Es reicht ein Blick in die Realität.

Jeder kann ein Faschist sein

Eines ist völlig gewiss: Viele Reaktionen auf einen solchen Film würden heute auf reine Geschichtsvergessenheit abzielen. Jürgen Vogel will seinen Schülern den Begriff „Faschismus“ näherbringen. Lange Zeit galt dieses Wort als das Böse in Reinform. Und vom Bösen soll man sich fernhalten. Tatsächlich hat das lange Zeit gut geklappt. Der Terminus war eindeutig dem akademischen Milieu zuzuordnen. Geschichtsprofessoren verwendeten diesen Begriff, um über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu sprechen. Möglicherweise kannten viele den Begriff noch nicht einmal oder konnten mit ihm nichts anfangen. Und heute? Ein Blick in die Social Media reicht aus, um eines zu erkennen: „Faschismus“ wird heute beinahe inflationär verwendet. So ist häufig zu lesen, Greta Thunberg sei eine Faschistin, generell alle Klimaschützer seien doch Faschisten. Angela Merkel führe das Land in eine Diktatur.

Was hier geschieht ist schlicht und ergreifend die völlige Entwertung und Neubesetzung dieser Begrifflichkeiten. Ein Kind (!) wird allen Ernstes mit dem Faschismus gleichgesetzt. Einen härteren Schlag ins Gesicht der wenigen noch lebenden Opfer von echtem Faschismus ist kaum möglich.

Der Bundeskanzlerin wird diktatorisches Vorgehen bescheinigt. Es ist beinahe traurig, dass eine Vielzahl derer, die am lautesten schreien, Diktatur am eigenen Leib erlebt haben. Allen Ernstes wird das heutige Deutschland mit der DDR verglichen. Dabei könnten wir heute von Planwirtschaft, Ein-Parteien – Herrschaft und Gesinnungshaft nicht weiter entfernt sein.

Diese groteske Neudefinition von Begriffen resultiert schließlich in einer völligen Enthemmung von Sprache. Frauke Petry möchte das Wort „völkisch“ wieder in den bürgerlichen Diskurs integrieren, Alexander Gauland kündigt an, man werde die Regierungschefin „jagen“. Gestern völkisch, heute jagen. Was wird wohl morgen sagbar sein?

Die Sache mit den Flüchtlingskindern

Die Emotionen in solchen neuen Debatten werden auf ein Minimum reduziert. Mitgefühl, Anteilnahme und Verständnis werden Schritt für Schritt abgeschafft. Zurück bleiben lediglich Wut und Angst. Vor nicht all zu langer Zeit trieb es Alexander Gauland damit auf die Spitze: Man dürfe sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen. Was für eine perverse Umkehr vom Opfer zum Täter! Ähnlich wie bei Greta Thunberg wird den Flüchtlingskindern hier eine schädliche Intention unterstellt. Sie würden ihre Kindlichkeit gezielt dazu nutzen, um uns zu erpressen. Scheiß‘ auf deine Urinstinkte. Zur Not kann man schließlich auch auf Kinder schießen. #sweettrixi

Das erschreckende ist: es funktioniert. „Die Welle“ sollte vor gut zehn Jahren vor allem eines hervorrufen: blankes Entsetzen. Bis auf eine traurige Ausnahme sahen alle Schüler ein, dass sie auf einem völligen Holzweg waren. Nur ein Schüler wollte die Bewegung nicht aufgeben. Er rastete komplett aus und erschoss sich schließlich selbst. Unter den Schülern war er ein Einzelfall. Zuvor war er bereits Einzelgänger. Er wurde höchstens belächelt.

Die Herrschaft der Dummen

Vor einigen Monaten beklagte sich ein Freund von mir darüber, dass die AfD nur deshalb solchen Aufwind erführe, weil man den Dummen freie Hand ließe. Dieser Aufstieg der Dummen wäre mit dem Aufstieg der Nazis vor 80 Jahren vergleichbar. Zunächst konnte ich mit dieser Meinung nicht viel anfangen. Ich empfand es als Verharmlosung, Personen wie Gauland, Meuthen oder Höcke zu Dummen zu degradieren. Denn das sind sie mit Sicherheit nicht.

Doch man versuche einmal, sich vorzustellen, jemand hätte eine Äußerung á la Höcke vor zehn Jahren von sich gegeben. Die wenigsten hätten ihm zugehört, die meisten ihn bestenfalls belächelt. Er wäre einer von den Dummen gewesen. Eine Witzfigur.

Und genau das sind doch die Damen und Herren, die seit 2017 rechts der FDP sitzen. Witzfiguren. Bemitleidenswerte Kreaturen, die auf immer dem Gestern nachweinen. Geleitet werden sie von einer schier ekelerregenden kleinbürgerlichen Bequemlichkeit gepaart mit einer völligen menschlichen Inkompetenz. Sie sind Verlierer. Alle. Doch irgendwer hat sie zu Gewinnern gemacht.

Nehmen wir beispielsweise den AfD-Mann Markus Frohnmaier. Seit 2017 sitzt er im Bundestag. Bekannt ist er vor allem durch einen Auftritt in Erfurt 2015, wo er die jubelnde Masse beschwört, es werde bald „ausgemistet“. Ohne zu sehr ins persönliche abdriften zu wollen: der Mann erinnert mich an ein kleines Schweinchen. Als ich ihn das erste Mal sah, war meine prompte Reaktion ein aufmunterndes Lächeln. Als wäre es mir ein dringendes Bedürfnis, ihm zu sagen, dass es auf diesem Planeten bestimmt irgendwo irgendwen gäbe, der ihn liebhat, irgendwie.

Von Anfang an sträubten sich mir die Nackenhaare, dass eine an sich so ulkige Figur ein solches Forum erhielt. Frohnmaier ist tatsächlich die fleischgewordene Herrschaft der Dummen. Mit seinen wahnwitzigen Ideen über ein Abschiebeministerium und einer anschließenden Volkssäuberung hätte er vor einem Jahrzehnt bestenfalls eine Maus in seiner schwäbischen Stammkneipe hervorlocken können. Heute begeistert er tausende.

Über Zugklos, Fernseher und talentfreie Bartträger

Frohnmaier ist beileibe kein Einzelfall. Die Liste der Clowns in der AfD ließe sich beliebig fortsetzen. Doch so waren die Akteure vom rechten Rand schon immer drauf. Gescheiterte Existenzen, die Veränderung um keinen Preis dulden können. Im Prinzip war selbst Hitler eine Lachnummer. Im Ersten Weltkrieg hat er nennenswerte militärische Erfolge verfehlt, auch wenn er später gerne etwas anderes erzählte. Nach dem Krieg hat er es mangels Talents nicht auf die Kunstschule geschafft. Erfolg mit Frauen blieb ebenso aus. Arbeitslos, mittellos, ein Vollversager eben. Mit den AfD-Leuten von heute eint ihn eines: ein nicht zu unterschätzendes rhetorisches Geschick.

Das besitzen sicherlich nicht alle von diesen „Dummen“. Trotzdem wird vielen von ihnen heute zugehört. Ich erinnere mich beispielsweise an eine Situation in der Regionalbahn. Auf dem Viererplatz hinter mir mokierte sich ein älterer Herr darüber, dass das Zugklo mal wieder defekt sei. Wie eigentlich immer. Aber Hauptsache, die Flüchtlinge könnten sich den neuesten Fernseher in ihre Bude stellen. Bei dieser kausalen Verirrung gluckste ich zunächst leise auf. Das Lachen blieb mir allerdings im Halse stecken, als ihm sogar die Leute im Vierersitz neben ihm bewundernd zustimmten. Sie erkannten nicht, dass dieser grantige alte Mann weder von Menschen noch von Fernsehern etwas verstand.

Pegida-Aufmarsch in Dresden im Januar 2015.
Bild: Kalispera Dell, PEGIDA Demo DRESEDEN 25 Jan 2015 116227104, CC BY 3.0

Dummheit scheint in Mode zu sein. Auch auf Social-Media – Plattformen wie facebook überbieten sich manche User geradezu mit ihrer evidenten Inkompetenz und heißgeliebten Bequemlichkeit. Die Flüchtlingskrise ab 2015 wirkte wie ein Katalysator auf all diejenigen, die sonst wussten, dass sie zu einer politischen Debatte nicht viel sinnvolles beitragen konnten. Urplötzlich brachten sie sich in zahllosen Kommentaren in die politische Debatte ein. Leute, die bis auf ein Teil-mich – Bild noch nie etwas auf facebook gepostet hatten, wussten auf einmal ganz genau Bescheid. Schuld waren natürlich die Flüchtlinge. Davor hatten sie, wie wir alle in Deutschland, in Saus und Braus gelebt. Es gab keine Arbeitslosen, keine Tafeln und kein Hartz IV.

Mein Auto gehört mir!

Befeuert wurde diese „Welle“ an Pöbelnden durch den Dieselskandal. Was bei VW und anderen namhaften Autoherstellern abgegangen ist, ist eine riesengroße Sauerei. Schon bald fanden sich massenweise Menschen zusammen, die durch Demonstrationen und Proteste drohende Fahrverbote abwenden wollten. Dabei war die Lösung zum Greifen nah: Die Betrüger haften und die Gelackmeierten werden fürstlich entschädigt. Doch die Bundesregierung zog den Schwanz ein. Das alles sehen viele der Demonstranten natürlich nicht. Vielen von ihnen geht es wieder einmal nur darum, sich die Bequemlichkeit zu erhalten. Feindbild ist immer weniger die Regierung – und erst recht nicht die kriminellen Autokonzerne. Verbockt haben’s natürlich die Umweltschützer und Klimaaktivisten. Es ist schon auffallend, dass viele der Anti-Fahrverbots – Demonstranten die Positionen der AfD teilen. Aber wen juckt das schon? Die Autokonzerne freut’s.

Mein Vater erzählte mir einst eine Geschichte: In seiner Kindheit in den 1960ern hat er des öfteren gehört, wie sich gerade ältere Menschen Herrn H. zurücksehnten, vor allem, als die Gastarbeiter ins Land geholt wurden. Das alles wurde natürlich nur unter vorgehaltener Hand gemunkelt. Aber Kinder kriegen ja bekanntlich fast alles mit. Ganz verschwunden war diese Idiotie wohl nie. Lange Zeit war man sich aber bewusst, dass man mit so mancher Äußerung besser hinter dem Berg hält. Dieser Zustand hielt bis vor einigen Jahren an. AfD und Pegida verstanden es allerdings meisterlich, die vollkommene Verblödung von ihren eisernen Fesseln zu befreien. Zehn Jahre nach dem Kassenschlager mit Jürgen Vogel fragt man sich zurecht, wer heute noch aufgeklärt ist…

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Wider die Demokratie – Der Fehler GroKo

Beitragsbild: Times, Deutscher Bundestag Plenarsaal Seitenansicht, Ausschnitt von Sven Rottner, CC BY-SA 3.0

Lesedauer: 11 Minuten

Die Demokratie lebt vom Wettstreit der Meinungen. Seit Gründung der Bundesrepublik versuchen unterschiedliche Parteien und Politiker, ihre Ideen als die besten zu vermarkten. Doch immer öfter ist von einem politischem Einheitsbrei die Rede. Ein Unterschied zwischen den verschiedenen Strömungen ist immer schwerer erkennbar. Maßgeblichen Anteil daran trägt die Große Koalition. Sie hält Angela Merkel seit nunmehr vierzehn Jahren fast ununterbrochen an der Macht, erweist sich aber auch als lähmendes Gift in der inzwischen viel zu faden Suppe der Demokratie.

GroKo – Wtf?!

Seit Amtsantritt von Angela Merkel als Bundeskanzlerin im Jahre 2005 wandelte sich die Option „Große Koalition“ immer mehr von der Ausnahmeerscheinung zum Normalzustand in der Republik. Tatsächlich gab es diesen Typus der Regierungskonstellation vor Angela Merkel nur ein einziges Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Wenig geliebt und kaum erfolgreich beendeten die damals noch großen Volksparteien das Projekt nach gerade einmal drei Jahren. Es dauerte fast vierzig Jahre bis diese Möglichkeit einer Regierungsbildung wieder ernsthaft in Betracht gezogen wurde. Seitdem reiht sich eine GroKo fast nahtlos an die nächste.

Zur Begriffserklärung: Unter einer großen Koalition versteht man in der Regel eine Koalition aus den beiden stärksten Fraktionen eines Parlaments. Gerade nach den jüngsten Wahlen in Ostdeutschland zeichnet sich allerdings ab, dass selbst ein Regierungsbündnis aus den beiden stärksten Parteien immer knapper eine Mehrheit zustandebringt. In Baden-Württemberg ist ein ganz anderer Trend ersichtlich: Seit 2016 regiert dort faktisch eine große Koalition – allerdings nicht mit der SPD. Die beiden stärksten Fraktionen in diesem Bundesland stellen die Grünen und die CDU. Wieder einmal mehr ist bewiesen: Demokratie lebt vom Wandel. Doch genau dieser Wandel wird von großen Koalitionen oftmals unterdrückt.

KKK – Kröten, Kontrolle, Kiesinger

Nach der Wahl ist vor der Regierungsbildung. Außer in Bayern schafft es dabei eine einzelne Partei selten auf eine absolute Mehrheit. Verhandlungen und Gespräche sind notwendig, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Dabei wird mitunter auch die ein oder andere Kröte geschluckt. Eine besonders große Kröte ist die große Koalition. Wenn sich die beiden stärksten Fraktionen zusammentun, bleibt nicht mehr viel Raum für die Opposition. Eine funktionierende und kritische Oppositionsarbeit ist dann nicht mehr gewährleistet. Die Opposition kann ihrer zentralen Aufgabe, der Kontrolle der Regierung, nicht mehr ausreichend nachkommen. Die Folge? Die beiden politischen Ränder gewinnen an Einfluss. Oftmals wird das begleitet von einer Radikalisierung auf der Straße.

Als besonders fatal erwies sich die Große Koalition unter Kanzler Kiesinger. Er vereinigte von 1966 bis 1969 deutlich mehr als drei Viertel des Parlaments in seiner Regierung. Die einzige Oppositionspartei, die FDP, konnte bei der vorausgegangenen Bundestagswahl nur knapp 10 Prozent der Stimmen einheimsen.

Alles hat seinen Preis – Das Experiment GroKo

Als ehemaliges Mitglied der Nazipartei war Kiesinger von Anfang an umstritten. Spätestens als er die Notstandsgesetze durch den Bundestag winkte, war für viele allerdings Schluss. Der Widerstand gegen eine solche Regierungsführung wurde immer lauter und unübersehbarer. Die 68er-Studentenbewegung brachte ihren Protest von den Hörsälen auf die Straße. Es kam zu gewaltvollen Auseinandersetzungen, von beiden Seiten. Die Ermordung Benno Ohnesorgs mündete schließlich in der Gründung der linksradikalen Bewegung 2. Juni. Die noch bekanntere RAF sollte später folgen. Offensichtlich erkannten auch die Regierungsfraktionen in Bonn, dass sie mit dem Konzept „GroKo“ keinen Blumentopf gewinnen konnten. Bereits 1969 löste Willy Brandt mit seiner sozialliberalen Koalition die verheerende Regierung ab.

Die Notstandsgesetze stießen bei der Bevölkerung auf Ablehnung.
Bild: Holger.Ellgaard, TU Berlin 1968a, CC BY 3.0

In den nächsten Jahren folgten verschiedene Zweierbündnisse, meist unter Beteiligung der FDP. 2005 holte Angela Merkel die große Koalition wieder aus der politischen Mottenkiste. Mit Schröder wollte keiner mehr regieren, Jamaika war schon damals zum Scheitern verurteilt, für Rot-Rot-Grün war die SPD zu feige. Der Bundeskanzlerin in spe blieb sprichwörtlich gar nichts anderes übrig als den Schritt in eine große Koalition zu wagen. Dabei übersah sie allerdings einen offensichtlichen Trend: Die damalige PDS war 2005 deutlich gestärkt in den Bundestag zurückgekehrt. Mithilfe der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) war es der künftigen Linkspartei sogar gelungen, Wähler im Westen zu überzeugen. Nach vier Jahren GroKo kam Die Linke schließlich 2009 auf ein zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl.

Ungeachtet dessen folgte 2013 die nächste GroKo unter Kanzlerin Merkel. Wieder übersah sie einen besorgniserregenden Trend. Die neugegründete EU-skeptische Alternative für Deutschland (AfD) verfehlte nur knapp den Einzug ins Bundesparlament – obwohl sie erst wenige Monate alt war. In immer größerer Zahl wandten sich dieses Mal viele Protestwähler dem rechten Rand zu – und ermöglichten der AfD so den Einzug in alle Landesparlamente und schließlich auch in den Bundestag.

Faule Kompromisse vorprogrammiert

Eine große Koalition bedeutet allerdings Probleme auf beiden Seiten. Die Arbeit der Opposition wird schwieriger, doch auch die Regierung hat zu kämpfen. Die Regierung weiß zwar eine überwältigende Mehrheit hinter sich, doch macht das Entscheidungsfindungen nicht automatisch leichter. Traditionell treffen bei der GroKo zwei völlig unterschiedliche politische Lager aufeinander. Umso größer ist der Aufwand, sich auf einen Kompromiss zu einigen.

Erinnert sei hierbei an die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Jahre 2017. Vollmundig versprach die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), Leiharbeitnehmer seien zukünftig bessergestellt. Die traurige Wahrheit: die prekäre Situation der betroffenen wurde noch mieser. Das aktuellste Beispiel in dieser Reihe ist sicherlich die Grundrente. Monatelang rangen Union und SPD um eine Lösung. Schließlich einigten sich beide Seiten auf einen Kompromiss, dem deutlich der Gestank fauler Eier anhängt.

Who’s who?
Wer kennt diesen SPD-Politiker…oder war er von der CDU?
Bild: Stephanie Edwards, Pixabay

Das peinliche Bashing zwischen SPD und Union kurz vor der Wahl 2017 war an Lächerlichkeit kaum zu überbieten, besonders weil kurz darauf die nächste GroKo folgte. In den Reihen der einstigen Volksparteien hatten sich einige wohl zu früh über ein baldiges Ableben der unglücklichen Zwangsehe gefreut. Offenbar hatten viele erkannt, dass ein solches Bündnis unweigerlich mit einem Profilverlust einhergeht. Die Union ist heute nicht mehr als klar konservative Kraft erkennbar. Die SPD hingegen hat den Verrat an ihrer Stammwählerschaft bereits vor Merkels erster GroKo eingeleitet. Die ständigen Kompromisse hatten dazu geführt, dass sich Union und SPD viel zu weit angenähert hatten. Es muss einer göttlichen Fügung geschuldet sein, dass Merkel und Steinbrück beim TV-Duell 2013 nicht blankzogen und sich vor laufender Kamera liebkosten.

Leidtragende solch fauler Kompromisse sind immer die Bürgerinnen und Bürger. In Krisensituationen mag eine große Koalition bedingt funktionieren, vielleicht sogar nötig sein. Doch ein Dauerzustand führte bisher immer zu Unmut bei der Wählerschaft. Auf ganz unterschiedliche Weise machten die Deutschen diesem Frust Luft. Bei der Bundestagswahl 1969 forderten die Wählerinnen und Wähler gerade die SPD zur Schärfung ihres Profils auf. Anders ist der Stimmengewinn dieser Partei nicht zu erklären. Immerhin besannen sich die Sozialdemokraten alsbald zu einem Kurswechsel – und zu einer Koalition mit der kleinen FDP.

Die AfD als der Tumor der GroKo

Die Hoffnung, durch eine Wiederwahl das Profil der großen Parteien zu stärken, hatten die Wähler in jüngerer Zeit nicht. Eher wurde kleinen Parteien das Vertrauen ausgesprochen. Alle Parteien jenseits der GroKo konnten bei der Bundestagswahl 2017 zulegen; die AfD verdreifachte das Vorgängerergebnis beinahe. Verlierer der letzten Bundestagswahlen waren fast immer die ehemaligen Volksparteien. Während sie nach der Wahl 2005 noch auf fast 70 Prozent der Stimmen kamen, erhielten sie 2017 nur etwas mehr als die Hälfte der Stimmen. In Brandenburg musste jüngst die klassische GroKo gar um die Grünen erweitert werden (Kenia-Koalition).

Wer kann mit wem? Und wer soll mit wem?
Bild: Wilfried Pohnke, Pixabay

Ihren Namen trägt die derzeit regierende Große Koalition also schon lange nicht mehr zurecht. Seit Angela Merkel diese Form des Bündnisses für sich entdeckt hat, schrumpfen die Ergebnisse der beiden Parteien kontinuierlich – und das nicht nur auf Bundesebene. Gerade die SPD droht auf Landesebene in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Man schwankt zwischen Mitleid und Häme nach den desaströsen 8 Prozent dieser Partei bei den Landtagswahlen in Thüringen im Oktober.

„Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren.“

Doch es gab und gibt realistische Alternativen zur ewigen GroKo. 2005 beispielsweise war der Bundestag gefüllt wie selten zuvor. Gleichzeitig bedeutete das eine schiere Mannigfaltigkeit an Regierungsoptionen. Jamaika, damals gerne „Schwampel“ genannt, war ebenso möglich wie eine Ampel-Koalition oder Rot-Rot-Grün. Die hohe Arbeitslosigkeit zu dieser Zeit machte eine Bündelung der politischen Kräfte allerdings zumindest nachvollziehbar.

2013 wurde schließlich der Kardinalfehler begangen. Die Union stand bei mehr als 40 Prozent, manche sprachen gar von einer möglichen absoluten Mehrheit. Doch es reichte nicht, die Union musste koalieren, um an der Macht zu bleiben. Anstelle die Opposition mittels GroKo erneut an den Rand der Bedeutungslosigkeit zu treiben, wären andere Bündnisse wesentlich besser für das Land gewesen. Unter Schwarz-Grün hätte es eine deutliche, linke Opposition gegeben. Rot-Rot-Grün hingegen hätte eine starke Union in den Oppositionsrängen bedeutet. Nebenbei hätte die Union ihr konservatives Profil wieder schärfen können. Rechtspopulistische Kräfte hätten es in der Folge schwerer gehabt, die Menschen zu ködern.

Zugegeben war die Regierungsbildung bereits 2013 schwieriger als zuvor. Getoppt wurde das allerdings durch den Einzug der AfD in den Bundestag. Jamaika erschien als die einzige halbwegs realistische Alternative zur allseits verhassten GroKo. Doch die Differenzen waren zu groß. Mit seinem berühmten Satz beendete Christian Lindner (FDP) die Sondierungsgespräche. Die SPD sah sich nun zu einer erneuten GroKo gedrängt. Für den Mythos der Einheitsparteien war das natürlich ein gefundenes Fressen. Was wäre denn so schlimm an einer Minderheitsregierung gewesen, zum Beispiel Schwarz-Gelb? Klar, man hätte wieder echte Überzeugungsarbeit leisten müssen, und zwar nicht nur zu Beginn der Legislatur, sondern die ganzen vier Jahre lang. Vorschläge wären stärker diskutiert worden, ein Wettstreit der Ideen hätte wieder Fahrt aufgenommen. Und genau darum geht es doch in einer lebendigen Demokratie.

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