Der letzte Sargnagel

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Alle Abgeordneten der Linken-Bundestagsfraktion haben ihre Arbeit künftig am Parteiprogramm auszurichten. Das besagt ein Fraktionsbeschluss vom 20. September 2022. Vorspiel der Entscheidung war eine kontroverse Rede der Abgeordneten Sahra Wagenknecht. Seit Jahren dreht sich die Berichterstattung dieser Partei fast ausschließlich um diese Personalie. Doch Sahra Wagenknecht ist nicht etwa überrepräsentiert. Sie ist das einzige, was diese sterbende Partei noch zu bieten hat. Inhaltlich unterscheiden sich die Linken kaum noch von den Grünen. Einige Parteimitglieder arbeiten besonders engagiert daran, die prominente Politikerin aus der Partei zu kicken. Der Preis dafür liegt auf der Hand.

Kampflos die Segel gestrichen

Die Linkspartei war mal die große Hoffnungsträgerin der sozial Benachteiligten. Besonders in den ostdeutschen Bundesländern konnte die Partei dadurch punkten, dass sie die Sorgen vieler Menschen ernstnahm und ihnen ein glaubwürdiges politisches Angebot machte. In Thüringen ist Die Linke sogar stärkste Fraktion und erreichte dort den Charakter einer Volkspartei, was nicht zuletzt mit der Beliebtheit von Ministerpräsident Bodo Ramelow zusammenhängt. Im Westen hingegen hatten es die Linken schon immer schwerer. Trotzdem sind sie zumindest im hessischen Landtag als Fraktion vertreten.

Von diesen Erfolgen ist die Partei momentan Lichtjahre entfernt. Bei vergangen Wahlen gab es massive Wählerwanderungen. Besonders Grüne und AfD bedienten sich bei den demokratischen Sozialisten. Viele andere entschwanden zu den Nichtwählern. Die einstige Protestpartei ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Krawall und Protest verspricht heute die AfD. Diesen Posten haben die Linken den Rechtspopulisten ohne nennenswerte Gegenwehr überlassen, ihn der rechten Partei sogar förmlich aufgedrängt. Es scheint den Genossinnen und Genossen viel mehr zu gefallen, an einzelnen Punkten zwar Kritik zu üben, im Grunde aber doch alles durchzuwinken, was von der Regierung kommt. Bodo Ramelow hat sogar schon das entschiedene Nein der Linken zu Waffenlieferungen infrage gestellt.

Kein Bedarf

Auf eindeutige Signale reagiert die Partei nicht. Obwohl sie bei der letzten Bundestagswahl nur durch Sonderregelungen in Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen ist, verfolgt sie unbeirrt den Kurs, der sie immer mehr in die politische Bedeutungslosigkeit manövriert. Fleißig kopieren die Entscheidungsträger in der Partei die Positionen der Grünen und verpassen ihnen einen sozialen Anstrich. Die Wähler jedoch durchschauen das Spiel und zeigen den Linken sehr direkt, was sie von dem billigen Grünenabklatsch halten: nichts.

Die Minifraktion im Bundestag ist Zeugnis dafür, dass nur sehr wenige Menschen im Land eine solche Partei wollen oder brauchen. Wenn sich am Parteimanagement nicht bald etwas ändert, wird es den Linken ähnlich ergehen wie vor einigen Jahren den Piraten. Zunächst glaubten viele, es würde sich eine neue Partei in der politischen Landschaft etablieren. Doch Pustekuchen! Mit den wenigen originellen Ansätzen verschwand die Partei alsbald wieder in der Versenkung. Ihren großen Markenkern – die Digitalpolitik – sogen die etablierten Parteien mühelos auf.

Heute zu links, morgen zu rechts

Der Abwärtskurs der Linken ist kein Phänomen der letzten Monate. Seit Jahren mischen sie ganz vorne mit, wenn es darum geht, die eigene Wählerschaft zu verprellen. Dass die Partei überhaupt noch im Gespräch ist, verdankt sie einer einzigen Persönlichkeit: Sahra Wagenknecht. Die promovierte Volkswirtin ist seit Jahren das Aushängeschild ihrer Partei. Schon lange übersteigt ihre Popularität die der Linken.

Wagenknecht ist als Politikerin von jeher umstritten. Schon in den 1990ern fiel sie dadurch auf, dass sie öffentlich den Niedergang der DDR bedauerte und sich in dieses System zurückwünschte. Bei der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 warf man dem damaligen Linken-Parteichef Lothar Bisky vor, mit Sahra Wagenknecht eine Persönlichkeit zu dulden, die zu weit links stünde. Heute freilich muss sich Wagenknecht routinemäßig anhören, ihre Positionen seien rechts. Mit ihren jüngsten Äußerungen zur Coronaimpfung und zu den Wirtschaftssanktionen gegen Russland hat sich die Politikerin erneut eine Menge Kritik eingehandelt.

Gesprächsthema Nr. 1

Es ist trotzdem ein offenes Geheimnis, dass viele Wählerinnen und Wähler nur wegen Sahra Wagenknecht links wählen. Es ist daher umso unverständlicher, warum die Linken eine derartige Schmutzkampagne gegen ihr wichtigstes Mitglied führen. Regelmäßig ist von Posts und Tweets anderer Bundestags- und Landtagsabgeordneter der Partei zu lesen, in denen Wagenknecht unverblümt zum Parteiaustritt aufgefordert wird. Zugegeben hat Die Linke nicht mehr viel zu bieten außer des Streits mit der kontroversen Abgeordneten.

Ihr Überleben hat die Partei in erster Linie Sahra Wagenknecht zu verdanken. Auch die Medien scheinen momentan kein Interesse am Sterben dieser Partei zu haben: Sie heizen den Zank in der Linken weiter an, indem sie stellenweise wichtige Zusammenhänge unterschlagen oder sogar bewusst falsch darstellen. Gleich mehrere Berichterstattungen zum Parteiaustritt des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fabio de Masi stellten seine Entscheidung in eine Reihe mit Parteiaustritten wie beispielsweise die des Wagenkencht-Kritikers Ulrich Schneider. Tatsächlich war de Masi schlicht die innerparteilichen Auseinandersetzungen leid und wollte sich nicht für ein Lager entscheiden.

Krise mit Tradition

Mit ihrem derzeitigen Kurs stehen die Linken vor einer entscheidenden Weggabelung. Sie können mit Wagenknecht weitermachen wie bisher. Dann würden sie mit etwa 2 bis 3 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl endgültig aus dem Parlament fliegen. Oder sie machen ohne Wagenknecht weiter wie bisher. Dann würden sie bei der nächsten Bundestagswahl mit etwa 1 Prozent unter die „Sonstigen“ fallen.

Je länger die Linken sich gegenseitig zerfleischen und in ihren Wahlprogrammen bei den Grünen abschreiben, desto schwieriger wird es für die Partei werden, wieder als authentische und ernstzunehmende politische Kraft wahrgenommen zu werden. Schon einmal stand die damalige PDS kurz vor dem Abgrund. Bei der Bundestagswahl 2002 hielten ihnen Gesine Lötzsch und Petra Pau im Bundestag die Stange – zur Abgeordnetengruppe hatte es bei der vorausgegangenen Bundestagswahl nicht gereicht. Dann kam die rot-grüne Regierung auf die Idee mit Hartz-IV. In der Bevölkerung brodelte es – Widerstand machte sich breit.

Die Linken verstanden es damals hervorragend, den Protest gegen das umstrittene Gesetz aufzufangen und zu kanalisieren. 2005 verdoppelten sie ihr vorheriges Wahlergebnis und legten vier Jahre später noch einmal ein paar Prozentpunkte drauf. Zugetraut hatte es dieser sterbenden Partei damals niemand. Die PDS öffnete sich stattdessen und kooperierte mit der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit, zwei Jahre später erfolgte die Fusionierung.

Eine neue Chance?

Auch heute ist die soziale Lage im Land wieder äußerst angespannt. Die explodierenden Energie- und Heizkosten machen den Menschen Angst. Viele wissen schon heute nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Den Griff zum Heizthermostat zögern viele möglichst lange hinaus. Die Linke hat bereits zu Widerstand und Demonstrationen aufgerufen.

Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie sich dieses Engagement auf den Erfolg der Partei auswirken wird. Momentan hadern die Linken noch damit, dass auch die AfD zu Protesten aufruft. Einen großen Teil der Debatte hat man bereits unreflektiert der extremen Rechten überlassen. Die Linke muss sich wie bereits vor knapp zwanzig Jahren ehrlichmachen und sich das Feld der sozialen Ängste und Nöte zurückerobern. Ansonsten bewahrt sie auch bald der Dauerstreit mit Sahra Wagenknecht nicht mehr vor der Bedeutungslosigkeit.


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Hauptsache regieren

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Momentan laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP auf vollen Touren. Das gesteckte Ziel ist eindeutig: Noch vor Weihnachten soll eine Regierung stehen. Das veröffentlichte Sondierungspapier versprach bereits Einigungen in wesentlichen Punkten. Diese betont locker-flockige Harmonie täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass besonders die Grünen zurückstecken mussten. Beim Klimawandel bleibt das Papier chronisch unkonkret, die Finanzierung ist fragwürdig und die kleinen Leute fallen hinten runter. Ein echter Neustart bleibt aus.

Weniger als vier Wochen nach der Bundestagswahl haben sich SPD, Grüne und FDP zu Koalitionsverhandlungen bereiterklärt. Dieser Fortschritt bei der Bildung einer neuen Regierung ist beachtlich, dauerte es in der Ära Merkel doch regelmäßig deutlich länger, bis sich in neues Kabinett zusammenfand. Wie es aussieht, können die drei Parteien ihr Versprechen vom Wahlabend halten: Noch vor Weihnachten wird eine neue Regierung stehen.

Koalition nach Drehbuch

Niemanden dürfte es ernsthaft überraschen, dass sich die Ampel-Parteien in so kurzer Zeit in vielen Punkten einig wurden. Bereits vor der Wahl vom 26. September zeichnete sich ein Ampelbündnis ab. Rot-Grün-Rot war auch wie bei den letzten Wahlen bereits im Wahlkampf kein echtes Thema mehr, Jamaika scheiterte maßgeblich an der Personalie Armin Laschet. Nicht einmal Christian Lindner war bereit, mit dieser tragisch-komischen Witzfigur zu koalieren.

Annalena Baerbock war in den Wochen vor der Wahl eher Dekoration als ernsthafte Konkurrentin. Ihre Aufgabe bei den Kanzlertriellen beschränkte sich darauf, den beiden anderen Kandidaten zu demonstrieren, welche Vizekanzlerin sie sich womöglich ans Bein binden würden. Zwischenzeitlich gilt selbst Baerbocks Vizekanzlerschaft nicht mehr als gesetzt.

Keine Lust auf Weiter-so

Auch die Medien erkannten schnell, welches Potenzial in der Ampel steckt. Nach sechzehn Jahren Merkel wäre es für keinen Unionskandidaten leicht gewesen, den Scherbenhaufen zusammenzukehren und das Machtvakuum der scheidenden Kanzlerin zu besetzen. Armin Laschet hat es den Journalisten und Nachrichtensendungen allerdings schon beachtlich leichtgegemacht, ihm von vornherein den Stempel des geborenen Verlierers aufzudrücken.

Die Lust auf eine Regierung ohne die Union war jedenfalls lange Zeit spürbar. Spätestens am Wahlabend stand fest, dass die alte Kanzlerpartei abzutreten habe. In absoluten Zahlen gemessen, verlor an diesem Abend keine Partei so stark wie die CDU. Die Wahlgewinner des Abends waren SPD, Grüne und FDP. Alle drei Parteien konnten teilweise deutlich zulegen. Eine gemeinsame Regierungskoalition ist allerdings nicht die zwangsläufige Folge daraus.

Vorbei sind die Zeiten der Lagerkoalitionen, in denen ausschließlich Parteien zusammenarbeiteten, die sich politisch besonders nahestanden. Schwarz-Gelb ist schon lange passé und auch eine Mehrheit des linken Lagers dürfte sich nach dem desaströsen Abschneiden der Linkspartei auf absehbare Zeit erledigt haben. Neue Bündnisse sind gefragt und es erstaunt schon, wie schnell sich die drei Akteure grundsätzlich geeinigt haben. Immerhin wurden alle drei Parteien von unterschiedlichen Wählerschichten aus unterschiedlichen Gründen gewählt.

Keine halben Sachen

Auf den ersten Blick scheint das Sondierungspapier eine breitgefächerte Sammlung guter Ideen zu sein. Es ist tatsächlich für jeden was dabei. Schaut man aber genauer hin, so entzaubert sich dieses heißerwartete Dokument des Aufbruchs von selbst. An vielen Stellen bleibt das Papier blass und unkonkret. Besonders die Frage der Finanzierung ist nach wie vor nicht geklärt.

Fakt ist: Die Ergebnisse aus Sondierungsgesprächen sind noch kein Regierungsprogramm. Diesen Anspruch sollte man an die Gesprächsergebnisse der drei Parteien nicht stellen. Trotzdem bleibt der erhoffte Neustart aus, sollten es die wesentlichen Punkte in den Koalitionsvertrag schaffen. Besonders enttäuschend sind dabei die vereinbarten Ziele beim Kampf gegen den Klimawandel. Der vorgesehene Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht ausreichen, um den Energiebedarf des gesamten Landes zu decken. Die Pflicht zum Solardach ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Der Ausstieg aus der Kohleenergie bis 2030 ist lediglich ein idealer Wert. Von grünem Mut fehlt in diesem Sondierungspapier jede Spur.

Ähnlich sehen es auch die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Sondierungsergebnisse protestierten sie lautstark gegen dieses Weiter-so beim Klimaversagen. Bei einer Protestkundgebung vor der SPD-Parteizentrale machten sie deutlich, dass es für sie keine halben Sachen gäbe. Der Frust der jungen Generation ist umso bedauerlicher, waren es doch vorrangig die Erstwähler, die Grünen und FDP das Vertrauen aussprachen.

Hauptsache regieren

Viele Medien sprachen davon, dass die Sondierungsergebnisse die Handschrift der FDP trügen. Es stimmt: An keiner Stelle wird das so deutlich wie beim Verzicht auf ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Durchgesetzt haben sich nicht Verkehrssicherheit und Klimaschutz, sondern die testosterongesteuerte Bequemlichkeit der Liberalen. Es ist beinahe zynisch, dass die FDP dafür eine andere für sie schmerzhafte Konzession gemacht hat: Der Mindestlohn soll in einem Schritt auf 12 Euro steigen.

Das Sondierungspapier offenbart aber auch den unbedingten Willen der Grünen, an der nächsten Bundesregierung beteiligt zu sein. Nur durch sie könne ein echter Aufbruch beim Kampf gegen den Klimawandel kommen. Allerdings attestierten Experten dem grünen Wahlprogramm schon vor der Bundestagswahl, dass viele Forderungen nicht weit genug gingen, um dieser Menschheitsaufgabe zu begegnen. Beinahe logisch ist es daher, dass die Grünen selbst ihre Mini-Forderung mit dem Tempolimit einstampften, um die FDP nicht zu verschrecken.

Wer zahlt?

Egal, ob das Sondierungspapier die Handschrift von FDP, Grünen oder sonstwem trägt – es ist kein Regierungsprogramm für die kleinen Leute. Es vernachlässigt Menschen mit geringem Einkommen und solche, die in prekären Verhältnissen beschäftigt sind. Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro scheint zunächst ein großer Wurf zu sein. Aber nicht einmal die FDP kann vor der rasant steigenden Inflationsrate die Augen verschließen, die eine so deutliche Steigerung überfällig macht.

Generelle Steuerhöhungen und eine Wiedereinführung einer Vermögensabgabe haben die drei Partner bereits ausgeschlossen. Gleichzeitig möchten sie aber diszipliniert zur Schuldenbremse zurückkehren. Diese Entscheidung trifft die Schwächsten in der Gesellschaft am meisten. Es dürfte vorprogrammiert sein, wo das viele Geld dann herkommen soll: Der Rotstift wird vorrangig bei Sozialausgaben angesetzt. Die Einhaltung der Schuldenbremse blockiert außerdem wichtige Investitionen in elementare Bereiche der Infrastruktur. Die Straßen, Schulen und Krankenhäuser werden auch in den kommenden vier Jahren zunehmend verfallen, wenn es zu dieser Regierungskonstellation kommt.

Hartz-IV reloaded

Den Gipfel an Wählertäuschung erreicht das neue Regierungstrio allerdings bei einem anderen Herzensprojekt: dem Bürgergeld. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein umgetauftes Hartz-IV. Diese fragwürdige Umbenennung wird nichts ändern an Bevormundung, Gängelei und Perspektivlosigkeit. Stattdessen taugt der neue Name eher dazu, bereits vorhandene Fehlannahmen zu verfestigen. Ein Bürgergeld suggeriert, dass darauf jeder Bürger zu jeder Zeit Anspruch hat. Dieses bedingungslose Grundeinkommen light wirft auch in Zukunft ein falsches Bild auf seine Bezieher. Mehr als zuvor werden sie als faule Dauerarbeitslose gelten, die sich für jede Arbeit zu fein sind. An der gesellschaftlichen Spaltung ändert das nichts.

Viel Hoffnung steckten viele Wählerinnen und Wähler in diese neuartige Regierungskoalition. Weiterhin bleibt eine Mehrheit der Menschen im Land der Ampel wohlgesonnen. An den bislang gelieferten Inhalten kann das kaum liegen. Die Alternative wäre eine Jamaika-Koalition, aber die Union tut wirklich alles, um die Wählerinnen und Wähler in ihrer Entscheidung vom 26. September zu bestätigen. Nicht alles in Deutschland wird durch die Ampelkoalition schlechter. Wesentlich besser wird es nach vier Jahren Scholz aber nur den wenigsten gehen.

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Die Fehltritte des Jens S.

Lesedauer: 9 Minuten

Mit Schmackes ins Fettnäpfchen, mit Voll-Karacho in den Skandal: Selten war ein Mitglied der Bundesregierung so skandalumwoben wie der amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn. Eine flapsige Bemerkung zu Hartz-IV hier, ein korruptes Spendendinner dort. Auch in den letzten Wochen hat der CDU-Politiker durch eine dubiose Verteilungspraktik von Masken von sich reden gemacht. Immer klarer zeichnet sich das Bild eines machtgierigen und überheblichen Politikers.

Die neuesten Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wiegen schwer: Er soll geplant haben, minderwertig verarbeitete FFP2-Masken an Obdachlose, Behinderte und Hartz-IV – Empfänger zu verteilen. Sollte das tatsächlich der Fall sein, so wäre das ein Skandal erster Güteklasse. Auf Biegen und Brechen will sich der Minister aus der Affäre ziehen – es habe nie mangelhafte Masken gegeben.

Eine Skandalnudel auf dem Weg nach oben

Es ist nicht das erste Mal, dass dem CDU-Politiker das Wasser bis zum Hals steht. Seit seinem Amtsantritt als Gesundheitsminister im Frühjahr 2018 reihte sich bei dem ambitionierten Frühvierziger ein Fehltritt an den nächsten. Wer könnte Spahns legendäre Behauptung vergessen, von Hartz-IV könne man leben? Fast direkt nach seiner Berufung in Angela Merkels viertes Kabinett machte er damit von sich reden. Er trat damals eine Debatte los, die als Gesundheitspolitiker überhaupt nicht in sein Ressort fiel. Trotzdem ließ er sich medienwirksam von der Sozialhilfeempfängerin Sandra S. einladen, die ihm zeigte, was ein Leben mit Hartz-IV bedeutet.

Es ist noch gar nicht lange her, da stand Jens Spahn auch wegen dubioser Parteispendepraktiken in der Kritik. Zuvor hatte er eine Reihe anonymer Unternehmer zu einem exklusiven Gala-Dinner geladen – und seine Gäste dann dazu aufgerufen, möglichst viel Geld an seine Partei zu spenden. Er legte den spendablen Lobbyisten auch einen ganz konkreten Betrag nahe, um nicht ins Visier der Bundestagsverwaltung zu geraten.

Auf der langen Liste von Spahns Verfehlungen darf natürlich auch seine Verwicklung in undurchsichtige Immobiliengeschäfte nicht fehlen. So hatte der Minister eine Villa von genau dem Mann gekauft, den er danach an die Spitze eines teilweise bundeseigenen Pharmakonzerns setzte.

Die Krise als Chance?

Dann kam die Corona-Pandemie und viele glaubten vielleicht zunächst, nun habe die Stunde dieses skandalträchtigen Ministers geschlagen. Doch auch bei dieser Bewährungsprobe glänzte Spahn vor allem durch Schlampereien, Versäumnisse und Missmanagement. Natürlich waren alle Menschen im Land Anfang 2020 mit einer völlig neuen Situation konfrontiert. Selbstverständlich fordern solche neuen Umstände Fehler geradezu heraus. Doch der Gesundheitsminister zeigte sich bislang völlig resistent gegen jedweden Lerneffekt. Eine Teststrategie ließ lange auf sich warten, die Impfkampagne kleckert weiter vor sich hin. Um das aufgebrachte Volk zu beruhigen, kippte Spahn kürzlich die Priorisierung bei den Impfungen, obwohl noch nicht alle Risikopatienten geimpft sind. Und um das ganze noch zu toppen, setzte er trotz anhaltenden Impfstoffmangels mit der Impfkampagne für Kinder noch eins drauf.

Mit dieser großzügigen Erweiterung der Impfkampagne versuchte Jens Spahn offenbar, sich bei der Bevölkerung wieder liebkindzumachen. Besonders seine lobbyistischen Fehltritte der jüngeren Vergangenheit täuschen aber nicht darüber hinweg, dass es sich bei diesem Mann um einen arroganten und machtgierigen Politiker handelt, dem die Bedürfnisse des gemeinen Bürgers am Allerwertesten vorbeigehen. Geradezu entlarvend war da das Spendendinner, welches es unbeabsichtigt in die Schlagzeilen geschafft hat.

Corona-Party à la Spahn

Diese Zusammenkunft mit allerlei Lobbyisten war gleich aus mehreren Gründen verwerflich. Erstens wäre eine solche Veranstaltung tabu gewesen, hätte sich der Minister an die Verordnungen gehalten, die er selbst erlassen hatte. Es grenzt an kosmische Ironie, dass Spahn kurze Zeit darauf positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Fast noch heftiger ist aber der Anlass, weswegen sich Spahn mit den Unternehmensvertretern getroffen hat. So schwor er seine Gäste darauf ein, einen Betrag an seine Partei zu spenden, welcher gerade so am maximal tolerierten Betrag für Parteispenden kratzte. Mit der symbolischen Summe von 9.999 Euro ließ Jens Spahn seine Maske endgültig fallen. Der Aufruf zu diesen knapp legalen Spenden brachte seine Missachtung der Regelungen für Parteispenden besonders explizit zum Ausdruck. Mit der Gerade-so – Unterschreitung des zulässigen Höchstbetrags führte er diese äußerst sinnvolle Maßgabe ad absurdum und zog den Kampf gegen ausufernden Lobbyismus damit ins Lächerliche.

Die Maske fällt

Es reicht eine durchschnittliche Menschenkenntnis aus, um zu erahnen, welche Interessen der Minister dabei im Blick hatte. Nun könnte man ihm noch zugutehalten, dass ein Ignorieren bestimmter Bedürfnisse noch lange nicht gleichzusetzen ist mit einer generellen Verachtung für einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Doch auch mit diesen Zweifeln räumte Jens Spahn schnell auf.

Seine Verachtung gegenüber den einkommensschwächeren und hilfsbedürftigen Bürgerinnen und Bürgern hätte der Gesundheitsminister kaum deutlicher machen können als durch die Verteilung von minderwertigen FFP2-Masken an Wohnungslose, Pflegebedürftige und Sozialhilfeempfänger.  Noch offensichtlicher als in der Hartz-IV – Affäre drei Jahre zuvor trieb Jens Spahn seine Einteilung in gute und in schlechte Menschen mit seinem fragwürdigen Masken-Management auf die Spitze.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten für Kritik

Verständlicherweise ist der Koalitionspartner SPD über ein solches Verhalten empört. Spahns Fehltritte nehmen allmählich tatsächlich staatsschädigende Ausmaße an. Er bringt damit nicht nur den Namen seiner eigenen Partei in Verruf, sondern auch den der gesamten Bundesregierung und möglicherweise sogar das Ansehen der Politik insgesamt. Die erneute Maskenaffäre bedarf einer schonungslosen Aufklärung, sonst wird das nichts mehr mit der Glaubwürdigkeit.

Genau damit ist es bei der SPD aber schon lange nicht mehr weit her. Es mag vereinzelte Köpfe geben, bei denen die Entrüstung über Spahns Skandale authentisch ist. Es ist aber schon fraglich, warum die SPD bei früheren Verfehlungen des Ministers nicht so laute Töne von sich gegeben hat. Natürlich sorgten auch Spahns Äußerungen zu Hartz-IV und sein ominöses Spendendinner für Irritationen, aber in diesen Fällen fiel die Kritik deutlich leiser aus.

Wiederholungstäter

Durch die frisch aufgelegte Maskenaffäre versucht die SPD nun, sich ziemlich billig zu profilieren. Erneut versuchen sich die Sozen aus einer beinahe überheblichen Haltung als bessere Menschen darzustellen. Wenige nehmen ihnen das ab. Immerhin hinterfragt die SPD noch immer viel zu zaghaft, wie es zu solchen Verstrickungen kommen kann. Was wir mit Jens Spahn nun wieder erlebt haben, sind doch keine Verfehlungen von Einzelpersonen. Den Maskendeals und Spendenaufrufen liegt ein dreckiges System aus Lobbyismus und Korruption zugrunde, von dem sich auch die SPD nicht völlig reinwaschen kann, würde sie sich ehrlichmachen.

Anstatt immer nur dann aufzuheulen, wenn der Koalitionspartner mal wieder Mist verzapft hat, wäre eine SPD gefragt, die sich auch in anderen Punkten deutlich von der Union abhebt. Der Verweis auf eine angeblich weiße Weste reicht nicht aus, um die Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen. Doch wie bereits vor vier Jahren betätigt sich die SPD auch im Wahlkampf 2021 als Wiederholungstäter. Schon 2017 nahm der einstigen Volkspartei niemand das Gebaren gegen den alten und neuen Koalitionspartner ab.

Damals begrüßte die SPD das Wahlverhalten des ehemaligen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt bei der Abstimmung über den Umweltkiller Glyphosat außerordentlich. Durch sein Ja bei der Zulassungsverlängerung des Ackergifts verstieß der CSU-Mann eindeutig gegen gute politische Sitten und lieferte der SPD so Munition gegen die damals schon am Boden liegende Große Koalition.

Alles auf neu

Mit der Hoffnung auf dadurch entstehende Stimmengewinne hatte sich die SPD damals genau so verrechnet wie wenige Monate zuvor, als sie sich mit der Opposition zusammentat und dem Koalitionspartner in Sachen Ehe für Alle in den Rücken fiel. Das Ziel mag edel gewesen sein, die Mittel verhalfen der SPD aber trotzdem nicht zum Wahlsieg. Stattdessen stürzte die SPD bei der folgenden Bundestagswahl weiter kräftig ab.

Die SPD, das einstige Bollwerk gegen Korruption und Bestechung, die Verfechterin von Arbeitnehmerrechten und Sprachrohr der Gewerkschaften muss sich endgültig aus der tödlichen Symbiose mit der Union lösen. Viele Chancen hat sie bereits verstreichen lassen. Die anstehende Bundestagswahl im September ist eine weitere Möglichkeit für die Partei, zu ihrer alten Stärke zurückzufinden. Eine Regierungsbeteiligung nach der Wahl ist eher unwahrscheinlich, auch wenn die SPD mit der Aufstellung eines Kanzlerkandidaten durchaus andere Akzente gesetzt hat. Die Sozialdemokraten sollten das Votum aus der Bevölkerung bei nächster Gelegenheit endlich ernstnehmen und sich bereitwillig in die Opposition verbannen lassen. Schaufensterdebatten gegen korrupte Minister werden der SPD eher schaden, solange sie in dieser ewigen Regierung gefangen ist. Manchmal hilft nur ein Neustart.

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