Rückgratlos überzeugt

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Pegida-Demonstranten, Klimawandelleugner, Querdenker – Bei den Krisen der letzten Jahre trat eine dieser Minderheiten regelmäßig besonders laut auf. Sie beanspruchen für sich, die Wahrheit erkannt zu haben und lassen sich durch rationale Argumente selten beeindrucken. Zahlen und Daten missbrauchen sie, um ihre teilweise kruden Theorien auf ein halbwegs stabiles Fundament zu setzen. Sie tun dies auch, um vor sich und der Welt ihre wahren Beweggründe zu verschleiern. Wie Fähnchen im Wind lassen sie sich dabei von der extremen Rechten vor den Karren spannen. Und die Etablierten spielen munter mit.

Munteres Faktenpotpourri

“Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber…“ Wenn ein Gespräch so beginnt, ist klar, dass mit Niveau nicht mehr zu rechnen ist. Mit den Flüchtlingsströmen seit 2015 hat sich diese hohle Phrase in unseren alltäglichen Sprachgebrauch gemogelt und sich dort inzwischen fest etabliert. Der Satzanfang gilt mittlerweile als todsicherer Indikator dafür, dass hier jemand spricht, der einerseits gegen Asylantinnen und Asylanten wettern will und andererseits keine Ahnung hat.

An dieser Tatsache ändert auch nichts, dass auf den einfältigen Einstieg scheinbare Fakten folgen. Wahlweise handelt es sich dabei um horrende Unterstützungssummen, luxuriöse Ausstattungen von Flüchtlingsunterkünften oder seit neuestem auch furchteinflößende Todesopferzahlen von Impfkomplikationen. Mit den Zahlen und Daten wird so lange fröhlich jongliert und herumgewirbelt, bis sie irgendwann Sinn zu ergeben scheinen.

Der Zweck dieser Übung liegt auf der Hand: Fakten haben die Menschen schon immer überzeugt. Warum also nicht selbst einmal Fakten schaffen? Mit einem Schutzpanzer aus augenscheinlichen Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnissen ziehen Querdenker und andere auf die Manege des offenen Meinungsstreits. Lügen und Hetze sind als wissenschaftliche Offensichtlichkeiten getarnt und sollen den angeblichen Verfechtern der Wahrheit Gehör verschaffen. Die Daten und Fakten verkommen dabei zum Vehikel von obskuren Theorien und narzisstischem Geltungsdrang.

Rückgratlose Schlechtmenschen

Würden sich die Spaziergänger, Querdenker und Frustrierten ehrlichmachen, müssten sie ihre Ergüsse eigentlich so beginnen: „Ich habe etwas gegen Flüchtlinge, weil…“. Auch an diesen Satzanfang könnten sie ihre zusammengebastelten Fakten grundsätzlich anhängen. Dann wiederum hätten sie das Problem, dass jeder ihre wahre Gesinnung sofort durchschauen würde. Sie wären als Schlechtmenschen bloßgestellt und müssten sich für ihre Anliegen rechtfertigen. Gepaart mit dem passenden Einstieg allerdings, stehen die Rückgratlosen mit ihren selbstkreierten Gründen gut vor sich und anderen da.

Die lauten Proteste und die pöbelhaften Parolen sind das Lebenselixier solcher Äußerungen. Wer auf diese Weise argumentiert, der braucht die routinemäßigen Aufmärsche, weil sie ihm die Bestätigung geben, gehört zu werden. Wären diese Menschen auf sich gestellt, würden sie zwar ähnliche Ansichten vertreten, sie aber niemals laut äußern. In einer solchen Konstellation würden sie sich sehr wahrscheinlich sogar der übergroßen Mehrheit beugen und Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandhalten zumindest einhalten. Auch mit zusammengeschusterter Propaganda gegen die Impfung wäre dann Schluss.

Diese Menschen sind stark in der Gruppe, aber schwach in der direkten Konfrontation. Sucht man die Diskussion, ist mit der vielgerühmten Sachlichkeit und Faktenbasiertheit schnell Schluss. Wesentlich bequemer finden sie dann die Opferrolle, die ihnen auf den Leib zugeschrieben ist. Auch persönliche Herabsetzungen und die Heraufbeschwörung einer Diskriminierungskampagne durch den Mainstream dürfen bei solchen Aufeinandertreffen auf keinen Fall fehlen.

Im gemachten Nest

Erstmals aufgetreten sind empörte Aufmärsche wie Pegida, Hygienedemos und Spaziergänge fast zeitgleich mit Entstehung der AfD. Fast ist man geneigt, allein die AfD für den Frust verantwortlich zu machen. Damit würde man die Macht der Rechtspopulisten aber grundsätzlich falsch einordnen. Die AfD hat zweifellos die Verrohung der Debatte geprägt und das sagbare Meinungsspektrum weit jenseits des Anständigen erweitert. Die AfD ist aber lediglich Treiber des Hasses und der Entfremdung, nicht deren Ursache.

Die Rechtsaußen-Partei bietet allen Enttäuschten ein politisches Forum, wo sie ihren Frust ungezügelt loswerden können. Die große Unzufriedenheit ist die Grundlage für die Existenz der Partei, deswegen haben ihre Funktionsträger natürlich überhaupt kein Interesse daran, die Lage der Menschen nachhaltig zu verbessern. Durch die Teilnahme an den sogenannten Spaziergängen, den Montagsdemonstrationen neuer Lesart und den Aktionen der AfD im Rahmen des heißen Herbsts verhelfen die ewig Missverstandenen dem Rechtsruck zur Unsterblichkeit. Für einen Moment fühlen sie sich wie ernstgenommene Demokraten und gehen für diesen erhabenen Augenblick eine Symbiose mit der extremen Rechten ein, die für die Demokratie alles andere als gesund ist. Letztendlich bleiben sie jedoch das, was sie für die anderen Parteien viel zu lange waren: naives Wahlvieh, das sich bereitwillig vor den Karren spannen lässt.

Die AfD braucht sich dafür nur ins gemachte Nest zu setzen. Die Parteien, die sie als Altparteien beschimpfen, haben gründliche Vorarbeit geleistet. Durch lobbyistische Verstrickungen und bürgerferne Politik haben sie in den vergangenen Jahrzehnten einen Großteil des Vertrauens vieler Wähler verspielt. Gründe gegen die Rechtspopulisten helfen da nicht weiter. Diese überzeugen bestenfalls Menschen, die sowieso nicht im Verdacht stehen, jemals AfD zu wählen. Es braucht einen grundlegenden politischen Kurswechsel, der den Menschen wieder Gründe für die Wahl demokratischer Parteien gibt. Anders lässt sich der Sumpf aus Empörung, Frust und chronischer Unzufriedenheit nicht trockenlegen.


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Protest aus Routine

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Überzeugungstäter

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Wer hat recht und wer liegt falsch? Für viele ist diese Frage immer öfter bereits beantwortet, bevor das Gespräch losgeht. An der Überlegenheit der eigenen Überzeugung besteht kein Zweifel und auch noch so gute Gegenargumente können daran nichts ändern. Die Menschen sprechen zwar noch miteinander, aber sie hören einander nicht mehr zu. Die Fähigkeit, sich auf sein Gegenüber einzulassen, ist dem Auftrag gewichen, sein Gegenüber rhetorisch zu vernichten. Die Debatten rund um Corona und die Impfung haben diesen Trend nur verstärkt. Immer seltener geht es um einen fairen Austausch, sondern um bloßes Rechthaben.

Polarisierter Zweikampf

Die Demokratie ist der Wettstreit der Meinungen. Sie lebt davon, dass Menschen miteinander diskutieren und um die besten Lösungen ringen. Das ist nicht allein Aufgabe von Politikerinnen und Politikern. Um zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen, sollten alle Menschen in einem Land die Möglichkeit haben, daran mitzuwirken. Sie müssen den gewählten Abgeordneten signalisieren, was in ihrem Interesse ist und was nicht. Nur so können tragbare Mehrheiten entstehen.

Seit einigen Jahren gerät dieser gesunde Meinungsstreit aber mehr und mehr aus den Fugen. Die öffentliche Debatte zu wichtigen Themen erinnert immer weniger an einen fairen Streit, sondern ähnelt immer mehr einem regelrechten Zweikampf. In der polarisierten Gesellschaft geht es kaum noch darum, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Im Vordergrund steht viel mehr, sich selbst zu profilieren und die Gegenseite zu widerlegen. Das oberste Gesprächsziel ist nicht mehr, einen Kompromiss zu finden, sondern zu beweisen, dass der Gesprächspartner falschliegt.

Das ist an und für sich kein großes Drama. Problematisch ist allerdings die Verbissenheit, mit der mancheiner auf seinem Standpunkt verharrt. Man will die anderen unbedingt von seiner Meinung überzeugen, ist aber nicht bereit dazu, sich auf die Gegenargumente einzulassen. Für viele steht von vornherein fest: Der Weg des anderen ist nicht nur nachteilig und fehlerhaft – er führt zwangsläufig ins Verderben.

Das Ticket zum Untergang

Diesen Starrsinn bekommen beide Seiten seit Jahren bei zwei besonders wichtigen Themen zu spüren. Bei der Flüchtlingsdebatte waren die Fronten besonders verhärtet. Die einen sahen in der Flüchtlingswelle den Untergang des Abendlands und der europäischen Werte endgültig besiegelt, die anderen konnten es gar nicht abwarten, die Geflüchteten in Deutschland aufzunehmen und zu braven Staatsbürgern zu erziehen. Beide Seiten greifen zu kurz. Ein Mittelweg schien ausgeschlossen, Argumente dieser Art wurden kaum gehört. Viel zu sehr ging es bei der Flüchtlingsfrage ums Eingemachte. Auf dem Spiel stand nichts weniger als die Menschlichkeit. Und die war für viele nicht verhandelbar.

Ein fast noch größeres Polarisierungspotenzial weist die Klimakrise auf. Viele Menschen haben begriffen, dass die Bewältigung dieser Krise nicht nur das entschlossene Handeln der Politik erfordert, sondern dass es im Zweifelsfall auf jeden einzelnen ankommt. Anstatt aber zusammenzustehen, verlieren sich viele darin, den Lebensstil der anderen für inakzeptabel zu erklären. Menschen mit geringem Einkommen werden öffentlich dafür angegriffen, dass sie preisgünstige Lebensmittel einkaufen, die eine schlechtere Umweltbilanz aufweisen. Auf der anderen Seite greifen besonders bequeme Zeitgenossen das Engagement der jüngeren Generation an und erklären den Klimawandel zum Kampf ums Auto. Beide Seiten halten angeblich das Ticket zum Untergang in ihren Händen. Bei den einen werden die schlimmsten Umweltkatastrophen schon morgen zu sehen sein, die anderen provozieren einen Blackout in ganz Deutschland.

Sackgasse Moral

Bei allen diesen Debatten verhärten sich die Fronten durch eine moralische Aufladung zusätzlich. Diese moralische Motivation macht es beinahe unmöglich, die einmal eingenommene Position wieder zu verlassen. Zweifel daran, dass es eine gute Idee ist, die Grenzen für jedermann zu öffnen, ist gleichbedeutend mit einem Schießbefehl auf Flüchtlinge. Andererseits riskiert ein umweltbewusster Autoliebhaber, bald schon zum linksgrün-versifften Mainstream zu gehören.

Diese moralische Entrüstung betrifft aber nicht nur universale Themen wie die Flüchtlingsbewegung und die Klimakrise. Auch viele Nischenthemen werden mit einer guten Portion Moral zur Frage über Leben und Tod aufgewertet. Die Befürworter des Gendern wollen selbstverständlich vorrangig die deutsche Sprache zerstören und das Geschlecht zum Bestandteil der täglichen Garderobe machen. Seine Kritiker hingegen finden es gut, wenn Transmenschen drangsaliert werden und Frauen aufgrund ihres Geschlechts weniger Geld verdienen. Beides völliger Blödsinn.

Argumente als Nebensache

Eine neue Dimension erreichte diese Art des Umgangs miteinander durch die Coronakrise. Die moralische Kompetente ist hier offensichtlich, immerhin hat sich frühzeitig der Ethikrat eingeschaltet. Besonders bei der Frage zum Umgang mit Ungeimpften und ob eine allgemeine Impfpflicht vertretbar ist, spielt der Rat eine entscheidende Rolle. In keiner anderen Debatte der jüngeren Zeit waren die Fronten so verhärtet wie bei der Frage nach der Impfung. Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen die beiden Extrempositionen, differenzierte Sichtweisen werden fast gar nicht zugelassen. Es kam zu einer perversen Umdeutung des Begriffs „Solidarität“, mit dem nun mit unerbittlicher Härte auf die Ungeimpften eingedroschen wird.

Rhetorisch erinnert in der Impfkampagne nichts mehr an einen demokratischen Meinungsstreit. Die existenzielle Tragweite der Pandemie ist die Legitimation dafür, dass eine faire Debatte entfällt. Obwohl manche Gründe gegen eine Impfung wissenschaftlich nicht widerlegbar sind, zählen die Argumente für die Impfung grundsätzlich mehr. Dadurch verlieren auch die wichtigen Gründe, die für eine Impfung sprechen, zusehends an Wert. Die Argumente verkommen zum Beiwerk in der Debatte. Entscheidend ist einzig, dass das eigene Ideal, eine flächendeckende Impfung, erreicht wird.

Der Zweck heiligt die Mittel?

In der Pandemie geht es schon lange nicht mehr darum, Andersdenkende von der eigenen Meinung zu überzeugen – und erst recht nicht darum, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen – sondern darum, die Impfquote in die Höhe zu treiben. Es ist dabei egal, warum sich die Menschen impfen lassen. Ob sie die medizinische Notwendigkeit der Impfung eingesehen haben oder ob sie sich monatelang vor einer Impfung sträubten und einfach wieder unbehelligt ins Restaurant gehen wollen, ist für die ärgsten Verfechter einer Impfpflicht unerheblich.

So funktioniert Demokratie aber nicht. Haben die Menschen das Gefühl, ihnen wird etwas aufgezwungen, von dem sie nicht überzeugt sind, dann erzeugt das Frust und kein Verständnis. Momentan fügen sich die meisten Menschen dem Impfdruck. Doch die Stimmung könnte angesichts regelmäßiger Impfungen und der in einigen Bundesländern beschlossenen 2G+ – Regelung in der Gastronomie bald kippen. Wer einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung seinen Willen aufzwingen will, ohne den Menschen zuzuhören, der erzeugt Frust und Spaltung. Das kann sich im weiteren Pandemiegeschehen bitter rächen.

Pistole auf der Brust

Es gibt in Deutschland Menschen, die wollen, dass eine allgemeine Impfpflicht eingeführt wird. Und es gibt Menschen, die das nicht wollen. Es ist möglich, dass sich die Mehrheit bei einer Volksbefragung für die allgemeine Impfpflicht aussprechen würde. Diese potenzielle Mehrheit ist zumindest das Lieblingsargument der Befürworter einer solchen Impfpflicht.

Wenn man allerdings ausschließlich geimpften, und teilweise nur geboosterten, Menschen Zutritt zu weiten Teilen der öffentlichen Infrastruktur gewährt, beeinflusst das die Sichtweise auf eine Impfpflicht. Die Mehrheit möchte dann keine gesetzlich vorgeschriebene Impfung, sondern sie will zur Normalität zurück. Viele Menschen haben gesehen, dass sie sich diese Freiheiten erkaufen können, wenn sie sich impfen lassen, unabhängig davon, wie medizinisch sinnvoll die Impfung für sie ist.

Die exekutive Gesellschaft

Trotz dieser objektiven Mehrheit darf nicht vergessen werden, dass ein beträchtlicher Teil der Menschen einer möglichen Impfpflicht zumindest skeptisch gegenübersteht. Viele dieser Skeptiker haben ernstzunehmende Beweggründe für ihre Ablehnung und es lohnt sich mit Sicherheit, ihnen zuzuhören. In einer Demokratie hat nämlich nicht ausschließlich die Mehrheit das Sagen. Es ist die Aufgabe der Opposition, das Handeln der Mehrheit kritisch zu hinterfragen und alternative Lösungswege aufzuzeigen. Die Mehrheit kann von dieser kritischen Sichtweise sogar profitieren.

Einen aufrechten Demokraten erkennt man daran, wie er Menschen begegnet, die anderer Meinung sind. Für ihn steht nicht die Umstimmung des anderen im Vordergrund, sondern die Überprüfung der eigenen Position. Ein echter Demokrat lässt sich auf die Gegenseite ein und sucht nach Wegen, wie beide Seiten zusammenkommen können. Unsere Demokratie lebt vom Kompromiss und nicht von einem Absolutheitsanspruch. Vielleicht hat die Gegenseite Ansätze, die schneller aus einer schwierigen Lage herausführen können. Mit dieser Handhabung würde man sogar mehr Leute mit ins Boot holen, anstatt eine Vielzahl an Menschen zu verprellen.

Wir haben uns in einer Kultur der Rechthaberei verfangen. Jeder pocht darauf, dass seine Meinung unumstößlich ist und die anderen grundfalsch liegen. Die existenziellen Krisen der letzten Jahre haben zu einer sehr exekutiv geprägten Gesellschaft geführt, in welcher der gegenseitige Austausch immer weniger zählt. Aus dieser Spirale müssen wir dringend ausbrechen, wenn wir nicht wollen, dass sich die Menschen immer weiter entfremden.


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Hauptargument Moral

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Ein heuchlerisches Geschäftsmodell

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Peter Altmaier möchte gerade in den Aufzug steigen, da kommt eine Frau auf ihn zugeschnellt. Sie beleidigt und bepöbelt den Bundeswirtschaftsminister. Das ganze hält sie auf Kamera fest. Zutritt zum Reichstagsgebäude hatte die Dame dank einiger AfD-Abgeordneter. Offiziell bedauert die rechtspopulistische Partei diesen Vorfall. Doch immer berechtigter stellt sich die Frage: „Hätte man das nicht kommen sehen?“

Nach dem unglaublichen Vorfall auf der Treppe des Reichstagsgebäudes, haben sich AfD-Sympathisanten nun Zutritt ins Herz der deutschen Demokratie verschafft. Vier Gäste von AfD-Abgeordneten pöbelten verschiedene Abgeordnete an, bedrängten und beleidigten sie. Das Präsidium des Bundestags lässt derweil rechtliche Konsequenzen prüfen – auch gegen die AfD-Abgeordneten Hemmelgarn, Bystron und Müller, die als Türöffner für die Störenfriede fungiert haben. Eventuell ist hier der Paragraph 106 des Strafgesetzbuches erfüllt, der eine Nötigung oder Bedrängung von Abgeordneten explizit unter Strafe stellt.

Provokationen als Geschäftsmodell

Der jüngste Zwischenfall war zugegeben mehr als eine Provokation oder ein Affront gegen die verfemten Altparteien. Es war ein direkter Angriff auf das deutsche Parlament. Seit Bestehen der Partei hält sich die AfD durch solche Eskapaden im Gespräch. Immer und immer wieder fällt sie inner- als auch außerhalb des Bundestags durch Tabubrüche und Grenzüberschreitungen auf. Die ehemalige Parteichefin Frauke Petry wollte ihrerzeit das Wort „völkisch“ wieder in den politischen Diskurs einführen und am besten positiv besetzen. Beatrix von Storch erwog in den sozialen Medien, man solle an der deutschen Grenze notfalls auch auf Frauen und Kinder schießen. Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz inszenierte nach dem Mord an der 14-jährigen Susanna F. aus Mainz eine Schweigeminute und zog damit das Andenken an die getötete Teenagerin in den Dreck.

All diese Beispiele gibt es und alle wurden in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Die Medien scheuten sich teilweise nicht, sie zum Dreh- und Angelpunkt politischer Debatten zu erklären. Sie sprangen in vielen Fällen nur zu gerne über die Stöckchen, die ihnen die AfD hinhielt. Denn rein politisch wäre die AfD nach sechs Monaten abgefrühstückt gewesen. Nörgelnd, inhaltlos und verbohrt könnte sie ihre Anliegen ohne die ständigen Zwischenfälle überhaupt nicht vorbringen. Diese andauernden Provokationen gehören fest zum Geschäftsmodell der rechtspopulistischen Partei.

Auf der Maus abgerutscht

Hanebüchene Erklärungen und Entschuldigungen runden die Provokationen ab. Frauke Petry will das alles gar nicht so gemeint haben. Es sei eine rein theoretische Überlegung gewesen. Thomas Seitz und die übrigen Abgeordneten sind sich keiner Schuld bewusst und inszenieren sich stattdessen als Opfer einer angeblich rigiden Sitzungsleitung durch Claudia Roth. Absolutes Highlight an Absurditäten war aber Beatrix von Storchs Ausrede, sie sei leidglich auf der Maus abgerutscht. Auch diese chronische Zurückruderei verfehlt ihren Zweck nicht. Die Stänkereien der AfD bleiben damit sogar noch länger im Gespräch.

Ein tatsächliches Eindringen ins Reichstagsgebäude war dabei nur die logische nächste Eskalationsstufe. Nachdem vor einigen Wochen Demonstranten mit Reichskriegsflaggen die Treppe vor dem Reichstagsgebäude blockiert hatten, begegnete die AfD diesem Zwischenfall mit Verständnis und Sympathie. Sie verharmlosten diese glasklare Drohgebärde in Richtung Demokratie und Parlamentarismus. Dieses Verhalten war nichts anderes als eine indirekte Einladung der Aggressoren in das Gebäude hinein.

Denn schon häufig betätigten sich Abgeordnete der AfD als geistige Brandstifter für Ideen, die dann tatsächlich in die Tat umgesetzt wurden. Mit ihren Hetzreden gegen Andersdenkende und mit ihrer rhetorischen Aufrüstung bestärkte die AfD Täter wie solche in Halle, Hanau, Chemnitz und anderswo. Im aktuellen Fall machte die AfD sogar direkt vor, was nun geschah: Bereits am 17. Januar entgleiste der AfD-Abgeordnete Petr Bystron verbal und beschimpfte den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer am Rednerpult als Arschloch. Petr Bystron ist übrigens genau einer der AfDler, die die Störer ins Parlament einließen.

Von Chaoten und Einzelfällen

Alexander Gauland bezeichnete das Verhalten der Störer als unanständig und unzivilisiert. Tatsächlich haben sich die Störenfriede genau so verhalten. Doch die krampfhafte Distanzierung des Fraktionschefs von dem Vorfall sind an Heuchelei kaum zu überbieten. Immer wieder zeigen sich Mitglieder der AfD entsetzt über rechtsradikale Ausschreitungen und Anschläge. Wenn sie nicht sofort auf die Gefahren des Linksextremismus und des Islamismus hinweisen, so bestreiten sie doch alle reflexartig, überhaupt nichts mit solchen Zwischenfällen zu tun zu haben. Gerade in Zusammenhang mit Hygienedemos nennt die AfD am liebsten Begriffe wie „Chaoten“ oder „Einzelfälle“, um die eigene Schuld zu verschleiern.

Solche Vorkommnisse sind aber gerade keine Einzelfälle. Und die AfD darf sich hier nicht so ohne weiteres aus der Affäre ziehen. Am liebsten würde diese Partei wohl vergessen, wo sie herkommt. Sie wurde aus einer Protestbewegung heraus geboren. Selbsternannte Wutbürger waren besonders zu Beginn ihres Bestehens ihr Lebenselixier. Oder ist es wirklich Zufall, dass die AfD gerade dann in die ersten Landesparlamente einzog, als Pegida der heißeste Scheiß war?

Die Flüchtlingskrise ab 2015 leistete der Rechtsaußen-Partei weiter enormen Vorschub. Für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und das marode Sozialsystem hatte die Partei plötzlich eine Erklärung und einen greifbaren Sündenbock. Und nach diesem Sündenbock wurde in den letzten Jahren viel zu häufig gegriffen. Die AfD soll es nicht wagen, die Mitverantwortung für diese Entwicklungen nun scheinheilig von sich zu weisen.

Die Fraktion der Krokodilstränen

Vereinzelt lassen es Parteimitglieder nicht damit bewenden, diese Offensichtlichkeiten medienwirksam vor den Kameras zu bedauern. Manche gehen konsequentere Schritte und distanzieren sich von der Partei als ganzes. Frauke Petry beispielsweise ließ die Bombe kurz nach der Bundestagswahl 2017 platzen. Sie verließ die Partei, weil sie vor bestimmten Dingen nicht mehr die Augen verschließen konnte. Ihr folgten in der laufenden Legislaturperiode vier weitere Abgeordnete der AfD.

Bravo, mögen da einige rufen. Aber worüber wundern sich diese Abgeordneten denn bitteschön? Darüber, dass die AfD einen rechtsextremen Weg eingeschlagen hat? Der war doch schon immer vorprogrammiert, wenn nicht gar latent vorgesehen. Ein brennendes Streichholz in einen Benzinkanister fallenlassen und sich dann über das Schlamassel wundern – ist klar. Merkwürdig ist auch, dass all diesen Abgeordneten erst dann ein Licht aufging, nachdem sie dank ihres Engagements für die AfD in den Bundestag eingezogen waren. Man sollte ehrlich darüber nachdenken, auf der rechten Seite des Parlaments Taschentuchspender zu installieren.

Eine vorprogrammierte Entwicklung

Dankbarer Abnehmer davon wäre sicherlich Parteichef Jörg Meuthen. Man ist hin- und hergerissen, wie man seinen aussichtslosen Kampf gegen den rechtsextremen Flügel bewerten möchte. Ist dieser Mann einfach nur ein besonders verlogener Heuchler oder ein extrem hilfloser Naivling? Begreift er denn nicht, dass dieser angebliche Kampf längst entschieden ist? Dass seine Partei ohne die rechtsextremen Einflüsse nichts anderes wäre als eine besonders bockige FDP? Auch wenn sich die Liberalen zunächst gesträubt haben, im Bundestag neben der AfD zu sitzen – die Sitzordnung macht Sinn.

Trotzdem bleibt Meuthen optimistisch und würde am liebsten das Kapitel Rechtsextremismus in seiner Partei beenden. Deutlich wurde das auch bei der Elefantenrunde 2017, als er noch öffentlich bestritt, es gäbe Rechtsextreme in seiner Partei. Durch diese Taktik versucht die Partei natürlich, allen ihren Wählerinnen und Wählern, die teilweise völlig zurecht empört sind, die Schuld zu nehmen. Menschen wie Meuthen oder Petry gaukeln einem Teil der Wählerschaft vor, den rechten Flügel der Partei gut unter Kontrolle zu haben. Dabei muss jedem Mitglied und jedem Wähler klar sein, worauf sie sich einlassen: Jede Stimme für die AfD ist eine Stimme für den Extremismus von rechts.


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