Prinzip „Merkel“

Lesedauer: 11 Minuten

Sie regiert das Land seit fünfzehn Jahren. Lange Zeit galt sie dabei als alternativlos. Nun ist das Rennen um Angela Merkels Nachfolge als Bundeskanzlerin endgültig entbrannt. Gleich mehrere Unionskandidaten bekundeten Interesse an Muttis Posten.  Egal wer sich durchsetzen wird – der nächste Kanzlerkandidat sieht großen Aufgaben entgegen. Wichtige politische Probleme sind weiterhin ungelöst. Angela Merkel hinterlässt zudem einen gewaltigen Scherbenhaufen, der einst unsere politische Landschaft war.

Sie ist ein Phänomen. An Angela Merkel beißen sich viele die Zähne aus, nicht nur Politikwissenschaftler. Die Berichte über ihre Führungsschwäche und ihr Versagen auf verschiedenen Gebieten passen so gar nicht zu der Tatsache, dass diese Frau das Land seit anderthalb Jahrzehnten regiert. Wie bereits bei ihrem Amtsvorgänger Helmut Kohl kennt eine ganze Generation nur sie als Kanzlerin. Ihr politischer Ziehvater ist auch der einzige, der Deutschland länger regiert hat, aber nicht wesentlich. Es steht bereits jetzt fest: Wenn Angela Merkel nach der Bundestagswahl 2021 das Kanzleramt verlässt, regierte sie genau so lange wie „der Dicke“.

Die Schwäche der anderen

Trotzdem reiben sich viele Menschen an der Personalie Merkel. Sie reden von Planlosigkeit, grenzenloser Führungsschwäche und fehlender Standhaftigkeit. Doch eines muss man anerkennen: Als Kanzlerin saß Merkel immer fest im Sattel. Während ihrer gesamten Amtszeit gab es keinen einzigen, der ihr hätte gefährlich werden können. Etwaige Gefahren identifizierte sie frühzeitig und eliminierte sie. Doch Fakt ist auch: Merkel ist keine Kämpferin. Wahlkämpfe liegen ihr nicht. Erinnert sei hier nur an den Slogan der CDU zur letzten Bundestagswahl: „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben.“ Mit noch weniger Inhalt wären die Plakate weiß geblieben.

Es war für Merkel auch fast nie nötig, einen guten Wahlkampf zu führen. Oftmals profitierte sie von der Schwäche anderer. Geschickt nutzte sie die rot-grüne Handlungsunfähigkeit 2005, um endlich ins Kanzleramt aufzusteigen. Mit etwas über 35 Prozent fuhr sie für ihre Partei wahrlich kein herausragendes Ergebnis ein. Sie lag nur einen Prozentpunkt vor Schröders SPD. Doch dessen Mehrheit war futsch. Merkels Griff nach der Macht stand nichts mehr im Wege.

Anstatt sich mit ihrer Wahlniederlage zufriedenzugeben, ließen sich die Genossen auf das Abenteuer große Koalition mit der neuen Kanzlerin ein. Andere Bündnisse waren schlicht zu aufwändig. Doch die Sozialdemokraten zahlten einen hohen Preis für ihre Kompromissbereitschaft. Vier Jahre später strafte sie der Wähler an der Urne ab: Die SPD rutschte auf ihren tiefsten Wert in der bundesdeutschen Geschichte ab. Geschlagen zog sich die einstige Volkspartei nach dieser Wahl vorerst in die Opposition zurück.

Nun war Merkel erneut am Zug. Endlich hatte ihre Wunschkoalition mit der FDP wieder eine Mehrheit. Aber nicht, weil ihre CDU so graziös dastand. Im Vergleich zur vorausgegangenen Wahl hatte die Union sogar verloren. Die schwarz-gelbe Mehrheit war einzig auf das überraschend gute Abschneiden der FDP zurückzuführen. Mit einem deutlich zweistelligen Ergebnis konnten die Liberalen viele Sitze im Parlament dazugewinnen.

Tag der Abrechnung

Viel zu siegetrunken regierten die Gelben in den Folgejahren unter Kanzlerin Merkel. Sie realisierten nicht, dass sie eine politisch völlig orientierungslose Frau an der Macht hielten. Die Quittung folgte auch hier nach der nächsten Wahl. Nach vier Jahren unter Angela Merkel musste auch die FDP ihr bis dato schlechtestes Ergebnis verkraften. Besonders bitter: Die Partei schied vorerst aus dem Bundestag aus.

Dieser Trend setzte sich auch nach den folgenden Wahlen weiter fort. Während die Union mit Merkel in der Regel nur mäßig dazugewann oder verlor, regierte sie ihre Koalitionspartner regelmäßig in Grund und Boden. Besonders auffallend war hier die Bundestagswahl 2017. Während beide selbsternannten Volksparteien verloren, zeigten die Wähler vor allem der SPD den Mittelfinger – und verbannten sie erneut auf ein historisches Tief. Die Union konnte weiterregieren. Auf vier weitere Jahre mit Angie…

Hauptsache Volkspartei

2015 führte der Publizist Stephan Hebel ein sehr ausführliches Interview mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi. In diesem sagte der ehemalige Fraktionschef sinngemäß, dass es für Angela Merkel nach der Wende keinen Unterschied gemacht hätte, ob sie in der Union oder in der SPD landete. Er traf den Nagel damit punktgenau auf den Kopf. Denn eines darf man nicht vergessen: Angela Merkel ist die typische Machtpolitikerin.

Deswegen ist es auch kein Zufall, dass sie in einer Volkspartei gelandet ist. Denn eine Volkspartei deckt die meisten Ideen und Bedürfnisse des Volks ab. Die kleineren Parteien hingegen, von der FDP bis zur Linken, sprechen immer eine ganz bestimmte Gruppe in der Bevölkerung an und werben für  viel konkretere Ziele. In einer solchen Umgebung wäre Merkel schnell untergegangen.

Merkels politischer Gemischtwarenladen

In einer der beiden großen Parteien kann eine Person wie Angela Merkel allerdings viel mehr Ideen und Konzepte aufgreifen und als ihre eigenen verkaufen. Und genau das tut sie. Unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel wurden Dinge beschlossen, für die ein echter Unionspolitiker niemals stehen würde. Auch Merkel selbst stimmt mit den Ideologien einiger der umgesetzten Vorhaben sicherlich überhaupt nicht überein. Doch indem sie Anliegen wie die Grundrente oder die Ehe für Alle gegen unionsinternen Widerstand durchwinkte, konnte sie sich bei vielen Wählern liebkindmachen. Die anderen Parteien, aus denen diese Ideen entlehnt worden waren, standen als Pappaufsteller daneben und schlugen sich selbst anerkennend auf die Schulter. Es ist daher auch kein Zufall, dass das rot-rot-grüne Lager trotz Einführung der Ehe für Alle kurz darauf so schlecht bei den Wahlen abschnitt.

In gewisser Weise ist die Diffamierung als „sozialdemokratische Kanzlerin“ daher auch ein Stück weit gerechtfertigt. Angela Merkel ist sicher keine Sozialdemokratin. Doch viele ihrer Vorhaben hat sie der SPD schlicht geklaut und heimst die Lorbeeren dafür ein. Seit Jahren sind die Sozen politisch so angeschlagen, dass sie das Spektakel lieber wehrlos ertragen, anstatt echten politischen Widerstand aufzubauen. Denn Merkel sozialdemokratisiert ihre Partei nicht. Sie entsozialdemokratisiert andere.

Habitat „GroKo“

Immer offensichtlicher gilt: Einmal GroKo – immer GroKo. Unter Merkel hat man kaum eine andere Wahl. Würde man eine Tierdoku über die Wahl-Uckermärkerin drehen, so dürfte der folgende Satz nicht fehlen: „Hier sehen wir die Kanzlerin in ihrem natürlichen Umfeld – in einer großen Koalition.“ Dieser Politikstil hat bei Merkel tatsächlich Methode. In einer Koalition der beiden mandatsstärksten Fraktionen kann Merkel die meisten Umhaben aufgreifen, ohne sich ernsthaft für ihre Willkür rechtfertigen zu müssen. Immerhin soll die Koalition ja auch Bestand haben. Zusätzlich ist die Opposition in einer solchen Konstellation traditionell besonders klein. Der Widerspruch ist somit auch besonders leise.

Das kurze schwarz-gelbe Intermezzo ist schnell erklärt: Eigentlich hat Merkel gar keine Lust auf lange, zähe Verhandlungen mit einer widerspenstigen SPD. Man kann es ihr nicht verdenken. Um Teile der Union zu beschwichtigen, gab sie sich dem naheliegenden Regierungsbündnis mit der FDP hin. Da ein solches Kabinett eine lange Tradition in der bundesdeutschen Geschichte hatte, musste sich keine der beiden Seite sonderlich anstrengen; schon gar nicht die Kanzlerin.

Ein politisches Novum

Angela Merkel vermag es meisterlich, die unterschiedlichen Interessen zu bündeln. Drei GroKos während ihrer Amtszeit sprechen für sich. Sie vereint die unterschiedlichen Vorstellungen in ihrer heißgeliebten Mitte. Doch die Mitte schwächelt. Ihr Politikstil führte zwangsläufig dazu, dass sich gerade die Union um Kopf und Kragen siegte. Ein Profil ist schon lange nicht mehr sichtbar. Immer stärker wird die einstige Mitte von demokratiefeindlichen Strömungen in die Zange genommen.

Doch anscheinend ist das der noch amtierenden Bundeskanzlerin egal. Statt die Probleme im Land wirklich ernstzunehmen und anzupacken, verwaltet sie ihre GroKo ungestört weiter. Es kümmert sie offenbar nicht, dass sie die deutsche Demokratie in einem desolaten Zustand zurücklässt. Das muss sie auch nicht kümmern. Sie hat immerhin angekündigt, bei der nächsten Bundestagwahl nicht mehr als Kanzlerkandidatin anzutreten.

Robert Habeck machte am vergangenen Sonntag bei Anne Will auf diese völlig neue Situation aufmerksam. Noch nie in der bundesdeutschen Geschichte trat ein amtierender Kanzler nicht wieder für das Kanzleramt an. Alle bisherigen Kanzler der Republik sind irgendwann einfach an ihren Gegenkandidaten gescheitert. Nicht so Angela Merkel. Sie ist nicht gescheitert. Erfolg hatte sie vielleicht auch nicht, aber gescheitert ist sie nie.

Volle Kontrolle

Keine andere Person auf dem Kanzlerstuhl hatte ihre Karriere so im Griff wie die derzeitige Regierungschefin. Vom Anfang bis zum Ende schwebte Merkel über allen anderen. Angriffe von Möchtegern-Gegnern wehrte sie mit Leichtigkeit ab. Und auch den Merkel-muss-weg – Rufern der letzten Jahre gab sie nicht nach. Beinahe trotzig erklärte sie ihre beabsichtigte Wiederwahl für das Jahr 2017.

Mit ihren unrühmlichen Plakaten wollten die Merkel-Gegner die Kanzlerin von ihrem Platz verdrängen. Sie sehnten sich nach einer stärkeren Persönlichkeit auf dem Regierungssessel. Doch die gab es nicht. Indem sie jetzt selbstbestimmt ihren Rückzug von Kanzleramt und Politik ankündigte, nahm Merkel diesen Schreihälsen geschickt den Wind aus den Segeln. Wer schreit heute noch nach Merkels Abwahl, wenn sie ihr Verfallsdatum selbst bestimmt hat?

Auch den Rechtspopulisten feixte Merkel eins mit ihrer Entscheidung. Die AfD möchte bekanntlich die Amtszeit des Kanzlers auf zwei Wahlperioden beschränken. Das würde zwangsläufig zu einem Zustand führen, welcher nun eingetreten ist. Ein Kanzler kann nach der zweiten Wahl mehr oder weniger vor sich hinregieren. Die Geduld der Parlamentarier ist dann weitaus höher: ein Ende ist schließlich in Sicht.  Auch so kann man Rechtsaußen den Fahrtwind nehmen.

Merkel hat fertig

Mit ihrer Ankündigung zum politischen Rückzug hat Angela Merkel eine strategisch sinnvolle Entscheidung getroffen. Der Widerstand wurde spätestens mit dem Einzug der AfD ins Bundesparlament zu groß. Eine weitere Amtszeit würde sie nicht überleben. Es ist immerhin auch fraglich, ob Union und SPD nach der nächsten Wahl überhaupt noch eine eigene Mehrheit hinbekämen. Dem Bundestag wird die scheidende Kanzlerin auch nicht mehr angehören. Viel zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, als Drückebergerin dazustehen.

Außerdem ist Angela Merkel politisch gar nicht mehr von Nöten. Nach fast sechzehn Jahren Kanzlerschaft stellt sich schließlich die Frage: Was möchte man von dieser Frau noch wissen? Kontroverse Fragen hat sie Journalisten schon zu Amtszeiten abgewöhnt. Sie scheute öffentliche Auftritte und war selten zu Gast in Talkshows – und wenn, dann meist einzeln. Während andere Altkanzler nach ihrer Abwahl teilweise lebhaft an Debatten teilnahmen, schwindet das politische Interesse an Angela Merkel mit ihrem Rückzug. Sie hat tatsächlich fertig.

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Wie die Linken die Menschen rechts liegenlassen

Lesedauer: 9 Minuten

Linkssein gilt heute eher als Beleidigung und nicht mehr so sehr als politische Einordnung. Immer öfter heißt es Rechts gegen Links. Als ob es nicht irgendwas dazwischen gäbe. Und genau dieses Dazwischen ist das Problem. Die echte Linke hat es sich viel zu lange gefallen lassen, dass alle dazwischen zu einem linken Mob stilisiert wurden. Die Linke hat damit an Bedeutung eingebüßt und viele Wähler an die verloren, die mit aller Macht versuchen, linke Alternativen verächtlich zu machen.

Lechts und Rinks

Früher war völlig klar: Wählst du SPD, dann bist du ein Linker. Wählst du CDU, dann fühlst du dich der demokratischen Rechten zugehörig. Klar, die Zeiten des Drei-Fraktionen – Parlaments sind lange vorbei. Der Bundestag ist eher damit beschäftigt, nicht zeitnah aus allen Nähten zu platzen. Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag schließlich so gefüllt wie nie. Fast langweilig, dass den Damen und Herren hinter den Regierungsbänken nichts originelleres als eine Große Koalition eingefallen ist.

Die politischen Einordnungen links und rechts sind allerdings weiterhin rege in Gebrauch. Gerade der Begriff der politischen Linken hat sich in den letzten Jahren allerdings massiv verändert. Glaubt man der Propaganda der AfD, so wimmelt es im Land von Sozialisten und linken Ideologen. Im Kern bezeichnet die AfD die Politik aller anderen Fraktionen im Parlament als links. Gut, im Prinzip liegen sie damit gar nicht mal so falsch. Erstens sitzt die AfD nun einmal ganz rechts im Parlament, weswegen es wirklich kein Kunststück ist, sich links von den Gauleitern und Baumännern aufzuhalten. Zweitens macht es die AfD den anderen Fraktionen ziemlich leicht, im Schatten ihres teilweise rechtsextremen Personals wie linke Hallodris dazustehen.

Wenn allerdings die Bundeskanzlerin als „Sozialdemokratin“ diffamiert wird, hört der Realitätssinn auf. Die Politik von CDU und FDP ernsthaft als links zu bezeichnen, muss doch jedem echten Linken wie ein kräftiger Hieb in die Magengegend vorkommen. Reihum geißelt die AfD die Politik der übrigen Fraktionen als linksliberal oder sogar als linksgrün-versifft. Das Wort „links“ verkommt für die Anhänger der Rechtspopulisten immer mehr zur ultimativen Herabsetzung anderer Positionen. Doch machen es bestimmte andere Lager der AfD mitunter viel zu leicht. Nur zu willig lassen sie sich die roten Socken überstülpen und feiern sich dafür, dass sie von rechtsaußen als Gutmenschen betitelt werden. Warum die AfDler alle Schlechtmenschen sein wollen, wird viel zu selten hinterfragt.

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Die Grenzen gesunden Menschenverstands

Dass weder Angela Merkel noch Christian Lindner ernsthaft linke Politik betreiben, steht vollkommen außer Frage. Doch was ist denn dann überhaupt wirklich links? Wikipedia bezeichnet jene Ansätze als links, „welche die Aufhebung von Ungleichheit und als Unterdrückung begriffenen Sozialstrukturen zugunsten der wirtschaftlich oder gesellschaftlich Benachteiligten zum Ziel haben“. So weit, so unverständlich. Nach der klassischen Auffassung werden die Parteien links der CDU dem linken Parteienspektrum zugeordnet. Doch gerade in diesem Umfeld haben sich in den letzten Jahren die schärfsten Veränderungen im Selbstverständnis linker Politik vollzogen.

Die Grünen gelten für die AfD dabei als DAS Feindbild überhaupt. Für sie sind die Grünen der Inbegriff der verhassten linksgrün-versifften 68er-Mentalität. Doch bereits hier stößt der gesunde Menschenverstand an seine Grenzen. Um es in einem Satz auszudrücken: Die Grünen sind nicht links. Zum Linkssein gehört mehr als sich von seinen parlamentarischen Opponenten so schimpfen zu lassen. Grundsätzlich ist linke Politik sozial, friedlich und tolerant.

Die Grünen sind nicht links!

All diese Beispiele haben die Grünen in der Vergangenheit widerlegt. Es stimmt, dass die Grünen einst als Friedens- und Umweltpartei gegründet wurden. Die Umweltpartei sind sie vielleicht auch geblieben. Immerhin profitieren sie am meisten von der Klimadebatte; ein Blick auf die Umfrageergebnisse reicht hier aus. Doch wie sieht es mit dem Frieden aus? Bei den letzten namentlichen Abstimmungen im Bundestag über Einsätze der Bundeswehr im Ausland haben die Grünen fast immer einstimmig mit Ja gestimmt. Wirklich überraschen kann das keinen. Unter Schröder haben die Grünen immerhin den Einsatz der Armee in Afghanistan mitgetragen, natürlich alles unter dem Deckmantel der außenpolitischen Verantwortung.

Sozial sind die Grünen auch schon lange nicht mehr. Genau in ihre wenig ruhmreiche Regierungszeit vor fünfzehn Jahren fällt die Einführung von Hartz-IV und damit der rapide Sozialabbau in Deutschland. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie leichtfertig gerade junge Menschen ihr Kreuz bei dieser Partei machen und sich von der vielversprechenden Klimapolitik der Grünen blenden lassen. Zur Erinnerung: Die Grünen befürworten einen Preis für CO2, der kinderleicht auf die Verbraucher umgelegt werden kann. Damit verpufft der klimafreundliche Effekt größtenteils, weil damit nur die Kleinen ihre schädlichen Emissionen runterfahren. Die Großen müssen zwar etwas tiefer in die Tasche greifen, können aber weiterhin problemlos gegen das Klima handeln.

Schröder, Afghanistan, Hartz-IV. Was nützt es, in alten Wunden zu stochern? Viel wichtiger ist doch, was heute ist. Die Grünen sind vielleicht die lautesten, wenn es darum geht, klare Kante gegen Rechts zu zeigen. Das ist gut so. Doch manch Grüner vergisst dabei, die Werte zu vertreten, die er verwirklicht sehen will. Auf die Frage, ob er Fleischesser oder Frauke Petry mehr hasst, antwortete Anton Hofreiter unverblümt, dass sich sein ganzer Hass gegen die ehemalige AfD-Politikerin richtet. Im folgenden erklärt er, warum Frau Petry mit ihren Positionen seines Hasses würdig ist. Das ist Verrohung der Gesellschaft vom feinsten.

Protest unter falschem Vorzeichen

Okay, die Grünen sind also nicht links. Aber wer ist es dann? Im Prinzip gibt es in der heutigen Bundesrepublik keine ernstzunehmende Partei mehr, die tatsächlich links ist. Wer früher links gewählt hat, der musste kein grundüberzeugter Sozialist sein. Die einstige Arbeiterpartei SPD bot all denjenigen eine politische Heimat, die in der Republik sozial vernachlässigt wurden oder schlicht der Arbeiterschicht angehörten. Heute ist das nicht mehr so. SPD und Linke müssen sich heute auf eine immer kleinerwerdende Stammwählerschaft verlassen. Die meisten wählen diese Parteien, weil sie das schon immer taten, nicht aber, weil sie sich von ihnen ganz besonders angesprochen fühlen. Diesen Job haben andere übernommen. Anders ist nicht zu erklären, warum gerade die ehemaligen linken Parteien so viele Wähler an die AfD verloren haben.

Natürlich ist die CDU weiterhin unangefochtener Spitzenreiter, was die Wählerabwanderung zur AfD anbelangt. Doch hier wandern die Wähler aus dem umgekehrten Grund ab: Die CDU ist nicht mehr rechts genug. Nach der jahrelangen Großkoaliererei und dem Kuschelkurs mit der SPD ist die Union zu einer profillosen Hülle ihrer selbst verkommen und verliert ihre erzkonservativen Wähler. Solche waren nie für linke Politik zugänglich. Aber viele andere waren es dennoch. Und hört man den klassischen „Protestwählern“ einmal genau zu, so erkennt man zwischen den Zeilen ein regelrechtes Verlangen nach linker Politik. Unter dem Vorzeichen der Flüchtlingskrise wird sich über all das empört, was echte linke Politik schon immer verurteilt hat: Hartz IV, mickrige Renten und eine desolate Arbeitsmarktsituation.

Mit ihren Sorgen und Ängsten wurden diese Menschen allein gelassen. Es gab keine linke Alternative zu der neoliberalen Politik der letzten Jahre. Die SPD war maßgeblich an den Verschlechterungen beteiligt. Die Linkspartei war entweder total im Klinsch oder kopierte fleißig das hippe linksliberale Image der Grünen. Viele Menschen wurden zu Nichtwählern. Die AfD, die die Alternative bereits im Namen trägt, sprach all diese Ängste an. Es ist bezeichnend, dass diese Partei gerade durch die Flüchtlingskrise einen deutlichen Aufschwung erlebte. Die Flüchtlingswelle seit dem Sommer 2015 hat die Verlustängste vieler Bürgerinnen und Bürger offenbart, wenn nicht sogar verschärft.

Das Klima ist die neue Flüchtlingskrise

Wie empfänglich viele Wähler der AfD für linke Politik sind, war eindeutig am Schulz-Effekt zu sehen. Augenscheinlich vertrat Martin Schulz zu Beginn seiner Kanzlerkandidatur eine Politik, die sich den Sorgen der Menschen annahm. Schwupps, erlebte die SPD einen Höhenflug bei den Umfrageergebnissen. Und zwar nicht zulasten der CDU. Mit den Christdemokraten lieferten sich die Sozen über Wochen ein Kopf-an-Kopf – Rennen. Gesunken ist stattdessen der Zuspruch für die AfD. Auch viele Nichtwähler konnte Schulz kurzfristig von sich überzeugen. Er sammelte also genau jene Wähler auf, die sich von keiner Partei vertreten fühlten oder sogar schon den Rechtspopulisten auf den Leim gegangen waren.

Es kam wie es kam. Martin Schulz konnte den linken Kurs gegen parteiinternen Widerstand nicht aufrechterhalten. Die Alternative war wieder blau. Sie akzeptierten den Preis, eine Partei mit teilweise offen rechtsextremen Agitatoren zu wählen und dafür selbst als Rassisten verfemt zu sein.  Viele wurden wieder im Stich gelassen. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

Das neue große Aufregerthema: das Klima. Natürlich geht echter Klimaschutz in der heutigen Situation nicht ohne Umdenken und auch nicht ohne Verzicht. Aber natürlich kann niemand dem arbeitenden Volk erklären, warum jeder einzelne so viel tiefer in die Tasche greifen muss und so viel mehr echten Verzicht hinnehmen muss als große Konzerne. Es ist widersinnig. Es gibt dafür keine Erklärung. Echte linke Politik würde das nicht zulassen…


Nachtrag (15. Januar 2020): Die Partei Die Linke hat auf ihrer Internetseite einen interessanten, ähnlichen Beitrag veröffentlicht. Zum Beitrag

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