Weil Klimawandel

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Die Debatte um den Klimaschutz beherrscht die Medien und die öffentliche Wahrnehmung wie einst die Flüchtlingskrise. Egal worüber eigentlich diskutiert wird, eine Stellungnahme zur Klimarettung wird fast jedem abverlangt. Die Polarisierung in unserer Gesellschaft ist in vollem Gange. Die Gutmenschen von 2015 sind heute die Jünger der Greta. Wer vor Jahren für eine Schließung der Grenzen war, bezweifelt heute den menschengemachten Klimawandel. Die Gefahren einer solchen Polarisierung dürfen nicht unterschätzt werden.

Martin Schulz’s Last Stand

Am 12. September 2018 erhob sich der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, von seinem Sitz im Plenum des Bundestags. Er nutzte eine Kurzintervention, um eine Bemerkung zu der vorausgegangenen Rede von Alexander Gauland zu machen. Er führte aus, „[d]ie Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema […] ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“ Unter dem Applaus seiner Parteifreunde und dem Protestieren von rechtsaußen schickte er hinterher, es sei höchste Zeit, dass „die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt.“

Es folgte langanhaltender Applaus für Martin Schulz, teilweise gab es sogar stehende Ovationen. Natürlich bezog sich Schulz auf die Rhetorik der AfD und ihre beinahe pathologische Neigung, die Schuld für sämtliche Missstände im Land bei den Migranten und Asylanten zu suchen. Er traf mit seinen Äußerungen den Nagel auf den Kopf. Doch wenn man sich die Debattenführung der letzten Jahre anschaut, könnte man meinen, er kam mit dieser Einsicht etwas spät um die Ecke. Immerhin werden viele kleinere Debatten seit Jahren von viel größeren Themen überschattet und vereinnahmt.

Polarisierung spaltet

Nehmen wir beispielsweise die Flüchtlingskrise. Sie hat die deutsche Gesellschaft gespalten wie kaum ein Thema zuvor. Und natürlich war absehbar, dass die Ankunft zehntausender Asylsuchender das Land vor gewaltige Probleme stellen würde. Es war natürlich ebenso richtig, dass über die Lösung dieser Krise hart diskutiert wird.

Allerdings wurden über die Flüchtlingskrise ab 2015 andere wichtige Themen vernachlässigt oder sogar vergessen. Die Flüchtlinge waren dauerpräsent in den Medien. Man hatte das Gefühl, die Menschen in Deutschland würden sich um nichts anderes mehr scheren als ihren persönlichen Standpunkt zu einer neuen Asylunterkunft drei Straßen weiter.

Das polarisiert. Und die Folge von Polarisierungen sind immer zwei Lager, die sich schier unversöhnlich gegenüberstehen. Bist du für oder bist du gegen die Flüchtlinge? Ein Dazwischen wurde nicht akzeptiert. Die beiden Lager waren wie schwarze Löcher, die stetig wachsen und alles aufsaugen, was ihnen zu nahe kommt.

Zwischen Willkommenskultur und Schießbefehl

Dabei gibt es sehr wenige Menschen, die ernsthaft alle Flüchtlinge der Welt in Deutschland willkommenheißen möchten. Genau so wenige Menschen möchten am liebsten auf alles schießen, was der deutschen Grenze zu nahe kommt. Doch die Dauerpräsenz in den Medien, und auch die Debattenführung, gaukelte immer mehr Menschen vor, dass die beiden Lager immer größer würden. Und letztendlich wurden sie das dadurch auch.

Menschen, die sich differenziert und sachlich zu den Themen äußern wollten, wurden entweder nicht ernstgenommen oder zwischen den rivalisierenden Lagern zerrieben. Teilweise wurden sie eigenmächtig in eines der Lager zugeteilt. Die Saugwirkung ließ nicht zu wünschen übrig. So erging es beispielsweise Sahra Wagenknecht. Nach ihren kritischen Äußerungen zu den Ereignissen in Köln zur Jahreswende 2016 wurden selbst einer Frau, die jahrelang als eiserne Verfechterin des Kommunismus galt, rechte Tendenzen unterstellt.

Verdächtig ähnliche Argumentationsmuster

Den wirklich Rechten spielte die Omnipräsenz der Flüchtlinge natürlich in die Hände. Sie spannen beflissen die Legende von den raffgierigen Flüchtlingen, die sich in unseren Sozialsystemen einnisteten. Martin Schulz hat völlig recht: Das sind faschistische Rhetorikmuster.

Wie weit diese Muster unsere Debattenkultur inzwischen vergiftet haben, zeigt sich an einem aktuelleren Beispiel. Während man ab 2015 fast alles mit den Flüchtlingen begründete, kommt heute kaum noch eine Diskussion ohne den Klimawandel aus.

Zwischennotiz: Beides – sowohl die Flüchtlingskrise als auch die Rettung des globalen Klimas – sind Mammutaufgaben, denen man sich nicht verweigern darf. Sie bedürfen unglaublicher Kraftanstrengungen und haben daher einen berechtigten Platz in der öffentlichen Wahrnehmung. So, weiter im Text.

Das erstaunliche an der Klimakrise: Das Argumentationsmuster wurde auf links gedreht. Bei der Flüchtlingsdebatte mussten die Flüchtlinge als Sündenbock für verfehlte politische Entscheidungen der letzten Jahre herhalten. Bei der Debatte ums Klima ist der Schutz desselbigen immer die Lösung aller Probleme.

Eine vorgeschobene Debatte

Gerade dieser Tage wird ein Thema wieder routiniert aufgewärmt: das Böllern an Silvester. Verschiedene Einzelhandelsketten haben sich in diesem Jahr zu einem Verkaufsstopp der beliebten Knallkörper bekannt. Vorrangiges Argument: die Feinstaubbelastung durch die Böllerei ist Gift für’s Klima. Stimmt so. Aber klar wird es mal wieder vorrangig auf’s Klima geschoben. Andernfalls müsste man schließlich auch selbstreflektierend zugeben, dass es von Anfang an Schwachsinn war, Sprengstoff an Laien zu verhökern.

Beide Argumente, der Klimaschutz wie der Gesundheitsschutz, sind gute Gründe, die Knallerei an Silvester abzuschaffen. Aber wieso bedarf es erst einer Sensibilisierung der Gesellschaft für Klimafragen, wenn die Gesundheit der Menschen durch Böller seit Jahr und Tag bedroht war? Der Einzelhandel macht es sich wirklich leicht. Und er springt auf den Zug mit auf. Ein Böllerverbot, das vorrangig aufgrund der Klimadebatte zustandekommt, obwohl es schon lange gute Gründe für ein solches Verbot gibt, leistet einen Beitrag zu einer weiteren Polarisierung der Klimadebatte insgesamt.

Diesel ist Diesel. Und Klima ist Klima.

Es ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft niemals gut, wenn sämtliche Fragen auf einen einzigen Aspekt heruntergebrochen werden. Das lähmt nämlich das Vorankommen einer Gesellschaft oder ist sogar kontraproduktiv. Zum einen führt ein solches Herunterbrechen zwangsläufig zu einer Polarisierung mit gegensätzlichen Lagern. Vorschläge und Ideen aus dem einen Lager führen zuverlässig zu Widerstand aus dem anderen Lager. Böllerverbot? Jetzt erst recht böllern! Die wollen mir meinen Diesel wegnehmen?! Ich kauf‘ mir erst recht einen! Tempolimit auf der Autobahn? Die können gleich mal sehen, wie schnell ich rasen kann!

Wenn jedes Problem nur noch mit einer gängigen Antwort beantwortet wird, dann vermischen sich Themen, die im Prinzip nichts miteinander zu tun haben. Wer redet denn heute noch vom Dieselskandal? Kein Mensch. Es wird darüber diskutiert, wie man die Feinstaubbelastung des Straßenverkehrs in den Griff bekommt.

Der Dieselskandal hat dem Thema Feinstaub neuen Aufwind verschafft. Dass er das getan hat, ist eigentlich absurd. Hat ernsthaft jemand geglaubt, Dieselautos könnten jemals klimaneutral sein? Dass hier in gigantischem Ausmaß betrogen wurde, steht außer Frage. Doch anstatt dieses Problem ernsthaft aufzuarbeiten, versuchte man es mit der Klimafrage zu beschwichtigen. Wenn Dieselautos sowieso verboten werden, dann juckt es keinen, dass früher mal mit welchen betrogen wurde. Kein Wunder, dass sich viele Menschen da zweimal vor den Kopf gestoßen fühlen.

Wieso denn jetzt das Klima?!

Das große Handicap des Klimawandels: Er ist viel zu abstrakt. Natürlich bemerken wir, dass sich das Wetter im Sommer geändert hat. Und selbstverständlich sind weiße Weihnachten zur Rarität geworden. Aber gerade in Deutschland sind die Folgen des Klimawandels noch relativ moderat. Deswegen sperren sich so viele Menschen auch gegen ein Böllerverbot. Was hat das denn mit dem Klima zu tun? Die Folgen sind ja nicht unmittelbar spürbar. Anders verhält es sich, wenn einem die halbe Hand von einem Chinaböller weggesprengt wird.

Gleiches Prinzip beim gerade wieder heiß diskutierten Tempolimit auf der Autobahn: Die Argumente von wegen Verkehrssicherheit haben nicht gezogen. Warum soll der Klimawandel das Blatt jetzt wenden? Die Menschen wurden durch konkrete Bilder, wie Menschen durch Windschutzscheiben geschleudert wurden, nicht von einem Tempolimit überzeugt. Wenn konkrete Beispiele scheitern, dann werden abstrakte noch viel weniger fruchten.

Ein Nebendarsteller in der Hauptrolle

Dass ein generelles Tempolimit auf der Autobahn einen Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes leistet, kann von niemandem ernsthaft bestritten werden, der einen gesunden Menschenverstand sein eigen nennt. Viel wichtiger und viel konkreter ist ein Tempolimit doch aber, um die Sicherheit des Straßenverkehrs zu erhöhen. Der Klimaschutz ist ein begrüßenswerter Nebeneffekt einer solchen Regelung. Wenn er nun aber zum Hauptargument mutiert, verwundert es kaum, wenn sich die Fronten verhärten.

Eigentlich ist die Diskussion um ein Tempolimit sowieso obsolet. Spätestens wenn sich das autonome Fahren durchgesetzt hat, wird kein Weg mehr an einer generellen Geschwindigkeitsregulierung vorbeiführen. Vielleicht wird dann das leidige Thema Zeitumstellung vom Klimawandel vereinnahmt.

“Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema […] ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“ Immer häufiger beherrschen einzelne Themen die Debatten über viel komplexere Sachverhalte. Was Martin Schulz bereits im letzten Jahr angeprangert hat, geht schon lange nicht mehr nur von der AfD aus. Eine solche Art der Debattenführung ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist tatsächlich an der Zeit, dass sich alle Demokraten dagegen wehren.

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Eigentlich war Hitler ein Versager

Vorschaubild: Gerd Altmann, Pixabay.

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Es gibt in unserem Land Menschen, die lange den Mund hielten. Heute sprechen Sie von Gesinnungshaft, Volksaustausch und Schießbefehl. In der AfD haben Sie ein Forum gefunden, sich Gehör zu verschaffen. Viele bewundern und bejubeln diese Partei, von anderen wird sie scharf kritisiert. Immer häufiger werden ihr faschistoide Tendenzen bescheinigt. Ja, es gibt Menschen, die lange den Mund hielten – und das aus gutem Grund.

Eine aufgeklärte Gesellschaft

Vor etwas mehr als zehn Jahren verkündete meine damalige Deutschlehrerin, dass sie ihren Unterricht etwas anders gestalten wollte. Die Zeit des langatmigen Bücherwälzens und Aufsatzschreibens sollte ein Ende haben. Stattdessen wollte sie uns literarisch wertvolles möglichst zeitgemäß vermitteln. Konkret bedeutete das: ein Ausflug ins Kino. Mit Sicherheit gibt es bessere Filmbegleitungen als eine überdreht-enthusiastische Deutschlehrerin und einer Horde pubertierender Jugendlicher, von denen man auf die meisten verzichten konnte. Andererseits war der Kinobesuch eine willkommene Abwechslung vom drögen Schulalltag eines Neuntklässlers.

Auch die Filmauswahl hätte schiefer gehen können. Frau Küschder (Name bis zur Unkenntlichkeit verändert) hatte sich für den Film „Die Welle“ mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle entschieden. Zu dem Streifen ist viele Jahre zuvor auch ein gleichnamiger Roman erschienen, doch den wollte uns unsere Deutschlehrerin anscheinend nicht zumuten. Ehrlich gesagt, hat mir der Film tatsächlich gereicht. Kurzes Wrap-Up: In dem Film geht es um einen übermotivierten Lehrer (Parallelen zur Wirklichkeit rein zufällig), der seinen Schülern was über den Faschismus in Deutschland erzählen soll. Die meisten der Kids winken gelangweilt ab: das könnte heute gar nicht mehr passieren, viel zu aufgeklärt wäre die heutige Gesellschaft. Der Lehrer wagt also ein Experiment. Innerhalb kürzester Zeit bildet er seine Schützlinge zu einer Art Schülerarmee (SA?) aus, die „ganz Deutschland überrollen“ soll. Die meisten Jugendlichen lassen sich fasziniert mitreißen bis ihnen Jürgen Vogel klarmacht, dass sie gerade all ihre Beschwörungen einer aufgeklärten Gesellschaft selbst zugrunderichten.

Keine leichte Kost

Ich bin mir bis heute unsicher, ob mich dieser Film faszinierte oder einfach nur verstörte. Vielleicht von beidem etwas. Fakt ist, dass er darauf abzielte, Menschen wachzurütteln. Nur weil einmal etwas schiefging und es uns heute gut geht, heißt das noch lange nicht, dass es nicht wieder zur Katastrophe kommen kann. Die Zeit meinte sogar, der Film sei „der rechte Film zur rechten Zeit.“ Zugegeben leistete der Film eine Menge zu dieser angeblich so aufgeklärten Gesellschaft. Im Endeffekt machte er unsere Gesellschaft noch aufgeklärter.

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Das war vor zehn Jahren. Wie würden die Reaktionen auf einen solchen Film wohl heute ausfallen? Ich wage zu vermuten: völlig anders. Heute würde sich eine beachtliche Gruppe an Menschen darüber echauffieren, dass mal wieder viel zu aggressiv auf eine faschistische Gefahr in unserem Land hingewiesen werden würde. Man kann sich lebhaft Kommentare vorstellen wie: „Alimentierte Messermörder vom IS sind also keine Gefahr?“ oder „Mal wieder typisch, auf dem linken Auge blind.“ Aber wozu solch offensichtliche Reaktionen herausfordern? Der Film hat vor einem Jahrzehnt gut funktioniert. Heute brauchen wir ihn nicht mehr. Es reicht ein Blick in die Realität.

Jeder kann ein Faschist sein

Eines ist völlig gewiss: Viele Reaktionen auf einen solchen Film würden heute auf reine Geschichtsvergessenheit abzielen. Jürgen Vogel will seinen Schülern den Begriff „Faschismus“ näherbringen. Lange Zeit galt dieses Wort als das Böse in Reinform. Und vom Bösen soll man sich fernhalten. Tatsächlich hat das lange Zeit gut geklappt. Der Terminus war eindeutig dem akademischen Milieu zuzuordnen. Geschichtsprofessoren verwendeten diesen Begriff, um über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu sprechen. Möglicherweise kannten viele den Begriff noch nicht einmal oder konnten mit ihm nichts anfangen. Und heute? Ein Blick in die Social Media reicht aus, um eines zu erkennen: „Faschismus“ wird heute beinahe inflationär verwendet. So ist häufig zu lesen, Greta Thunberg sei eine Faschistin, generell alle Klimaschützer seien doch Faschisten. Angela Merkel führe das Land in eine Diktatur.

Was hier geschieht ist schlicht und ergreifend die völlige Entwertung und Neubesetzung dieser Begrifflichkeiten. Ein Kind (!) wird allen Ernstes mit dem Faschismus gleichgesetzt. Einen härteren Schlag ins Gesicht der wenigen noch lebenden Opfer von echtem Faschismus ist kaum möglich.

Der Bundeskanzlerin wird diktatorisches Vorgehen bescheinigt. Es ist beinahe traurig, dass eine Vielzahl derer, die am lautesten schreien, Diktatur am eigenen Leib erlebt haben. Allen Ernstes wird das heutige Deutschland mit der DDR verglichen. Dabei könnten wir heute von Planwirtschaft, Ein-Parteien – Herrschaft und Gesinnungshaft nicht weiter entfernt sein.

Diese groteske Neudefinition von Begriffen resultiert schließlich in einer völligen Enthemmung von Sprache. Frauke Petry möchte das Wort „völkisch“ wieder in den bürgerlichen Diskurs integrieren, Alexander Gauland kündigt an, man werde die Regierungschefin „jagen“. Gestern völkisch, heute jagen. Was wird wohl morgen sagbar sein?

Die Sache mit den Flüchtlingskindern

Die Emotionen in solchen neuen Debatten werden auf ein Minimum reduziert. Mitgefühl, Anteilnahme und Verständnis werden Schritt für Schritt abgeschafft. Zurück bleiben lediglich Wut und Angst. Vor nicht all zu langer Zeit trieb es Alexander Gauland damit auf die Spitze: Man dürfe sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen. Was für eine perverse Umkehr vom Opfer zum Täter! Ähnlich wie bei Greta Thunberg wird den Flüchtlingskindern hier eine schädliche Intention unterstellt. Sie würden ihre Kindlichkeit gezielt dazu nutzen, um uns zu erpressen. Scheiß‘ auf deine Urinstinkte. Zur Not kann man schließlich auch auf Kinder schießen. #sweettrixi

Das erschreckende ist: es funktioniert. „Die Welle“ sollte vor gut zehn Jahren vor allem eines hervorrufen: blankes Entsetzen. Bis auf eine traurige Ausnahme sahen alle Schüler ein, dass sie auf einem völligen Holzweg waren. Nur ein Schüler wollte die Bewegung nicht aufgeben. Er rastete komplett aus und erschoss sich schließlich selbst. Unter den Schülern war er ein Einzelfall. Zuvor war er bereits Einzelgänger. Er wurde höchstens belächelt.

Die Herrschaft der Dummen

Vor einigen Monaten beklagte sich ein Freund von mir darüber, dass die AfD nur deshalb solchen Aufwind erführe, weil man den Dummen freie Hand ließe. Dieser Aufstieg der Dummen wäre mit dem Aufstieg der Nazis vor 80 Jahren vergleichbar. Zunächst konnte ich mit dieser Meinung nicht viel anfangen. Ich empfand es als Verharmlosung, Personen wie Gauland, Meuthen oder Höcke zu Dummen zu degradieren. Denn das sind sie mit Sicherheit nicht.

Doch man versuche einmal, sich vorzustellen, jemand hätte eine Äußerung á la Höcke vor zehn Jahren von sich gegeben. Die wenigsten hätten ihm zugehört, die meisten ihn bestenfalls belächelt. Er wäre einer von den Dummen gewesen. Eine Witzfigur.

Und genau das sind doch die Damen und Herren, die seit 2017 rechts der FDP sitzen. Witzfiguren. Bemitleidenswerte Kreaturen, die auf immer dem Gestern nachweinen. Geleitet werden sie von einer schier ekelerregenden kleinbürgerlichen Bequemlichkeit gepaart mit einer völligen menschlichen Inkompetenz. Sie sind Verlierer. Alle. Doch irgendwer hat sie zu Gewinnern gemacht.

Nehmen wir beispielsweise den AfD-Mann Markus Frohnmaier. Seit 2017 sitzt er im Bundestag. Bekannt ist er vor allem durch einen Auftritt in Erfurt 2015, wo er die jubelnde Masse beschwört, es werde bald „ausgemistet“. Ohne zu sehr ins persönliche abdriften zu wollen: der Mann erinnert mich an ein kleines Schweinchen. Als ich ihn das erste Mal sah, war meine prompte Reaktion ein aufmunterndes Lächeln. Als wäre es mir ein dringendes Bedürfnis, ihm zu sagen, dass es auf diesem Planeten bestimmt irgendwo irgendwen gäbe, der ihn liebhat, irgendwie.

Von Anfang an sträubten sich mir die Nackenhaare, dass eine an sich so ulkige Figur ein solches Forum erhielt. Frohnmaier ist tatsächlich die fleischgewordene Herrschaft der Dummen. Mit seinen wahnwitzigen Ideen über ein Abschiebeministerium und einer anschließenden Volkssäuberung hätte er vor einem Jahrzehnt bestenfalls eine Maus in seiner schwäbischen Stammkneipe hervorlocken können. Heute begeistert er tausende.

Über Zugklos, Fernseher und talentfreie Bartträger

Frohnmaier ist beileibe kein Einzelfall. Die Liste der Clowns in der AfD ließe sich beliebig fortsetzen. Doch so waren die Akteure vom rechten Rand schon immer drauf. Gescheiterte Existenzen, die Veränderung um keinen Preis dulden können. Im Prinzip war selbst Hitler eine Lachnummer. Im Ersten Weltkrieg hat er nennenswerte militärische Erfolge verfehlt, auch wenn er später gerne etwas anderes erzählte. Nach dem Krieg hat er es mangels Talents nicht auf die Kunstschule geschafft. Erfolg mit Frauen blieb ebenso aus. Arbeitslos, mittellos, ein Vollversager eben. Mit den AfD-Leuten von heute eint ihn eines: ein nicht zu unterschätzendes rhetorisches Geschick.

Das besitzen sicherlich nicht alle von diesen „Dummen“. Trotzdem wird vielen von ihnen heute zugehört. Ich erinnere mich beispielsweise an eine Situation in der Regionalbahn. Auf dem Viererplatz hinter mir mokierte sich ein älterer Herr darüber, dass das Zugklo mal wieder defekt sei. Wie eigentlich immer. Aber Hauptsache, die Flüchtlinge könnten sich den neuesten Fernseher in ihre Bude stellen. Bei dieser kausalen Verirrung gluckste ich zunächst leise auf. Das Lachen blieb mir allerdings im Halse stecken, als ihm sogar die Leute im Vierersitz neben ihm bewundernd zustimmten. Sie erkannten nicht, dass dieser grantige alte Mann weder von Menschen noch von Fernsehern etwas verstand.

Pegida-Aufmarsch in Dresden im Januar 2015.
Bild: Kalispera Dell, PEGIDA Demo DRESEDEN 25 Jan 2015 116227104, CC BY 3.0

Dummheit scheint in Mode zu sein. Auch auf Social-Media – Plattformen wie facebook überbieten sich manche User geradezu mit ihrer evidenten Inkompetenz und heißgeliebten Bequemlichkeit. Die Flüchtlingskrise ab 2015 wirkte wie ein Katalysator auf all diejenigen, die sonst wussten, dass sie zu einer politischen Debatte nicht viel sinnvolles beitragen konnten. Urplötzlich brachten sie sich in zahllosen Kommentaren in die politische Debatte ein. Leute, die bis auf ein Teil-mich – Bild noch nie etwas auf facebook gepostet hatten, wussten auf einmal ganz genau Bescheid. Schuld waren natürlich die Flüchtlinge. Davor hatten sie, wie wir alle in Deutschland, in Saus und Braus gelebt. Es gab keine Arbeitslosen, keine Tafeln und kein Hartz IV.

Mein Auto gehört mir!

Befeuert wurde diese „Welle“ an Pöbelnden durch den Dieselskandal. Was bei VW und anderen namhaften Autoherstellern abgegangen ist, ist eine riesengroße Sauerei. Schon bald fanden sich massenweise Menschen zusammen, die durch Demonstrationen und Proteste drohende Fahrverbote abwenden wollten. Dabei war die Lösung zum Greifen nah: Die Betrüger haften und die Gelackmeierten werden fürstlich entschädigt. Doch die Bundesregierung zog den Schwanz ein. Das alles sehen viele der Demonstranten natürlich nicht. Vielen von ihnen geht es wieder einmal nur darum, sich die Bequemlichkeit zu erhalten. Feindbild ist immer weniger die Regierung – und erst recht nicht die kriminellen Autokonzerne. Verbockt haben’s natürlich die Umweltschützer und Klimaaktivisten. Es ist schon auffallend, dass viele der Anti-Fahrverbots – Demonstranten die Positionen der AfD teilen. Aber wen juckt das schon? Die Autokonzerne freut’s.

Mein Vater erzählte mir einst eine Geschichte: In seiner Kindheit in den 1960ern hat er des öfteren gehört, wie sich gerade ältere Menschen Herrn H. zurücksehnten, vor allem, als die Gastarbeiter ins Land geholt wurden. Das alles wurde natürlich nur unter vorgehaltener Hand gemunkelt. Aber Kinder kriegen ja bekanntlich fast alles mit. Ganz verschwunden war diese Idiotie wohl nie. Lange Zeit war man sich aber bewusst, dass man mit so mancher Äußerung besser hinter dem Berg hält. Dieser Zustand hielt bis vor einigen Jahren an. AfD und Pegida verstanden es allerdings meisterlich, die vollkommene Verblödung von ihren eisernen Fesseln zu befreien. Zehn Jahre nach dem Kassenschlager mit Jürgen Vogel fragt man sich zurecht, wer heute noch aufgeklärt ist…

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