Über Umwege nach rechts

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Donald Trump möchte wieder Präsident der USA werden und hat jüngst einen Vorgeschmack darauf gegeben, was das bedeuten würde: NATO-Länder, die nicht genug Geld in Waffen und Aufrüstung stecken, könnten keine US-amerikanische Hilfe erwarten, sollte zum Beispiel Russland sie angreifen. Der deutsche Verteidigungsminister schwört die Bevölkerung indes auf den Krieg ein, andere Politiker versuchen auf Biegen und Brechen, den wilden Pistorius zu überbieten. Die Ostermärsche bleiben stattdessen verwaist, andere Friedensinitiativen werden in die rechte Ecke gestellt. Währenddessen tobt in der Ukraine weiterhin ein brutaler Krieg. Trotz all dieser offensichtlichen Fehlentwicklungen ist ein Einlenken nicht in Sicht.

In der richtigen Partei?

Wir leben in der Ära des linken Zeitgeists. Falsch. Auch wenn AfD, Querdenker & Co. dies immer wieder beschwören, belegt die Realität etwas anderes. Wir leben in einer Zeit, in der die politische Rechte immer mehr Zuspruch findet. Rechte Parteien sind quasi allgegenwärtig: in den Medien, in den Parlamenten, in manchen Ländern sogar auf dem Regierungssessel. Die jüngsten Äußerungen des nächsten US-Präsidenten Donald Trump haben eindrucksvoll demonstriert, dass rechte Werte – Nationalismus, Aufrüstung, Krieg – weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind.

Entlarvend sind jedoch weniger die konkreten Äußerungen des vorbestraften Multimilliardärs, sondern die prompten Reaktionen darauf. EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley (SPD) brachte nämlich sogleich die Idee einer europäischen Atombombe ins Spiel. Es gab Zeiten, da wäre sie für solche Äußerungen aus der Partei herausgeworfen worden.

Zweierlei Maß

Die Ankündigung Trumps, nur solchen NATO-Staaten zu helfen, die sich an das 2-Prozent – Ziel hielten, hat zu einem entsetzen Aufschrei geführt. Erschrocken stellte man fest, dass man unter Trumps erneuter Präsidentschaft dem Russen schutzlos ausgeliefert wäre. Viel leiser ist dagegen die Entrüstung darüber, dass uns Trump brachial dazu zwingen will, noch mehr Geld in Waffen und Militär zu verpulvern.

Doch nicht nur in den USA und der EU macht sich diese kriegsbegeisterte Haltung breit. Auch die deutsche Regierung unterwirft sich nahezu devot dieser militaristischen Logik. Flugs wird ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur militärischen Unterstützung der Ukraine aus den Ärmeln geschüttelt. Die Schuldenbremse soll ausgesetzt werden, weil die Bundesregierung nicht mit Geld umgehen kann.  Auf solch ein entschlossenes Handeln wartet man bei Krisen wie der Kinderarmut, der immer schlimmer werdenden Wohnungsnot und der beschämenden Bildungsmisere vergebens. So viel zum linken Zeitgeist.

Fehlende Ansprache

Ganz Deutschland will den Krieg. Das könnte man meinen, schaut man sich die Beteiligung an Friedenskundgebungen und Mahnwachen gegen den Krieg an. In kleineren Ortschaften und Gemeinden sucht man solche Veranstaltungen meist vergebens, in größeren Städten versammeln sich überwiegend ältere Herrschaften und Alt-68er hinter den Transparenten, die für den Frieden werben.

Hat die junge Generation einfach kein Interesse an Abrüstung und Diplomatie? Sicher nicht. Ihr fehlt schlicht die richtige Ansprache, um für den Frieden auf die Straße zu gehen. Wie viel politische Gestaltungskraft in den jungen Menschen steckt, zeigen Bewegungen wie Fridays for Future oder die Letzte Generation. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Anliegen, dem sich viele Parteien mittlerweile angenommen haben. Beim Frieden sieht es dagegen mau aus. Manche Parteien waren an Abrüstung nie interessiert, andere mutieren angesichts der russischen Bedrohung zu wahren Kriegsfanatikern.

Ein altes Trauma

Wer für den Frieden einsteht, wird heute verlacht und manchmal sogar als Putinknecht beschimpft. Bei solchen Voraussetzungen ist es nur naheliegend, dass insbesondere junge Menschen keine Lust haben, dafür zu demonstrieren. Welche Begeisterungskraft der Frieden noch immer entfalten kann, zeigt hingegen der Zustrom beim sogenannten „Aufstand für Frieden“, den vor gut einem Jahr Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert hatten. Vieles geschieht also unter dem Radar, es braucht nur den entscheidenden Anstoß. Es ist fatal, wenn man diesen Anstoß zum Frieden der extremen Rechten überlässt.

Stattdessen diskutieren die meisten Parteien heute ungeniert über Krieg und Aufrüstung. Viele von ihnen sind nicht wiederzuerkennen. In ihrer nahezu grenzenlosen Kriegsbesoffenheit überholt die einstige Friedenspartei Die Grünen heute nur noch der verlängerte Arm der Rüstungsindustrie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Auch die SPD ist der Lust auf Tod und Zerstörung mittlerweile hoffnungslos erlegen. Offensichtlich leidet die ehemalige Volkspartei noch immer unter dem Trauma von vor über 100 Jahren, als ihr vorgeworfen wurde, aus vaterlandslosen Gesellen zu bestehen, weil sie das Sponsoring des Ersten Weltkriegs ablehnte. Das Rückgrat dieser Partei ist irreparabel zerstört, bestes Beispiel dafür ist Kriegsminister Boris Pistorius.

Fähnchen im Wind

Wenn sich alle Parteien so einig sind, ist es kein Wunder, dass sich die Menschen einen Weg suchen, ihren Widerspruch zu artikulieren. Die AfD hatte schon immer ein verdammt gutes Gespür dafür, welche Stimmungen sie für ihre Zwecke ausnutzen kann. Während das Gros der Parteien hinsichtlich des neuartigen Coronavirus nicht in Hysterie ausbrechen wollte, forderte die AfD lautstark flächendeckende Lockdowns. Kaum war das umgesetzt, war die Forderung von gestern ein nicht hinnehmbarer Einschnitt der bürgerlichen Rechte. Genau die gleiche Dynamik legen die Rechtsextremen auch beim russischen Angriff auf die Ukraine an den Tag. Die Themen sind völlig austauschbar. Es zählt einzig, dass sich „die anderen“ viel zu einig sind. In gewisser Weise ist die AfD das Produkt einer Gesellschaft, die aufgehört hat, miteinander zu sprechen.

Diese gesellschaftliche Zerrüttung ist Grundvoraussetzung für das Erstarken extremistischer Kräfte. Es ist Unsinn, von rechtsextremen Wählern zu sprechen, wo sollen die ganzen Nazis denn plötzlich herkommen? Wenn wir nicht endlich wieder anfangen, uns gegenseitig zuzuhören und ernstzunehmen, wird sich an der Spirale des Hasses kaum etwas ändern. Dann werden in Zukunft auch weiterhin sehr rechte Ideologien über Umwege die Debatte beherrschen. Themen wie Krieg, Sozialabbau und Waffenlieferungen sind heute tonangebend. Es ist lachhaft, von einem linken Zeitgeist zu sprechen.

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Zurück zur Volkspartei

Lesedauer: 7 Minuten

Noch achtzehn Tage bis zur Parteigründung: Mit ihrer gerade entstehenden Partei will Sahra Wagenknecht die politische Landschaft aufmischen. Damit bürden sich die Parteigründer jede Menge auf. Sie wollen möglichst vielen enttäuschten Wählern eine politische Heimat bieten, egal aus welcher politischen Richtung es sie zum neuen Bündnis verschlägt. Den Medien passt das gar nicht. Sie haben sich in den letzten Jahren an die Schublade gewöhnt und sehen in dem neuen Projekt nichts weiter als ein Sammelbecken für chronisch Frustrierte. Dass mit der neuen Partei der etablierte Politikstil grundsätzlich in Frage gestellt wird, kommt in der Berichterstattung oft zu kurz.

Sahra Wagenknecht ist eine Rechte. Seit Jahren versuchen verschiedene Medien, die einstige Linken-Ikone in die Nähe der AfD zu rücken. Manchmal haben sie damit Erfolg. Denn Sahra Wagenknecht provoziert und polarisiert. Das ist vielen nicht geheuer, hat sich doch die linke Seite des politischen Spektrums zu harsche Kritik an den Regierenden schon vor Jahren abgewöhnt. Sahra Wagenknecht will nicht ins Raster passen. Kein Problem für die Medien, denn: Was nicht passt, wird passend gemacht.

Einschlägige Besetzung

Nun hat Sahra Wagenknecht vor einigen Wochen einen bemerkenswerten Schritt gemacht. Mit einigen Getreuen hat sie einen Verein gegründet, der eine Parteigründung im Januar unterstützen soll. Mit ihr verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei Die Linke. Neben Wagenknecht saßen bei der Vereinsvorstellung bei der Bundespressekonferenz unter anderem Amira Mohammed-Ali und Christian Leye auf dem Podium. Angesichts dieser einschlägigen Besetzung fiel es den Journalisten sichtlich schwer, von einem rechten Bündnis zu sprechen, ohne sich dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Manche taten es dennoch.

In einigen Berichterstattungen war von einer linken Sozialpolitik die Rede, die auf eine rechte Migrationspolitik trifft. Solch obskure Einordnungen werfen Fragen auf. Viele wollen von Sahra Wagenknecht wissen: Wo soll es hingehen? Nach links oder nach rechts?

Koalition mit der CDU?

Die sonst so wortgewandte Politikerin bleibt hier beharrlich unkonkret. Immer wieder weist sie darauf hin, dass die meisten Bürger mit solchen politischen Labels schon lange nichts mehr anzufangen wüssten. Einst bedeutende Leitplanken für die politische Orientierung, wurden diese Begriffe mittlerweile so überdehnt, dass offenbar keine Einigkeit mehr besteht, was sie eigentlich bedeuten. Das heißt in der Konsequenz: „Links“ und „grün“ werden auch in Zukunft synonym verwendet. Schade.

Doch nicht jeder Journalist gibt sich mit solchen Ausflüchten zufrieden. Auf die Frage, wo in den Parlamenten die neue Wagenknecht-Partei denn sitzen würde, antwortete dessen vorläufige Namensgeberin im Gespräch mit dem Autor Marc Friedrich knapp, sie sähe sich am ehesten in der Mitte. Es ist immerhin der Anspruch der neuen Partei, die Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren. Dass sich Wagenknecht im Zweifelsfalle auch eine Koalition mit der CDU vorstellen kann, dürfte vielen Erzlinken für einen Moment die Sprache verschlagen haben.

Richtungsentscheidung

Vermutlich ist es zu früh, um über Koalitionen zu spekulieren, wenn einer der Koalitionspartner noch nicht einmal gegründet wurde. Und mit Sicherheit ist es ebenso vorschnell, über ein Parteiprogramm zu diskutieren, das es noch gar nicht gibt. Eckpunkte dafür liefert jedoch die Website des von Wagenknecht und Co. gegründeten Vereins. Wie zu erwarten war, spricht sich der Verein für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und für eine diplomatische Lösung des Kriegs aus. Außerdem kritisiert er die Verengung des zulässigen Meinungskorridors. Die neue Partei soll sich für Vernunft und Gerechtigkeit einsetzen.

Besonders dieser letzte Punkt brachte dem Verein viel Kritik ein. Zugegeben wäre es auch ziemlich absurd, eine Partei zu gründen, die sich für Ungerechtigkeit und Idiotie einsetzt. Erstens wäre damit den Bürgern im Land überhaupt nicht gedient und zweitens sitzen solche Parteien schon in der Regierung.

Partei der Beliebigkeit?

Im Urteil zur neuen Partei sind sich viele Berichterstattungen einig: zu pauschal, zu wenig greifbar, zu unkonkret – als hätte man sich in den letzten Monaten durch zahllose Interviews mit Sahra Wagenknecht nicht ein umfassendes Bild über ein mögliches Parteiprogramm machen können. Stattdessen wirft man ihr vor, die genannten Schwerpunktthemen könnten auch von jeder anderen Partei vertreten werden.

Auch nach jahrelanger Übung haben es manche Journalisten noch immer nicht begriffen: Politiker lassen sich nicht so leicht festnageln – und schon gar nicht Sahra W.. Die Frage nach Details eines imaginären Parteiprogramms und der politischen Orientierung einer gerade entstehenden Partei greift viel zu kurz. Längst sollte klar sein, dass Wagenknecht etwas viel größeres vorhat. Die von ihr immer wieder kritisierte Repräsentationslücke im Parteienspektrum hat viel mit dem Versagen der einstigen Volksparteien zu tun. Aus der Nische heraus konnte Wagenknecht bis zuletzt kaum etwas erreichen. Nun wendet sie sich einem neuen Projekt zu: Sie will die Volkspartei.

Zurück zur Volkspartei

Wieder einmal schwimmt Sahra Wagenknecht gegen den Strom. Das Totenglöckchen der Volksparteien läutet, da entdeckt sie ihr Herz für diese interessensübergreifende Formation. Denn der Trend geht eindeutig in Richtung Partikularisierung. Eine unbedachte Äußerung reicht heute aus, um in eine völlig falsche Schublade gesteckt zu werden. Als die Volksparteien die politische Landschaft noch dominierten, war das anders. Hier versammelten sich viele Verschiedendenkende um ein politisches Epizentrum, das die Stoßrichtung vorgab.

Nicht alle Wähler solcher Parteien waren vom kompletten Wahlprogramm überzeugt. Die 40 Prozent der Union waren nicht alles Nationalisten. Ebenso wenig hatten die Wähler der SPD in den 70er-Jahren das Ziel, den Kapitalismus lieber heute als morgen zu überwinden. Sie trauten der Partei ihrer Wahl aber zu, dass diese die Herausforderungen der Zeit meistern kann.

Heute ist das anders. Entweder man wählt zwischen Pest und Cholera oder man ist fanatischer Stammwähler. Abweichende Meinungen werden von den Kleinparteien weniger toleriert – sie kommen eben aus der Nische. Diese Vielfältigkeit an Meinungsströmungen kann Vorteile haben. Sie kann aber auch Menschen verprellen, die sich nicht so genau mit den Parteiprogrammen beschäftigen wollen. Viele Menschen wollen schlicht eine vernünftige Partei, die für viele wählbar ist. Genau diese Leerstelle hat Wagenknecht im Visier.

Raus aus der Nische

In den letzten Jahren war viel zu hören von den berüchtigten politischen Rändern. Diese wurden erst dann so stark, als die Volksparteien immer schwächer wurden. Das verwundert kaum: Es war schon immer Sinn und Zweck von Volksparteien, ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zu bündeln. Wie ein Magnet hielten sie dabei auch Randpositionen in Schach. Was passiert, wenn sich die Magnete zu stark annähern und dadurch ihre Anziehungskraft verlieren, war bei beiden großen Volksparteien zu sehen. Es kam zu Abspaltungen auf der linken und rechten Seite. Deren Anziehungskraft kennt jedoch nur eine Richtung. Schnell können solche Parteien zu Sammelbecken für Extremisten werden.

Sahra Wagenknecht hat daraus anscheinend gelernt. Wie eine Volkspolitikerin spricht sie davon, die Mitte der Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Sie hat begriffen, dass eine zu offensichtliche Schwerpunktsetzung nicht zum Erfolg führt und nur begrenzt etwas bewegen kann.  Stattdessen möchte sie möglichst viele Wähler aus verschiedenen sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Biographien in einer Partei vereinen.

Sie hat sich damit eine Menge vorgenommen. Denn eine Volkspartei gründet man nicht so nebenbei. Andererseits könnte ihr neues Engagement auch voll aufgehen. Immerhin bietet sie ihren potenziellen Wählern nicht nur ein inhaltliches Programm, sondern einen alternativen Politikstil. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn mit diesem Konzept könnte sie sowohl die etablierten Parteien wie auch die AfD Wähler kosten. Erstere haben ein Programm, aber keinen Wumms. Letztere haben Wumms, aber kein Programm. Die Gründung dieser neuen Partei ist quasi naheliegend.


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In Deutschland gilt die Meinungsfreiheit. Jeder kann das sagen, was er will. Aber diese Vielfalt an Meinungen wird nicht immer adäquat repräsentiert. Von einseitiger Berichterstattung und einer Verengung des zulässigen Meinungskorridors ist die Rede. Besonders häufig betroffen sind Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit, Diplomatie und Frieden drehen. Das ist angesichts einer konservativ und wirtschaftsliberal geprägten Opposition nicht verwunderlich.

Es rumort in der deutschen Bevölkerung. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, nicht verstanden zu werden oder mit ihren Problemen auf taube Ohren zu stoßen. Seit Jahren gilt es als chic, wenn man von einem Abbau der Meinungsfreiheit, einer Einschränkung der freien Rede oder sogar von Diktatur spricht. In Zeiten von Pegida und Querdenkern hatten diese zugegeben sehr vernehmbaren Vorwürfe Hochkonjunktur.

Eine Republik diskutiert

Wir leben nicht in einer Diktatur. Es gibt in diesem Land freie Wahlen, Machtwechsel sind jederzeit denkbar. Und es gibt zu vielen Themen lebendige Debatten. Wenn darüber diskutiert wird, wie künftig mit Menschen umgegangen werden soll, die containern gehen, dann bewegt das die Menschen. Es geht nämlich um weit mehr als einen möglichen Hausfriedensbruch und mögliche Eigentumsdelikte. Es geht um die grundsätzliche Frage, was mit Lebensmitteln geschieht, die nicht den Schönheitsidealen aus der Werbung entsprechen oder die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Es ist ein Thema, das alle in irgendeiner Art und Weise betrifft.

Ähnliches gilt bei der Freigabe von Genusscannabis. Auch wenn hier nicht alle Bürger unmittelbar betroffen sind, haben die meisten dazu eine Meinung. Über diese wird dann munter diskutiert. Das Thema macht Schlagzeilen, füllt ganze Seiten und landet auf den Titelseiten von politischen Magazinen. Man nähert sich einem Ja oder Nein, die Meinungen gehen zwangsläufig weiter auseinander als beim Containern.

Für heftige Debatten sorgte auch das Selbstbestimmungsgesetz, das unter anderem die Änderung des Geschlechtseintrags im Ausweis vereinfacht. Vielen im Land ging diese Art der Liberalisierung zu weit und sie taten laut ihre Meinung kund. Andere Kreise wiederum hielten entschieden dagegen und warfen der Gegenseite Homo- und Transphobie vor. Sie taten das in einer Weise, welche die Realität der Debatte nicht wiedergab. Viel zu laut waren dafür die Stimmen aus den Reihen der Kritiker.

Kein politischer Rückhalt

Als es um das Sondervermögen für die Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine ging, war das lange Zeit anders. Hier gelang es den Befürwortern, abweichende Meinungen mit teilweise absurden Vorwürfen niederzubrüllen und die wahrnehmbare Kritik an dem Vorhaben möglichst kleinzuhalten. Dabei waren nicht wenige Menschen im Land völlig anderer Meinung. Der Unterschied zwischen den oberen und dem unteren Beispiel: Beim Thema Aufrüstung hatten die Skeptiker eine viel schwächere politische Repräsentanz als bei der Cannabislegalisierung und dem Selbstbestimmungsgesetz.

Denn geht es um sicherheitspolitische Ausgaben und um Aufrüstung, dann haben konservative und rechte Parteien grundsätzlich kein großes Problem damit. Das ist in der aktuellen Themensetzung deutlich zu spüren. Denn ein Rechtsruck in der Politik ist nicht von der Hand zu weisen. Jahre der AfD-Oppositionsführung haben diesem Land nicht gutgetan. Wie selbstverständlich spricht man heute über mehr Geld für Waffen und vernachlässigt dafür andere wichtige innenpolitische Themen.

Auch wenn sich die extreme Rechte in diesem Land häufig gegen eine militärische Unterstützung des Kriegs in der Ukraine positioniert, macht sie das nicht automatisch zu Pazifisten. Sie können es schlicht nicht ertragen, dass ihre Brüder im Geiste eins auf die Mütze bekommen. Das ist Selbstgerechtigkeit und keine Friedensliebe.

Klare Themensetzung

Die aktuelle Bundesregierung macht vieles falsch. Immer wieder belegt sie ihre völlige Inkompetenz und trifft fatale politische Entscheidungen. Der Widerspruch wird dann besonders laut, wenn es um die Rechte von Transmenschen geht, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen diskutiert wird oder die Legalisierung von Cannabis ins Haus steht. Droht ein Zusammenstreichen der Kindergrundsicherung, begeben sich tagtäglich zig Geringverdiener, Arbeitslose und Rentner auf Pfandflaschensuche oder erfrieren jeden Winter unzählige Obdachlose in deutschen Großstädten, flammt eine kurze Empörung darüber auf, die sogleich wieder abebbt. Das ist die logische Folge einer wirtschaftsliberal und konservativ geprägten Opposition und Zeugnis einer grotesk schwachen Linken.

Eine echte linke Opposition gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Die Debatten über Pfandflaschen, Obdachlose und arme Kinder werden nur am Rande geführt und sind sehr viel leiser als die Rufe nach Kriegstüchtigkeit und börsendominierter Rente. Soziale Gerechtigkeit verkommt immer mehr zum Nice-to-have.

Zeit für was Neues

Keine der im Bundestag vertretenen Parteien tritt glaubwürdig für Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Die SPD macht gelegentlich Ausflüge in die linke Ecke und der sozialpolitische Flügel der Grünen ist nichts weiter als eine Alibiveranstaltung dieser kriegsbesoffenen Partei. Lange hat sich Die Linke für diese Themen starkgemacht, aber nach Jahren der politischen Selbstverstümmelung nimmt diesen Verein heute niemand mehr ernst.

Stattdessen feiert die Partei den Austritt von Sahra Wagenknecht als Befreiungsschlag – und merkt nicht, wo die Reise hinführen wird. Stolz verkündet die Parteiführung auf verschiedenen Kanälen, dass es Parteieintritte in großer Zahl gab, seitdem sich die unbeugsame Linksrechte einem neuen Projekt zugewandt hat. Scheinbar ist es den führenden Köpfen der Linken mittlerweile egal, wen sie sich in die Partei holen. Es wird nicht lange dauern, bis von der einstigen Kämpferin für Gerechtigkeit und Frieden nichts weiter übrigbleibt als ein verlängerter Arm der Grünen. Die wenigen verbliebenen Linken in der Partei werden sich noch umschauen.

Im Grunde haben die linksgerichteten Parteien in diesem Land zwei Möglichkeiten: Entweder sie kommen endlich zur Vernunft und lassen eine ausgewogene und lebendige Debatte zu bestimmten Themen wieder zu oder sie können dabei zusehen, wie sich in Deutschland eine neue politische Kraft breitmacht, die ihnen Wähler absaugt und Regierungsbildungen in Zukunft noch schwerer macht.

Potenzial für eine solche neue Kraft gibt es allemal. Denn es stimmt, was die demokratischen Parteien über die AfD sagen: Die extreme Rechte hat keinen Plan für dieses Land, erst recht nicht, wenn es um Soziales und Gerechtigkeit geht. Sie selbst haben es aber auch nicht. Es liegt auf der Hand, was passiert, wenn eine Partei entsteht, die genau auf diese offenen Fragen plausible Antworten liefert…


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