Kamala Harris
will Präsidentin der USA werden. Die meisten Demokraten wollen, dass nicht Joe
Biden Präsident wird. Auf nichts anderem gründet der seit Wochen anhaltende
Hype um die plötzliche Nachrückerin. Sie ist ein frisches Gesicht, denn große
Erfolge oder Skandale blieben von ihr bislang aus. Ob sie wirklich eine Chance
gegen Donald Trump hat, ist dennoch äußerst fraglich.
Plötzlich
Präsidentin
Eigentlich wollte
Kamala Harris einfach nur ihre Ruhe haben. Nach vier Jahren Mike Pence als
Vizepräsident wollte sie der USA und der Welt zeigen, wie sich eine echte
Vizepräsidentin zu verhalten hat: ruhig und unauffällig. So kam es dann auch.
Nach dem Sieg von Joe Biden 2020 konnte sie sich leise, still und heimlich aus
der Öffentlichkeit zurückziehen. Vielleicht übertrieb es die Gute dabei ein
wenig. Seit der Wahl von Joe Biden zum 46. US-Präsidentin ward sie nie mehr
gesehen.
Das änderte sich,
als im Vorgeplänkel zum Wahlkampf immer offensichtlicher wurde, was viele schon
lange hinter vorgehaltener Hand wussten: Der Präsident ist zu alt. Als er vor
einem Millionenpublikum auch noch Schwierigkeiten hatte, seinen zugewiesenen
Platz zu finden, war es beschlossene Sache – Biden darf nicht noch einmal ins
Rennen gehen. Die Suche nach einem geeigneten Ersatz war zu Ende, bevor sie
überhaupt begonnen hatte. Weil die Zeit knapp wurde, nahm man die erstbeste
Person, die greifbar war. In diesem Fall war das Vizepräsidentin Kamala Harris.
Riskanter
Personenkult
Seitdem ist ein regelrechter
Hype um die ausrangierte Zweitplatzierte ausgebrochen. Plötzlich kannte jeder
ihren Namen – als wäre sie in den letzten Jahren auf irgendeine Weise
nennenswert in Erscheinung getreten. Die Euphorie der Demokraten war kaum zu
bremsen. Streckenweise hätte man meinen können, sie hätten die Wahl schon
gewonnen – dabei dauerte es noch Wochen, bis Harris überhaupt offiziell zur
Präsidentschaftskandidatin gewählt wurde.
Die extasenhafte
Freude über die Kandidatur von Kamala Harris kam so plötzlich und mit einer
solchen Wucht, dass da was faul sein muss. Und tatsächlich ist sie völlig
austauschbar. Der Jubel und Applaus, mit dem sie gerade verwöhnt wird, gilt gar
nicht ihr. Es ist die unbändige Freude darüber, dass ein völlig aussichtsloser
Kandidat endlich die Zeichen der Zeit erkannt hat und abgetreten ist. Dazu
kommt: Mit einer schwarzen Frau kann doch eigentlich nichts mehr schiefgehen,
oder?
Dabei sollten
doch selbst die Amis mittlerweile begriffen haben: Personenkulte sind selten
erfolgreich, erst recht, wenn sie so plötzlich kommen. Sie bergen immer das
Risiko des tiefen Falls nach unten. Kamala Harris kann sich auch sehr schnell
als Luftnummer erweisen. Viele andere Hypes haben es ihr vorgemacht.
Auch die deutsche
Politik hat schon ausreichend Erfahrung mit solchen Senkrechtstartern gemacht.
Jüngstes Beispiel ist Martin Schulz (SPD), der zunächst mit 100 Prozent
Zustimmung zum Kanzlerkandidaten seiner Partei gewählt wurde, die Titelseiten
sämtlicher Zeitschriften schmückte und schließlich der SPD das schlechteste
Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik bescherte. So etwas kann sich
wiederholen.
Amtsvorgängerbonus
Kamala Harris mag
sich als Generalstaatsanwältin einen Namen gemacht haben. Hier setzte sie sich
vehement für eine stärkere Regulierung des Waffenrechts ein und setzte sich
mehrfach gegen republikanische Kontrahenten bei der Wahl auf das Amt der
Generalstaatsanwältin durch. Nichtsdestotrotz ist sie als Politikerin bislang
erstaunlich blass geblieben. Keiner hatte sie so recht auf dem Zettel. Große
politische Erfolge kann sie ebenso wenig für sich beanspruchen.
Ihre
Beliebtheitswerte haben eben doch nichts mit ihr und ihren Leistungen zu tun.
Sie profitiert einzig von der Schwäche ihres Vorgängers. Ohne die
bemitleidenswerte Figur Joe Biden käme Harris nicht einmal in die Nähe des
Präsidentinnenamts. Die Frage ist nur: Wie lange wird sie diesen Effekt noch
aufrechterhalten können? Denn sind wir mal ehrlich – das Zeug zur Angela Merkel
hat Kamala Harris mit Sicherheit nicht.
Trotzdem werden
am 5. November viele Menschen Kamala Harris wählen. Ein Haushoch-Sieg von
Donald Trump über seine neue Kontrahentin ist höchst unwahrscheinlich. Gewählt
wird die 59-jährige sehr wahrscheinlich von Urdemokraten und radikalen
Trump-Gegnern. Denn genau das ist ihre Klientel. Sie gehört zum Establishment.
An den Zweifelnden und Unentschlossenen wird sie scheitern.
Mehr Schein als
Sein
Kamala Harris ist
bekannt für ihr Engagement gegen Rassismus und andere Formen der
Diskriminierung. Als Verfechterin für soziale Gerechtigkeit und als Kümmerin
der sogenannten kleinen Leute kennt sie jedoch niemand. Wie will sie da einem
Meistermanipulator wie Donald Trump das Wasser abgraben? Auch die kürzlich
bekanntgewordenen Spendengelder für ihren Wahlkampf arbeiten eher gegen sie.
Man kann noch so viel Geld in Kampagnen investieren – Misstrauen verschwindet
nicht so einfach. Viele derer, die sich jetzt noch nicht zwischen Demokraten
und Republikanern entschieden haben, werden sich fragen, wo das Geld herkommt.
Kann Harris diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten, bleiben genau zwei
Optionen: Entweder diese Kritiker wählen Trump oder gar nicht.
Kamala Harris
kann Stimmen halten. Dass sie in großer Zahl neue hinzugewinnt ist
unwahrscheinlich. Deswegen wird es eng für sie am 5. November- sehr eng. Auch
2016 hielten es viele für gesetzt, dass Hillary Clinton Präsidentin wird – und
im Gegensatz zu Kamala Harris war damals ein noch größerer Name im Rennen.
Hillary Clinton scheiterte, weil sie sich zu sehr auf ihren Erfolgen ausruhte
und sich nicht ausreichend in die Lebensrealitäten potenzieller Trump-Wähler
hineinversetzen konnte. Kamala Harris muss schwer aufpassen, nicht in die
gleiche Falle zu treten.
Die SPD bleibt sich treu: Auch in diesen Bundestagswahlkampf zieht sie frohen Mutes mit einem völlig unbrauchbaren Kanzlerkandidaten. Mit Olaf Scholz legt die ehemalige Volkspartei sogar noch eine Schippe oben drauf: Der treue Großkoalitionär und Hartz-IV – Verfechter soll möglichst überzeugend die Idee der sozialen Gerechtigkeit verkörpern. Mit ihm möchte die SPD wieder ins Kanzleramt ziehen, obwohl sich die Partei gefährlich der Einstelligkeit nähert. Doch auch seine aussichtsreicheren Kontrahenten vermögen es nicht, in der Bevölkerung die Hoffnung auf einen politischen Kurswechsel zu wecken. Dabei ist die Auswahl dieses Mal ungewöhnlich groß…
Der Dritte im Bunde
Die parlamentarische Sommerpause hat begonnen, der Wahlkampf nimmt allmählich an Fahrt auf. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten findet sich Armin Laschet in seiner neuen Rolle als Kanzlerkandidat immer besser zurecht. Die Grünen nominierten mit Annalena Bearbock im April ebenfalls eine aussichtsreiche Kandidatin für den Posten der Regierungschefin. Die Umfragen zeigen, dass sich beide Kandidaten berechtigte Hoffnungen machen dürfen, die nächste Regierung anzuführen.
Die Arena des Kanzlerkampfs müssen sich die beiden allerdings mit einem dritten Akteur teilen. Auch die SPD meldet Führungsansprüche an und schickt Olaf Scholz ins Rennen. Drei Kanzlerkandidaten vor einer Bundestagswahl hat es in Deutschland zuvor nicht gegeben. Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, könnte man nun meinen. Doch die Kandidatur von Olaf Scholz ist nichts weiter als ein schlechter Treppenwitz. Die SPD verweigert sich weiterhin der Realität und kommt nicht damit klar, dass sie selbst die zweite Geige im Staat längst abgegeben hat.
Klare Gewinner, klare Verlierer?
Schaut man sich die Umfragewerte zur Bundestagswahl an, so zeichnet sich ein klares Bild. Die Union ist mit Abstand die stärkste Kraft im Land. Deutlich abgeschlagen kommen die übrigen Parteien . Mit Ausnahme der Grünen schafft es keine von ihnen, auf über 20 Prozent zu kommen. Die Grünen sind die einzige Partei, die der Union gefährlich werden könnte. Ernsthafte Ambitionen, die nächste Regierung anzuführen, macht sich keine der übrigen Parteien – mit Ausnahme der SPD.
Nun haben sich die Umfragewerte besonders in letzter Zeit als wenig zuverlässig erwiesen. In Sachsen-Anhalt erlebte die AfD kürzlich ihr blaues Wunder. Trotzdem stimmte der grobe Trend in den Umfragen meistens. Das prognostizierte Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen CDU und AfD blieb zwar aus, allerdings behielten die Befragungen recht damit, dass diese beiden Parteien die beiden stärksten werden würden. Der AfD erging es wie vielen Parteien zuvor: Gebauchpinselt von wohlwollenden Umfragen fiel das letztendliche Wahlergebnis enttäuschend mager aus. Auch der SPD könnte es nach der Wahl am 26. September so gehen.
Germany’s Next Vizekanzler
Nach dem Schulz-Hype 2017 rechnete niemand ernsthaft damit, dass die SPD so desaströs verlieren würde. Seitdem waren die Sozen stets darum bemüht zu beweisen, dass es immer noch ein bisschen schlechter ging. Bei manchen Landtagswahlen landeten sie zwischenzeitlich im einstelligen Bereich. Das heißt aber lange nicht, dass die SPD nicht auch ein überraschend gutes Ergebnis einfahren könnte. Momentan liegt sie bei den Zustimmungswerten bei etwa 16 Prozent. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, aber durchaus möglich, dass sie bei der Wahl im September 20 Prozent holt.
Jeder weiß aber, dass die SPD meilenweit davon entfernt ist, die nächste Bundesregierung anzuführen. Rechnerisch sind mehrere Regierungsbeteiligungen drin. Doch ob Ampel, Deutschland oder Grün-Rot-Rot – bei allen diesen Farbenspielen nimmt die SPD nur eine untergeordnete Rolle ein. Die Omnipräsenz von Olaf Scholz bei der K-Frage lässt sich eigentlich nur so erklären, dass er den Kandidaten von Union und Grünen aufzeigen möchte, auf welchen Vizekanzler sie sich unter Umständen einlassen.
Ein alter Bekannter
Olaf Scholz ist aber auch aus anderen Gründen als Kanzlerkandidat völlig ungeeignet. Als ewiger Verfechter von Hartz-IV, Sozialabbau und Niedriglohn ist er einer der Gründe, warum die SPD so viele Wählerinnen und Wähler verloren hat. Er fügt sich zwar dem neuerlichen Kanon der Partei, mit dem sie fleißig nach links blinkt, doch ernsthafte kritische Töne zum antisozialen Kurs der letzten Jahre schlägt er nicht an.
Wie sollte er das auch glaubwürdig rüberbringen? Immerhin war Olaf Scholz an mehreren Bundesregierungen unter Angela Merkel beteiligt – immer in einer Großen Koalition. Als Vizekanzler seit 2018 machte er sich wohl Hoffnungen Angela Merkel auf ihrem Posten bald beerben zu können, doch für die meisten Wählerinnen und Wähler ist er nichts weiter als ein Architekt der allseits verhassten Großen Koalition. Als Mitglied der noch amtierenden Regierung hat er es natürlich schwer, echte Impulse für Veränderung zu setzen. Martin Schulz war da vor vier Jahren in einer deutlich komfortableren Position. Andererseits haben es auch Größen wie Willy Brandt vermocht, den Koalitionspartner trotz Ministeramt in die Opposition zu verbannen.
Keine Lust auf Neuanfang
Die Voraussetzungen für einen Machtwechsel im Kanzleramt sind jedenfalls denkbar günstig. Spätestens seit Angela Merkels Ankündigung, bei der Bundestagswahl 2021 nicht erneut anzutreten, stand fest, dass die Karten neu gemischt werden. Im Laufe der Monate hatten sich dann auch die drei Kanzlerkandidaten herauskristallisiert, obwohl das besonders bei der Union eine schwere Geburt war. Trotz des zwangsläufigen Kanzlerwechsels kam eine echte Wechselstimmung bislang aber nicht auf.
Angela Merkel machte sich in ihrer Amtszeit als Kanzlerin stets eine Heidenfreude daraus, ihre Koalitionspartner kaputtzuregieren und letztendlich von der Schwäche der anderen zu profitieren. Aber selbst zu ihren besten Zeiten lag mehr Wechselstimmung in der Luft als jetzt. Als Martin Schulz vor vier Jahren als der große Heilsbringer der SPD vermarktet wurde, da dachten viele, Merkels Kanzlerschaft endete nach zwölf Jahren. Die Kanzlerkandidaten von 2021 wirken blass und kraftlos im Vergleich zu St. Martin von 2017.
Künstlich erzeugtes Angebot
Der Schulz-Hype war womöglich die letzte Chance für die SPD, etwas in
diesem Land zu bewegen. Doch wieder einmal verpassten die Sozen den Zug.
Kurzzeitig gab es dieses Jahr einen vergleichbaren Trubel um die
Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. Doch schon bevor ein ganz besonders
spitzfindiger österreichischer Plagiatsjäger die Kanzlerkandidatin des
Abschreibens bezichtigte, hatte sich die Euphorie um die potentiell erste grüne
Kanzlerin schon wieder gelegt.
Merkels freiwilliger Rückzug wäre eigentlich die Stunde der SPD. 2017 feixte die einstige Volkspartei noch, als sie gegen Merkels Willen die Ehe für Alle durchsetzte. Solch ambitioniertes Aufbegehren gegen den Koalitionspartner lässt die SPD dieses Jahr lieber bleiben. Man möchte sich vor den Wählerinnen und Wählern schließlich als seriöse Partei gerieren und sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Vielleicht hat die Partei aber auch insgeheim eingesehen, dass ihr lautstarkes Gezeter gegen die Union im Wahlkampf wenig nützen wird.
Das Aufeinandertreffen der Kanzlerkandidaten am 20. Mai im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war ein Schlagabtausch mit Wattebäuschen. Die Teilnehmer bemühten sich zwar um Konfrontation, doch war jedem klar, dass sie mit Baerbock und Laschet zwei Wunschkoalitionspartner vor sich hatten. Die Anwesenheit von Olaf Scholz ließ das Spektakel dann vollends zur Farce verkommen. Mit drei Anwärtern ums Kanzleramt sollte den Zuschauerinnen und Zuschauern eine echte Auswahl vorgegaukelt werden. Längst ist vielen aber klar, dass keine der drei Kandidaten einen echten Wechsel herbeiführen wird. Und so bleibt eine echte Wechselstimmung weiter aus.
Die SPD war einmal eine linke Partei. Was wie ein schlechter Treppenwitz klingt, ist tatsächlich Realität. Und irgendwie ist sie es auch bis heute geblieben. Die wirklich charismatischen und durchsetzungsstarken Politiker der Partei entspringen aber nicht dieser Riege. Sie stehen für Sozialabbau, ein Weiter so und sinkende Wahlergebnisse. Echte linke Politiker melden sich in der SPD viel zu selten zu Wort. Ihre Forderungen sind mit Aufwand verbunden; man hält sie an der kurzen Leine. Vielleicht ist es an der Zeit, das zu ändern.
Galanter Seitenwechsel
Im Herbst 1995 stapft eine beleidigte junge Frau empört aus dem Tagungssaal. Sie tritt vor die Kameras und macht ihrem Ärger Luft. Völlig aufgebracht erzählt sie den neugierigen Journalisten, was für eine Wut sie im Bauch hat. Was war geschehen? Als die 25-jährige Andrea Nahles an diesem Novembermorgen aufgewacht war, da war die Welt noch in Ordnung für sie. Der SPD-Parteitag stand an, inklusive Wahl des Parteivorsitzes. Nahles war sich sicher: Scharping ists’s und Scharping bleibt’s. Dann hielt der amtierende Parteivorsitzende allerdings eine mutlose Rede. Er sprach zwar von Neuanfang, lieferte aber keine konkreten Vorschläge, wie dieser denn vonstattengehen sollte. Beinahe schien es, als hätte sich Scharping auf immer von einer Regierungsbeteiligung der SPD verabschiedet. Immerhin saßen die Sozialdemokraten zu diesem Zeitpunkt bereits seit über einem Dutzend Jahren in der Opposition.
Nahles war stinksauer. Die frischgewählte Juso-Vorsitzende wollte sich mit einem so kraftlosen Kurs nicht zufriedengeben. Trotzig wechselte sie die Seiten – und machte offen Werbung für Scharpings Gegenkandidaten Oskar Lafontaine. Bei der anschließenden Wahl um den Parteivorsitz machte der Oskar dann auch das Rennen und stand fortan an der Spitze der SPD. Nahles war sichtlich zufrieden. Endlich stand wieder ein echter Parteilinker an vorderster Front der Arbeiterpartei.
Viel Lärm um wenig
Viele Jahre zogen ins Land. Andrea Nahles war irgendwann zu alt geworden für die Jungsozialisten. Andere hatten sie abgelöst. Sie selbst war in die Bundespolitik eingestiegen. Vier Jahre lang gehörte sie dem Kabinett Merkel III als Arbeits- und Sozialministerin an. Hatte also endlich die Zeit des linken Flügels in der SPD geschlagen? Schaut man sich Nahles‘ Vermächtnis an, kann man das so nicht sagen. Zwanghaft drückte sie einige urlinke Anliegen gegen den massiven Widerstand der Union in den Jahren 2013 bis 2017 im Bundestag durch. Da war die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und diverse kosmetische Veränderungen am Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Inhaltlich hat sich die Arbeitsministerin aber dem enormen Druck des Koalitionspartners immer gebeugt. Bis auf den Namen der Gesetzesvorlagen trug keine von ihnen noch die Handschrift der Sozialdemokraten. Der Mindestlohn war ein Minilohn, Leiharbeit wurde für die Betroffenen noch unerträglicher.
Nicht mehr viel war übriggeblieben von der einst rebellischen und unbeugsamen Andrea Nahles, die sich enttäuscht von Parteichef Scharping abgewendet hatte. Auch wenn ihre offene und zumeist unkonventionelle Art etwas anderes vermuten ließ, war sie spätesten mit Eintritt in die Bundesregierung weitaus gemäßigter geworden. Die unberechenbare und unbequeme Brunette, war nun eine Mitstreiterin für das Weiter so geworden.
Fähnchen im Wind
Der Weg, den Andrea Nahles gewählt hatte, war übrigens kein untypischer in der Politik. Auch in vielen anderen Parteien beginnen die Hoffnungsträger von morgen in der Jugendorganisation ihrer Partei. Manche parken dann einige Jahre auf Kommunal- oder Landesebene, bevor sie den Sprung in den Bundestag wagen. Gerade in der SPD erleben wir aber immer wieder, dass mit den kämpferischen Jusos etwas passiert, spätestens wenn sie im Bundestag angekommen sind.
Das Phänomen ist bekannt: In fast jeder Partei ist die Jugendorganisation rebellischer, in manchen Fällen gar revolutionär. Es ist noch nicht lange her, da wurde den Jusos Linksradikalismus unterstellt. Juso-Chef Kevin Kühnert ist da schon einen Schritt weiter und unterstützt mittlerweile Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Ob auch Kevin Kühnert kurz vor knapp die Seiten wechseln und Olaf Scholz die Gefolgschaft kündigen wird? Das bleibt abzuwarten. Derzeit deutet allerdings nichts darauf hin.
Parteivorsitzende ohne Wumms
Und man glaubt es kaum: Selbst systemkonforme Politiker wie Olaf Scholz haben ganz klein bei den Jusos angefangen. Damals hatte er sogar noch ordentlich Haare. Doch nicht nur sein äußeres hat sich im Laufe der Jahre radikal verändert. Immer weiter entfernte er sich von der Parteilinken. Heute verbindet ihn nur noch die zufällige Mitgliedschaft in derselben Partei mit diesem inzwischen kümmerlichen Verein von Traumtänzern.
Denn in die erste Reihe der Politik schaffen es die Linken in der SPD kaum noch. Es gibt sie zwar noch und hin und wieder melden sie sich auch noch zu Wort, einer breiten Öffentlichkeit werden sie aber meist vorenthalten. Der wohl derzeit bekannteste SPD-Politiker des linken Flügels ist Karl Lauterbach. Als Arzt schlug in der Corona-Pandemie seine große Stunde. Immer wieder glänzte er in den vergangenen Monaten mit Fachwissen und guten Ratschlägen. Dass er vor nicht allzu langer Zeit für den Posten des Parteivorsitzenden kandidierte, wissen wohl nicht mehr so viele. Lauterbach hatte seine Kandidatur auch zugunsten von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zurückgezogen.
Er überließ damit zwei völlig unbekannten SPDlern das Feld, vermutlich weil er als Parteilinker nicht genügend Rückhalt in der Partei hatte. Esken ist zwar erklärte GroKo-Gegnerin, aber die wirklich Mächtigen in der Partei sahen in ihr wohl keine allzu große Bedrohung. Nowabo hingegen hat zumindest als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen von sich reden gemacht. Als einer der uncharismatischsten SPD-Vorsitzenden ever spielt er auf Bundesebene aber auch nur eine untergeordnete Rolle.
Es ist Zeit für Gerechtigkeit?
Andere echte Sozialdemokraten wurden von ihrer Partei in den vergangenen Jahren auch immer vorgeschickt und notfalls zur Schlachtbank geführt. Als Bundesumweltministerin hatte es Barbara Hendricks sicher nicht leicht. Mehrere Male wurden ihre guten Ansätze kategorisch abgelehnt und in der Luft zerrissen. Der absolute Gipfel war aber erreicht, als sie bei der Verlängerung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat von CSU-Kollege Christian Schmidt düpiert wurde und eine Meinungsverschiedenheit öffentlich ausgetragen wurde. Die SPD zeigte sich zwar empört, ein großer Aufschrei folgte aber nicht.
Viel eher wurde diese Unverschämtheit stillschweigend hingenommen. Zu groß war wohl die Sorge, die Diskussion um eine Neuauflage der Großen Koalition könnte wieder im Keim erstickt werden. Stattdessen verbannte man Hendricks wieder in Reihe 2 oder 3 der Politik. Das Zepter nahmen andere in die Hand. Martin Schulz zum Beispiel, der in der ersten Jahreshälfte 2017 noch DER Hoffnungsträger für eine Erneuerung der eigenen Partei und einen Neustart der Bundespolitik war. Schulz gehörte beileibe nicht dem linken Flügel der SPD an. Mit seinem Slogan „Es ist Zeit für Gerechtigkeit“ konnte er aber zunächst viele Wähler ansprechen. Da einer echten linken Kehrtwende in der SPD aber der Rückhalt fehlte, wurde Schulz nie konkret. Den weiteren Verlauf kennen wir: Die AfD legte wieder zu, die SPD kassierte ein historisch schlechtes Wahlergebnis.
Union 2.0
Trotzdem war Martin Schulz ein Kandidat, der zumindest anfangs auf den Tisch haute. Er nannte einige Probleme im Land beim Namen und kündigte an, Abhilfe zu schaffen. Sein Nachfolger Olaf Scholz ist da schon ehrlicher. Als großer Verfechter der Agenda 2010 gibt er bisher nicht vor, mehr zu sein als er tatsächlich ist: ein Mainstreamer, ein Politiker des Establishments. Er weiß, dass ihm die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einen linken Kurs nicht abkaufen würden. Deswegen setzt er auf direkte Konfrontation mit der Union. Nicht weil er ein anderes Angebot hat. Er hat genau das gleiche Angebot, will es aber besser verkaufen. Die Parteispitze macht ihm keine Probleme. Die beiden Pappaufsteller Esken und Nowabo nehmen es hin.
Tatsächlich stiegen die Umfragewerte der SPD nach der Nominierung von Olaf Scholz leicht an. Das ist aber bei Personalwechseln an der Spitze einer Partei kein wirklich seltenes Phänomen. An den Schulz-Hype von 2017 kam der Olaf-Aufschwung jedenfalls bei weitem nicht ran. Was hat also Olaf Scholz nicht, seine Vorgänger aber schon? Haare, könnte man jetzt sagen. Wäre aber irgendwie gemein. Vielleicht sollte man eher fragen, was seine Vorgänger nicht hatten. Dann fällt nämlich, dass gute Umfragewerte und Wahlergebnisse von solchen SPDlern eingefahren wurden, die im Wahlkampf nicht im Bundestag saßen. Sowohl Gerhard Schröder 1998 als auch Martin Schulz vor drei Jahren machten sich die allgemeine Kanzlermüdigkeit zunutze. Eine Wechselstimmung lag in der Luft. Angela Merkel und ihrem politischen Ziehvater Helmut Kohl waren damals wie heute viele Menschen überdrüssig. Sie wollten jemand neues an der Spitze der Regierung.
Beleidigte Leberwürste
Letztendlich scheiterten alle Hoffnungsträger der SPD aus den vergangenen 25 Jahren. Irgendwann fiel auf, dass es mit diesen Menschen keinen Umschwung geben würde, bei dem einen früher, beim anderen später. Doch spätestens seit dem Schulz-Hype von 2017 ist doch klar, dass die Bürgerinnen und Bürger empfänglich sind für Forderungen nach einem höheren Mindestlohn, einer einheitlichen Rente und vielleicht sogar nach einer Vermögensabgabe. Anscheinend haben das auch viele in der SPD verstanden. Und so sind die Sozen seit einigen Monaten um keine linkspopulistische Forderung verlegen.
Aber immer dann, wenn es ein bisschen konkreter wird, blocken die Sozialdemokraten abrupt ab. Mit der Union seien diese Vorhaben schließlich nicht umzusetzen. Das stimmt sogar. Die Hölle friert zu, bevor die Union sich auf eine weitere Einwirkung der Regierung auf den Mindestlohn einlässt. Frech hingegen ist es, dann solche Forderungen zu stellen, wenn man sie im nächsten Moment mit dieser scheinheiligen Tatsache gleich wieder im Sande verlaufen lässt. Beliebte Sätze bei SPD-Bundestagsreden sind: „Wir hätten uns zwar noch mehr vorstellen können, aber…“ oder „Leider ist das mit unserem Koalitionspartner nicht zu machen.“
Gerade diesen letzten Satz halte ich für besonders fatal. Er zeigt zum einen, wie wenig Kampfwillen in der SPD noch steckt, zum anderen suggeriert er eine Schuld des Wählers an den derzeitigen Zuständen. Wie beleidigte Leberwürste berufen sich die Sozen damit auf ihr desaströses Wahlergebnis von 2017. Indirekt sagen sie, es sei die Schuld des Wählers, dass der Mindestlohn nicht angehoben wird und dass die Nachtschwester für eine ganze Etage kranker Menschen allein verantwortlich ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Wählerinnen und Wähler eine solche Politik zwar mittragen würden, von der SPD aber mehr als einmal zu viel über den Tisch gezogen wurden.
Die Notwendigkeit für einen politischen Umschwung ist da, der Wille dazu wächst auch, die Wahlergebnisse der SPD stagnieren aber im günstigsten Fall. Das hat Gründe. Anstatt ihren wenigen treuen Wählern immer wieder einzutrichtern, was mit der Union alles nicht geht, sollten die Sozen lieber umkehren und zeigen, was ohne die Union alles geht.