Die Frustkescher

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Im Frühjahr 2020 überschlugen sich die Ereignisse. Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland außer Kontrolle zu geraten drohte, ergriff die Bundesregierung drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr. Statt zu applaudieren, beschwor die AfD einen schier unaufhaltsamen Weg in die Diktatur. Und das, obwohl sie ebendiese Maßnahmen wenige Wochen zuvor noch lautstark gefordert hatte. Die Zustimmungswerte der Rechtspopulisten streifte das nur peripher. Es wird immer deutlicher, dass es vielen Leuten gefällt, dagegen zu sein. Dahinter steckt nachhaltige Enttäuschung und Frustration.

Seit etwas mehr als einem Jahr leidet die Welt unter Corona. Nachdem das Virus bereits im Januar 2020 auch außerhalb Chinas festgestellt wurde, artete das Infektionsgeschehen rasend schnell zur Pandemie aus. Am 27. Januar 2020 wurden schließlich die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekannt. Viele Menschen waren völlig zurecht besorgt. Man war beunruhigt, weil so wenig über das neuartige Virus bekannt war, außer dass es teilweise verheerende Krankheitsverläufe gab, die nicht selten tödlich endeten. Es blieb nicht bei einigen wenigen Fällen in Deutschland. Im Frühjahr suchte die erste Welle der Pandemie sämtliche europäischen Länder heim. Allein in Deutschland registrierte man zeitweise bis zu knapp 8.000 Neuinfektionen an einem Tag.

Alles auf Lockdown

Die Menschen hatten Angst. Das erkannte auch die Politik und leitete Maßnahmen ein. Geschäfte schlossen, Menschen blieben über Ostern zu Hause, Schulen und Kitas machten zu, eine Maskenpflicht wurde verhängt – mit diesen Maßnahmen versuchte die Bundesregierung, eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Zu den ärgsten Verfechtern dieser Maßnahmen der ersten Stunde gehörte – man lese und staune – die AfD.

Die Rechtspopulisten erkannten noch vor der Bundesregierung die Tragweite der neuen Krankheit. Sie wussten als erste, wie gefährlich das Virus war und dass man schnell gegenlenken musste. Früher als alle anderen forderten sie eine harte Gangart im Umgang mit dem Erreger. Inbrünstig rief Rechtsaußen nach knallharten Regeln wie sie bereits in Italien zum Einsatz kamen. Ihnen gefiel, wie das südeuropäische Land die Pandemie managte.

Nachdem das Infektionsgeschehen auch in Deutschland immer schwerer kontrollierbar wurde, ließ sich die Bundesregierung schweren Herzens auf solch einschneidende Maßnahmen ein. Auch wenn der ökonomische Schaden überhaupt nicht absehbar war, fuhr sie die Wirtschaft konsequent herunter. Die Bürgerinnen und Bürger bat sie eindringlich, auf unnötige Kontakte zu verzichten und zu Hause zu bleiben. Es ist dem disziplinierten Verhalten der Vielen zu verdanken, dass es im Sommer einige Wochen der Entspannung mit nur noch wenigen hundert Neuinfektionen pro Tag gab.

Hauptsache anti

Eigentlich alles tutti für die AfD könnte man meinen. Doch so überraschend wie Darmwinde kommen und gehen, drehte sich auch bei den Rechtspopulisten der Wind. Forderten sie im Februar noch eine harte Gangart, wollten sie von solchen Erwägungen wenige Monate danach nichts mehr wissen. Sie schlossen sich einer immer lauter werdenden Minderheit in der Bevölkerung an, die das Land im strammen Marsch hin zu einer Diktatur sah.

Und die Wähler der AfD? Ungeachtet dieser spektakulären 180-Grad – Wendung blieben die Umfragewerte der Partei ziemlich konstant. Die blau lackierten Faschisten hatten sich schon vor Corona in einem Umfragetief verfangen. Kamen sie bei der Bundestagswahl 2017 noch auf fast 13 Prozent der Stimmen, suggerierten neuere Umfragewerte eine Zustimmung von lediglich etwa 9 Prozent. Der ausgebliebene deutliche Einbruch bei diesen Werten lässt nur einen Schluss zu: Die AfD wendet sich immer unvoreingenommen gegen alles, was von der Regierung kommt – und den Wählern gefällt’s. Wie keine andere Partei versteht die AfD es meisterlich, die Frustration derer zu bündeln, die sich schon lange enttäuscht von der Politik abgewendet haben. Dieser rechtspopulistische Opportunismus offenbart einen großen Vertrauensverlust gegenüber der Politik und der Demokratie. Diese Menschen sind der festen Überzeugung, dass alles schlecht ist, was von der herrschenden Politik kommt. Sie wurden einfach zu oft enttäuscht.

Bloß nicht AfD

Corona mag die Umfragewerte der Unionsparteien beflügelt haben. Wie bei keiner anderen Partei schnellten die Zustimmungswerte der Konservativen während der ersten Welle der Pandemie in die Höhe. Man schien Merkels Partei einen souveränen Umgang mit dem Virus zuzutrauen. Trotzdem vermochte es auch die Union nicht, der AfD endgültig den Garaus zu machen. Es gelang den regierungstragenden Parteien weiterhin nicht, den Rechtspopulisten das Wasser abzugraben. Dabei machte es die AfD den anderen Parteien durch ihre krasse Kehrtwende in der Corona-Politik doch nun wirklich nicht sonderlich schwer.

Die schwindende Zustimmung zur AfD seit 2019 ist einzig damit zu erklären, dass einige ihrer Wähler eingesehen haben, dass auch von dieser Partei keine Politik in ihrem Sinne zu erwarten ist. Zu den verfemten Altparteien führte sie das nicht. CDU, SPD und Grüne nannten den Wählerinnen und Wählern immer wieder hunderte von Gründen, die AfD nicht zu wählen. Eines blieben sie den Menschen dabei aber schuldig: Einen einzigen Grund stattdessen sie zu wählen.

Politik von oben

Somit ist eigentlich sicher, dass die meisten der AfD-Abtrünnigen nicht zu CDU oder SPD zurückkehrten. Viele von ihnen werden dem Politikbetrieb stattdessen für immer den Rücken gekehrt haben. Sie sind endgültig Nichtwähler geworden. Auch der prozentuale Anteil dieser Gruppe hat sich in den Statistiken der letzten Monate kaum verändert. Das liegt aber vor allem daran, dass Statistiken dazu neigen, Unentschlossene und Nichtwähler zusammenzufassen. Die Aussagekraft dieser Kohorte ist also eingeschränkt.

Stattdessen klaute sich die Union die Stimmen munter bei anderen Parteien. Nachdem sie einsehen musste, dass das bei den Sozialdemokraten aufgrund mikroskopischer Umfragewerte nicht mehr lange möglich sein wird, boten sie nun auch gutverdienenden Grünen-Wählern ein politisches Zuhause. Gerade unter diesen grunddemokratischen Gutwählern werden sie aber kaum jemanden finden, der nachhaltig von der Politik der letzten Jahre enttäuscht wurde. Immer offensichtlicher machen die selbsternannten Parteien der Mitte fast ausschließlich denen ein politisches Angebot, die an einem Weiter-so der Politik Interesse haben – oder es zumindest gut verkraften können.

9 Prozent verloren?

Dass eine in Teile offen rechtsextremistische Partei mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einzieht, hätte eigentlich ein Weckruf sein müssen. Anstatt aber die Gründe für das Erstarken der Rechten kritisch zu hinterfragen, suchten vor allem die Regierungsparteien die Schuld fast ausschließlich bei den Wählerinnen und Wählern. Man zeigte sich empört darüber, dass es Menschen gab, die ihre Stimme allen Ernstes einer Partei schenkten, die von einem Mahnmal der Schande sprach und an der Grenze am liebsten auf Flüchtlinge schießen würde. Die Frage nach der eigenen Schuld trat stets hinter selbstgerechten Bevormundungen der Wähler zurück.

Auch in der jetzigen Situation wird viel zu wenig hinterfragt, was 9 Prozent der Bevölkerung dazu veranlasst, weiter zur AfD zu halten. Mit ihrem obskuren Bäumchen-wechsle-dich – Spiel in der Corona-Politik haben die Rechten doch bewiesen, dass von ihnen kein großer Wurf zu erwarten ist. Ihr Einzug in den Bundestag war vielleicht die letzte Chance, davongelaufene Wähler zurückzugewinnen. Dass diese nach dem Corona-Trauerspiel weiterhin der AfD vertrauen oder sogar bereits zu Nichtwählern wurden, ist Beleg genug, dass auch dieser Weckruf verschlafen wurde.

Es zeigt natürlich, dass die AfD ihren Wählern viel eingeredet hat. Dass wir auf dem Weg in eine Diktatur sind und dass im Parlament ein Ermächtigungsgesetz durchgedrückt werden soll, ist vollkommener Blödsinn. Trotzdem wären die Rechten mit ihren Parolen auf taube Ohren gestoßen, wenn sich die Menschen von der Politik vertreten und ernstgenommen gefühlt hätten. Der Schulz-Hype war vielleicht die letzte Chance der SPD, eine Veränderung im Land herbeizuführen. Der ehemalige Kanzlerkandidat sprach augenscheinlich zunächst die Sprache der Mehrheit. Als jedoch klar wurde, wie mut- und kraftlos sein Programm war, wendeten sich die Menschen wieder ab.


Die AfD wird in diesem Land nichts zum Guten verändern können. Sie kann spalten und Angst machen. Aber sie kann auch Menschen politisieren, die lange die Hoffnung aufgegeben hatten. Statt dieses Potenzial zu nutzen und die Menschen von den eigenen Ideen zu überzeugen, überließ man sie ungläubig der AfD. Die verliert aber an Rückhalt. Die demokratischen Parteien können nur sehr wenige von ihnen auffangen. Der Rest hat noch nachdrücklicher das Gefühl, dass ihre Meinung keinen interessiert.


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Vertrauter Feind

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Die neuen Anti-Corona – Maßnahmen treffen Gastronomie und Kultur bis ins Mark. Viele Betriebe stehen endgültig vor dem Ruin, wenn nicht bald gegengelenkt wird. Steif und fest behaupten viele, für die steigenden Fallzahlen nicht verantwortlich zu sein. Die Zahlen steigen trotzdem weiter. Immer offensichtlicher wird: Die Übeltäter sind an anderer Stelle zu suchen. Sie sind praktisch überall und verstehen es meisterlich, sich aus der Schusslinie zu bringen. Den Frust kriegen währenddessen andere ab…

Wer war’s?

Seit Montag gelten bundesweit verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Explosionsartig steigende Infektionszahlen zwingen die Verantwortlichen dazu, erneut solch drastische Maßnahmen zu treffen. Schulen und Kitas sollen so lange wie möglich geöffnet bleiben. Gaststätten, Hotels und fast sämtliche Einrichtungen des Kulturbetriebs müssen ihre Pforten allerdings für die nächsten vier Wochen schließen. Unmut darüber macht sich breit. Die wirtschaftlichen Folgen des ersten Lockdowns sind noch lange nicht überschaubar und erst recht nicht verdaut. Viele befürchten, dass es finanziell nun solchen Betrieben an den Kragen geht, die in der ersten Jahreshälfte relativ glimpflich davongekommen sind.

Das ist berechtigt und nachvollziehbar. Immer wieder zweifeln vor allem betroffene Betriebe an, dass die steigenden Fallzahlen aus ihrem Bereich herrühren. Gastronomen verweisen auf die strikte Maskenpflicht in ihren Häusern. Erst am Platz und zum Einnehmen der Speisen dürfen die Masken abgenommen werden. Ähnlich argumentieren Vertreter aus dem Kulturbereich. Abstandhalten und freie Plätze bei Kinovorstellungen und öffentlichen Darbietungen gehören längst zur Normalität der Branche. Auch der Tourismus versteift sich vehement darauf, dass von Reiserückkehrern kein erhöhtes Infektionsrisiko ausgehe. Nun kann man den Beteuerungen aus den verschiedenen Bereichen unterschiedliches Gewicht beimessen. Fakt ist allerdings: Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis die Zahl der Neuinfektionen die 20.000er-Marke knackt.

Bekanntes Muster

Viele der Argumentationen in dieser Frage laufen den wissenschaftlichen Erkenntnissen in eklatant auffälliger Weise entgegen. Es mag fundierte und seriöse Auswertungen und Studien geben, die das unterschiedliche Infektionsrisiko aus den verschiedenen Bereichen belegen. Doch der Hinweis darauf, dass es gerade in diesem oder in jenem Bereich kaum zu Ansteckungen kommt, ist inzwischen längst zur ausgeleierten Floskel verkommen. Da wird auch schon das ein oder andere Mal auf „Studien“ verwiesen, die die eigene Argumentation untermauern. Viele dieser spontanen wissenschaftlichen Erkenntnisse basieren allerdings auf Hörensagen. Mit vermeintlichen Fakten versucht man eine Wahrheit zu generieren, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Meinung.

Diese Meinung wird mit zusammengeklaubten Zahlen und Analysen zum unumstößlichen Fakt gestutzt. Das hat bereits in der Flüchtlingskrise bestens funktioniert. Hier dichtete man den Asylantinnen und Asylanten vier- oder fünfstellige Geldbeträge an, die sie angeblich an Sozialleistungen erhielten. Belege dazu? Fehlanzeige. Und so wurde die Meinung von eben zur dreisten Lüge. Ich halte es für brandgefährlich, in der Coronakrise auf den gleichen Zug aufzuspringen und wahllos mit vermeintlich wissenschaftlichen Fakten um sich zu werfen.

Das Phantom der Krise

Nun behauptet fast jede Branche, dass sie nicht für die steigenden Coronazahlen verantwortlich ist. Die Fallzahlen steigen indes ungehindert weiter. Es gibt daher mehrere Möglichkeiten: entweder die Betriebe und Einrichtungen sagen die Wahrheit und die Infektionen entstehen tatsächlich an anderer Stelle oder sie lügen. Vielleicht machen sie aber auch von beidem ein bisschen. Möglicherweise gibt es gar nicht „den“ Hotspot. Was wäre denn, wenn sich die Übeltäter branchenübergreifend bewegten? Und das nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum? Was, wenn nicht die Branchen an sich für die Neuinfektionen verantwortlich sind, sondern das Verhalten von einigen Gästen, Kunden und Besuchern?

Man sieht sie schließlich überall: in Bahnen, in Geschäften, in dicht gedrängten Einkaufsstraßen. Die obligatorischen Falschträger und Maskenverweigerer gehören fast so lange zum Bild wie es die Pandemie gibt. Wie Quotenmenschen schlängeln sie sich durch alle Bereiche des Lebens. Diese unverantwortlichen Mitbürger pfeifen auf die geltenden Hygienebestimmungen. Tagsüber tragen sie die Maske bestenfalls direkt unter der Nase. Erbarmt sich der Bahnfahrer dazu, die Heizung anzustellen, wandert der Stofffetzen gerne auch mal bis unter das Kinn. Zwischendurch beglücken sie zwei Aldi- und eine REWE-Filiale mit ihrem Besuch. Dort greifen sie beherzt in die Obst- und Gemüseauslage – keine Frucht kann ihrem Griff entkommen. An der Kasse fehlt ihnen die Bewegung. Sie merken, dass sie frieren und kuscheln sich vertraut an die wartende Person vor ihnen. Den Tag runden sie mit einer legendären Coronaparty ab, zu der neben den 270 facebook-Freunden auch sämtliche Follower von Instagram eingeladen sind.

Vertrauter Feind

Diese Menschen sind dafür verantwortlich, dass die Zahlen ins unermessliche steigen und Restaurants, Hotels und Fitnessstudios wieder dichtmachen mussten. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir erneut solch schwere Einschränkungen ertragen müssen. Und hier wird’s schwierig: Diese Unverantwortlichen sind ausgesprochen heterogen. Es sind nicht überwiegend Männer und auch nicht vorwiegend Frauen. Sie können jung und alt sein, groß und klein. Sie können einen Professorentitel tragen oder ihre schulische Karriere bereits nach der neunten Klasse Hauptschule beendet haben. Für Bequemlichkeit ist Intelligenz kein Hindernis. Das einzige, was diese Menschen gemeinsam haben, sind schöne Nasen. Diese wollen sie mit der ganzen Welt teilen. Keine Maske, kein Abstandsstrich, keine Kontaktbeschränkung und erst recht keine Sperrstunde kann sie davon abhalten.

Vielleicht gäbe es ja aber doch eine Möglichkeit, dem unverantwortlichen Treiben dieser Menschen Einhalt zu gebieten. Wenn sie ausreichend gesellschaftlichen Druck zu spüren bekämen, würden viele von ihnen möglicherweise einlenken. Stattdessen werden sie seit Monaten geduldet, um nicht zu sagen hofiert. Der Frust und der Zorn richtet sich gegen die Politik, insbesondere gegen die Bundesregierung. Sicher kann die Zielgenauigkeit und auch das Zustandekommen der beschlossenen Maßnahmen kritisiert werden. Ist es sinnvoll, sämtliche Restaurants zuzumachen? Hätte nicht vorher das Parlament befragt werden müssen? Sicher ist aber auch, dass die Regierung aufgrund der jüngsten Entwicklungen unter gewaltigem Zugzwang stand. Sie lenkt dagegen, weil sie es muss. Den Grund dafür haben andere geschaffen.

Gefährliche Dynamik

Eine kleine Minderheit in der Bevölkerung lässt keine Gelegenheit aus, die Hygienemaßnahmen zu unterwandern und mit Füßen zu treten. Immer wieder muss die Mehrheit das Fehlverhalten dieser Minderheit ausbaden – ob durch Hamsterkäufe, verschärfte Maskenpflicht oder gestrichene Theaterbesuche. Es ist falsch, andere dafür verantwortlich zu machen. Der Finger muss auf jeden deuten, der in der Bahn die Maske runterzieht, sobald der Kontrolleur sich umdreht. Stattdessen versteifen sich immer mehr auf die Politik als den Unheilbringer in der Coronakrise. Den absoluten Tiefpunkt an menschlichem Niveau erreichten kürzlich der Wirt einer Bar in Berlin: Er erteilte der Bundeskanzlerin kurzerhand Hausverbot. Als die Zustimmung dafür vorwiegend aus der rechten Ecke kam, ruderte er zurück. Den fragwürdigen Beifall hätte man leicht vorhersehen und vermeiden können. Aber es eben immer leichter, gegen eine weit entfernte Gruppe vorzugehen als sich mit den Offensichtlichkeiten auseinanderzusetzen.

Eine dieser Offensichtlichkeiten sind schlechte Vorbilder, die auch in der Politik vertreten sind. Die AfD gibt all denen Rückhalt, die zu feige sind, sich den Problemen zu stellen. Im Falle der Hygienemaßnahmen sind die Rechtspopulisten sogar aufgestiegen. Sie sind nun nicht mehr nur geistige Brandstifter, sondern aktive Vormacher. Immer wieder fallen die Abgeordneten der Fraktion im Bundestag durch eine sehr laxe Handhabung der allgemein gültigen Verordnungen auf. Wie soll die Pandemiebewältigung gelingen, wenn selbst im Bundestag Menschen sitzen, die mehr Probleme schaffen als welche zu lösen?

Solche Menschen setzen eine gefährliche Dynamik in Gang. Das Fehlverhalten weniger provoziert umfangreichere und härtere Maßnahmen, um der Lage Herr zu werden. Diejenigen, die den bisherigen Einschränkungen skeptisch gegenüberstanden, fühlen sich in ihren Ansichten bestätigt und torpedieren die härteren Maßnahmen. Die Querdenker und Querschießer der Nation haben Zulauf und machen ihrem Namen alle Ehre. Sie kommen der Sicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung nämlich tatsächlich in die Quere. In ekelhafter Selbstgefälligkeit rühmen sie sich dafür, eine andere Meinung zu haben als die Mehrheit. Sie merken nicht, dass echte Kritik immer eine Verbesserung beabsichtigt. Sie aber zerstören.


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Im Namen des Volkes

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Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte ist schuldig der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, gemäß dem Paragraphen 89a, Absatz 1, Absatz 2 und Absatz 2a. Er wird daher zu einer Freiheitsstrafe von einem 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Er trägt die Kosten des Verfahrens.

Sie haben ganz richtig gehört: keine Bewährung. Das Gericht ist nämlich nicht der Ansicht, dass die Gründe für eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung gegeben sind, aber dazu später mehr. Nun erst einmal zu den Gründen, weswegen wir Sie schuldig gesprochen haben.

Die meisten Bürgerinnen und Bürger werden den Straftatbestand, weswegen Sie verurteilt wurden, überhaupt nicht kennen. Und das ist auch gut so. Immerhin sprechen deutsche Gerichte selten ein solches Urteil. In Ihrem Fall ist das aber leider dringend notwendig.

Ich bin mir auch sicher, dass die meisten Menschen wenig mit diesem Straftatbestand anzufangen wissen: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Was soll das sein? Die meisten werden jetzt einen schwerbewaffneten Terroristen vor Augen haben, der sich irgendwo hinstellt und eine Explosion herbeiführt. Natürlich ist das auch eine schwere Gewalttat, aber sie ist selten staatsgefährdend – zumindest ist sie nicht dazu geeignet, wenn es bei einem einzelnen Täter bleibt.

Was Sie getan haben, eignet sich allerdings viel zu gut dazu, die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik zu untergraben oder sogar außer Kraft zu setzen. Denn durch Ihr Verhalten provozieren Sie ja geradezu einen zweiten Lockdown und eventuell sogar Ausgangssperren. Das mag dann zwar durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt sein, aber die Notwendigkeit für diese Maßnahme, die haben Sie erzeugt. Allerdings nicht alleine, denn Sie haben ja, wissentlich oder unwissentlich, eine ganze Reihe an Mittätern. Und mit diesen Mitstreitern zwingen Sie den Staat förmlich dazu, die Bewegungsfreiheit seiner Bürger massiv einzuschränken. Mit freier persönlicher Entfaltung wie sie im Grundgesetz verbrieft ist, hat das dann nur noch bedingt zu tun.

Jetzt muss für eine Verurteilung noch ein weiterer Aspekt erfüllt sein: Die Straftat muss sich gegen das Leben anderer richten – und zwar gemäß den Paragraphen 211 oder 212 im Strafgesetzbuch. Das heißt konkret: Mord und Totschlag. Letzteres sehen wir hier nicht, aber ein Mordmerkmal ist hier allemal erfüllt. Tausende Menschen sind bereits am Coronavirus gestorben und das maßgeblich auch, weil Menschen wie Sie zu bequem waren, die Maske richtig aufzusetzen. Das kann man einerseits als Mord durch Unterlassen bewerten, aber eben auch als Bequemlichkeit. Und was, wenn nicht Bequemlichkeit, ist denn bitteschön ein niederer Beweggrund? Außerdem ist das Virus auf jeden Fall ein gemeingefährliches Mittel, mit dem die Tat begangen wird.

Da wären wir auch schon beim nächsten Thema: dem Virus. Wissen Sie, was das Problem ist? Das Virus lebt nicht, im Prinzip ist es ein Gegenstand. Als solches kann es problemlos als Waffe verwendet werden. Und dass es ein gesundheitsgefährdender Stoff ist, ich denke, darüber besteht Einvernehmen im Saal.

Sie waren in den letzten Wochen im Urlaub; auf Mallorca um genau zu sein. Solche Reisen sind glücklicherweise nicht verboten, aber was Sie dort gemacht haben, das schlägt dem Fass den Boden aus. Hemmungslos waren Sie viermal innerhalb einer Woche „hart Party machen“, wie Sie es nennen. Soll ich Ihnen verraten, was die deutsche Justiz dazu sagt? Beschaffung und Verwahrung der Waffe zur letztendlichen Tatbegehung. Selbstverständlich sind Sie daher auch nach Absatz 2a zu verurteilen, immerhin sind Sie trotz der aktuellen Gefahrenlage auf die Balearen gereist und haben dort trotz aller Widrigkeiten zügellos gefeiert. Es war Ihnen in diesem Moment mindestens egal, ob andere dabei zu Schaden kommen. Auch dafür kennt die Rechtsprechung einen Begriff: Eventualvorsatz.

Einen minderschweren Fall, wie er ja im Gesetz angedeutet wird, sieht die Kammer hier nicht, das ergibt sich aus der kopflosen Feierei, die Sie da drüben getrieben haben. Statt sich nach Ihrer Rückkehr in freiwillige Quarantäne zu begeben oder zumindest die Alltagsmaske richtig zu tragen, setzen Sie sich in den vollgestopften Bus und husten erst einmal, was das Zeug hält.

Dieses Urteil ist vielleicht auch gar nicht das letzte, was Sie von der Justiz zu hören bekommen. Denn der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich die Möglichkeit vorbehalten, gegen Täter wie Sie Führungsaufsicht anzuordnen. Das heißt im günstigsten Fall regelmäßige Termine beim Bewährungshelfer und im schlimmsten Fall eine elektronische Fußfessel. Darüber hat aber im Falle des Falles ein anderes Gericht zu entscheiden. Sie sollen aber wenigsten schon mal davon gehört haben.

Und nun kommen wir noch einmal auf unsere Entscheidung zu sprechen, die Strafe nicht zur Bewährung auszusetzen. Wir glauben, dass von ihnen weiterhin eine hohe Gefahr ausgeht, weitere ähnliche Straftaten zu verüben. Durch ihre konsequente Weigerung während dieser Verhandlung, die Maske über die Nase zu ziehen haben Sie das erneut unter Beweis gestellt. Auch wenn Sie nicht vorbestraft sind, ist das keine Garantie dafür, dass Sie Bewährung erhalten. Eine Milderung der Strafe nach Absatz 6 des Gesetzes kommt ebenfalls nicht in Betracht, immerhin haben Sie durch Ihr anhaltendes Falschtragen nicht dazu beigetragen, die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Gegen dieses Urteil kann noch innerhalb einer Woche ab heute Revision eingelegt werden. Die Verhandlung ist geschlossen.


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