Impfpflicht durch die Vordertür

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Die steigenden Infektionszahlen der letzten Woche rückten einen erneuten Lockdown zumindest wieder in den Bereich des Möglichen. Um dieses Szenario abzuwenden, hat die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Länderchefs eine Verordnung vorgelegt, die Ungeimpften sauer aufstößt: Die Testpflicht bleibt für sie aufrechterhalten, für die Tests müssen sie ab Herbst aber selbst aufkommen. Gleichzeitig fallen fast alle Einschränkungen für Geimpfte und Genesene. Die Impfpflicht ist faktisch da.  Diese systematische Benachteiligung von Ungeimpften ist kontraproduktiv im Kampf gegen die Pandemie und heizt eine latente feindselige Stimmung gegen Impfunwillige weiter an.

Nach dem heutigen Stand haben in Deutschland rund 49 Millionen Menschen Erst- und Zweitimpfung gegen das Coronavirus erhalten. Das entspricht einer Quote von fast 59 Prozent. Dieser Fortschritt ist erfreulich, war man sich lange Zeit unsicher, wie lange die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen dauern würden. Das erste Halbjahr 2021 war dann allerdings von einer regelrechten Durststrecke beim Impfen gekennzeichnet. Monatelang erhielten nur ausgewählte Personenkreise Zugang zu den neuen Impfstoffen. Die Impfpriorisierung erfolgte nach Zugehörigkeit zu definierten Risikogruppen. Zwischenzeitlich ist diese Priorisierung aufgehoben: Jeder erwachsene Mensch kann sich nun impfen lassen.

Ein Meilenstein

Auch wenn es nach wie vor einige Impfunwillige gibt, der Impfung begegnet man inzwischen fast überall: Mit Werbeclips macht die Bundesregierung auf die Möglichkeit zum Impfen aufmerksam, in mindestens jeder zweiten Talkshow steht das Thema auf der Tagesordnung und an jeder beliebigen Ecke werden Zelte aufgebaut, in denen man sich spontan und kurzfristig impfen lassen kann.

Es ist gut, dass den meisten Menschen ein Impfangebot gemacht werden kann. Noch besser ist allerdings, dass weite Teile der Risikogruppen vollständig geimpft sind. Das ist ein wichtiger Meilenstein im Kampf gegen die Pandemie. Besonders ältere Menschen und Menschen mit relevanten Vorerkrankungen waren lange Zeit schwer vom Virus bedroht. Die Impfung mag zwar nur bedingt vor Infektionen und der Weitergabe des Virus schützen, schwere Krankheitsverläufe sind aber nahezu ausgeschlossen – zumindest nach dem aktuellen Stand der Forschung.

Eine Frage des Risikos

Deswegen sieht die Risikobewertung von Menschen, die keiner der Risikogruppen angehören, zwangsläufig anders aus. Sie waren lange Zeit nicht so sehr von Corona bedroht wie ihre älteren Mitbürger, auch wenn ihnen die Delta-Variante zunehmend das Leben schwermacht. Ebendiese Abschätzung des Risikos führt dazu, dass sich eine beträchtliche Zahl an Menschen gegen eine Impfung entschieden hat.

Statt nun in polemischer Art und Weise gegen diese Menschen aufzustacheln, sollte man ihre Bedenken lieber ernstnehmen. Viele unter ihnen berufen sich auf die deutlich verkürzte Erprobungsphase der zugelassenen Präparate. Nun stellte Corona für einen Teil der Bevölkerung eine besonders große Bedrohung dar. Es ist daher nachvollziehbar, dass hier von etablierten Forschungsstandards abgewichen wurde, um diese Menschen zu schützen. Weniger nachvollziehbar ist allerdings, dass nun auch von allen anderen Menschen quasi erwartet wird, dass sie sich mit einem Impfstoff immunisieren lassen, der auf einer völlig neuartigen und kaum erprobten Grundlage beruht.

Politikversagen und Vertrauensverlust

Immer wieder rufen Prominente, Politiker und die Wissenschaft dazu auf, das Impfangebot wahrzunehmen. Besonders die Forscherinnen und Forscher bringen gute Argumente hervor, warum sich eine Impfung auch für jüngere Menschen lohnt. Trotzdem ist das Vertrauen in die Wissenschaft bei vielen Menschen inzwischen auf einen besorgniserregenden Tiefstand zusammengeschrumpft. Viele vermuten bezahlte Studien und sonstige Profitinteressen hinter den Forschungsergebnissen. Andere gehen so weit, eine riesige Verschwörung zu wittern. Dass diese Theorien einen solchen Zuspruch erhalten, ist letztendlich auf Politikversagen zurückzuführen. Denn immer wieder haben die Menschen erlebt, dass augenscheinlich verlässlichen und seriösen Aussagen kein Glauben zu schenken ist.

Lange setzten Politik und Wissenschaft daher auf einen sanften Druck, um Menschen trotzdem zum Impfen zu animieren. Dieses vorsichtige Hinführen zu einer wichtigen Maßnahme zur Pandemiebekämpfung ist inzwischen aber einem enormen und immer stärker werdenden Druck gewichen. Bereits kurz nachdem die ersten Impfstoffe zugelassen worden waren, mehrten sich die Stimmen aus der Arbeitswelt, dass der Arbeitgeber eine Impfung praktisch voraussetzte. Der Pflegebereich ist hier das Paradebeispiel. Gerade auf das Pflegepersonal übte man einen enormen moralischen Druck auf, sich impfen zu lassen.

Im Abseits

Ab Herbst gibt es nach den jüngsten Beschlüssen der Bund-Länder – Runde dann auch eine faktische Ausgrenzung vieler Ungeimpfter aus dem öffentlichen Leben. Wenn die Schnelltests ab dem 11. Oktober kostenpflichtig werden, können vor allem geringverdienende und arbeitslose Ungeimpfte nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, ins Kino gehen oder den Abend im Restaurant verbringen. Um diesem Schicksal zu entgehen, werden wahrscheinlich viele Nicht-Geimpfte das Angebot wahrnehmen. Eine vertrauensbildende Maßnahme sieht trotzdem anders aus.

Immer vehementer wird an einer feindseligen Stimmung gegen Nicht-Geimpfte gearbeitet. Ein Werbespot im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums suggeriert, dass nach einer Impfung innige Umarmungen und ausgiebiges Feiern kein Problem mehr seien. Die Auftraggeber übersehen dabei allerdings, dass die Impfung allein nur ein Mosaikstein im Kampf gegen die Pandemie sein kann. Schon dieser unverfänglich scheinende Videoclip soll Ungeimpften vor Augen führen, was durch ihre Verweigerung nicht möglich ist.

Schuldfrage

Diese Methode des schlechten Gewissens findet man auch in fast jeder Diskussion um die Impfentscheidung. Immer wieder müssen sich Nicht-Geimpfte den Vorwurf gefallen lassen, aktiv an einer Lahmlegung des öffentlichen Lebens beteiligt zu sein. Die Argumente sind teilweise so absurd, dass nicht einmal vor Kindern haltgemacht wird. So ist es eine inzwischen gut verbreitete Ansicht, dass ohne umfangreiche Impfungen kein Präsenzunterricht an Schulen möglich sei. Dabei ist, erstens, der Schauplatz Schule noch lange nicht abschließend auf seine Tauglichkeit als Infektionsherd untersucht und, zweitens, sind auch Kinder von der Delta-Variante des Virus nicht derart bedroht, dass eine generelle Schließung der Schulen verhältnismäßig wäre.

Ungeachtet dessen spricht die Impfkampagne weiterhin ein urmenschliches Bedürfnis an: das Verlangen, sich gegenüber anderen zu etablieren. Wer sich nicht impfen lässt, ist der Buhmann. Keiner möchte zur falschen Seite gehören und lässt sich deswegen impfen. Wenn das nicht hilft, wird der soziale Druck um den finanziellen Druck erhöht. Besonders Geringverdiener werden es sich ab Herbst dreimal überlegen, ob sie jedes Mal für die Schnelltests berappen möchten oder sich lieber notgedrungen impfen lassen.

Natürlich wird es auch Ende des Jahres Menschen geben, die sich nicht impfen lassen. Durch den Kostendruck verflüchtigt sich aber ihre Zahl. Es wird leichter, sie zu übersehen oder sie auszugrenzen. Spätestens die bereits jetzt von Markus Söder angedrohte 2G-Lösung wird die Ungeimpften endgültig aus dem öffentlichen Leben verbannen.

Der Kampf geht weiter

Selbst gestandene Politiker wie CDU-Fraktionschef Brinkhaus schlagen zunehmend aggressive Töne an und bezichtigen Ungeimpfte, das Leben von Geimpften einzuschränken. Nun muss man mit der Weltsicht von Ungeimpften nicht unbedingt einer Meinung sein. Wenn gewählte Politiker allerdings öffentlich eine beträchtliche Gruppe an Menschen so pauschal herabwürdigen, dann läuft etwas gewaltig schief.

Die Privilegierung von Geimpften wiegt die Betroffenen in einer falschen Sicherheit, weil leicht der Eindruck entsteht, sie seien aus dem Kampf gegen die Pandemie entlassen. Die Einschränkungen für Ungeimpfte suggerieren, dass die Pandemiebekämpfung allein deren Sache ist, immerhin ist der Kampf bisher an ihnen gescheitert. Sie allein sind schuld daran, dass sich auch die Geimpften weiterhin mit Abstandhalten und Maskenpflicht herumärgern müssen.

Die Strategie des Blankoschecks

Dabei ist längst belegt, dass auch Geimpfte ein Infektionsrisiko darstellen können. Die hohen Infektionszahlen nach dem EM-Spiel im Wembley-Stadion sprechen da wahrlich Bände. Es ist daher dringend erforderlich, die Testpflicht auch für Geimpfte beizubehalten. Auf diese Weise kann nach Abschluss der verkürzten klinischen Erprobung festgestellt werden, wie zuverlässig die Präparate gegen Infektionen schützen und in welchem Ausmaß Geimpfte weiterhin infektiös sind.

Die Schnelltests für Impfunwillige stattdessen kostenpflichtig zu machen, ist der völlig falsche Weg. Möglicherweise infektiösen Geimpften wird dadurch ein Blankoscheck ausgestellt, der sich bitter rächen kann. Vielleicht ist es sinnvoll, die Testpflicht für Geimpfte erst ab einer höheren Inzidenz als bei Ungeimpften festzulegen. Trotzdem ist und bleibt der Kampf gegen das Virus eine Gemeinschaftsaufgabe. Vorstöße wie die kostenpflichtigen Tests spalten die Gesellschaft und erzeugen einen Argwohn gegen Menschen, die eigentlich Mitstreiter sein sollten.


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Vertrauter Feind

Lesezeit: 8 Minuten

Die neuen Anti-Corona – Maßnahmen treffen Gastronomie und Kultur bis ins Mark. Viele Betriebe stehen endgültig vor dem Ruin, wenn nicht bald gegengelenkt wird. Steif und fest behaupten viele, für die steigenden Fallzahlen nicht verantwortlich zu sein. Die Zahlen steigen trotzdem weiter. Immer offensichtlicher wird: Die Übeltäter sind an anderer Stelle zu suchen. Sie sind praktisch überall und verstehen es meisterlich, sich aus der Schusslinie zu bringen. Den Frust kriegen währenddessen andere ab…

Wer war’s?

Seit Montag gelten bundesweit verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Explosionsartig steigende Infektionszahlen zwingen die Verantwortlichen dazu, erneut solch drastische Maßnahmen zu treffen. Schulen und Kitas sollen so lange wie möglich geöffnet bleiben. Gaststätten, Hotels und fast sämtliche Einrichtungen des Kulturbetriebs müssen ihre Pforten allerdings für die nächsten vier Wochen schließen. Unmut darüber macht sich breit. Die wirtschaftlichen Folgen des ersten Lockdowns sind noch lange nicht überschaubar und erst recht nicht verdaut. Viele befürchten, dass es finanziell nun solchen Betrieben an den Kragen geht, die in der ersten Jahreshälfte relativ glimpflich davongekommen sind.

Das ist berechtigt und nachvollziehbar. Immer wieder zweifeln vor allem betroffene Betriebe an, dass die steigenden Fallzahlen aus ihrem Bereich herrühren. Gastronomen verweisen auf die strikte Maskenpflicht in ihren Häusern. Erst am Platz und zum Einnehmen der Speisen dürfen die Masken abgenommen werden. Ähnlich argumentieren Vertreter aus dem Kulturbereich. Abstandhalten und freie Plätze bei Kinovorstellungen und öffentlichen Darbietungen gehören längst zur Normalität der Branche. Auch der Tourismus versteift sich vehement darauf, dass von Reiserückkehrern kein erhöhtes Infektionsrisiko ausgehe. Nun kann man den Beteuerungen aus den verschiedenen Bereichen unterschiedliches Gewicht beimessen. Fakt ist allerdings: Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis die Zahl der Neuinfektionen die 20.000er-Marke knackt.

Bekanntes Muster

Viele der Argumentationen in dieser Frage laufen den wissenschaftlichen Erkenntnissen in eklatant auffälliger Weise entgegen. Es mag fundierte und seriöse Auswertungen und Studien geben, die das unterschiedliche Infektionsrisiko aus den verschiedenen Bereichen belegen. Doch der Hinweis darauf, dass es gerade in diesem oder in jenem Bereich kaum zu Ansteckungen kommt, ist inzwischen längst zur ausgeleierten Floskel verkommen. Da wird auch schon das ein oder andere Mal auf „Studien“ verwiesen, die die eigene Argumentation untermauern. Viele dieser spontanen wissenschaftlichen Erkenntnisse basieren allerdings auf Hörensagen. Mit vermeintlichen Fakten versucht man eine Wahrheit zu generieren, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Meinung.

Diese Meinung wird mit zusammengeklaubten Zahlen und Analysen zum unumstößlichen Fakt gestutzt. Das hat bereits in der Flüchtlingskrise bestens funktioniert. Hier dichtete man den Asylantinnen und Asylanten vier- oder fünfstellige Geldbeträge an, die sie angeblich an Sozialleistungen erhielten. Belege dazu? Fehlanzeige. Und so wurde die Meinung von eben zur dreisten Lüge. Ich halte es für brandgefährlich, in der Coronakrise auf den gleichen Zug aufzuspringen und wahllos mit vermeintlich wissenschaftlichen Fakten um sich zu werfen.

Das Phantom der Krise

Nun behauptet fast jede Branche, dass sie nicht für die steigenden Coronazahlen verantwortlich ist. Die Fallzahlen steigen indes ungehindert weiter. Es gibt daher mehrere Möglichkeiten: entweder die Betriebe und Einrichtungen sagen die Wahrheit und die Infektionen entstehen tatsächlich an anderer Stelle oder sie lügen. Vielleicht machen sie aber auch von beidem ein bisschen. Möglicherweise gibt es gar nicht „den“ Hotspot. Was wäre denn, wenn sich die Übeltäter branchenübergreifend bewegten? Und das nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum? Was, wenn nicht die Branchen an sich für die Neuinfektionen verantwortlich sind, sondern das Verhalten von einigen Gästen, Kunden und Besuchern?

Man sieht sie schließlich überall: in Bahnen, in Geschäften, in dicht gedrängten Einkaufsstraßen. Die obligatorischen Falschträger und Maskenverweigerer gehören fast so lange zum Bild wie es die Pandemie gibt. Wie Quotenmenschen schlängeln sie sich durch alle Bereiche des Lebens. Diese unverantwortlichen Mitbürger pfeifen auf die geltenden Hygienebestimmungen. Tagsüber tragen sie die Maske bestenfalls direkt unter der Nase. Erbarmt sich der Bahnfahrer dazu, die Heizung anzustellen, wandert der Stofffetzen gerne auch mal bis unter das Kinn. Zwischendurch beglücken sie zwei Aldi- und eine REWE-Filiale mit ihrem Besuch. Dort greifen sie beherzt in die Obst- und Gemüseauslage – keine Frucht kann ihrem Griff entkommen. An der Kasse fehlt ihnen die Bewegung. Sie merken, dass sie frieren und kuscheln sich vertraut an die wartende Person vor ihnen. Den Tag runden sie mit einer legendären Coronaparty ab, zu der neben den 270 facebook-Freunden auch sämtliche Follower von Instagram eingeladen sind.

Vertrauter Feind

Diese Menschen sind dafür verantwortlich, dass die Zahlen ins unermessliche steigen und Restaurants, Hotels und Fitnessstudios wieder dichtmachen mussten. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir erneut solch schwere Einschränkungen ertragen müssen. Und hier wird’s schwierig: Diese Unverantwortlichen sind ausgesprochen heterogen. Es sind nicht überwiegend Männer und auch nicht vorwiegend Frauen. Sie können jung und alt sein, groß und klein. Sie können einen Professorentitel tragen oder ihre schulische Karriere bereits nach der neunten Klasse Hauptschule beendet haben. Für Bequemlichkeit ist Intelligenz kein Hindernis. Das einzige, was diese Menschen gemeinsam haben, sind schöne Nasen. Diese wollen sie mit der ganzen Welt teilen. Keine Maske, kein Abstandsstrich, keine Kontaktbeschränkung und erst recht keine Sperrstunde kann sie davon abhalten.

Vielleicht gäbe es ja aber doch eine Möglichkeit, dem unverantwortlichen Treiben dieser Menschen Einhalt zu gebieten. Wenn sie ausreichend gesellschaftlichen Druck zu spüren bekämen, würden viele von ihnen möglicherweise einlenken. Stattdessen werden sie seit Monaten geduldet, um nicht zu sagen hofiert. Der Frust und der Zorn richtet sich gegen die Politik, insbesondere gegen die Bundesregierung. Sicher kann die Zielgenauigkeit und auch das Zustandekommen der beschlossenen Maßnahmen kritisiert werden. Ist es sinnvoll, sämtliche Restaurants zuzumachen? Hätte nicht vorher das Parlament befragt werden müssen? Sicher ist aber auch, dass die Regierung aufgrund der jüngsten Entwicklungen unter gewaltigem Zugzwang stand. Sie lenkt dagegen, weil sie es muss. Den Grund dafür haben andere geschaffen.

Gefährliche Dynamik

Eine kleine Minderheit in der Bevölkerung lässt keine Gelegenheit aus, die Hygienemaßnahmen zu unterwandern und mit Füßen zu treten. Immer wieder muss die Mehrheit das Fehlverhalten dieser Minderheit ausbaden – ob durch Hamsterkäufe, verschärfte Maskenpflicht oder gestrichene Theaterbesuche. Es ist falsch, andere dafür verantwortlich zu machen. Der Finger muss auf jeden deuten, der in der Bahn die Maske runterzieht, sobald der Kontrolleur sich umdreht. Stattdessen versteifen sich immer mehr auf die Politik als den Unheilbringer in der Coronakrise. Den absoluten Tiefpunkt an menschlichem Niveau erreichten kürzlich der Wirt einer Bar in Berlin: Er erteilte der Bundeskanzlerin kurzerhand Hausverbot. Als die Zustimmung dafür vorwiegend aus der rechten Ecke kam, ruderte er zurück. Den fragwürdigen Beifall hätte man leicht vorhersehen und vermeiden können. Aber es eben immer leichter, gegen eine weit entfernte Gruppe vorzugehen als sich mit den Offensichtlichkeiten auseinanderzusetzen.

Eine dieser Offensichtlichkeiten sind schlechte Vorbilder, die auch in der Politik vertreten sind. Die AfD gibt all denen Rückhalt, die zu feige sind, sich den Problemen zu stellen. Im Falle der Hygienemaßnahmen sind die Rechtspopulisten sogar aufgestiegen. Sie sind nun nicht mehr nur geistige Brandstifter, sondern aktive Vormacher. Immer wieder fallen die Abgeordneten der Fraktion im Bundestag durch eine sehr laxe Handhabung der allgemein gültigen Verordnungen auf. Wie soll die Pandemiebewältigung gelingen, wenn selbst im Bundestag Menschen sitzen, die mehr Probleme schaffen als welche zu lösen?

Solche Menschen setzen eine gefährliche Dynamik in Gang. Das Fehlverhalten weniger provoziert umfangreichere und härtere Maßnahmen, um der Lage Herr zu werden. Diejenigen, die den bisherigen Einschränkungen skeptisch gegenüberstanden, fühlen sich in ihren Ansichten bestätigt und torpedieren die härteren Maßnahmen. Die Querdenker und Querschießer der Nation haben Zulauf und machen ihrem Namen alle Ehre. Sie kommen der Sicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung nämlich tatsächlich in die Quere. In ekelhafter Selbstgefälligkeit rühmen sie sich dafür, eine andere Meinung zu haben als die Mehrheit. Sie merken nicht, dass echte Kritik immer eine Verbesserung beabsichtigt. Sie aber zerstören.


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