Der politische Star der Pandemie

Lesedauer: 9 Minuten

Ein Stück Stoff gegen die Pandemie – keiner anderen Maßnahme wird so viel Bedeutung beigemessen wie der Maske. Der Weg zur Maskenpflicht war lang – zu lang, wie einige sicherlich sagen werden. Auf den Tag genau seit drei Monaten ist in Baden-Württemberg das Tragen der Maske Pflicht. Viele setzen ganz aktuell große Hoffnungen in die Maske, eine zweite Welle der Pandemie möglichst milde ausfallen zu lassen. Eine ziemlich große Aufgabe für ein bisschen Stoff könnte man meinen. Doch aus den Kinderschuhen der Schutzmaßnahme ist die Maske längst herausgewachsen. Immer häufiger missbrauchen einige Spezialisten den Mund-Nase – Schutz dazu, politische Spielchen mit ihm zu treiben. Es wird dabei immer schwieriger zwischen rücksichtslosem Protest und bloßer Dummheit zu unterscheiden.

Wenn wir eines Tages die Pandemie überstanden haben, wenn sie vielleicht Jahrzehnte zurückliegt, was werden wir unseren Enkeln erzählen? Es ist unwahrscheinlich genug, dass wir dann noch in der Welt leben, wie wir sie jetzt kennen. Das Klima wird sich deutlich verändert haben, weite Teile der Erde werden nicht mehr bewohnbar sein, vielleicht hat uns bis dahin eine weitere Pandemie heimgesucht. Aber all diese Szenarien einmal ausgeblendet, was werden wir der Enkelgeneration über Corona sagen? Wir können von abstrakten wirtschaftlichen Folgen reden, die unsere Kindeskinder niemals begreifen werden, wenn sie in einer stabilen und wirtschaftlich starken Umgebung aufwachsen. Sie werden es zur Kenntnis nehmen, vielleicht Mitleid empfinden, so wie wir es tun, wenn wir uns die Lebensrealität unserer Großeltern und Vorfahren vor Augen führen. Aber eine Frage werden wir uns gefallen lassen müssen: Was war mit der Maske?

Gute Miene zum bösen Spiel

Denn wenn die Krankheit überwunden ist, verschwindet auch eine schwere Last. Die Rückkehr zur Normalität wird äußerst schwer, aber auch unverzichtbar. Was bleibt sind die Erinnerungen, über die natürlich niemand gerne reden wird. Aber es bleiben auch die Bilder von Menschen mit Maske, die bereits heute erstaunlich viele Menschen voller Inbrunst von sich machen. Der Masken-Selfie gehört in den Social Media bereits zum guten Stil. Stolz halten viele ihre Maske in die Kamera, als wäre die Pandemie ein schlechter Witz, ein Modegag, den es unbedingt auf Kamera festzuhalten gilt. Viel zu gut gelaunt werden wir unseren Enkeln auf diesen Fotos entgegenstrahlen wie es unsere eigenen Vorfahren taten, obwohl sie außerhalb der Fotos nicht viel zu lachen hatten.

Die Maske wird auf lange der Indikator dafür sein, wann ein Foto entstanden ist. „Das war doch bei Corona.“ Tatsächlich ist die Maske der offensichtlichste Ausdruck der Coronakrise. Sie ist nicht nur in den Medien omnipräsent. Bei jedem Gang nach draußen, bei jeder Bahnfahrt und bei jedem Einkauf erinnert sie uns daran, dass die Pandemie noch immer nicht überwunden ist. Von all den Maßnahmen, die zum Schutz vor dem Virus ergriffen wurden, ist die Maske die Maßnahme, die am meisten in die persönliche Freiheit der Menschen eingreift – zumindest kurzfristig. Denn jedes Mal, wenn wir die Maske aufziehen, müssen wir uns erneut an ihren fehlenden Tragekomfort gewöhnen. Abstandhalten kann doch jeder, Maske-Tragen aber will gelernt sein.

Die Maske als Politikum

Die Pflicht, Mund und Nase zu bedecken, wurde von Anfang an heiß diskutiert. Kommt die Maskenpflicht? Wie lange? Wo muss sie getragen werden? Inzwischen hat man sich beinahe an den Stofffetzen gewöhnt, da reden einzelne von Lockerungen. In einer dicht besiedelten Welt, in der Abstand halten oft gar nicht so leicht ist, belegte die Maske bald Platz 1 unter den Schutzmaßnahmen. Einerseits machte sie eine Ansteckung mit dem Virus trotz fehlendem Abstand bei korrekter Verwendung unwahrscheinlicher. Andererseits nutzen viele die Maske immer häufiger dazu, mit ihr ein politisches Statement zu setzen.

Denn häufig gibt die Maske, gewollt oder nicht gewollt, Aufschluss über die persönliche Haltung zur Pandemie. Falsch- oder Nichtträgern ist die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen entweder egal oder sie schätzen die Bedrohung aus unterschiedlichen Gründen nicht so groß ein. Andere wiederum instrumentalisieren die Maske dazu, um politisch Stellung zu beziehen. Sie tragen ihre Masken bewusst locker um den Hals oder unter dem Kinn, um bei Ansprache das Virus herunterzuspielen und von Grundrechtsverletzung und Totalüberwachung zu schwafeln.

Weil sie keinerlei Berührungspunkte mit dem Virus haben, mit der Maske gezwungenermaßen aber doch, ist die Bedrohung durch die Maske für sie realer. Wahrscheinlich kennen sie niemanden, der an dem Virus erkrankt oder gar gestorben ist, sie arbeiten vermutlich auch nicht in gesundheitlichen Einrichtungen und einen Nobelpreis für Medizin haben sie womöglich auch noch nie gewonnen. Darum schustern sie sich ihre heile Welt zusammen. Die Maske identifizieren sie in dieser Welt als Störenfried.

(K)eine heile Welt

Natürlich will jeder Mensch in einer Welt ohne Sorgen und Probleme leben. Denn Probleme zu erkennen und sie anzupacken, bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Davor haben viele Menschen Angst. Und deswegen schauen sie zu Menschen auf, die ihnen das Gefühl geben, richtig zu handeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz gehen regelmäßig mit gutem Beispiel voran und tragen Maske. Gestalten wie Jair Bolsonaro und Donald Trump hingegen nutzen die Maske rein für ihre politischen Zwecke. Erst vor kurzem zog der brasilianische Präsident trotz Corona-Erkrankung die Maske in Beisein von Kameras und Journalisten ab, um die Harmlosigkeit des Virus zu untermauern. Corona greift wohl doch schneller als erwartet das Gehirn an.

Doch scheinbar erreichen solche Politiker sehr viele Menschen. Sie schaffen es, den Menschen einzureden, dass in Wahrheit alles halb so wild ist und dass die da oben ein falsches Spiel treiben. Die Maske, als der greifbarste Ausdruck der Pandemiemaßnahmen mutiert für diese Menschen zum roten Tuch. Sie verteufeln diesen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte und wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, Stunk gegen die Maskenpflicht zu machen. Das alles sei doch nur eine von Bill Gates initiierte Verschwörung, die Maske soll auch symbolisch die Redefreiheit beschneiden, manche reden vom Merkel-Maulkorb. Dann wiederum besteigen ebensolche Menschen ein öffentliches Nahverkehrsmittel und ziehen sich noch vor Öffnen der Türen die Maske ins Gesicht.

Ungewollt politisch

Diese Doppelmoral, dieses zwiespältige – ich bin eigentlich gegen die Maske, möchte mich aber nicht zu explizit gegen die Mehrheit stellen – ist eine unglaubliche Rückgratlosigkeit. Einerseits diffamiert man die Maske als direkten Eingriff in die Grundrechte, als einen Angriff auf die freie persönliche Entfaltung, andererseits fügt man sich der verhassten Obrigkeit. Teilweise schaffen es diese Menschen, die Maske im selben Moment zu politisieren und ihr gleichzeitig die politische Dimension zu nehmen.

Denn die Maske ist in erster Linie kein politisches Instrument. Sie ist eine sinnvolle Maßnahme, die dem Gesundheitsschutz dient. Erst die Ablehnung der Maske eröffnet ihr einen politischen Raum. Es sind nicht Menschen wie Merkel, Macron oder Kurz, die die Maske politisieren. Es sind die Bequemen, die Gegner der Maske, die keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um die Maske in ein Politikum zu verwandeln.

Von Idiotie und Pandemie

Die Übergänge zwischen Idiotie und politischem Statement sind dabei fließend. Es wird zunehmend schwierig zu unterscheiden, wer die Maske aus Nachlässigkeit falsch trägt oder wer bewusst unser aller Gesundheit gefährdet. Solche, die die Maske permanent unterhalb der Nase tragen, sie aber wenigstens konsequent in Bus, Bahn und beim Einkaufen aufsetzen, gehen gerade noch so als Vollidioten durch. Vielleicht meinen es einige von ihnen nicht mal böse. Sie glauben, ihren Teil zur Pandemiebekämpfung beizutragen, obwohl sie dem Virus durch ihre grenzenlose Dummheit enormen Vorschub leisten. Möglicherweise sind sie zu bequem, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Lieber machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt eine Verordnung, also wird sich daran gehalten. Solche Mitbürger sind die unpolitischsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann. Sie halten den Mund – und die Maske unterstützt sie offensichtlich dabei.

Dann gibt es die Verweigerer. Deren egoistisches Verhalten macht es ihnen unmöglich, sich auf die Gnade der Idiotie zu berufen. Sie setzen sich mit Maske in öffentliche Verkehrsmittel und betreten mit Maske die Geschäfte des Einzelhandels. Die Maske schwingt allerdings locker um ihren Hals; ans Aufziehen denken diese Gefährder nicht. Ganz bewusst verweigern sie sich dem Kampf gegen das Virus. Die Maske besitzen sie einerseits zu Alibizwecken, andererseits, um den Menschen in ihrem Umfeld zu beweisen, dass das Virus nicht so schlimm ist und sie auch ohne Mund-Nase – Schutz gut durchkommen.

In vollem Bewusstsein der Fahrlässigkeit ihres Handelns bringen sie alle anderen Menschen in Gefahr. Sie sorgen mindestens indirekt für steigende Fallzahlen, knappe Krankenhauskapazitäten und nehmen denen die Maske weg, die sie dringend benötigen. Sie sind Terroristen am Gesundheitssystem und es ist mehr als bedauerlich, dass die Gesellschaft diese Menschen duldet und mitträgt.

Immer mehr Menschen scheinen es für unnötig zu halten, in Bus und Bahn die Maske korrekt aufzusetzen, wenn sie weniger als drei Stationen fahren. Sie wollen allen zeigen, dass sie die Lage jederzeit unter Kontrolle haben, dass sie stärker sind als das Virus. Dabei ist es ihre chronische Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, die sich schon viel länger als die Corona-Pandemie global breitmacht. Wegsehen, sich nur um sich selbst kümmern, Ellbogen ausfahren und nichts wie geradeaus – diese generelle Haltung ist alles andere als hilfreich im Kampf gegen die Pandemie.


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Das Heer der Unaufgeklärten

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Regelmäßig protestieren in mehreren Städten Menschen auf sogenannten Hygienedemos gegen die aktuellen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Sie wenden sich vor allem gegen die Beschneidung ihrer Grundrechte, die viele von ihnen mittlerweile als überzogen und unverhältnismäßig empfinden. Doch gerade solche Zusammenkünfte sind ein Hotspot für Menschen, deren Verhalten eine Aufrechterhaltung von strengen Maßnahmen erforderlich machen.

Maskenpflicht ohne Bewährung

Die Reproduktionszahl des Virus stieg jüngst wieder auf über 1. Das ist leider überhaupt kein Wunder, bedenkt man, dass eine Woche lang Läden und Geschäfte ohne Maskenpflicht geöffnet hatten. Doch was hilft es, die Versäumnisse der Vergangenheit immer wieder weinerlich ins Feld zu führen. Viel wichtiger ist es, aktuelle Missstände und Fehlentwicklungen anzugehen und zu beheben. Die Menschen sehen sich nach Freiheit und zu einer Rückkehr zur Normalität. Das ist nur allzu verständlich. Doch leider liegt eine solche Normalität noch in weiter Ferne. Selbst wenn viele Geschäfte wieder geöffnet haben – die Masken werden noch lange die Gesichter schmücken.

Doch bereits jetzt, nach zwei Wochen Maskenpflicht, beschweren sich viele über den fehlenden Tragekomfort der Mund-und-Nase – Bedeckung. Ein Hochgefühl ist das Teil wirklich nicht. Man sollte sich aber auch mal vor Augen führen, wann der hippe Stofffetzen überhaupt zu tragen ist: im öffentlichen Personennahverkehr und in Geschäften. Viel öfter müssen viele die Maske gar nicht aufsetzen. Wenn man nun noch bedenkt, dass viele die Maske gar nicht richtig verwenden, wirken die Wehklagen beinahe lächerlich.

Falschtragen mit Methode

In diesen Tagen will man wahrlich kein Türsteher vor deutschen Supermärkten sein. Unangenehme Diskussionen sind vorprogrammiert. Nicht nur die Einhaltung der zulässigen Kundenzahl müssen die Sicherheitskräfte im Blick behalten, ihren geschulten Augen darf auch kein Verstoß gegen die Maskenpflicht entgehen. Und hier reden wir nicht von den Idioten, die aus Protest keine Maske aufsetzen. Diese Minderheit ist zum Glück so verschwindend gering, dass sich nicht einmal ein Kurzbeitrag zu ihnen lohnt.

Viel problematischer sind solche Menschen, die ihre Masken entweder komplett falsch aufsetzen oder sie zu spät aufsetzen und zu früh wieder abziehen. Jeder, der im Einzelhandel arbeitet, kann ein Lied davon singen: viel zu viele Kunden ziehen ihre Masken erst dann auf, wenn sie den Eingang bereits ein Dutzend Schritte hinter sich gelassen haben. Sie reißen die Bedeckung japsend und lechzend von ihren Gesichtern, kaum klappt der Kassierer die Kasse wieder zu.

Dieses konsequente Falschtragen macht jedoch das Gesamtergebnis der Maßnahme zunichte. Das Virus lauert nicht tief versteckt im Laden hinter den Pfandautomaten. Der Kampf gegen das Virus ist kein Boxkampf, wo der Gegner klar sichtbar in der anderen Ecke steht. Das Virus breitet sich im geschlossenen Raum rasend schnell aus. Wer sich im Kassenbereich nicht an die Maskenpflicht hält, der gefährdet auch die Goldgräber des Pfandguts am anderen Ende des Ladens.

Eine lästige Pflicht

Spricht man solche Menschen auf ihr Fehlverhalten an, so reagieren die meisten von ihnen mit Verharmlosungen oder spielen sich als gut getarnte Experten auf. Sie nehmen die Masken ja nur ganz kurz ab, um wieder richtig Luft zu bekommen. Die Schutzmasken brächten ja rein gar nicht, alles nur Panikmache. Vielleicht makaber, aber: Wenn das Virus dich erwischt, könnten die Atemprobleme bald von Dauer sein.

Ich bin davon überzeugt: Wer seine Maske falsch trägt oder sie zu früh abnimmt, der hat die Tragweite seines Handelns nicht verstanden. Diese Menschen begreifen die sinnvollen Schutzmaßnahmen als eine lästige Pflicht. Sie empfinden sie als eine Repression von Seiten des Staats, welche ihnen das Einkaufserlebnis vermiesen soll. Widerwillig fügen sich die meisten von ihnen den Maßnahmen – aber nur solange man auch wirklich am Einkaufen ist! Sobald der Geldbeutel wieder in der Tasche verstaut ist oder bevor man die erste Avocado bei der Qualitätsprüfung beinahe zerquetscht, ist man nicht einkaufen und muss auch keine Maske tragen. Blind befolgen sie die ungeliebten Regeln, ohne sie jemals hinterfragt zu haben.

Zwischen Empörung und Anpassung

Viele dieser Falschträger nehmen für sich in Anspruch, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Sie zeigen sich einerseits empört über die tiefgreifenden Einschnitte des Staats in ihr alltägliches Leben, andererseits versuchen sie, sich an die Maßnahmen zu halten – soweit ihr viel zu enger Horizont das überhaupt zulässt. Wer nämlich die Schutzmaske abnimmt, bevor die Zugtüren sich öffnen oder bevor der Ausgang des Supermarkts hinter dem Rücken ist, der hat den Sinn der Maßnahme überhaupt nicht verstanden.

Diese Menschen sind jenseits derer, die die Maßnahmen für vollkommenen Quatsch halten und deswegen demonstrativ darauf verzichten. Wer die Maske nämlich hinterfragt und zu dem Schluss kommt, dass sie überhaupt nichts bringt, eventuell sogar kontraproduktiv ist, der zieht sie einfach nicht auf. Wer die Maske hinterfragt, sich mit der Maßnahme auseinandersetzt und zu der Schlussfolgerung kommt, dass sie eine von vielen sinnvollen Maßnahmen ist, der zieht sie korrekt auf. Und zwar immer dann, wenn er oder sie einen nicht-privaten geschlossenen Raum betritt.

Hinterfragen muss kein Kraftakt sein

Die weitreichenden Maßnahmen einfach hinzunehmen, obwohl man der Meinung ist, der Staat diktiert das Tragen der Maske aus reiner Willkür, ist eine zutiefst unaufgeklärte und dumme Haltung. Alle diese Menschen – und sie sind zum Glück noch in der deutlichen Minderheit – glauben, den absoluten Durchblick zu haben. In Wirklichkeit aber raffen sie: nichts.

Sie glauben, dass sie sich unbedingt gegen die Mehrheit stellen müssten, würden sie es wagen, die Schutzmaßnahmen zu hinterfragen. Sie glauben, dass Hinterfragen immer mit einem Auflehnen gegen die Herrschenden verbunden ist. Dass ein kritischer Geist immer zu einer Anti-Haltung führen muss und gleichbedeutend mit einem Verlassen der bequemen Position ist. Doch das ist nicht so.

Überzeugungstäter

Wer für sich in Anspruch nimmt, aufgeklärt zu sein, der muss die Dinge laufend hinterfragen. Und das bedeutet nicht einen notorischen Zwang zur Ablehnung. Ein kritisches Hinterfragen kann auch immer dazu führen, dass man bestimmte Dinge ablehnt, keine Frage. Aber es kann auch dazu führen, dass man Maßnahmen als zielführend anerkennt und sie versteht. Denn Dinge zu hinterfragen ist immer die Vorstufe dazu, von etwas überzeugt zu sein.

Doch solche, die nicht hinterfragen, die sind nicht überzeugt. Und das macht die Sache so gefährlich. Weil sie von den Maßnahmen anscheinend nicht überzeugt sind, sind sie leichte Beute für jene, die mit kruden Verschwörungstheorien Stunk machen. Die ganz wenigen, die schon jetzt mit voller Absicht querschießen können viele von denen, die sich um der Regel willen an die Regeln halten leicht auf ihre Seite ziehen, wenn die Stimmung erst einmal kippt. Und die Stimmung hat sich bereits verändert. Die Bundeskanzlerin bezeichnet die Debatten über Lockerungen genervt als „Orgien“. Vielleicht hat sie mit diesem Begriff doch nicht ganz so unrecht. Denn schaut man inzwischen zu Stoßzeiten wieder in die Geschäfte, so erscheint das Wort Orgie fast angebracht.

In der jetzigen Krise wird einmal mehr deutlich: Gefährliche Dynamiken beginnen im kleinen. Die zum Glück wenigen Negativbeispiele jetzt sind nur die Vorhut. Die Nachhut sind die vielen, die ihre Ignoranz derzeit noch gut verstecken können. Solche, die die Regeln halbherzig befolgen, nur um nicht als Gefährder in der Pandemie verfemt zu sein. Auch sie sind in der deutlichen Minderheit. Doch es sind diese Menschen, die dafür sorgen, dass die Schutzmaßnahmen erhalten bleiben und sich dann wundern, warum es keine Lockerungen gibt. Denn selbst ein einziger Regelbrecher im Supermarkt oder im Zug reicht aus, um hunderte in Gefahr zu bringen.


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