Schuld und Sühne

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Die Festnahme der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette ist ein später Erfolg für die Behörden. Mehrere Jahrzehnte war sie auf der Flucht, mit ihren Komplizen von damals verübte sie mutmaßlich weitere Straftaten. Eine Aussage zum Verbleib weiterer flüchtiger ehemaliger Terroristen bleibt sie weiter schuldig. Mit ihrem beharrlichen Schweigen ist sie kein Einzelfall. Gespielte Ahnungslosigkeit eint viele der Täter von damals.

Nach fast 30 Jahren auf der Flucht sitzt die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette seit dem 26. Februar 2024 in Haft. Gesucht wurde sie neben ihren terroristischen Aktivitäten in den 1980er und 1990er Jahren wegen zahlreicher Raubüberfälle, mit deren Beute sie mutmaßlich ihr Leben in der Illegalität bestritt. Die Festnahme der seit Jahrzehnten gesuchten Terroristin ist in erster Linie ein großer Erfolg für die Polizei. Sie ist aber auch ein Beleg für die Standhaftigkeit des Rechtsstaats: Auch nach über 30 Jahren sind die Verbrechen von damals nicht vergessen. Die Täter können sich niemals sicher fühlen. Daniela Klette tat es doch. Und das wurde ihr zum Verhängnis.

Dröhnendes Schweigen

Der große Ermittlungseifer der Behörden seit Ende 2023, als sich die Hinweise auf den Aufenthaltsort von drei weiterhin flüchtigen ehemaligen RAF-Terroristen verdichteten, sendet auch an die Opfer der Taten und an deren Hinterbliebenen ein wichtiges Signal. Sie erkennen dadurch, dass niemals vergessen ist, was ihnen angetan wurde. Endlich gibt es die Möglichkeit, lange vergangene Taten zu sühnen. Um auf diesem Weg nicht ins Stocken zu geraten, hoffen die Ermittler auf die Aussage der gefassten Ex-Terroristin. Möglicherweise kann sie die Ermittler zu den beiden flüchtigen Mittätern Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub führen. Doch Daniela Klette macht von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch. Das mag rechtsstaatlich in Ordnung sein, ist aber typisch für viele gefasste RAF-Täter.

Denn durch umfassende Aussagen haben sich die Terroristen von damals bislang nicht hervorgetan. Die meisten bevorzugen es, den Mund zu halten und so zu tun, als würde keiner von ihnen wissen, wer die tödlichen Schüsse auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback abgegeben hat oder wer direkt an der Exekution von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer beteiligt war. Viele Urteile liegen Jahrzehnte zurück, alle inhaftierten ehemaligen Terroristen sind heute wieder auf freiem Fuß.

Unbelehrbar?

Diese Entlassungen wurden vor einigen Jahren kontrovers diskutiert. Von unbelehrbaren Terroristen war die Rede, weil manche von ihnen weiterhin durch bedenkliche Äußerungen auffielen. Gegen Verena Becker wurde sogar zeitweise neu ermittelt. Möglicherweise saß sie mit auf dem Motorrad, von dem aus Siegfried Buback ermordet wurde. Eine weitere Haftstraße schloss sich jedenfalls an. Auch sie hüllte sich in ominöses Schweigen. Ihr Unwissen nahm ihr keiner so recht ab.

Auch Inge Viett, unter anderem verantwortlich für den Tod eines Polizisten, machte in den letzten Jahren immer wieder Schlagzeilen. Mal kam es zu Ausschreitungen auf Demonstrationen, mal rief sie dazu auf, Waffen und Kriegsgerät abzufackeln. Auch sie geriet nach ihrer Haftentlassung in den 1990ern mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt.

Ausreißerin ist einzig die DDR-Aussteigerin Silke Maier-Witt. Nach ihrer Enttarnung saß sie mehrere Jahre in Haft und setzt sich heute für Frieden auf dem Balkan ein. Medienwirksam traf sie sich 2017 sogar mit Jörg Schleyer, dem Sohn des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten, um ihn um Verzeihung zu bitten. Auf die Frage, welche Terroristen direkt am Mord beteiligt waren, wusste sie aber ebenfalls keine Antworten.

Die „kleinen Fische“, die Ahnungslosen, sind eher zu Aussagen bereit, können aber seltener zur Aufklärung der Taten von damals beitragen. Die Akteurinnen und Akteure aus der ersten Reihe schweigen eisern – dabei müssen sie mehr wissen als sie zugeben. Fahndungserfolge gab es insbesondere nach der Wende viele. 1993 wurde schließlich Birgit Hogefeld geschnappt, eine der führenden Köpfe der sogenannten dritten Generation der RAF. Doch auch zu Zeiten, als sich die Festnahmen häuften, blieben echte Ermittlungsfortschritte meist aus. Viele Taten sind weiterhin nicht aufgeklärt, über die dritte Generation weiß man erschreckend wenig.

Verbohrtes Schweigen statt echter Reue

Das beharrliche Mauern der Ex-Terroristen triggert bei vielen Menschen ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Sie empfinden es als Hohn, wenn Menschen aus der Haft entlassen werden, obwohl sie weder Anzeichen von Reue gezeigt haben, noch jemals zur Aufklärung früherer Taten beigetragen haben. Sie wollen Entschuldigungen und Aussagen – kein stilles Vergessen und verbohrtes Schweigen.

Für die Täter ist das Schweigen möglicherweise alles andere als ein Zeichen von Kontinuität. Nach Jahren der Haft und Isolation starten sie in ein für sie völlig unbekanntes Leben. Die Taten von damals haben darin keinen Platz für sie. Ständig daran erinnert zu werden, mögen sie sogar als Provokation empfinden. Wie anders ist die Unterlassungserklärung von Brigitte Mohnhaupt aus dem Jahr 2007 zu erklären, dass sie nicht mehr „Mörderin“ genannt werden möchte? Das irritiert die Menschen. Sie können sich nicht in die Gedankenwelt von ehemaligen Terroristen hineinversetzen. Und das ist gut so.

Keine Antworten

Trotzdem suchen sie nach weiteren Erklärungen für das Ausbleiben jeglicher Antworten. Dass Daniela Klette mit Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub all die Jahre in Kontakt stand und mit ihnen mutmaßlich sogar weitere Straftaten verübte, lässt viele zu dem Schluss kommen, dass die Täter von heute und damals weiterhin vernetzt sind und zumindest aus Solidarität zueinander den Mund über die Anschläge und Morde halten. Scham vor den unfassbar grausamen Taten lassen die meisten als Motivation zur Aussageverweigerung zumindest nicht gelten.

Ob Scham, Solidarität oder fehlende Einsicht: Auch die zu erwartenden Festnahmen weiterer RAF-Täter werden wohl kaum zur umfassenden Klärung aller Umstände führen. Es wird zu weiteren Verurteilungen kommen, um zumindest formal den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Echte Aufklärung wird ausbleiben.

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Wunsch nach Stärke

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Es gab Hoffnung, es gab Mut und es gab die Möglichkeit – am Ene jedoch konnte Recep Tayyip Erdoğan die Stichwahl in der Türkei für sich entscheiden. Damit bleibt ein Mann an der Macht, der mit Demokratie nichts so recht anfangen kann und Menschenrechte für überbewertet hält. Besonders in Deutschland feiern viele Wahlberechtigte den Wahlsieg des türkischen Präsidenten. Man kann ihnen einerseits zugutehalten, dass sie von den Auswirkungen der Wahl nur indirekt betroffen sind. Andererseits ist ihr Hang zum Autokraten mehr als bedenklich.

Erfolgsserie

Recep Tayyip Erdoğan bleibt Staatspräsident der Türkei. Mit etwas über 50 Prozent der Stimmen konnte er die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden. Sein Herausforderer, der als gemäßigt geltende Kemal Kılıçdaroğlu, unterlag dem amtierenden Präsidenten nur knapp. Das Wahlergebnis sorgte weltweit für Aufsehen. In der deutschen Politik kritisierte Cem Özdemir (Bündnis ´90/Die Grünen) die Wiederwahl besonders heftig. Dem Bundesumweltminister ist es ganz und gar unverständlich, weswegen sich besonders die in Deutschland lebenden Wahlberechtigten zur Wahl eines lupenreinen Autokraten konnten hinreißen lassen.

Mit einem Stimmenanteil von fast zwei Dritteln fiel das Votum unter den Deutsch-Türken tatsächlich sehr deutlich aus. Ohne die loyale Stammwählerschaft aus Deutschland wäre die Entscheidung wahrscheinlich noch knapper ausgefallen. Eventuell hätte Erdoğan die Wahl sogar verloren.

Trotz allem verfügt der wiedergewählte Präsident auch in der Türkei über ein nicht zu unterschätzendes Wählerpotenzial. Auch wenn sein erneuter Wahlsieg vielen sauer aufstoßen dürfte – aus heiterem Himmel kam er sicherlich nicht. Erdoğan machte im Grunde das, was allen Autokraten zur Macht verhilft: Er nutzt die wirtschaftlich schwierige Situation des Landes zu seinem Vorteil. In typischer Diktatoren-Manier führt er den verunsicherten Menschen ein Horrorszenario vor Augen, welches unweigerlich eintreten würde, verließe man sich wieder auf Werte wie Menschlichkeit und Demokratie.

Die Türkei ist seit vielen Jahren ein Land, welches wirtschaftlich alles andere als gut dasteht. Horrende Inflationsraten haben die Menschen dort nachhaltig traumatisiert. Deswegen ist eine Gefahr wie Erdoğan nicht zu unterschätzen. Selbst wenn er die Wahl verloren hätte: Seine Niederlage wäre denkbar knapp ausgefallen. Auch wenn der schwindende Rückhalt für Erdoğan ein gutes Zeichen ist – seine Stärke ist weiterhin alarmierend und hätte auch bei einem Sieg von Kılıçdaroğlu erheblichen Schaden anrichten können.

Wahlkampf unter der Hand

Besorgniserregend ist Erdoğans starker Rückhalt in Deutschland allemal. Für die zahlreichen Stimmen der Deutsch-Türken gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Einerseits hat sich der türkische Präsident auch hierzulande um einen intensiven Wahlkampf bemüht. Eigentlich sind ihm direkte Wahlkampfauftritte untersagt. Trotzdem fand er Möglichkeiten, diese sinnvolle Regelung zu umgehen und in Deutschland vor seinen Anhängern zu sprechen – immer unter dem Deckmantel anderer Themen.

Auch die Anhänger von Kılıçdaroğlu machten hierzulande jede Menge inoffiziellen Wahlkampf. Massenhaft standen seine Anhänger in den Einkaufsstraßen der Republik bereit, verteilten Flyer und führten Gespräche, um den Menschen die Augen über den gefährlichen amtierenden Staatspräsidenten zu öffnen.

Die Wählerinnen und Wähler in der Türkei und in Deutschland eint, dass sie Erdoğan als starke Persönlichkeit wahrnehmen, dem sie die Führung eines Landes zutrauen. In ihren Augen ist er jemand, der die Dinge beim Namen nennt und Missstände nicht duldet. Die Nachteile seiner Präsidentschaft dürften aber zumindest in Deutschland, einem Land mit unabhängiger und freier Presse, offensichtlich sein. Es ist wahrscheinlich die räumliche Distanz, die den Wählerinnen und Wählern in Deutschland dabei hilft, über die Risiken hinwegzusehen. Sie haben nicht unter ihm zu leiden, wenn sie einer Minderheit angehören oder bestimmte Dinge anders sehen. Die Staatsführung der Türkei erleben sie in Deutschland aus sicherer Entfernung. Sie mögen sich Erdoğan verbunden fühlen – ihr Alltag ist er aber mit Sicherheit nicht.

Autokratenwunsch

Die Sehnsucht nach einer Persönlichkeit, die durchgreift und die Probleme wieder in Ordnung bringt, kann aber auch eine andere Ursache haben. Die Lebensrealität in Deutschland mit politischen Entscheidungen, die trotz demokratischer Wahlen und Ausdruckmöglichkeiten immer häufiger dem Willen der Mehrheit entgegenlaufen, schürt eine Stimmung, die Autokraten geschickt für sich nutzen können. Mit der Wahl Erdoğans haben die Deutsch-Türken ein weiteres Ventil, um diesem Frust luftzumachen. Dieses Potenzial darf man nicht unterschätzen.

Denn die Wahl Erdoğans hat nicht nur Auswirkungen auf die Türkei. Es ist auch ein schrilles Alarmsignal für die deutsche Politik. Auch wenn die Regierung an vielen Stellen versagt – türkische Verhältnisse haben wir noch lange nicht. Deutschland kann sich weiterhin mit Fug und Recht einen Rechtsstaat nennen. Alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben verbriefte Grundrechte, die ihnen anderswo verwehrt werden.

Verrat am Rechtsstaat

Trotz dieser verfassungsrechtlichen Garantien geben viele Menschen in Deutschland einem Mann ihre Stimme, der Werte wie Gleichberechtigung und Demokratie mit Füßen tritt. Obwohl diese Menschen jeden Morgen in einem funktionierenden Rechtsstaat wachwerden, verraten sie mit ihrer Stimme für Erdoğan die Demokratie.

Sie machen das nicht grundlos. Auch in Deutschland läuft einiges schief – inzwischen sogar schon so schief, dass ein beträchtlicher Teil der Deutsch-Türken quasi remote einen Autokraten an der Macht hält. Natürlich kann man das zum Anlass nehmen, um Auslandswahlen grundsätzlich zu kritisieren, weil die Wählenden aus der Ferne ganz anders geprägt sind als vor Ort. Andererseits gab die Wahl Erdoğans Aufschluss über den Zustand der deutschen Demokratie. Alle diese Menschen sind bereit dazu, einen Gegner der Menschenrechte im Ausland ins Amt zu hieven. Wenn ähnliche Stimmen nicht auf den deutschen Wahlzetteln landen sollen, muss die Regierung dringend ihre Politik überdenken. Die Wahl in der Türkei hat auf jeden Fall eines gezeigt: Mitreden wollen viele der Deutsch-Türken.

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Ein demokratisches Desaster

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Corona ist jetzt eine Endemie. Trotzdem wird es ein Zurück nie geben. Zu viel Schaden hat das Virus dafür angerichtet. Vieles, was wir als selbstverständlich erachteten, wurde in Frage gestellt, zahllose Menschen sind dem Virus zum Opfer gefallen. Ein noch tieferer Riss geht seit der Pandemie durch unsere Gesellschaft. Die gesellschaftliche Stigmatisierung Ungeimpfter hat auch in Deutschland Spuren hinterlassen. Eine Diskussion über mögliche Impfschäden wird das nicht kitten.

Es war im Frühjahr 2020, als Deutschland und die Welt glaubte, bald wieder zum Normal zurückkehren zu können. Das neuartige Coronavirus hatte die Menschen zutiefst entsetzt und ihnen gezeigt, dass vieles, was sie für selbstverständlich halten, brüchig und instabil ist. Auch wenn sich damals viele darüber im Klaren waren, dass sie noch lange an das Virus denken würden, waren die langfristigen Folgen der Pandemie kaum abzusehen. Erst nach und nach wurde den Menschen bewusst, dass Corona viele Bereiche des Lebens nachhaltig beeinflussen würde.

Viraler Katalysator

Dass SARS-Cov-2 mehr als nur ein Virus war, wurde schnell offensichtlich. Schon in den ersten Monaten der Pandemie war die Brennglas-Metapher so oft benutzt worden, dass es verwundert, dass es dafür nicht auch eine Inzidenz gab. Corona zeigte schonungslos auf, welche Bereiche des öffentlichen Lebens in den Jahren zuvor besonders sträflich vernachlässigt worden waren. Mehr als je zuvor waren die Krankenhäuser am Limit, an vielen Schulen ließen sich nicht einmal die Fenster öffnen, die Abhängigkeit von ausländischen Importen rächte sich bitter.

All diese Probleme hätten ohne das Virus sicher noch eine Weile gemütlich vor sich hingeschwelt, Corona hat deren Entwicklung nur beschleunigt. Auch in anderen Bereichen wirkte das Virus als Verstärker vorhandener Trends. Während man auf den Digitalisierungsschub seit 2020 fast stolz sein kann, war die Pandemie sicher kein Glücksfall für die Demokratie.

Querdenker sind out

Das Virus und die damit einhergehenden Maßnahmen seien eine „demokratische Zumutung“. So fasste es die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) treffend zusammen. Corona brachte eine neue Dimension des Protests zum Vorschein: Sogenannte Querdenker versammelten sich monatelang regelmäßig und skandierten in den Straßen. Beim Anblick dieser wütenden Menge aus Ex-Pegisten, Verschwörungstheoretikern und Für-dumm-Verkauften war den meisten Fensterzuschauern dieses Mal bestimmt nicht nach Klatschen zumute.

Seit vergangenem Jahr sind die Proteste leiser geworden. Mit Omikron ging die akute Pandemie in eine Endemie über. Wer 2022 auf die Straße ging, ist nicht einfach verschwunden: Diese Menschen gibt es noch immer. Sie sind nicht still geworden, weil sie ihren Irrweg eingesehen haben oder weil sie von der Ampel bekehrt wurden. Ihren Frust leben sie nun wieder im Verborgenen aus. Das Problem für die Demokratie ist weniger offensichtlich geworden, aber es ist noch immer da.

Mit der Dominanz der Omikronvariante und dem Wegfall weitreichender Schutzmaßnahmen hat sich der aktive und laute Protest erübrigt. Inzwischen diskutiert sogar der Mainstream über Impfkomplikationen und -schäden nach einer Coronaimpfung. Wer diese Schicksale noch vor einigen Monaten ansprach, dem wurden die schlimmsten Unterstellungen gemacht: Solche Menschen galten als unbelehrbare Coronaleugner, sie wurden als Querdenker und Verschwörungstheoretiker diffamiert, die überfüllten Intensivstationen waren ihnen egal.

Nichts begriffen

Zum Glück ist man inzwischen weiter. Die Debatte um die Nachteile der neuartigen Corona-Impfstoffe hat eine rationale und sachliche Ebene erreicht. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der Wind hat sich jedoch sehr schnell gedreht. Der Sinneswandel von vielen ist eher auf Gruppendynamiken und weniger auf Überzeugung und Glaubwürdigkeit zurückzuführen.

Auch in der öffentlichen Diskussion über den Umgang mit Ungeimpften in der Pandemie gibt es Lücken. So hinterfragt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung zwischenzeitlich die Sinnhaftigkeit von Lockdowns und 2G. Es wird darüber geredet, dass es falsch war, Ungeimpften den Zutritt zu Restaurants, Kinos und Friseursalons zu verwehren – und bestenfalls einen marginalen Einfluss auf die Pandemiebekämpfung hatte. Die gesellschaftliche Stigmatisierung, die Ungeimpfte über sich ergehen lassen mussten, wird jedoch kaum erwähnt. Noch immer wird viel zu wenigen zugebilligt, sich aus rationalen Gründen gegen eine Coronaimpfung entschieden zu haben. Sie erfahren auch heute keine Rehabilitierung. Wie schon 2021 sind sie unsichtbar.

Zerrissene Gesellschaft

Auch wenn viele heute zurückrudern: Der Umgang mit Ungeimpften in der Pandemie war eine Sternstunde der Demokratiefeindlichkeit. In der Bundesrepublik wurde eine Bevölkerungsgruppe niemals zuvor in vergleichbarer Art und Weise ausgeschlossen und mit latenter Feindseligkeit überzogen. Alle Mechanismen, die so etwas verhindern sollten, haben versagt.

Offene Demokratiefeinde rieben sich die Hände. Sie boten vielen Ungeimpften weit mehr als eine neue politische Heimat. Sie gaben ihnen das Gefühl, sie zu verstehen und bestärkten sie in ihrer Wut auf den Rest der Gesellschaft. Auf beiden Seiten entstand ein Teufelskreis, der die Gesellschaft entzweite.

Nicht demokratiefähig?

Corona hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass es Grenzen der Demokratiefähigkeit in der Bevölkerung gibt. Das Virus war ein weiterer Beleg dafür, dass die beste aller Regierungsformen in der Krise schwieriger funktioniert. Schon in weitaus beruhigteren Zeiten ist das Ringen um eine gemeinsame Lösung alles andere als leicht. Das Virus verstanden viele zurecht als existenziellen Angriff – und der Mensch schaut naturgemäß zuerst nach sich und erst dann nach den anderen.

In der Retrospektive sind viele sicher bestürzt über den Schaden, den die Demokratie in der Coronazeit genommen hat. Doch die Pandemie ist vorbei, die Angelegenheit kann leicht totgeschwiegen und unter den Teppich gekehrt werden. Eine breite Debatte darüber, wie groß und nachhaltig der Schaden an Rechtsstaat und Demokratie jenseits von Querdenkern und Co. ist, fand bis heute nicht statt. Andere Krisen haben Corona überlagert. Sie setzen fort, was Corona erst richtig zum Laufen brachte: Die Einteilung der Bürger in Gut und Böse.


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