Protest aus der Komfortzone

Lesedauer: 9 Minuten

Sie sind laut, sie sind bunt und sie sind unbequem. Sie sind aber auch realistisch, vernünftig und angepasst. An den Grünen scheiden sich die Geister. Viele sehen in der Partei den Ausweg aus der Klimakrise, andere den Untergang des Abendlands. Kaum eine andere Partei muss solch unterschiedlichen Rufen gerecht werden. Und nicht viele Parteien haben einen solch bemerkenswerten Wandel durchgemacht wie die Grünen. Früher verschriener Protestverein für abgehobene Vögel, heute eine Partei, die auch Mainstream kann. Dieser Wandel ebnete den Grünen den Weg in verschiedene Regierungsämter. Doch alles hat seinen Preis.

Politische Kindheitserinnerungen

Ich war zehn Jahre alt, als bei der Bundestagswahl 2002 Edmund Stoiber von der CSU gegen den amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD antrat. Es war die erste Bundestagswahl, die ich bewusst wahrnahm. Am Wahlabend fragte ich meine Eltern gespannt, wem sie ihre Stimme gegeben hatten. Hatten sie Schröder oder Stoiber gewählt? Meine Eltern blickten sich merkwürdig an. Vielleicht erkannten sie durch ihren Blick, dass sie unterschiedlich gewählt hatten. Vielleicht flehten sie den anderen aber auch nur wortlos an, eine kindgerechte Erklärung für das deutsche Wahlsystem zu finden. Denn woher soll ein Zehnjähriger denn wissen, dass man in seinem Ort weder den einen noch den anderen direkt wählen kann?

Ob meine Eltern überhaupt antworteten und wenn ja, was sie mir entgegneten, weiß ich heute nicht mehr. Doch eines weiß ich noch immer: der Showdown lief zwischen Union und SPD, aber da war noch eine dritte Kraft, die um Gedeih und Verderb mitmischen wollte. Es war die Partei, die sämtliche ihrer Wahlplakate mit der Blüte einer Sonnenblume schmückte. Den Wahlkampf vor achtzehn Jahren erlebte ich als ein Kräftemessen zwischen den beiden großen Volksparteien und der grünen Partei, die irgendwie da war, die ich aber damals nur halbernst nahm.

Eine Partei für die Bauern

Als zehnjähriger Junge musste man mir nicht erklären, wofür eine Partei stand, welche die Farbe der Natur im Namen trägt. Das musste eine Partei sein, die sich den Schutz derselben und den Erhalt einer lebenswerten Umwelt auf die Fahne geschrieben hatte. Aber trotzdem nahmen viele sie nicht ganz ernst, war sie doch auch ein Auffangbecken für Ökos, Menschen mit alternativem Lebensstil und solchen Leuten, deren Sinn für Natur und Umwelt fanatische Ausmaße erreichte. Ich stempelte die Grünen für mich als eine Partei ab, die hauptsächlich von Bauern gewählt wurde. Immerhin verstand ich, dass Bauern auf eine intakte Natur angewiesen waren. Außerdem blühten auf dem Land häufig ganz besonders prächtige Sonnenblumen.

Meine Einstellung zu der Partei hat sich im Laufe der Jahre genau so verändert wie die allgemeine Akzeptanz, die sie heute erfährt. Die Wahlergebnisse der einstigen Nischenpartei sprechen wahrlich Bände. Auf Bundesebene tut sie sich nach wie vor schwer, auf zweistellige Ergebnisse zu kommen, doch in den Bundesländern sind die Grünen längst hinter den Regierungsbänken angekommen. In Baden-Württemberg sind sie sogar regierungsführend. Die Splitterpartei von gestern ist zur Regierungspartei von heute herangewachsen.

Umweltschutz und ganz viel anderes

Auch wenn die Grünen in manchen Punkten unbequem geblieben sind, den Rang als Alternative hat ihnen eine andere Partei abgelaufen. Auch wenn die AfD mitnichten eine erstrebenswerte Alternative ist, hat es die rechtspopulistische Partei geschafft, den Begriff „Alternative“ umzudeuten. Heute gelten viele Wähler der Grünen nicht mehr als Menschen, die einen alternativen Lebensstil pflegen. Der Lebensstil derer, die damals als versponnen galten, drängt sich heute mehr und mehr in den Mainstream. Wurden die Grünen früher als eine Partei wahrgenommen, denen es fast ausschließlich um Frieden und Umweltschutz ging, haben sie sich im Laufe der Jahre zu Vorreitern für einen hippen grünen Lebensstil entwickelt.

Der Erhalt unserer Natur ist den Grünen nach wie vor eine Herzensangelegenheit geblieben. Doch abgesehen von einigen verstärkten Bemühungen während der Fridays-for-Future – Phase rutschte das für diese Partei einst so wichtige Thema immer weiter in den Hintergrund. Verschwunden ist es selbstverständlich nie, doch wirtschafts- oder finanzpolitische Entscheidungen hätte man der Partei vor gut 25 Jahren sicher nicht zugetraut.

Bürgerlich und links in einem

Die Grünen konnten ihren Wählerstamm von damals um viele weitere Stimmen erweitern. Wählerschichten, denen die Grünen in den 1990ern noch mindestens suspekt waren, geben der Partei, die sich offiziell dem Frieden und den Sonnenblumen verschrieben hat, heute wohlwollend ihre Stimme. Immer deutlicher lassen sich im großen und ganzen zwei Wählerlager unterscheiden.

Da sind zum einen die Überzeugungswähler, denen Artenerhalt und Friedensbemühungen wirklich über alles gehen. Vielen von ihnen würde nicht im Traum einfallen, einer der anderen kriegstreiberischen und umweltfeindlichen Parteien die Stimme zu geben. Auf der anderen Seite stehen die Wähler, die mit der generellen Stoßrichtung der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zwar übereinstimmen, dem ganzen aber gerne einen grünen Anstrich verpassen würden. Ihnen macht es keine Umstände, eine Partei zu wählen, die für viele andere für höhere Stromkosten und teureres Autofahren steht. Diese Gewissenswähler haben das Gefühl mit der Wahl der Grünen etwas gutes zu tun, weil sie es sich leisten können.

Regieren hat seinen Preis

Die Protestpartei der 1980er hat sich zu einer angepassten, beinahe konformistischen Partei gewandelt. Der Weg dorthin war lang und sicherlich auch steinig. Paradebeispiel für diesen Wandlungsprozess ist Joschka Fischer. Der ehemalige Außenminister und Vizekanzler verkörperte am Ende der Ära Rot-Grün fast nichts mehr von dem, für was er Jahre zuvor noch gestanden hatte. Machte er im Jahr 1984 noch durch seinen berüchtigten Zwischenruf von sich reden, hat er sich auch äußerlich dem Regieren angepasst. Der legere Auftritt mit Turnschuhen war Jackett und Hemd gewichen. Noch heute erlaubt der Aufzug mancheines Grünen Rückschlüsse darauf, ob er den bürgerlich-liberalen Flügel der Partei vertritt oder zum eher linken Flügel gehört.

Als Protestpartei waren die Grünen unbequem und verschrieen. Allgemein wurden sie gemieden. Sie wollten die Gesellschaft von Grund auf verändern, etwas bewegen im Land. Eine reine Protestpartei ist zum Regieren allerdings denkbar ungeeignet. Die Grünen haben das begriffen. Sie haben verstanden, dass man das Land erst dann verändern kann, wenn man bei sich selbst damit anfängt. Sie sind die vielleicht flexibelste Partei, die derzeit im Bundestag sitzt. Wie bereits die SPD mit dem Godesberger Programm von 1959 hat sie eine Metamorphose angestoßen, die zwar Opfer kostete, aber letzten Endes in Regierungsfähigkeit mündete.

Trotzdem wenden sich viele ehemalige Stammwählerinnen und -wähler von den Grünen ab. In ihren Augen ist die Partei zu einem Pappaufsteller geworden, der umkippt, sobald man ihn nur leicht anpustet. Von Beliebigkeit und Machtgier ist die Rede. Winfried Kretschmann beispielsweise wird vorgeworfen, er hätte seine Partei bis zur Unkenntlichkeit an die CDU angenähert, ein Unterschied wäre immer schwerer erkennbar. Nicht nur die Wandlung hin zu einer regierungsfähigen Partei haben die Grünen mit der SPD gemeinsam. Auch der ihnen vorauseilende Ruf, viel zu versprechen, nur um die Regierungssessel einzusitzen, wird ihnen immer mehr zum Hindernis.

Von der Protest- zur Verbotspartei

In aktuellen Umfragen sind die Grünen weiterhin zweitstärkste Kraft hinter der Union. Corona hat ihre Zustimmungswerte zwar etwas gedämpft, deutlich zweistellig sind sie in den Befragungen aber weiterhin. Es gibt also immer mehr Menschen, die den Grünen ihre Stimme geben würden. Bei vielen anderen Wählerinnen und Wählern allerdings wächst der Unmut gegen die Partei ins beinahe unermessliche. Für sie mutiert die grüne Partei immer mehr zum roten Tuch. Sie verstehen sie als Verbotspartei, die daran arbeitet, Deutschland abzuschaffen. Der von den Grünen propagierte linksliberale Lifestyle wirkt abstoßend auf sie.

Und das liegt tatsächlich weniger an den konkreten Zielen der Grünen, sondern eher daran, wie sie die Message transportieren. Ihre Botschaften klingen bevormundend und abgehoben. Lange haben sie den Bezug zu den Menschen verloren, für sie einst in den Parlamenten stritten. Das ist eigentlich wirklich tragisch. Denn viele der sogenannten Protestwähler der AfD wären bei den Grünen wunderbar aufgehoben. Stattdessen malen sie die Partei in den schwärzesten Farben und werfen ihnen vor, Volksverräter zu sein.

Sozialpolitisch stehen die Grünen für eine gestärkte öffentliche Daseinsvorsorge. Sie wenden sich gegen prekäre Beschäftigungen und Ausbeutung in den Betrieben. Kurzum wollen sie, dass es gerecht zugeht und dass jeder die gleichen Rechte hat. Das wollen sicherlich auch viele, die ihr Kreuzchen inzwischen bei den Rechtspopulisten gemacht haben. Aber indem die Grünen jeden, der billiges Fleisch kauft oder gegen Fahrverbote auf die Straße geht, ins Schäm-dick – Eck verweist, bauen sie eher Mauern auf als sie niederzureißen.

Mit ihrer Rhetorik haben sie den Kontakt zur Lebensrealität vieler Menschen verloren, die zwar gerne Mustermenschen sein würden, sich das aufgrund ihrer konkreten Lebensverhältnisse aber nicht leisten können. Es ist sehr einfach, auf Dinge zu verzichten, wenn man die Alternative kennt und nutzen kann. Wer allerdings weniger hat, der schreit völlig zurecht auf, wenn man ihn für das wenige kritisiert. Und deswegen haben die Grünen vor langer Zeit aufgehört, eine Partei für die Bauern zu sein.


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Unreif, uneinig und gefährlich

Lesedauer: 10 Minuten

Tritt ein Mitglied der AfD an das Redepult im Parlament, so ist Inhalt selten zu erwarten. Die Rechtspopulisten gebrauchen die Öffentlichkeit der politischen Debatte viel lieber dazu, um Stunk zu machen und sich zu inszenieren. Ihre Parlamentsmandate waren ihr Eintrittsticket zur politischen Manege, wo sie keine Gelegenheit auslassen, den parlamentarischen Betrieb zu blockieren oder lächerlich zu machen. Die Partei von rechts-außen hat es inzwischen leider geschafft, tief in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs vorzudringen. Ihr ist es gelungen, Sprache umzudeuten und durch geschickte Stimmungsmache darüber hinwegzutäuschen, dass sie in Wahrheit nie aufgehört hat, eine politische Bewegung zu sein.

Extrawurst von rechts

Die Corona-Krise stellt uns gleich vor mehrere große Herausforderungen. Natürlich ist da zu allererst die medizinische Versorgung der Erkrankten und die Prävention vor Ansteckungen. Immer lauter wird aber auch die Frage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen. Die strengen Maßnahmen, die bis vor wenigen Wochen galten, stellen viele Betriebe vor schier unlösbare Probleme. Viele bewegen sich am Rande des Existenzverlusts und nehmen die staatlichen Hilfen nur zu gern in Anspruch. Eine heftige Rezession wird das allerdings kaum abwenden dürfen, zu lange blieb schlicht die Nachfrage aus.

Völlig zurecht debattierte der Bundestag daher bereits Ende Mai über die Frage, wie die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie am besten abgefedert werden könnten. Die Zahl der Neuinfektionen war zu diesem Zeitpunkt bereits leicht rückläufig; der wirtschaftliche Aspekt gewann an Relevanz. Die vorgestellten Lösungsansätze waren dabei wahrscheinlich so vielfältig, wie es sich für ein Sechs-Fraktionen – Parlament gehört. Leider schoss dabei eine Fraktion wieder einmal quer. Man braucht keine Glaskugel, um zu ahnen, welche das war.

Der AfD-Abgeordnete redete zunächst starke fünf Minuten über das Thema, wirklichen Inhalt lieferte er wenig überraschend trotzdem nicht. Dann allerdings machte er in seinem letzten Satz eine Bemerkung, die durchaus als Highlight seiner viel zu drögen Rede bezeichnet werden kann. Er meinte, dass Deutschland viel mehr direkte Demokratie bräuchte.

Reden wir über Parteifinanzierung

Beinahe ist man verleitet, ihm einerseits recht zu geben und zu argumentieren, dass alle vier Jahre Kreuzchen-Machen eben nicht ausreicht. Andererseits könnte man ihm entgegnen, dass es in unserem Land ausreichend Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger gibt. Wesentlich nervenschonender ist es allerdings, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass der gute Mann mit seinem letzten Wort zwar die Aufmerksamkeit zurückgewann, aber leider zielgenau das Thema verfehlte. Das Thema der Debatte waren die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und nicht die Notwendigkeit irgendwelcher plebiszitären Experimente. Es ist entlarvend, dass der AfD-Mann gerade dann Inhalt lieferte, als er so konsequent das Thema ignorierte.

Mit dieser Taktik steht er nicht alleine da in seiner Fraktion. Dass öffentliche Wortbeiträge im Plenum regelmäßig von der AfD dazu missbraucht werden, um den Zuhörern Themen unterzujubeln, die gerade gar nicht zur Debatte stehen, verwundert zwischenzeitlich keinen mehr. „Flüchtlinge raus“ und Forderungen nach dem Rücktritt der Bundeskanzlerin sind von der AfD selbst dann zu hören, wenn das eigentliche Thema meilenweit davon entfernt ist. Oder wer könnte den legendären Auftritt von Alice Weidel im Jahr 2018 vergessen, als ihr in der Debatte um den Bundeshaushalt nichts besseres einfiel, als die politische Planlosigkeit ihrer Partei mit dem Thema Spendenskandale zu übertünchen?

Doch politischer Analphabetismus und Inhaltslosigkeit ist nicht das einzige, wovon diese Reden zeugen. Noch viel deutlicher ist daraus eine tiefe Abneigung gegen den Parlamentarismus zu lesen. Enrico Komning von der AfD mag mehr direkte Demokratie gefordert haben, gemeint hat er allerdings weniger parlamentarische Demokratie. Der Rechtsaußen-Partei sind die Spielregeln des Parlaments wurschd. Sie sind davon überzeugt, dass ihr Bundestagsmandat gleichbedeutend damit ist, dass sie über die Tagesordnung bestimmen dürfen, wie sie wollen.

Diese Verachtung des parlamentarischen Systems macht die AfD quasi jeden Tag in den Ausschüssen deutlich. Im Plenum erreicht sie wenigstens ausreichend Klickzahlen und Likes für ihre abstrusen Thesen. Was im Ausschuss vor sich geht, interessiert doch sowieso keinen, schon gar nicht die Rechtspopulisten. Viel mehr Aufmerksamkeit bringt es doch, wenn man den parlamentarischen Betrieb bei jeder Gelegenheit so richtig aufmischt. Die Debatten im Bundestag wurden seit Einzug der AfD spürbar hitziger. Es kann auch vorkommen, dass die Partei komplett aus dem Parlament auszieht, wenn ihr was nicht passt. Das Plenum ist die Bühne der AfD, nur dort fühlt sie sich wohl. Und nur dort lässt sie sich zu teils widerlichen Aktionen hinreißen wie beispielsweise der inszenierten Schweigeminute 2018.

Weniger ist mehr

Doch nicht nur die Tagesordnung des Bundestags wird von der AfD nach Belieben erweitert oder geändert. Auch die Bedeutung mancher Begrifflichkeit hat sich verändert, seit Rechtsaußen sein düsteres Comeback feiert. Nie seit Pegida Montag um Montag auf die Straße ging, wurden Begriffe wie Meinungsfreiheit, Demokratie und Rechtsstaat so oft verwendet, wie es seitdem der Fall ist. Immer wieder wurden diese Begriffe bemüht. Angeblich wollen die sogenannten Wutbürger diesen Themen wieder neuen Glanz verleihen. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten: Seitdem diese Begriffe so häufig und so sorglos in jede beliebige Debatte eingeworfen werden, haben die Ideen dahinter erheblichen Schaden genommen.

Denn mit der Sprache ist es wie mit dem Geld: Bei Inflation verliert beides an Wert. Die AfD redet oft und gerne von Sozialismus und Planwirtschaft. Da reicht es schon aus, wenn die FDP den Grünen in einem einzigen Punkt entgegenkommt. Mit echtem staatsverordnetem Sozialismus wie es ihn noch zu DDR-Zeiten gab, hat das rein gar nichts zu tun. Letztendlich ist dieser inflationäre Gebrauch einzelner Begriffe ein probates Mittel, um diesen Worten entweder den Schrecken zu nehmen oder das positive, was dahintersteckt. Danach kann die Bedeutung des Worts nach Belieben uminterpretiert werden. Manchmal machen es die anderen Parteien der AfD aber auch viel zu leicht. Auch Begriffe wie Nazi oder Faschismus wurden nach meinem Empfinden in den letzten Jahren viel zu häufig und viel zu unreflektiert verwendet.

Eindimensional und reaktionär

Diese Umwertung von Sprache ist der AfD in manchen Fällen fast vollständig gelungen. Erklärte Gegner der AfD sind aus Sicht der Rechten fast automatisch Grüne und damit Gutbürger. Wie es der AfD gelungen ist, das Wort „gut“ binnen kürzester Zeit zum Wort „schlecht“ umzudeuten, wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Aber es ist wie es ist: Gutbürger sind genau so wenig schlecht wie selbsternannte besorgte Bürger sich tatsächlich Sorgen machen. Diese Menschen machen sich keine Sorgen, sie haben Angst. Und diese Angst nutzt die AfD, um mehr und mehr von ihnen auf ihre Seite zu ziehen.

Aber im Grunde passt das zu einer Partei, die es mit fehlender politischer Kompetenz und einem Faible für Monothematik ins Bundesparlament geschafft hat. Seit Jahren hangelt sich die AfD von Thema zu Thema, welches sie, eines nach dem anderen, abarbeitet und ihm seinen Stempel aufdrückt. Mit mehreren Themen gleichzeitig wäre diese rein reaktionäre Partei auch heillos überfordert. Denn die AfD ist eine Partei, die vom Impuls lebt. Immer wieder muss sie neue Impulse geben, um im Gespräch zu bleiben. Sie dehnt die Grenzen aus, zum Beispiel die des sagbaren, und hält sich so über Wasser.

Wahnsinn mit Partei

Doch die Halbwertszeit von reaktionären Parteien und Bewegungen ist in der Regel ziemlich gering. Auch die AfD bekommt das immer wieder vor Augen geführt. Seitdem sie sich im Bundestag als Fraktion formiert hat, sind insgesamt fünf Mitglieder ausgetreten und gehen dem Rest des Parlaments seitdem als Fraktionslose nicht mehr ganz so oft auf die Nerven. Immer wieder betont die Fraktionsspitze, solche Entwicklungen seien in einer solch jungen Partei nicht weiter verwunderlich. Sie verweisen darauf, dass es gerade zu Beginn einer Parteigeschichte immer wieder zu Kurskorrekturen und abtrünnigen käme, das sei völlig normal. Man fragt sich allerdings schon, warum die AfD dann überhaupt zur Bundestagswahl angetreten ist, wenn der Parteiformierungsprozess offensichtlich noch nicht abgeschlossen ist.

Die Antwort darauf ist eigentlich ziemlich simpel. Die AfD hat sich aus der Not heraus zu einer Partei formiert. Einige Monate vor der Bundestagswahl 2013 war sie auf einmal da und mischte bereits diese Wahl auf. Sie scheiterte damals zwar noch knapp an der Fünf-Prozent – Hürde, beachtlich war ihr Wahlergebnis nach so kurzer Zeit aber allemal. Ihren Erfolg verdankte die AfD seitdem vor allen Dingen der Bewegung Pegida. Doch eine Bewegung kann nicht in den Bundestag einziehen. Wie praktisch, dass es da die AfD gab. Es ist sicher keine Übertreibung, wenn man sagt, dass die AfD der verlängerte Arm von Pegida im Bundestag ist.

Und dann?

Als Partei gibt die AfD übrigens ein ziemlich schlechtes Bild ab. Der Riss innerhalb der Partei geht immer tiefer. Lange ist klar, dass sich die wirtschaftsliberalen Kräfte immer weiter von den nationalistischen entfernen. Das ist auch überhaupt kein Wunder, schaut man sich die Forderungen der AfD etwas genauer an. Die meisten von ihnen sind von sehr kurzfristiger Natur. Sie sind auch sehr einfach gehalten, denn „Merkel muss weg“ und „Flüchtlinge raus“ kann nun wirklich ein jeder folgen.

Diese Forderungen sind allerdings viel zu kurzfristig, als dass sie ernsthaft als Haftmittel für die Partei taugen könnten. Hört man sich die Forderungen der AfD an, setzt fast automatisch der Reflex ein: „Und dann?“ Denn genau das ist die große Frage. Was kommt denn, wenn Merkel weg ist? Was soll sich an den sozialen Missständen im Land denn ändern, wenn alle Asylbewerber abgeschoben sind? Bisher hat die AfD darauf noch keine Antwort gefunden. Sie ist eine Partei, der es vor allem an politischer Reife mangelt. Leider aber nicht an Wählergunst…


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Klare Kante gegen rechts?

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Von der Flüchtlingskrise hat keine andere Partei so sehr profitiert wie die AfD. Auch die Debatte um die Klimakrise konnte die nationalistische Partei nutzen, um sich über Wasser zu halten. Seit Corona schwächelt die Partei zwar, es gibt aber weiterhin eine beträchtliche Zahl an Menschen, die ihr die Stimme geben würde. Viele sind entsetzt darüber, dass eine inzwischen so offen rechtsextreme Partei so viele potentielle Wähler anzieht und sich gleichzeitig bürgerlich nennt. Die Reaktion der wirklich bürgerlichen Parteien ist verhalten bis destruktiv. Anstatt klare Kante gegen rechts zu zeigen, verbrüderten sich Union und FDP in Thüringen mit der AfD. Gemeinsamer Feind ist Rot-Rot-Grün. Immer offener treten Ähnlichkeiten zwischen den drei Parteien auf, die über eine Ablehnung des progressiven Lagers hinausgehen.

Nach der skandalösen Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten am 5. Februar 2020 bezeichnete AfD-Chef Alexander Gauland seine Partei als eine bürgerliche Partei. Er wird seitdem nicht müde, diese Behauptung immer wieder zu wiederholen. Auch als die Personalie Bernd Höcke in den vergangenen Monaten wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, bezeichnete er den offiziellen Faschisten als die Mitte der Partei, auch wenn er sich damit oftmals missverstanden fühlte. Der leidenschaftliche Hundekrawattenträger schwadronierte und träumte von einer in seinen Augen bürgerlichen Mehrheit, die den verhassten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu Fall bringen würde. Nun wissen wir alle in der Zwischenzeit, dass Gaulands feuchte Träume nicht ganz aufgingen: Ramelow ist weiter Ministerpräsident, wenn auch nur auf Abruf, und Höckes Flügel musste sich zumindest pro forma auflösen.

Eine bürgerliche Partei?

Gaulands Behauptung, die AfD sei eine bürgerliche Partei, ist natürlich vollkommener Schwachsinn. Wenn die AfD tatsächlich eine bürgerliche Partei ist, steppe ich nackt durch die Straße und singe Loblieder auf den Kapitalismus. Beide Szenarien sollten uns besser erspart bleiben. Aber Klartext: Die AfD ist eine nationalistische, rückwärtsgewandte und zum Teil offen rechtsextreme Partei. Das hindert die Rechtsaußen-Partei allerdings nicht daran, sich das Gewand des Bürgertums überzuziehen und auch immer mehr Wähler aus diesem Spektrum zu gewinnen.

Denn von manchen inhaltlichen Ansichten her ist die AfD tatsächlich nicht so anders als die Parteien, die ihnen bei der Sitzverteilung in den Parlamenten am nächsten sind. Gerade im bürgerlichen und wirtschaftsliberalen Lager kann die AfD immer mehr punkten. Nicht nur die FDP spinnt fleißig die Legende vom faulen Hartz-IV – Empfänger, der den wahren Leistungsträgern der Gesellschaft auf der Tasche liegt. Sie sehen das Problem weniger im System des Arbeitslosengelds II, sondern viel mehr in dessen Empfängern. Bei der AfD kommt meistens noch die Komponente des Migrationshintergrunds dazu, wenn sie den Begriff Hartz-IV in den Mund nimmt.

Herrenüberschuss und Kinderfeinde

Ähnliches gilt für das Frauenbild, welches in allen Parteien rechts der Grünen vorherrscht. Union und FDP halten sich mit antifeministischen Äußerungen zurück, doch es sind gerade die drei Parteien aus Gaulands bürgerlichem Lager, welche an einem chronischen Mangel an Frauen leiden. So kommen Union und FDP auf nur etwas mehr als 20 Prozent Anteil von Frauen in den Bundestagsfraktionen. Bei der AfD sind es gerade einmal kümmerliche 11 Prozent. Wie kann auch nur eine dieser Parteien es wagen, sich als Volkspartei zu bezeichnen, wenn Frauen, immerhin die Mehrheit in der Bevölkerung, nur so unzureichend vertreten sind?

Auch auf die Fridays-for-Future – Demos im letzten Jahr fanden die drei angeblich bürgerlichen Parteien sehr ähnliche Antworten. Der Kanon des rechten Teils des Parlaments war stets der Vorwurf, es handle sich durch die Reihe um notorische Schulschwänzer. Mit ihren wenigen Jahren an Lebenserfahrung könnten die Kiddies bei dieser hochkomplizierten Debatte überhaupt nicht mitreden, das sei eine Sache für Experten. Man zweifelte außerdem die Ernsthaftigkeit der Bewegung an, weil sich ja angeblich kein einziger dieser Schüler in seiner Freizeit für dieses Thema einsetzte. Beinahe einstimmig kamen Union, FDP und AfD zu dem Ergebnis, die FFF-Demos seien ein Ergebnis einer linksrotgrün-versifften Jugend, die nur so großmaulig auf die Straße ging, weil sie in ihrem Leben noch keinen Cent an Steuern gezahlt hatte. Manche konnten diese Meinung diplomatisch ausdrücken, manche nicht.

Beleidigte Leberwürste

All diese Beispiele zeigen, dass Gauland mit einer Behauptung recht hatte: Die AfD steht Union und FDP tatsächlich näher als dem rot-rot-grünen Lager. Und auch nur so ist zu erklären, warum die Thüringer CDU und FDP so offen mit der Höcke-AfD kooperierte. Denn anders als SPD, Linke und Grüne sind Union und FDP nicht entsetzt über den Aufstieg der AfD – sie sind neidisch.

Apropos Neid: Kürzlich brachte die FDP-Fraktion im Bundestag einen Antrag ein, in dem sie für virtuelle Gerichtsverhandlungen warb. Sie hatte dabei alle anderen Fraktionen gegen sich, keine andere Fraktion konnte dem Antrag etwas abgewinnen. Anscheinend ging der Neid der FDP sogar so weit, dass sie wenigstens einmal anstelle der AfD erleben wollte, wie alle anderen Fraktionen gegen sie sind.

Angebot und Nachfrage

Trotzdem ist die AfD viel mehr als nur abgewanderte Wähler, denen die anderen Parteien nicht mehr bürgerlich genug sind. Die Wählerschaft der AfD ist nicht so homogen wie das bei anderen Parteien der Fall ist. Dennoch lassen sich im groben zwei Gruppen an Wählern ausmachen, welche der AfD ihre Stimmen geben. Da sind zum einen solche Wähler, denen FDP und vor allem die Union nicht mehr konservativ und wirtschaftsliberal genug ist. Wie unzufriedene Kunden haben sie sich ein neues Geschäft gesucht, weil die Qualität im alten nicht mehr gestimmt hat.

Und dann sind da noch solche Wähler, die immer wieder als die „Abgehängten“ von sich reden machen. Das sind die Menschen, die schon lange nicht mehr im Blickwinkel der Politik stehen. Teilweise schuften sie schwer und haben am Ende des Monats trotzdem nicht genug Geld in der Tasche, um sich einen gewissen Lebensstandard zu sichern. Es wird oft über sie gesprochen, wenn sie Glück haben auch zu ihnen, aber seit langem schon nicht mehr mit ihnen. Sie sind wie Kunden, die zigmal in ein Geschäft gingen und dann feststellten, dass das Regal mit ihren Waren stets leer war. Natürlich wandern sie dann zur Konkurrenz ab.

Genau dieser Wählergruppe gilt es ein Angebot zu machen. Wenn man deren Sorge und Nöte, ihre Lebensrealitäten mit allen Widrigkeiten endlich wieder ernstnähme, dann hätten sie auch keinen Grund mehr, einer Partei hinterherzulaufen, die Faschisten und Chauvinisten beherbergt. Ja, es sind Wähler abgewandert, weil die Union nicht mehr konservativ genug ist. Die AfD suggeriert das oft genug als den Schlüssel zu ihrem Erfolg. Das ist er aber nicht. Die AfD lebt davon, abgehängte Wählerschichten ein Angebot zu machen und für sich einzunehmen. Gewinnt man diese Wähler zurück, so haben die wenigsten der Konservativen noch einen Grund, der AfD die Treue zu halten. Mit einer Partei, die mit Müh‘ und Not dann vielleicht noch über die Fünf-Prozent – Hürde käme, könnten diese Wähler nichts mehr reißen.

Ein Bollwerk aus Enttäuschten

Es bringt also nichts, die AfD zu kopieren und eine härtere Gangart im Umgang mit Flüchtlingen anzukündigen. Wäre das der Fall, wäre die Rechtsaußen-Partei längst passé. Viel zu leicht lassen sich andere Parteien einreden, der große Fehler wäre fehlender Konservatismus und eine Abkehr vom Nationalstaat. Diese falschen Ansichten ermöglichen es den wirtschaftsliberalen Kräften in der AfD, die Protestwähler wie ein Bollwerk vor sich herzutreiben. Die neoliberalen Fantasien lassen sich am besten umsetzen, wenn die Partei von möglichst vielen gewählt wird, egal ob sie im Endeffekt von einer Entfesselung des Markts profitieren oder nicht. Würde man die wenigen ernsthaften sozialpolitischen Forderungen der AfD umsetzen, würde das definitiv zulasten derer gehen, die sich von der Politik der letzten Jahre im Stich gelassen fühlen. Solange sie das nicht durchschauen, wird sich an ihrer Situation nichts grundlegendes ändern. Und auch nicht an ihrem Grund, AfD zu wählen.

Jede Partei folgt einer Ideologie. Leider heiligt dabei viel zu oft der Zweck die Mittel. Wähler werden über vieles im unklaren gelassen, nur damit sie einer Partei ihre Stimme geben. Das ist grundsätzlich falsch. Bestimmt gibt es auch bei der Union eine ganze Reihe an Punkten, die einem Großteil der Bevölkerung zugutekommen. Doch gerade markthörige Parteien wie Union und FDP hatten es oftmals schwerer, alle Karten auf den Tisch zu legen, ohne Wähler zu vergraulen. Die AfD kann das besser. Und daher kommt der Neid.


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