Ehrlichen Herzens für den Klimastreik

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Die Proteste und Demonstrationen rund um den globalen Klimastreik am 3. März stehen weiterhin massiv in der Kritik. Die Aktivisten von Fridays for Future hatten zu den dezentralen Aktionen aufgerufen und sich damit teilweise gemeingemacht mit den radikalen Ideen und Protestformen der Letzten Generation. Schon im Vorfeld hatten die Organisatoren den Klimaradikalen die Hand gereicht. Blockaden und Klebeaktionen richten sich vorrangig gegen die Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung der Politik kommt bei den Aktivisten kaum vor.

Verzerrte Wahrnehmung

An dem Aufruf der Klimabewegung hatte es von Anfang an heftige Kritik gegeben. Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Forschung warfen den Jugendlichen vor, für ihre wahnwitzigen Ideen den Verkehr in mehreren Großstädten der Republik lahmzulegen. Ihr Protest, den sie unter dem Label „globaler Klimastreik“ vermarkteten, schieße weit über das Ziel hinaus. Viele kritische Stimmen störten sich dabei besonders an der Behauptung der Aktivisten, ihre Aktionen hätten eine globale Dimension erreicht. Sie verwiesen darauf, dass es zwar in vielen deutschen Städten entsprechende Demonstration gegeben hätte, dem Aufruf aber bei weitem nicht international gefolgt worden wäre. Nicht einmal in jedem europäischen Land hätte es vergleichbare Protestaktionen gegeben.

Ein Sprecher aus dem Bundesumweltministerium sprach sogar von einer verzerrten Wahrnehmung der demonstrierenden Jugendlichen: „Es ist mir vollkommen schleierhaft, wie man allen Ernstes davon ausgehen kann, dass diese kruden Ideen von der internationalen Gemeinschaft getragen würden.“ Auch die Angaben zu den Teilnehmerzahlen divergierten zwischen den unterschiedlichen Quellen erheblich. Sprach die Polizei von etwa 50 Teilnehmern vor dem Brandenburger Tor, so gingen die Organisatoren um Luisa Neubauer von rund 150.000 Demonstrierenden aus.

Scharf kritisiert wird auch, dass sich die Jugendlichen von Fridays for Future zu Sprechern einer gesamten Generation aufschwingen. Der Sprecher aus dem Ministerium dazu: „Die Demos sind ein bunter Mix aus Abiturienten, Studierenden und langzeitarbeitslosen Ü30ern. Haupt- und Realschüler findet man in den Protestzügen kaum.“

Ehrlichen Herzens für den Klimastreik?

Für massig Ärger sorgte auch der Wortlaut des Aufrufs zum Klimastreik. Die Initiatoren der Demo sprachen damit explizit alle Menschen an, denen die Rettung des Klimas und der natürlichen Lebensumgebung eine Herzensangelegenheit sei. Diese Aufforderung griffen die Aktivisten rund um die „Letzte Generation“ bereitwillig auf und kündigten schon im Vorfeld an, zahlreich bei den Protestzügen zu erscheinen.

Die Letzte Generation war in den vergangenen Monaten immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil sie mit fragwürdigen Aktionen für die Rettung des Weltklimas kämpfe. So sind deren Mitglieder bekannt dafür, sich auf Straßen festzukleben, um den Verkehr zum Erliegen zu bringen oder in Museen und Kunstausstellungen Lebensmittel auf die dort ausgestellten Kunstwerke zu werfen. Einige Kritiker werfen den Aktivisten daher radikale Methoden und die empfindliche Störung der rechtsstaatlichen Ordnung vor.

Das Extrem ist bequem

Aktive von Fridays for Future wollen von der Bedrohung durch die Letzte Generation indes nichts wissen. Alex Weißer, Organisator der Demo in Wuppertal, hat dazu eine klare Meinung: „Nur weil ein paar Spinner zu unserer Demo kommen, werden wir sie bestimmt nicht absagen. Wir haben ausdrücklich klargemacht, dass wir die Letzte Generation nicht dulden werden. Wir wollen grundsätzlich keine Fahnen von politischen Parteien oder Organisationen sehen.“

Trotz dieser Distanzierungsversuche waren am 3. März an mehreren Orten Banner und Transparente der Letzten Generation zu sehen. Bernd Flocke, erster Sprecher des thüringischen Gesamtverbunds der Letzten Generation, machte Fridays-for-Future – Chefin Luisa Neubauer sogar ein Angebot: „Wir finden es richtig, dass sie dieses immens wichtige Thema auf die Agenda setzt in einer Zeit, in der sich viele in einer Welt mit tagtäglichen Klimakatastrophen einrichten. In unserem Verein ist immer ein Platz für sie.“

Politische Reinwaschung

Die Präsenz der Letzten Generation beim Klimastreik kann kein Zufall sein. Denn abgesehen von schwachen Distanzierungsversuchen seitens Fridays for Future sind sich die beiden Bewegungen in mehreren essentiellen Punkten einig. Beide sehen in den Bürgerinnen und Bürgern die Hauptverantwortlichen für eine verfehlte Klimapolitik und eine Zunahme von Klimakatastrophen. Deswegen richten sich ihre Reden und Aktionen ausschließlich gegen Autofahrer und Konsumenten. Die Verantwortung einzelner Politiker kommt in ihrem Weltbild kaum vor.

Ihrer Meinung nach sind es die klimabequemen Bürgerinnen und Bürger, welche die Bundesregierung und die Konzerne zu ihrer klimaschädlichen Agenda zwingen. Mit dieser gewagten These waschen sie Politik und Wirtschaft von jedem Verdacht rein, etwas mit den verheerenden Folgen des Klimawandels zu tun zu haben. Die Kritik an dieser Sichtweise ist einhellig: Sie machen die Täter zu Opfern.

Die Mehrheit kann die Ansichten der Klimabewegung um Fridays for Future und die Letzte Generation nicht teilen. Sie können nicht nachvollziehen, wie deren haltlose Forderungen so viel Zulauf gewinnen können. Für sie steht weiterhin fest: Der Aggressor sitzt im Bundestag.

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Revolte der Helikopterkinder

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Es lebe die Vielfalt – aber bitte nicht bei uns: Mit der Ablehnung der Sängerin Ronja Maltzahn löste die Bewegung Fridays for Future kürzlich eine hitzige Debatte im Netz aus. Entzündet hat sich die Diskussion an der Begründung des Auftrittsverbots: Den Veranstaltern passte die Frisur der jungen Künstlerin nicht. In ihren Dreadlocks sahen sie eine nicht tolerierbare kulturelle Aneignung. Der Skandal zog weite Kreise, untergräbt aber das wichtige Anliegen, welches die Klimabewegung einst verfolgte. Heute wird Fridays for Future dominiert von gut situierten Kindern aus Akademikerfamilien, welche die Bewegung eher als Forum für ihre abstrusen Lebensentwürfe sehen.

Repolitisierte Jugend

2019 geschah etwas, was vielen nicht geheuer war: Zu Zehntausenden gingen in deutschen Großstädten Jugendliche und junge Erwachsene auf die Straße, um auf die Bedrohungen des menschengemachten Klimawandels aufmerksam zu machen und um eine effektivere Klimapolitik einzufordern. Sie wollten es nicht mehr hinnehmen, dass das Klima von Menschen gerettet wurde, die ihre eigenen Fehlentscheidungen nicht mehr erleben würden. Die jungen Menschen wussten sehr genau, dass sie die Leidtragenden einer verfehlten Klimapolitik sein würden.

Beinahe ehrfürchtig beobachteten die über 25-jährigen, wie die jüngere Generation Freitag für Freitag auf die Straße ging. Einige schlossen sich dem Protest an, Fridays for Future (FfF) blieb aber eine Bewegung der Jüngeren. Corona bereitete den Großdemos ein jähes Ende. Doch nach zahlreichen Online-Protestaktionen trauen sich die Anhänger von FfF inzwischen wieder auf die Straße.

Die Themenpalette der Demonstrantinnen und Demonstranten ist seit der Corona-Zwangspause sogar noch größer geworden. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mischen sich auch vermehrt Stimmen unter die Teilnehmenden, die ihre Solidarität mit dem angegriffenen Land bekunden. Beim globalen Klimastreik am 25. März 2022 wurde das Themenspektrum ein weiteres Mal erweitert: Zur Debatte stehen nun auch die Frisuren der Künstlerinnen und Künstler, die die Bewegung unterstützen.

Du hast die Haare (nicht) schön

Die Sängerin Ronja Maltzahn steht seither unfreiwillig im Fokus einer obskuren Debatte. Sie durfte bei der Kundgebung der Demo in Hannover nicht auftreten, weil sie ihre Haare zu Dreadlocks geflochten hatte. Die Organisatoren der Demo sahen darin eine imperialistische kulturelle Aneignung, die sie auf keinen Fall tolerieren konnten. Man stellte die Sängerin vor die Wahl: Haare ab oder Auftrittsverbot.

Das Netz war sogleich voll von solidarischen Kommentaren für beide Seiten. Der Zwischenfall bestimmte die Titelseiten, Ronja Maltzahns Haarpracht war in aller Munde. In Interviews bekräftigten die Verantwortlichen ihr Bekenntnis gegen Rassismus und kulturelle Aneignung. Sie könnten ihrem eigenen Anliegen nicht vehementer widersprechen. Wenn sich eine weiße Frau dazu entschließt, ihre Haare fortan als Dreadlocks zu tragen, dann hat das genau so wenig mit imperialistischem Denken zu tun wie wenn eine Luisa Neubauer ins Ristorante geht und sich eine Pizza bestellt.

Austausch statt Spaltung

Es ist eben kein imperialistischer Akt, wenn man sich von anderen Kulturen beeinflussen lässt und deren Gepflogenheiten oder deren Dress übernimmt. Es ist stattdessen ein Zeichen für einen lebendigen und gelingenden Austausch zwischen den Kulturen. Imperialistisch und rassistisch hingegen ist es, wenn man einer ethnischen Gruppe bestimmte Verhaltensweisen oder ein äußeres Erscheinungsbild zuweist und festlegt, dass nur diese Gruppe ungestraft so leben oder aussehen darf. Diese Herangehensweise verfestigt rassistische Stereotype und baut sie nicht ab.

Die Verfechter der Political Correctness lassen sich von einem Gruppendenken leiten, für das sie manch rechter Zeitgenosse beneidet. Ihr Weltbild lebt von Unterschieden. Ziel ist nicht, die Unterschiede abzubauen, um Chancengleichheit herbeizuführen. Ihnen geht es darum, die vorhandenen Unterschiede über Gebühr zu betonen oder sogar neue Gegensätze künstlich zu konstruieren. In ihrer Ideologie dürfen nur die Vertreter einer bestimmten definierten Gruppe über die Belange ebenjener Gruppe sprechen. Alles andere ist inakzeptabel und ein Angriff auf die aufgeklärte Gesellschaft.

Dabei übersehen sie, dass sie einer Denkweise Vorschub leisten, die ganz sicher nicht in ihrem Interesse ist. Die groteske Wahl, vor die man Ronja Maltzahn gestellt hat, beweist eindeutig latent autoritäre Denkmuster. Wenn die Entscheidung nur Unterordnung oder Verzicht lautet, hat das mit einer vielfältigen Gesellschaft nichts zu tun. Man bedient sich faschistoider Methoden und keiner pluralen.

Die Akademikerbewegung

Eigentlich ist die Welt vieler FfF-Aktivisten eine heile Welt. Sie haben sogar so wenige echte Probleme, dass sie sich ausgiebig über die Haare einer jungen Sängerin echauffieren können. Viele junge Klimaaktivisten müssen in der letzten Woche eines Monats nicht jeden Cent zweimal umdrehen. Von den steigenden Energiepreisen haben sie zwar gehört, betroffen sind sie davon aber nur peripher.

Sie verdanken es ihren Eltern, dass diese Probleme von ihnen ferngehalten werden. Klimafreundliches Handeln und Leben ist für sie kein Problem, weil sie es sich leisten können. Meistens handelt es sich bei den Demonstrantinnen und Demonstranten um Menschen, die das Gymnasium besuchen oder bereits ein Studium aufgenommen haben. Dieses höhere Bildungsniveau geht fast wie selbstverständlich einher mit der höheren Einkommensschicht der Eltern.

Real- und Hauptschüler hingegen sind bei den Demonstrationen chronisch unterrepräsentiert. Sie fühlen sich verprellt von den Forderungen nach höheren Lebensmittelkosten und dem generellen Verzicht auf ein eigenes Auto. Die energisch vorgetragenen Ziele der Bewegung stimmen nicht mit ihrer eigenen Lebensrealität überein. Ihre Familien können sich nicht regelmäßig mit Bio-Lebensmitteln eindecken und ihre Eltern sind womöglich auf das Auto angewiesen. Diese jungen Leute gehen Fridays for Future verloren.

Hoffnungslos verloren

Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine der drängendsten Menschheitsaufgaben unserer Zeit. Wenn wir nicht alles in unserer Macht stehende tun, dann werden wir sehr bald in jeden Sommer Bilder wie aus dem Ahrtal zu sehen bekommen. Weite Teile des Planeten werden unbewohnbar werden, weil der menschengemachte Klimawandel den Lebensraum Erde zerstört hat.

Als Fridays for Future gegründet wurde, da hatte die Bewegung den klaren Anspruch, diesem Problem entschlossen entgegenzutreten. Die Älteren waren neidvoll beeindruckt vom Engagement und dem politischen Gestaltungswillen der jungen Generation. Aktionen wie der Boykott von Dreadlocks bringt die Klimabewegung aber zunehmend in Verruf. Es schadet dem Kampf gegen den Klimawandel, wenn sich ein paar verzogene Gören zu Fürsprechern der Kulturen aufschwingen und die Demonstrationen doch nur als Podium zur Selbstdarstellung nutzen.

Die Rettung des Klimas und unserer Erde kann nur gelingen, wenn die Menschen zusammenstehen. Fridays for Future hat sich in eine Richtung entwickelt, mit der die Bewegung eher spaltet als eint. Es gab ein kurzes Zeitfenster, als die Aktion über ihre Gründungsklientel hätte hinauswachsen können. Diese Chance wurde nicht genutzt. Die Debatte um die richtige Frisur erschwert es Fridays for Future zusätzlich, gesamtgesellschaftlich fußzufassen. Doch ohne die Akzeptanz und Unterstützung weiter Teile der Gesellschaft bleibt die Vision von Greta Thunberg ein Papiertiger. Und ohne Druck wird sich nie etwas ändern.


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Klare Kante gegen rechts?

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Von der Flüchtlingskrise hat keine andere Partei so sehr profitiert wie die AfD. Auch die Debatte um die Klimakrise konnte die nationalistische Partei nutzen, um sich über Wasser zu halten. Seit Corona schwächelt die Partei zwar, es gibt aber weiterhin eine beträchtliche Zahl an Menschen, die ihr die Stimme geben würde. Viele sind entsetzt darüber, dass eine inzwischen so offen rechtsextreme Partei so viele potentielle Wähler anzieht und sich gleichzeitig bürgerlich nennt. Die Reaktion der wirklich bürgerlichen Parteien ist verhalten bis destruktiv. Anstatt klare Kante gegen rechts zu zeigen, verbrüderten sich Union und FDP in Thüringen mit der AfD. Gemeinsamer Feind ist Rot-Rot-Grün. Immer offener treten Ähnlichkeiten zwischen den drei Parteien auf, die über eine Ablehnung des progressiven Lagers hinausgehen.

Nach der skandalösen Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten am 5. Februar 2020 bezeichnete AfD-Chef Alexander Gauland seine Partei als eine bürgerliche Partei. Er wird seitdem nicht müde, diese Behauptung immer wieder zu wiederholen. Auch als die Personalie Bernd Höcke in den vergangenen Monaten wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, bezeichnete er den offiziellen Faschisten als die Mitte der Partei, auch wenn er sich damit oftmals missverstanden fühlte. Der leidenschaftliche Hundekrawattenträger schwadronierte und träumte von einer in seinen Augen bürgerlichen Mehrheit, die den verhassten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu Fall bringen würde. Nun wissen wir alle in der Zwischenzeit, dass Gaulands feuchte Träume nicht ganz aufgingen: Ramelow ist weiter Ministerpräsident, wenn auch nur auf Abruf, und Höckes Flügel musste sich zumindest pro forma auflösen.

Eine bürgerliche Partei?

Gaulands Behauptung, die AfD sei eine bürgerliche Partei, ist natürlich vollkommener Schwachsinn. Wenn die AfD tatsächlich eine bürgerliche Partei ist, steppe ich nackt durch die Straße und singe Loblieder auf den Kapitalismus. Beide Szenarien sollten uns besser erspart bleiben. Aber Klartext: Die AfD ist eine nationalistische, rückwärtsgewandte und zum Teil offen rechtsextreme Partei. Das hindert die Rechtsaußen-Partei allerdings nicht daran, sich das Gewand des Bürgertums überzuziehen und auch immer mehr Wähler aus diesem Spektrum zu gewinnen.

Denn von manchen inhaltlichen Ansichten her ist die AfD tatsächlich nicht so anders als die Parteien, die ihnen bei der Sitzverteilung in den Parlamenten am nächsten sind. Gerade im bürgerlichen und wirtschaftsliberalen Lager kann die AfD immer mehr punkten. Nicht nur die FDP spinnt fleißig die Legende vom faulen Hartz-IV – Empfänger, der den wahren Leistungsträgern der Gesellschaft auf der Tasche liegt. Sie sehen das Problem weniger im System des Arbeitslosengelds II, sondern viel mehr in dessen Empfängern. Bei der AfD kommt meistens noch die Komponente des Migrationshintergrunds dazu, wenn sie den Begriff Hartz-IV in den Mund nimmt.

Herrenüberschuss und Kinderfeinde

Ähnliches gilt für das Frauenbild, welches in allen Parteien rechts der Grünen vorherrscht. Union und FDP halten sich mit antifeministischen Äußerungen zurück, doch es sind gerade die drei Parteien aus Gaulands bürgerlichem Lager, welche an einem chronischen Mangel an Frauen leiden. So kommen Union und FDP auf nur etwas mehr als 20 Prozent Anteil von Frauen in den Bundestagsfraktionen. Bei der AfD sind es gerade einmal kümmerliche 11 Prozent. Wie kann auch nur eine dieser Parteien es wagen, sich als Volkspartei zu bezeichnen, wenn Frauen, immerhin die Mehrheit in der Bevölkerung, nur so unzureichend vertreten sind?

Auch auf die Fridays-for-Future – Demos im letzten Jahr fanden die drei angeblich bürgerlichen Parteien sehr ähnliche Antworten. Der Kanon des rechten Teils des Parlaments war stets der Vorwurf, es handle sich durch die Reihe um notorische Schulschwänzer. Mit ihren wenigen Jahren an Lebenserfahrung könnten die Kiddies bei dieser hochkomplizierten Debatte überhaupt nicht mitreden, das sei eine Sache für Experten. Man zweifelte außerdem die Ernsthaftigkeit der Bewegung an, weil sich ja angeblich kein einziger dieser Schüler in seiner Freizeit für dieses Thema einsetzte. Beinahe einstimmig kamen Union, FDP und AfD zu dem Ergebnis, die FFF-Demos seien ein Ergebnis einer linksrotgrün-versifften Jugend, die nur so großmaulig auf die Straße ging, weil sie in ihrem Leben noch keinen Cent an Steuern gezahlt hatte. Manche konnten diese Meinung diplomatisch ausdrücken, manche nicht.

Beleidigte Leberwürste

All diese Beispiele zeigen, dass Gauland mit einer Behauptung recht hatte: Die AfD steht Union und FDP tatsächlich näher als dem rot-rot-grünen Lager. Und auch nur so ist zu erklären, warum die Thüringer CDU und FDP so offen mit der Höcke-AfD kooperierte. Denn anders als SPD, Linke und Grüne sind Union und FDP nicht entsetzt über den Aufstieg der AfD – sie sind neidisch.

Apropos Neid: Kürzlich brachte die FDP-Fraktion im Bundestag einen Antrag ein, in dem sie für virtuelle Gerichtsverhandlungen warb. Sie hatte dabei alle anderen Fraktionen gegen sich, keine andere Fraktion konnte dem Antrag etwas abgewinnen. Anscheinend ging der Neid der FDP sogar so weit, dass sie wenigstens einmal anstelle der AfD erleben wollte, wie alle anderen Fraktionen gegen sie sind.

Angebot und Nachfrage

Trotzdem ist die AfD viel mehr als nur abgewanderte Wähler, denen die anderen Parteien nicht mehr bürgerlich genug sind. Die Wählerschaft der AfD ist nicht so homogen wie das bei anderen Parteien der Fall ist. Dennoch lassen sich im groben zwei Gruppen an Wählern ausmachen, welche der AfD ihre Stimmen geben. Da sind zum einen solche Wähler, denen FDP und vor allem die Union nicht mehr konservativ und wirtschaftsliberal genug ist. Wie unzufriedene Kunden haben sie sich ein neues Geschäft gesucht, weil die Qualität im alten nicht mehr gestimmt hat.

Und dann sind da noch solche Wähler, die immer wieder als die „Abgehängten“ von sich reden machen. Das sind die Menschen, die schon lange nicht mehr im Blickwinkel der Politik stehen. Teilweise schuften sie schwer und haben am Ende des Monats trotzdem nicht genug Geld in der Tasche, um sich einen gewissen Lebensstandard zu sichern. Es wird oft über sie gesprochen, wenn sie Glück haben auch zu ihnen, aber seit langem schon nicht mehr mit ihnen. Sie sind wie Kunden, die zigmal in ein Geschäft gingen und dann feststellten, dass das Regal mit ihren Waren stets leer war. Natürlich wandern sie dann zur Konkurrenz ab.

Genau dieser Wählergruppe gilt es ein Angebot zu machen. Wenn man deren Sorge und Nöte, ihre Lebensrealitäten mit allen Widrigkeiten endlich wieder ernstnähme, dann hätten sie auch keinen Grund mehr, einer Partei hinterherzulaufen, die Faschisten und Chauvinisten beherbergt. Ja, es sind Wähler abgewandert, weil die Union nicht mehr konservativ genug ist. Die AfD suggeriert das oft genug als den Schlüssel zu ihrem Erfolg. Das ist er aber nicht. Die AfD lebt davon, abgehängte Wählerschichten ein Angebot zu machen und für sich einzunehmen. Gewinnt man diese Wähler zurück, so haben die wenigsten der Konservativen noch einen Grund, der AfD die Treue zu halten. Mit einer Partei, die mit Müh‘ und Not dann vielleicht noch über die Fünf-Prozent – Hürde käme, könnten diese Wähler nichts mehr reißen.

Ein Bollwerk aus Enttäuschten

Es bringt also nichts, die AfD zu kopieren und eine härtere Gangart im Umgang mit Flüchtlingen anzukündigen. Wäre das der Fall, wäre die Rechtsaußen-Partei längst passé. Viel zu leicht lassen sich andere Parteien einreden, der große Fehler wäre fehlender Konservatismus und eine Abkehr vom Nationalstaat. Diese falschen Ansichten ermöglichen es den wirtschaftsliberalen Kräften in der AfD, die Protestwähler wie ein Bollwerk vor sich herzutreiben. Die neoliberalen Fantasien lassen sich am besten umsetzen, wenn die Partei von möglichst vielen gewählt wird, egal ob sie im Endeffekt von einer Entfesselung des Markts profitieren oder nicht. Würde man die wenigen ernsthaften sozialpolitischen Forderungen der AfD umsetzen, würde das definitiv zulasten derer gehen, die sich von der Politik der letzten Jahre im Stich gelassen fühlen. Solange sie das nicht durchschauen, wird sich an ihrer Situation nichts grundlegendes ändern. Und auch nicht an ihrem Grund, AfD zu wählen.

Jede Partei folgt einer Ideologie. Leider heiligt dabei viel zu oft der Zweck die Mittel. Wähler werden über vieles im unklaren gelassen, nur damit sie einer Partei ihre Stimme geben. Das ist grundsätzlich falsch. Bestimmt gibt es auch bei der Union eine ganze Reihe an Punkten, die einem Großteil der Bevölkerung zugutekommen. Doch gerade markthörige Parteien wie Union und FDP hatten es oftmals schwerer, alle Karten auf den Tisch zu legen, ohne Wähler zu vergraulen. Die AfD kann das besser. Und daher kommt der Neid.


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