Die Schwerpunktsetzer

Lesedauer: 6 Minuten

In Deutschland gilt die Meinungsfreiheit. Jeder kann das sagen, was er will. Aber diese Vielfalt an Meinungen wird nicht immer adäquat repräsentiert. Von einseitiger Berichterstattung und einer Verengung des zulässigen Meinungskorridors ist die Rede. Besonders häufig betroffen sind Themen, die sich um soziale Gerechtigkeit, Diplomatie und Frieden drehen. Das ist angesichts einer konservativ und wirtschaftsliberal geprägten Opposition nicht verwunderlich.

Es rumort in der deutschen Bevölkerung. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, nicht verstanden zu werden oder mit ihren Problemen auf taube Ohren zu stoßen. Seit Jahren gilt es als chic, wenn man von einem Abbau der Meinungsfreiheit, einer Einschränkung der freien Rede oder sogar von Diktatur spricht. In Zeiten von Pegida und Querdenkern hatten diese zugegeben sehr vernehmbaren Vorwürfe Hochkonjunktur.

Eine Republik diskutiert

Wir leben nicht in einer Diktatur. Es gibt in diesem Land freie Wahlen, Machtwechsel sind jederzeit denkbar. Und es gibt zu vielen Themen lebendige Debatten. Wenn darüber diskutiert wird, wie künftig mit Menschen umgegangen werden soll, die containern gehen, dann bewegt das die Menschen. Es geht nämlich um weit mehr als einen möglichen Hausfriedensbruch und mögliche Eigentumsdelikte. Es geht um die grundsätzliche Frage, was mit Lebensmitteln geschieht, die nicht den Schönheitsidealen aus der Werbung entsprechen oder die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Es ist ein Thema, das alle in irgendeiner Art und Weise betrifft.

Ähnliches gilt bei der Freigabe von Genusscannabis. Auch wenn hier nicht alle Bürger unmittelbar betroffen sind, haben die meisten dazu eine Meinung. Über diese wird dann munter diskutiert. Das Thema macht Schlagzeilen, füllt ganze Seiten und landet auf den Titelseiten von politischen Magazinen. Man nähert sich einem Ja oder Nein, die Meinungen gehen zwangsläufig weiter auseinander als beim Containern.

Für heftige Debatten sorgte auch das Selbstbestimmungsgesetz, das unter anderem die Änderung des Geschlechtseintrags im Ausweis vereinfacht. Vielen im Land ging diese Art der Liberalisierung zu weit und sie taten laut ihre Meinung kund. Andere Kreise wiederum hielten entschieden dagegen und warfen der Gegenseite Homo- und Transphobie vor. Sie taten das in einer Weise, welche die Realität der Debatte nicht wiedergab. Viel zu laut waren dafür die Stimmen aus den Reihen der Kritiker.

Kein politischer Rückhalt

Als es um das Sondervermögen für die Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine ging, war das lange Zeit anders. Hier gelang es den Befürwortern, abweichende Meinungen mit teilweise absurden Vorwürfen niederzubrüllen und die wahrnehmbare Kritik an dem Vorhaben möglichst kleinzuhalten. Dabei waren nicht wenige Menschen im Land völlig anderer Meinung. Der Unterschied zwischen den oberen und dem unteren Beispiel: Beim Thema Aufrüstung hatten die Skeptiker eine viel schwächere politische Repräsentanz als bei der Cannabislegalisierung und dem Selbstbestimmungsgesetz.

Denn geht es um sicherheitspolitische Ausgaben und um Aufrüstung, dann haben konservative und rechte Parteien grundsätzlich kein großes Problem damit. Das ist in der aktuellen Themensetzung deutlich zu spüren. Denn ein Rechtsruck in der Politik ist nicht von der Hand zu weisen. Jahre der AfD-Oppositionsführung haben diesem Land nicht gutgetan. Wie selbstverständlich spricht man heute über mehr Geld für Waffen und vernachlässigt dafür andere wichtige innenpolitische Themen.

Auch wenn sich die extreme Rechte in diesem Land häufig gegen eine militärische Unterstützung des Kriegs in der Ukraine positioniert, macht sie das nicht automatisch zu Pazifisten. Sie können es schlicht nicht ertragen, dass ihre Brüder im Geiste eins auf die Mütze bekommen. Das ist Selbstgerechtigkeit und keine Friedensliebe.

Klare Themensetzung

Die aktuelle Bundesregierung macht vieles falsch. Immer wieder belegt sie ihre völlige Inkompetenz und trifft fatale politische Entscheidungen. Der Widerspruch wird dann besonders laut, wenn es um die Rechte von Transmenschen geht, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen diskutiert wird oder die Legalisierung von Cannabis ins Haus steht. Droht ein Zusammenstreichen der Kindergrundsicherung, begeben sich tagtäglich zig Geringverdiener, Arbeitslose und Rentner auf Pfandflaschensuche oder erfrieren jeden Winter unzählige Obdachlose in deutschen Großstädten, flammt eine kurze Empörung darüber auf, die sogleich wieder abebbt. Das ist die logische Folge einer wirtschaftsliberal und konservativ geprägten Opposition und Zeugnis einer grotesk schwachen Linken.

Eine echte linke Opposition gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Die Debatten über Pfandflaschen, Obdachlose und arme Kinder werden nur am Rande geführt und sind sehr viel leiser als die Rufe nach Kriegstüchtigkeit und börsendominierter Rente. Soziale Gerechtigkeit verkommt immer mehr zum Nice-to-have.

Zeit für was Neues

Keine der im Bundestag vertretenen Parteien tritt glaubwürdig für Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Die SPD macht gelegentlich Ausflüge in die linke Ecke und der sozialpolitische Flügel der Grünen ist nichts weiter als eine Alibiveranstaltung dieser kriegsbesoffenen Partei. Lange hat sich Die Linke für diese Themen starkgemacht, aber nach Jahren der politischen Selbstverstümmelung nimmt diesen Verein heute niemand mehr ernst.

Stattdessen feiert die Partei den Austritt von Sahra Wagenknecht als Befreiungsschlag – und merkt nicht, wo die Reise hinführen wird. Stolz verkündet die Parteiführung auf verschiedenen Kanälen, dass es Parteieintritte in großer Zahl gab, seitdem sich die unbeugsame Linksrechte einem neuen Projekt zugewandt hat. Scheinbar ist es den führenden Köpfen der Linken mittlerweile egal, wen sie sich in die Partei holen. Es wird nicht lange dauern, bis von der einstigen Kämpferin für Gerechtigkeit und Frieden nichts weiter übrigbleibt als ein verlängerter Arm der Grünen. Die wenigen verbliebenen Linken in der Partei werden sich noch umschauen.

Im Grunde haben die linksgerichteten Parteien in diesem Land zwei Möglichkeiten: Entweder sie kommen endlich zur Vernunft und lassen eine ausgewogene und lebendige Debatte zu bestimmten Themen wieder zu oder sie können dabei zusehen, wie sich in Deutschland eine neue politische Kraft breitmacht, die ihnen Wähler absaugt und Regierungsbildungen in Zukunft noch schwerer macht.

Potenzial für eine solche neue Kraft gibt es allemal. Denn es stimmt, was die demokratischen Parteien über die AfD sagen: Die extreme Rechte hat keinen Plan für dieses Land, erst recht nicht, wenn es um Soziales und Gerechtigkeit geht. Sie selbst haben es aber auch nicht. Es liegt auf der Hand, was passiert, wenn eine Partei entsteht, die genau auf diese offenen Fragen plausible Antworten liefert…


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Klare Kante gegen rechts?

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Von der Flüchtlingskrise hat keine andere Partei so sehr profitiert wie die AfD. Auch die Debatte um die Klimakrise konnte die nationalistische Partei nutzen, um sich über Wasser zu halten. Seit Corona schwächelt die Partei zwar, es gibt aber weiterhin eine beträchtliche Zahl an Menschen, die ihr die Stimme geben würde. Viele sind entsetzt darüber, dass eine inzwischen so offen rechtsextreme Partei so viele potentielle Wähler anzieht und sich gleichzeitig bürgerlich nennt. Die Reaktion der wirklich bürgerlichen Parteien ist verhalten bis destruktiv. Anstatt klare Kante gegen rechts zu zeigen, verbrüderten sich Union und FDP in Thüringen mit der AfD. Gemeinsamer Feind ist Rot-Rot-Grün. Immer offener treten Ähnlichkeiten zwischen den drei Parteien auf, die über eine Ablehnung des progressiven Lagers hinausgehen.

Nach der skandalösen Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten am 5. Februar 2020 bezeichnete AfD-Chef Alexander Gauland seine Partei als eine bürgerliche Partei. Er wird seitdem nicht müde, diese Behauptung immer wieder zu wiederholen. Auch als die Personalie Bernd Höcke in den vergangenen Monaten wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, bezeichnete er den offiziellen Faschisten als die Mitte der Partei, auch wenn er sich damit oftmals missverstanden fühlte. Der leidenschaftliche Hundekrawattenträger schwadronierte und träumte von einer in seinen Augen bürgerlichen Mehrheit, die den verhassten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu Fall bringen würde. Nun wissen wir alle in der Zwischenzeit, dass Gaulands feuchte Träume nicht ganz aufgingen: Ramelow ist weiter Ministerpräsident, wenn auch nur auf Abruf, und Höckes Flügel musste sich zumindest pro forma auflösen.

Eine bürgerliche Partei?

Gaulands Behauptung, die AfD sei eine bürgerliche Partei, ist natürlich vollkommener Schwachsinn. Wenn die AfD tatsächlich eine bürgerliche Partei ist, steppe ich nackt durch die Straße und singe Loblieder auf den Kapitalismus. Beide Szenarien sollten uns besser erspart bleiben. Aber Klartext: Die AfD ist eine nationalistische, rückwärtsgewandte und zum Teil offen rechtsextreme Partei. Das hindert die Rechtsaußen-Partei allerdings nicht daran, sich das Gewand des Bürgertums überzuziehen und auch immer mehr Wähler aus diesem Spektrum zu gewinnen.

Denn von manchen inhaltlichen Ansichten her ist die AfD tatsächlich nicht so anders als die Parteien, die ihnen bei der Sitzverteilung in den Parlamenten am nächsten sind. Gerade im bürgerlichen und wirtschaftsliberalen Lager kann die AfD immer mehr punkten. Nicht nur die FDP spinnt fleißig die Legende vom faulen Hartz-IV – Empfänger, der den wahren Leistungsträgern der Gesellschaft auf der Tasche liegt. Sie sehen das Problem weniger im System des Arbeitslosengelds II, sondern viel mehr in dessen Empfängern. Bei der AfD kommt meistens noch die Komponente des Migrationshintergrunds dazu, wenn sie den Begriff Hartz-IV in den Mund nimmt.

Herrenüberschuss und Kinderfeinde

Ähnliches gilt für das Frauenbild, welches in allen Parteien rechts der Grünen vorherrscht. Union und FDP halten sich mit antifeministischen Äußerungen zurück, doch es sind gerade die drei Parteien aus Gaulands bürgerlichem Lager, welche an einem chronischen Mangel an Frauen leiden. So kommen Union und FDP auf nur etwas mehr als 20 Prozent Anteil von Frauen in den Bundestagsfraktionen. Bei der AfD sind es gerade einmal kümmerliche 11 Prozent. Wie kann auch nur eine dieser Parteien es wagen, sich als Volkspartei zu bezeichnen, wenn Frauen, immerhin die Mehrheit in der Bevölkerung, nur so unzureichend vertreten sind?

Auch auf die Fridays-for-Future – Demos im letzten Jahr fanden die drei angeblich bürgerlichen Parteien sehr ähnliche Antworten. Der Kanon des rechten Teils des Parlaments war stets der Vorwurf, es handle sich durch die Reihe um notorische Schulschwänzer. Mit ihren wenigen Jahren an Lebenserfahrung könnten die Kiddies bei dieser hochkomplizierten Debatte überhaupt nicht mitreden, das sei eine Sache für Experten. Man zweifelte außerdem die Ernsthaftigkeit der Bewegung an, weil sich ja angeblich kein einziger dieser Schüler in seiner Freizeit für dieses Thema einsetzte. Beinahe einstimmig kamen Union, FDP und AfD zu dem Ergebnis, die FFF-Demos seien ein Ergebnis einer linksrotgrün-versifften Jugend, die nur so großmaulig auf die Straße ging, weil sie in ihrem Leben noch keinen Cent an Steuern gezahlt hatte. Manche konnten diese Meinung diplomatisch ausdrücken, manche nicht.

Beleidigte Leberwürste

All diese Beispiele zeigen, dass Gauland mit einer Behauptung recht hatte: Die AfD steht Union und FDP tatsächlich näher als dem rot-rot-grünen Lager. Und auch nur so ist zu erklären, warum die Thüringer CDU und FDP so offen mit der Höcke-AfD kooperierte. Denn anders als SPD, Linke und Grüne sind Union und FDP nicht entsetzt über den Aufstieg der AfD – sie sind neidisch.

Apropos Neid: Kürzlich brachte die FDP-Fraktion im Bundestag einen Antrag ein, in dem sie für virtuelle Gerichtsverhandlungen warb. Sie hatte dabei alle anderen Fraktionen gegen sich, keine andere Fraktion konnte dem Antrag etwas abgewinnen. Anscheinend ging der Neid der FDP sogar so weit, dass sie wenigstens einmal anstelle der AfD erleben wollte, wie alle anderen Fraktionen gegen sie sind.

Angebot und Nachfrage

Trotzdem ist die AfD viel mehr als nur abgewanderte Wähler, denen die anderen Parteien nicht mehr bürgerlich genug sind. Die Wählerschaft der AfD ist nicht so homogen wie das bei anderen Parteien der Fall ist. Dennoch lassen sich im groben zwei Gruppen an Wählern ausmachen, welche der AfD ihre Stimmen geben. Da sind zum einen solche Wähler, denen FDP und vor allem die Union nicht mehr konservativ und wirtschaftsliberal genug ist. Wie unzufriedene Kunden haben sie sich ein neues Geschäft gesucht, weil die Qualität im alten nicht mehr gestimmt hat.

Und dann sind da noch solche Wähler, die immer wieder als die „Abgehängten“ von sich reden machen. Das sind die Menschen, die schon lange nicht mehr im Blickwinkel der Politik stehen. Teilweise schuften sie schwer und haben am Ende des Monats trotzdem nicht genug Geld in der Tasche, um sich einen gewissen Lebensstandard zu sichern. Es wird oft über sie gesprochen, wenn sie Glück haben auch zu ihnen, aber seit langem schon nicht mehr mit ihnen. Sie sind wie Kunden, die zigmal in ein Geschäft gingen und dann feststellten, dass das Regal mit ihren Waren stets leer war. Natürlich wandern sie dann zur Konkurrenz ab.

Genau dieser Wählergruppe gilt es ein Angebot zu machen. Wenn man deren Sorge und Nöte, ihre Lebensrealitäten mit allen Widrigkeiten endlich wieder ernstnähme, dann hätten sie auch keinen Grund mehr, einer Partei hinterherzulaufen, die Faschisten und Chauvinisten beherbergt. Ja, es sind Wähler abgewandert, weil die Union nicht mehr konservativ genug ist. Die AfD suggeriert das oft genug als den Schlüssel zu ihrem Erfolg. Das ist er aber nicht. Die AfD lebt davon, abgehängte Wählerschichten ein Angebot zu machen und für sich einzunehmen. Gewinnt man diese Wähler zurück, so haben die wenigsten der Konservativen noch einen Grund, der AfD die Treue zu halten. Mit einer Partei, die mit Müh‘ und Not dann vielleicht noch über die Fünf-Prozent – Hürde käme, könnten diese Wähler nichts mehr reißen.

Ein Bollwerk aus Enttäuschten

Es bringt also nichts, die AfD zu kopieren und eine härtere Gangart im Umgang mit Flüchtlingen anzukündigen. Wäre das der Fall, wäre die Rechtsaußen-Partei längst passé. Viel zu leicht lassen sich andere Parteien einreden, der große Fehler wäre fehlender Konservatismus und eine Abkehr vom Nationalstaat. Diese falschen Ansichten ermöglichen es den wirtschaftsliberalen Kräften in der AfD, die Protestwähler wie ein Bollwerk vor sich herzutreiben. Die neoliberalen Fantasien lassen sich am besten umsetzen, wenn die Partei von möglichst vielen gewählt wird, egal ob sie im Endeffekt von einer Entfesselung des Markts profitieren oder nicht. Würde man die wenigen ernsthaften sozialpolitischen Forderungen der AfD umsetzen, würde das definitiv zulasten derer gehen, die sich von der Politik der letzten Jahre im Stich gelassen fühlen. Solange sie das nicht durchschauen, wird sich an ihrer Situation nichts grundlegendes ändern. Und auch nicht an ihrem Grund, AfD zu wählen.

Jede Partei folgt einer Ideologie. Leider heiligt dabei viel zu oft der Zweck die Mittel. Wähler werden über vieles im unklaren gelassen, nur damit sie einer Partei ihre Stimme geben. Das ist grundsätzlich falsch. Bestimmt gibt es auch bei der Union eine ganze Reihe an Punkten, die einem Großteil der Bevölkerung zugutekommen. Doch gerade markthörige Parteien wie Union und FDP hatten es oftmals schwerer, alle Karten auf den Tisch zu legen, ohne Wähler zu vergraulen. Die AfD kann das besser. Und daher kommt der Neid.


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Radikalisierung als Selbstzweck

Lesedauer: 9 Minuten

Die selbsternannte Alternative für Deutschland, kurz AfD, generiert sich gerne zum Gegenentwurf zu den etablierten Parteien. Ihrem Selbstanspruch zufolge möchte sie den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land wieder eine Stimme geben. Sie stellt sich der angeblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit in diesem Land vehement entgegen. Am allerwichtigsten will sie aber nicht mit den Altparteien in Verbindung gebracht werden. Diesen Gefallen kann ich den Populisten von rechts außen leider nicht machen. Denn radikale Positionen hin oder her – im Prinzip verstehen viele AfDler den Politikbetrieb wie ein beträchtlicher Teil aller Abgeordneten: als Machtspiel.

Eine Partei unter vielen

Seit kurzem wird der Flügel um Bernd Höcke ganz offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet. Den Hütern unserer Verfassung stehen dabei eine Vielzahl an Möglichkeiten offen. Diese reichen von Observationen bis hin zur Einschleusung von Informanten, also der Methode V-Leute light. Der Schritt war längst überfällig, ist doch offensichtlich, welche Bestrebungen die parteiinterne Strömung verfolgt. Doch nicht nur der Flügel steht unter öffentlichem Beschuss. Seit Jahren wird die Gesamt-AfD mit rechtsextremen Ideologien in Verbindung gebracht.  Zuzuschreiben hat sich das die Rechtsaußen-Partei größtenteils selbst. Führende Politiker der Partei hatten es nicht nur versäumt, sich klipp und klar von rechtsextremistischen Tendenzen zu distanzieren, einige von ihnen gossen mit wohlüberlegten Spitzen noch großzügig Öl ins Feuer.

Dabei beruft sich die AfD immer wieder darauf, dass sie doch eine demokratisch gewählte Partei sei. Damit hat sie gar nicht so Unrecht. In den Landtagen und im Bundestag sitzt sie, weil der Wähler es so gewünscht hat. Dieser Fakt allein wäscht sie allerdings nicht rein vom Verdacht einer demokratiefeindlichen Gesinnung.

Demokratische Verfahren beiseite, es steht außer Frage, dass die AfD inzwischen eine ernstzunehmende Kraft im Parteiengefüge ist. Und wie alle anderen Parteien in Deutschland möchte sie das auch gerne möglichst lange bleiben. Deswegen ist es für die AfD unumgänglich sich als eigenständige Partei zu profilieren. Eine Radikalisierung nach rechts scheint beinahe die traurige logische Konsequenz daraus zu sein.

Bloß nicht abkupfern

Denn was würde denn passieren, wenn die gemäßigten Kräfte innerhalb der AfD dem rechtsextremen Flügel Einhalt gebieten würden? Die Alternative für Deutschland hätte zwar weiterhin eine politische Botschaft, doch würde sich diese nicht grundlegend von den Werten unterscheiden, die einst von Union und FDP vertreten wurden. Das Problem AfD hätte sich für die anderen Parteien dann schnell erledigt. Nach ein oder zwei Sonderparteitagen würden sie zu ihrer alten Form und ihrem alten Profil zurückfinden. Die AfD wäre damit obsolet.

Aus diesem Grund muss sich die AfD klar von den anderen Parteien unterscheiden. Sie nutzt die Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger, um andere Themen auf die Agenda zu setzen. Sie macht sich Ideen zueigen, die von den anderen Parteien immer gemieden wurden – und das aus gutem Grund. Es sind damit sozusagen die Ideen der AfD. Diese Themen jetzt aufzugreifen und zu kopieren, wie es mancher Bierzelt-CSUler gerne hätte, wäre der absolut falsche Weg. Denn eine gemäßigte AfD würde vom einstigen Original Union und FDP leicht aufgefressen werden. Ein ganz ähnliches Schicksal würde die demokratischen Parteien allerdings ereilen, wenn sie sich tatsächlich auf den fahrlässigen Pfad begäben und das Original AfD kopierten.

Ein demokratisches Korrektiv?

Denn der Aufstieg der AfD wurde nicht zufällig von einer Radikalisierung der Partei begleitet. In den Anfangstagen unter Bernd Lucke kopierte die AfD noch fleißig Positionen, die früher einmal vor allen Dingen CDU und CSU vertreten hatten. Das kam bei einigen Menschen gut an, vertrat die AfD doch eindeutig konservative und wirtschaftsliberale Positionen, die die Union nach Jahren der großen Koalition vernachlässigt hatte.

Bei diesen Positionen sind die meisten AfDler auch geblieben. Nicht jeder radikalisierte sich gleichermaßen. Frauke Petry beispielsweise entzog sich einer Radikalisierung, als sie aus ihrer alten Partei austrat. Hätte sie das nicht getan, hätte sie die radikalen Positionen weiter mittragen müssen und hätte sich gleich mitradikalisiert.

Die Mitte der Partei

Die AfD wurde nicht umsonst als Partei und nicht als Bewegung gegründet. Als Partei wohnt ihr ein Selbsterhaltungstrieb inne, eine Dynamik, die dafür sorgt, dass sie am Leben bleibt. Dafür sind in erster Linie eigene Positionen nötig. Die nationalistischen Tendenzen, die nun das Ruder in der AfD übernommen haben, waren von Anfang an vorhanden. Von Beginn an profitierte die AfD von der Pegida-Bewegung und machte sich mit Personen wie Bernd Höcke gemein, die sie bis heute in ihren Reihen duldet. Laut ehemaligem Parteichef Gauland ist er mit seinen rechtsextremen Ansichten inzwischen in der Mitte der Partei angekommen.

Mit ihren Positionen spricht die AfD Wählerschichten an, die selbst die CSU zu ihren konservativsten Zeiten nicht erreicht hat. Doch auch viele Nichtwähler, die sich enttäuscht von der Teilnahme an Politik abgewendet haben, reaktiviert die Rechtsaußen-Partei. Mit ihrer polarisierenden Rhetorik grenzt sich die AfD nicht nur erfolgreich von den anderen Parteien ab. Sie schürt auch eine immer größer werdende Abneigung ihrer Wähler gegenüber den sogenannten Altparteien. Als gäbe es nach einem Kreuz bei den Rechtspopulisten kein Zurück mehr…

Konservatives Aushängeschild

Denn die AfD will Macht. Frauke Petry mag zu AfD-Zeiten noch beschworen haben, dass ihre Partei als demokratisches Korrektiv anzusehen sei. Wäre die AfD diesem Anspruch treu geblieben, hätte also jedwede extremistische Aktivität unterbunden, dann hätte die Partei bei der letzten Bundestagswahl ein Ergebnis von vielleicht 7 oder 8 Prozent erzielt. Mit einer doch so schwachen AfD hätte eine weitere GroKo unter Umständen verhindert werden können, ein Politikwechsel wäre also eingeleitet worden und der Zweck der AfD hätte sich in Wohlgefallen aufgelöst.

Gerade der immer kleinerwerdende gemäßigte Teil der AfD ist allerdings von herausragender Bedeutung für die Partei. Denn er hilft immer wieder tatkräftig mit, ein Bild von der AfD zu zeichnen, welches eben nicht in das Narrativ einer extremen Partei passt. Wenn die anderen Parteien wegen der erstarkenden extremistischen Tendenzen zurecht eine Koalition mit der AfD ausschließen, fühlen sich vor allen Dingen konservative Wähler verprellt und wählen die rechtspopulistische Partei.

Gefährliche Symbiose

Aber nicht jeder in der AfD lässt sich von den extremistischen Strömungen in der Partei gängeln. Frauke Petry ist bestimmt die prominenteste Vertreterin der Aussteiger aus der Partei. Ihr haben es vier weitere Abgeordnete aus der AfD gleichgetan und haben sowohl Fraktion als auch Partei verlassen. Sie gehören seitdem als fraktionslose Abgeordnete dem Bundestag an. Sind dies nun reumütige Demokraten, die wieder auf den richtigen Pfad zurückgefunden haben? Oder sind sie machthungrige Politiker, die ihre Parteimitgliedschaft über die Klinge springen ließen?

Wenn man bedenkt, dass diese Abgeordnete als Fraktionslose wesentlich geringere Einflussmöglichkeiten haben, verbietet sich die zweite Überlegung zunächst. Andererseits stellt sich doch die Frage, wie weit diese Abgeordneten gekommen wären, hätten sie sich bereits früher von der Gesamtpartei distanziert. Eine Mitgliedschaft im Bundestag wäre für sie möglicherweise nicht herausgesprungen. Die nationalistischen Tendenzen in der Partei werden eine maßgebende Rolle gespielt haben. Doch als Mitglied dieser Partei werden die Abgeordneten Petry, Mieruch, Kamann, Herrmann und Hartmann bereits früh Lunte gerochen haben.

Frauke Petry war lange Zeit Bundesparteivorsitzende und vermochte es in dieser Zeit offenbar nicht, das extreme Potenzial der Partei in Grenzen zu halten. Das wird auch sie bemerkt haben. Trotzdem verhalf sie einer solchen Partei mit ihrer Rhetorik und ihrem Charisma zum Einzug in den Bundestag. Viel wichtiger wird für sie allerdings eine andere Überlegung gewesen sein: Sie verhalf sich selbst in den Bundestag. Petry und die AfD sind also in gewisser Weise eine Symbiose eingegangen, die nach der Wahl 2017 nicht mehr von Nöten war.

Auch wenn Frauke Petry es regelmäßig bestreitet, ihrem Austritt aus der Partei wird immer der Verdacht des Kalküls anhaften. Denn ganz offensichtlich war sie bereits vor der Bundestagswahl damit beschäftigt, eine neue Partei aufzubauen. Und auch die anderen Ex-AfDler sollten sich fragen, worüber sie hinwegsahen, nur um einen Sitz im Bundestag zu erlangen. Sie pflegten eine Fassade der Bürgerlichkeit und des Liberalismus, hinter dem sich ein knallharter Rechtsextremismus versteckte. Nun sitzt die AfD im Bundestag, die Fassade darf also gerne bröckeln. Doch ganz wegfallen sollte sie nie. Zumindest jetzt noch nicht. Denn die gemäßigten Positionen in der AfD sehen viele nach wie vor als einen legitimen Grund, dieser Partei die Stimme zu geben. Die extremistischen Positionen bieten nach wie vor genug Anlass, nicht mit dieser Partei zu kooperieren. Und so bedingt eins das andere.

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