Wenn die Mehrheit schweigt

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Die Stimmung ist am Brodeln. Nachdem Russland den Gashahn zugedreht hat, nehmen die Energiepreise in Deutschland nie dagewesene Ausmaße an. Viele Familien wissen schon heute nicht mehr, wie sie die Kosten stemmen sollen. Bonbons wie die Energiepreispauschale helfen ihnen kaum weiter; besonders nicht, wenn ihnen das Geld durch die Gasumlage wieder weggenommen wird. Trotzdem bleiben die meisten Bürgerinnen und Bürger bislang ruhig. Auch das Unruhepotenzial des heißen Herbstes, wie ihn AfD und Linke fordern, schätzen Experten als gering ein. Viele Menschen ziehen sich lieber resigniert zurück, anstatt lauthals zu protestieren. Auf Dauer ist dieser Demokratieverdruss ein echtes Problem für unser Land.

Ein eisiger Winter

Die kalte Jahreszeit steht in den Startlöchern. Nach einem langen und trockenen Sommer mit neuen wahnwitzigen Hitzerekorden, verheerenden Waldbränden und verkümmerten Flussläufen hält allmählich der Herbst Einzug. Das Laub an den Bäumen verfärbt sich, die Tage werden kürzer und die Temperaturen sinken spürbar. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis in deutschen Wohnungen die Heizungen aufgedreht werden.

Jeder im Land weiß, dass diese Selbstverständlichkeit in den kommenden Monaten und Jahren ein teurer Luxus sein wird. Die Gaspreise schnellen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine rasant in die Höhe. Die seither gegen Russland gerichtete Embargopolitik war der letzte Sargnagel der deutschen Energieversorgung. Putins Antwort folgte prompt: Nord Stream 1 war einmal. Die Pipeline versorgt uns seit wenigen Tagen nicht mehr mit dem dringend benötigten Gas. Viele deutsche Haushalte schauen in die Röhre. Experten warnen seit Monaten vor einem Preisanstieg, der einer durchschnittlichen Familie im kommenden Frühjahr horrende Nachzahlungen im deutlichen vierstelligen Bereich bescheren wird.

Die Regierungskoalition hält währenddessen an den Wirtschaftssanktionen gegen den Aggressor fest. Mit der geplanten Gasumlage setzte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich noch eins drauf: Der deutsche Steuerzahler soll die erwarteten Verluste der Energiekonzerne aus eigener Tasche ausgleichen. Die Bürgerinnen und Bürger bluten damit für eine fehlgeleitete Politik – really?! Again?

Potenzial zum Umsturz?

Während die größte Oppositionsfraktion im Bundestag angesichts dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit die Füße stillhält, kommt besonders aus den Reihen von AfD und Linken heftige Kritik. Sie beschwören die Bürgerinnen und Bürger, sich diese Entwicklung nicht bieten zu lassen und proklamieren in Eigenregie einen „heißen Herbst“, mit dem sie der Regierung einheizen wollen.

Die Phrase der beiden kleineren Oppositionsparteien zieht weite Kreise und ruft sogar erfahrene Politikwissenschaftler auf den Plan, die sich mit dem Szenario anhaltender Proteste im Herbst auseinandergesetzt haben. Mehrheitlich kommen sie zu der Einschätzung, dass von dem Aufruf zum Widerstand kein wesentliches Potenzial für staatsgefährdende Unruhen ausginge.

Für den Moment mögen die Expertinnen und Experten recht behalten. Wie sich die Lage im Laufe der nächsten Monate entwickelt, wenn tatsächlich immer mehr Menschen ihre Wohnungen beheizen müssen, ist hingegen unklar. Fakt ist allerdings, dass sich nur wenige Menschen vorstellen können, sich Protesten anzuschließen, die von AfD oder Linken initiiert wurden. Der mit Spannung erwartete Auftakt der Protestserie am 5. September jedenfalls war ein Flop und ging sang- und klanglos vorüber.

Stiller Protest

Es ist aber nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, wenn sich die Menschen entschließen, zu Hause zu bleiben, anstatt ihren Unmut auf die Straße zu tragen. Es ist kurzsichtig und naiv, wenn man fehlenden Protest mit gleißender Zustimmung verwechselt. Dass viele Menschen im Land schon lange nicht mehr mit der politischen Situation zufrieden sind, zeigen die Wahlbeteiligungen der letzten Jahre. Besonders auf Landes- und Kommunalebene sind die Quoten mittlerweile so erbärmlich, dass es an Realitätsverweigerung grenzt, wenn die gewählten Abgeordneten von irgendwelchen herbeikonstruierten Mehrheiten in der Bevölkerung sprechen. In manchen Kreisen bleiben mehr Menschen den Urnen fern, als sich an den Wahlen beteiligen. Auch sie üben sich nicht im lautstarken Protest, sondern in stiller Resignation.

Ganz offensichtlich glaubt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung nicht mehr daran, mit seiner Stimme etwas bewegen zu können. Das liegt zum einen daran, dass wesentliche direktdemokratische Beteiligungsformate auf Bundesebene fehlen. Zum anderen erleben viele Menschen schon zu lange, dass eine Politik betrieben wird, die ganz sicher nicht in ihrem Interesse ist. Ihren Rückzug ins Nichtwählerlager kann man ihnen entweder selbstgerecht vorhalten oder man ändert den politischen Kurs grundlegend.

Wir bewegen uns in Richtung einer politischen Ära, in der die Demokratie nur noch auf dem Papier existiert. Immer mehr Menschen finden keine politische Repräsentanz mehr – nicht, weil sie nicht wählen gehen, sondern weil das politische Angebot fehlt. Die Grünen haben bei der letzten Bundestagswahl einen herausragenden Erfolg erreicht. So stark wie 2021 haben sie bei noch keiner Bundestagswahl abgeschnitten. Das liegt aber nicht daran, dass überragend viele Menschen sie gewählt haben. Es liegt daran, dass die Partei von Menschen gewählt wird, die überdurchschnittlich oft zur Wahl gehen. Als Reichenpartei machen die Grünen inzwischen der FDP ernsthaft Konkurrenz.

Zwischen Schuldzurufen und Selbstinszenierung

Es gibt inzwischen Szenen im Bundestag, da bleibt einem fast die Spucke weg. Auf der Tagesordnung stehen Punkte, die durchaus für viele Menschen im Land relevant sind. Der Umgang der Abgeordneten mit diesen wichtigen Anliegen ist bisweilen aber unterirdisch. Anstatt sachliche Argumente auszutauschen und zur Sache zu sprechen, ist es inzwischen Sport geworden, sich die Versäumnisse der letzten Legislaturperioden um die Ohren zu hauen. Wir sind alle froh, dass die Union nicht mehr regiert. Man kann seine Redezeit aber durchaus schlauer füllen als mit den Defiziten der Regierungszeit Merkel.

Getoppt wird das nur dadurch, wenn manche Abgeordnete einen besonders woken Kommentar ablassen und mit Pfiffen und Grölen aus den eigenen Reihen dafür belohnt werden. Die Damen und Herren Volksvertreter vergessen offenbar immer häufiger, dass sie sich nicht auf einem Rockkonzert befinden, sondern in der Herzkammer der Demokratie.

Ein neues Weimar?

Ihre erprobte Selbstbeweihräucherung macht viele Abgeordnete blind für die wahren Nöte und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Das frustriert viele von ihnen und erzeugt eine Politik- und Demokratieverdrossenheit, die weitaus gefährlicher für unsere Verfassung ist als aktiver Protest an Montagen. Einer Republik, in der immer weniger Menschen ihre Unzufriedenheit artikulieren, obwohl immer klarer gegen einen Teil von ihnen regiert wird, der laufen mit der Zeit die Demokraten davon. Das hatte in der deutschen Geschichte schon einmal verheerende Folgen.

Auch die Weimarer Republik scheiterte nicht in erster Linie daran, dass die Nazis politisch Andersdenkende angriffen und die Jüdinnen und Juden zu Staatsfeinden Nr. 1 erklärten. Die Putschversuche in den Anfangsjahren von Weimar schädigten die junge Demokratie nicht nachhaltig. Die erste deutsche Republik scheiterte daran, dass zu viele Menschen resigniert beiseitetraten und den Kameraden von SS und SA freie Hand ließen. Sie taten es, weil sie mit der bisherigen Volksvertretung nicht zufrieden waren und innerhalb weniger Jahre zu oft von den Herrschenden enttäuscht worden waren. Zugegeben spielten auch damals äußere Einflüsse wie der Friedensvertrag von Versailles und die Hyperinflation in den 1920ern eine nicht unwesentliche Rolle. Viel entscheidender war aber der Umgang der Regierenden mit diesen Problemen und schon in der Zwischenkriegszeit fanden die Abgeordneten im Parlament keine passenden Antworten auf diese Fragen.

Die Lage vor hundert Jahren war sicher eine andere als heute. Es gibt aber Ähnlichkeiten, die zumindest zum Nachdenken anregen. Auch heute erleben wir immer häufiger extremistische Gewalttaten, welche die übergroße Mehrheit der Bürger fassungslos zurücklassen. Weder der Angriff auf die Synagoge in Halle noch der vereinzelte Protest gegen hohe Energiepreise hat bislang zum Umsturz des Systems geführt. Der Rückhalt für die aktuelle Politik schwindet aber zusehends, was es Extremisten auch 2022 immer leichter macht, die Verfassung zu unterwandern.


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In den letzten Jahren hat sich eine regelrechte Euphorie für politische Umfragen entwickelt. Beinahe fetischhaft verfolgen manche, wie es um die Gunst der Parteien bei den Wählerinnen und Wählern steht. Am Wahlabend erlebten sie dann so manche Überraschung. Doch Umfragewerte und Wahlergebnisse haben ein Problem: Sie werden von immer weniger Menschen gemacht. Viele Bürgerinnen und Bürger gehen entweder überhaupt nicht mehr zur Wahl oder sie wählen eine Partei, um eine andere Partei zu blockieren. Sie haben schlicht keine politische Vertretung mehr. Seit Jahren wächst diese Gruppe an politisch Verwahrlosten stetig an. Für die Demokratie ist das ein ernsthaftes Problem.

Überraschender Sieg

Der SPD ist bei der Bundestagswahl 2021 etwas gelungen, wovon sie viele Jahre nur träumen konnte: Sie wurde stärkste Kraft im Parlament. Altkanzler Schröder verfrachtete die Partei durch Sozialabbau und Hartz-Reformen für viele in die Unwählbarkeit. Angela Merkel trieb die Sozialdemokraten in insgesamt drei Großen Koalitionen vor sich her und hielt sie an der kurzen Leine. Durch den selbstgewählten Abtritt der ewigen Kanzlerin schöpfte die SPD neuen Mut und ging zögerlich, dann aber immer selbstbewusster in den Wahlkampf.

Am 26. September 2021 war die SPD die große Siegerin des Abends. Auch bei der Landtagswahl im Saarland im März 2022 triumphierte die SPD und holte sich sogar die absolute Mehrheit. Auch die Grünen treiben seit Jahren auf einem Hoch. Bei der Bundestagswahl 2021 schnitt die Partei sogar noch besser ab als beim Erdrutschsieg der FDP 2009.

Blinder Fleck

Der Erfolg der Parteien lässt sich spielend einfach an den Balken am Wahlabend ablesen. Nicht nur der Stimmanteil der Parteien wird dadurch wiedergegeben, auch die Gewinne und Verluste lassen sich mit der bewährten Methode darstellen. Doch seit Jahren verliert die klassische Lesart des Wahlergebnisses an Schlagkraft. Korkenknallen angesichts des Ergebnisses bei der Bundestagswahl gab es bestenfalls in der Parteizentrale. Eine echte Wechselstimmung wie nach der Abwahl von Helmut Kohl gab es unter den Bürgerinnen und Bürgern nicht.

Dabei sind die Gewinne und Verluste der Parteien mitunter beträchtlich. Die Euphorie im Volk bleibt trotzdem aus. Es gibt bei den Balken und Tortendiagrammen am Wahlabend einen immer größer werdenden blinden Fleck: die Nichtwähler und solche Wähler, die ihr Kreuz zufällig vergeben haben.

Zum Nichtwähler gemacht

Betrachtet man nämlich die Wählerwanderung, stellt man schnell fest, dass die etablierten Parteien gar nicht so sehr in Konkurrenz zueinander stehen, wie sonst immer beschworen wird. Es gibt Abwanderungen von einer Partei zur anderen, doch die zahlenstärksten Verluste müssen die meisten Parteien schon lange ans Lager der Nichtwähler abdrücken. Auf Landes- und Kommunalebene wiegt dieser demokratische Verlust besonders schwer: Bei der Landtagswahl in NRW am 15. Mai blieb fast die Hälfte der Wahlberechtigten den Wahllokalen fern.

Solch demokratieschädlichen Zustände als Erfolg für einzelne Parteien oder gar die parlamentarische Demokratie zu feiern, grenzt an Realitätsverweigerung. Wenn fast 50 Prozent der Bevölkerung nicht zur Wahl geht, steht am Ende die Hälfte ohne politische Vertretung da. Reflexartig reagieren manche da mit Häme und verbieten den unglückseligen Vertretungslosen zu jammern. Immerhin haben sie ihr Schicksal selbst so gewählt, als sie nicht an der Wahl teilnahmen.

Andersrum wird ein Schuh daraus: Das fehlende politische Angebot, die häufigen Enttäuschungen mit Politikern und das Gefühl, von der Politik nicht ernstgenommen zu werden, trieb viele dieser Menschen zu ihrer Entscheidung, am Wahlsonntag nicht das Haus zu verlassen. Die fehlende politische Repräsentanz dieser Leute ging ihrer verpassten Stimmabgabe voraus.

Verengtes Spektrum

Verluste fahren seit Jahren vor allem zwei Parteien ein – selbst unter denen, die noch zur Wahl gehen. Den beiden ehemaligen Volksparteien CDU und SPD laufen die Wähler davon. Die beiden „Großen“ verlieren besonders viele Wähler ans Nichtwählerlager. Die Klientel anderer Parteien ist hingegen relativ stabil, wenn nicht sogar im Aufschwung. Grüne und FDP durften sich bei den letzten Wahlen über das Krönchen der Königsmacher freuen, weil ohne sie keine Regierung zustandekam.

Doch das Spektrum von Grünen bis AfD reicht bei weitem nicht aus, um das vielfältige Meinungsspektrum im Land abzubilden. Die sogenannten Klientelparteien können gar nicht allen Menschen eine politische Heimat bieten, das ist auch gar nicht ihre Aufgabe. Doch die beiden Volksparteien sind mittlerweile so beliebig und profillos geworden, dass es für viele Menschen überhaupt keinen Unterschied mehr macht, wen sie wählen. Diese Erkenntnis ist meist der erste Schritt zu den Nichtwählern. Wenn meine Stimme sowieso keinen Unterschied macht, dann kann ich es auch gleich bleiben lassen.

Personalfragen

Die Festung, die CDU und SPD einst bildeten, bröckelt. Nach Jahren der beinahe zwanghaften Kooperation befinden sich beide Parteien in einem desolaten Zustand. Immer weniger werden diese Parteien wegen ihres Programms gewählt, dafür gibt es Grüne und FDP. Stattdessen versuchen viele Wählerinnen und Wähler durch die Wahl von CDU und SPD potenzielle Koalitionen zu ermöglichen oder auszuschließen. Im Fokus des Wahlkampfes 2021 stand nicht, ob CDU oder SPD die Wahl gewinnen. Im Fokus stand, mit wem Baerbock und Lindner regieren werden.

Mit solchen Personalfragen können die meisten Menschen nichts anfangen. Für sie ist nicht entscheidend, wer an der Spitze steht, sondern ob Politik in ihrem Sinne gemacht wird. Sie haben in den letzten Jahren immer wieder erfahren, dass ihre Bedürfnisse und Probleme die Entscheidungsträger in Bund und Land immer weniger interessieren. Sie können mit einem Tempolimit auf der Autobahn nichts anfangen, weil sie darin eine Beeinträchtigung ihres Lebensstils erkennen – und zwar ausschließlich das. Gendern und vielfältige Sprache empfinden sie als Bevormundung, nicht als Bereicherung. Und wenn ein Cem Özdemir (Grüne) die Ramschpreise für Obst und Gemüse abschaffen will, dann gibt es für sie Tütensuppe.

Viel Gerede um nichts

Geht doch einmal die Wundertüte um, sind viele bestenfalls Zaungäste, während andere beherzt hineingreifen. Der Pflegebonus und die Grundrente sind gute Ideen, von denen aber viel zu viele Menschen ausgeschlossen sind. Für viele macht es nach 40 Beitragsjahren unter’m Strich kaum einen Unterschied, ob sie die reguläre Mickrigrente oder die viel gepriesene Grundrente bekommen. Geredet wird über solche Pläne lange und ausgiebig, bei rum kommt dafür viel zu wenig.

Die Friseurin, die knapp zwei Jahre nach dem ersten Lockdown dringend darum gebeten wird, die zu viel gezahlten Coronahilfen unverzüglich und am besten auf einen Schlag zurückzuzahlen, dürfte eher zerknirscht sein, wenn sich große Konzerne großzügig vom Staat durch die Krise hieven lassen, gleichzeitig aber Rekordgewinne verzeichnen und fleißig Dividenden ausschütten. Eine solche Ungleichbehandlung zerstört das Vertrauen in einen durchsetzungsstarken und bürgernahen Staat. Denn Entlassungen gab es in solchen Konzernen trotzdem.

Premiere in der Bundesrepublik

Für solche Schicksale und Ungerechtigkeiten gibt es aktuell keine ernstzunehmende Kraft im deutschen Parteiensystem. Eine Zeit lang hofften einige Menschen, bei der AfD eine neue politische Heimat gefunden zu haben. Doch alsbald mussten sie feststellen, dass diese Partei überhaupt keine Chance hat, das Zepter zu übernehmen, doch nicht so treusorgend ist, wie sie sich immer geriert oder sie aufgrund innerparteilicher Querelen in diesem Leben nicht mehr aus dem Quark kommt. Wer nicht davor schon Nichtwähler war, der ist es dafür heute.

Einzig Die Linke würde gemäß ihrem Parteiprogramm eine politische Vertretung für diese Menschen sein. Sie ist es aber nicht. Viel lieber begnügen sich die demokratischen Sozialisten damit, die sozialeren Grünen zu sein. Seit sie in der Regierung sitzen, ist es bei den Grünen mit sozialen Vorhaben nämlich auch nicht mehr weit her. Und so erlebt die Bundesrepublik gerade etwas, was in ihrer Geschichte noch nicht vorkam: Eine Partei gibt sich komplett auf.

Eine exklusive Demokratie

Die sozialen Forderungen der Linken sind zwischenzeitlich nur noch Beiwerk einer Partei, die sich mit bestimmten personellen Entscheidungen längst mit der Rolle als Steigbügelhalter der Grünen abgefunden hat. Dieser Verrat an den Grundwerten und der Stammwählerschaft der Partei schlägt sich auch in deren Wahlergebnissen nieder. Die Linke kann sich anstrengen, wie sie will: Sie wird von den Wählerinnen und Wählern nicht mehr als die soziale Opposition wahrgenommen.

Dem vorausgegangen ist ein jahrelanger Kraftakt des politischen Zerstörungswillens, um das einzureißen, was andere über lange Zeit aufgebaut hatten. Man überließ manche Politikfelder komplett den Rechten und schlug den Wählern damit sprichwörtlich ins Gesicht. Wenn sich eine Partei so verhält, beschädigt sie die Demokratie enorm. Sie lässt es sehenden Auges zu, dass ein großer Teil der Bevölkerung ohne politische Vertretung im Parlament bleibt oder zwingt diese Menschen regelrecht, sich Parteien zuzuwenden, die ganz sicher nicht in ihrem Sinne agieren.

Seit Jahren ist Die Linke fleißig damit beschäftigt, ihrer Parteigeschichte einen Sargnagel nach dem anderen zu verpassen. Die SPD hat sich mal wieder in einer Regierung verheddert, in der sie viele sinnvolle Ziele nicht umsetzen kann. Mit der FDP auf den Regierungsbänken wird es keinen sozialen Aufschwung in unserem Land geben. Es scheint allmählich Normalität zu werden, dass manche Menschen politisch den Kürzeren ziehen. Eine Demokratie darf sich so etwas nicht erlauben. Die Bundesrepublik Deutschland darf kein Land werden, indem sich nur noch die Bessergestellten einbringen und eine Stimme haben.


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Eindeutig uneindeutig

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Niemand hat sich Illusionen gemacht, dass mit dem Wahlergebnis aus Sachsen-Anhalt leicht Politik zu machen ist. Umso erstaunter waren sicher viele, wie weit die Ergebnisse von CDU und AfD nun doch auseinanderliegen. Doch die Lage bleibt verzwickt: Eine rasche Regierungsbildung ist nicht zu erwarten. Grund dafür ist ein immer diverseres Parteienspektrum, das eine Bündelung schwerer macht. Diese Splitterung der Parteienlandschaft betrifft die linke Seite des Spektrums deutlich stärker als die rechte. Der Anteil an Nichtwählern wächst indessen weiter.

Glasklarer Sieger?

Die Würfel in Sachsen-Anhalt sind gefallen. Die CDU feiert sich als eindeutigen Wahlsieger. Die AfD ist am Heulen. Die Parteien des linken Spektrums lecken sich die Wunden. Bundesweit zeigen sich viele Menschen erleichtert über den klaren Vorsprung, den die CDU gegenüber der rechten Herausforderung aufbauen konnte. Mit einer leicht schwächelnden AfD und einem bestätigten Ministerpräsidenten scheint für viele in Sachsen-Anhalt die Welt in Ordnung zu sein. Dabei wird der eigentliche Sieger der Wahl völlig außer Acht gelassen: die Nichtwähler.

Denn erneut liegt die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt nicht bedeutend über 60 Prozent. Für eine Demokratie ist das eine glasklare Niederlage. Mit um die 40 Prozent überholen die Nichtwähler sogar den angeblichen Wahlsieger CDU.

Zweitstärkste Kraft

In Sachsen-Anhalt kam vergangenen Sonntag erneut ein Trend besonders krass zum Ausdruck. Die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen liegt traditionell unter dem Bundestrend. Geht man noch weiter ins Eingemachte, sinkt die Wahlbeteiligung weiter. Bei manchen OB-Wahlen ist man froh, wenn man 40 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen bekommt.

Aber auch auf Bundesebene ist die Beteiligung an Wahlen seit den 1980er-Jahren fast ungebrochen rückläufig. Immer weniger Menschen entscheiden sich dazu, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen. Seit etwa fünfzehn Jahren ist ein Sieg der Nichtwähler eher die Regel als die Ausnahme. Hätten die Nichtwähler nach der Bundestagswahl 2017 eine Fraktion gebildet, wären sie heute die zweitstärkste Kraft im Parlament.

Angebliche Wahlsiege der Parteien verkommen damit letztendlich immer mehr zur Farce. Wenn nicht einmal mehr zwei Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben, mutet es umso lächerlicher an, wenn die stärkste gewählte Kraft nicht einmal mehr auf 40 Prozent kommt.

Keine Volkspartei

Besonders erschreckend an der Wahl in Sachsen-Anhalt ist aber, dass in dem Flächenland inzwischen mehr als die Hälfte der Menschen der Demokratie eine Absage erteilt haben. Bei der mickrigen Wahlbeteiligung kam die AfD trotz allem auf mehr als 20 Prozent der Stimmen. Im Zusammenspiel mit den Menschen, die bewusst nicht an der Wahl teilgenommen haben, entsteht ein Bild, bei dem es jedem echten Demokraten nur Angst und Bange werden kann.

Tino Chrupalla beharrte erst kürzlich bei Anne Will darauf, dass die AfD eine Volkspartei in Sachsen-Anhalt sei. Dabei wird es mit dem Anspruch einer Volkspartei selbst bei der CDU eng, setzt man das Wahlergebnis in Relation zu den Nichtwählern. Deutlich früher als im Bund setzte in den ostdeutschen Bundesländern der Trend einer zersplitterten Parteienlandschaft ein. Die Wahlergebnisse im Osten waren bis auf wenige Ausnahmen in den 1990ern selten so eindeutig wie im Westen. Die SPD konnte in den neuen Bundesländern nur schwer fußfassen, die PDS war deutlich stärker als in den alten Bundesländern. Parlamente mit weniger als vier Fraktionen waren von Anfang an seltener als in Westdeutschland.

Die Ära der Notbündnisse

Trotzdem gibt es in den ostdeutschen Bundesländern besonders seit der Jahrtausendwende keine zwei eindeutig dominierenden Kräfte mehr. Die kleineren Parteien schrammen nicht automatisch an der 5-Prozent – Hürde entlang, während zwei Volksparteien an die 40 Prozent oder mehr holen. Viel eher haben sich die Wahlsieger bei um die 30 Prozent eingependelt, während die schwächere Konkurrenz trotzdem zweistellige Ergebnisse holt.

Dreierkoalitionen sind besonders in den neuen Ländern schon lange nichts neues mehr. Streckenweise diskutierte man sogar über eine sogenannte Simbabwe-Koalition mit vier beteiligten Parteien, um das zersplitterte Parteienspektrum zu überwinden. Währenddessen verzwergen sich die Sieger von vorgestern immer weiter. Die SPD ist in Sachsen-Anhalt inzwischen schwächer als die Parteien, die in den Hochrechnungen und Prognosen als „sonstige“ ausgewiesen werden.

Existenzprobleme

Der Wahlausgang in Sachsen-Anhalt bestätigt außerdem einen Trend, der zwar im Osten des Landes früher einsetzte, aber inzwischen auch im Westen angekommen ist. Viel häufiger als früher geht es den Wählerinnen und Wählern um eine Profilierung ihrer gewählten Parteien als um mögliche Zusammenarbeiten oder eine gemeinsame Stoßrichtung. Entlarvend ist dabei eine Umfrage zu möglichen Koalitionen in Sachsen-Anhalt: Die Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen erfährt unter den Befragten die geringste Zustimmung, obwohl es sich dabei um eine Zusammenarbeit der Wahlsieger handeln würde. Immerhin konnten alle diese Parteien bei der Wahl in unterschiedlichem Maße dazugewinnen.

Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt erreichte nur noch die CDU das Niveau einer Volkspartei. Sie ist der relative Wahlsieger. Auf dem zweiten Platz rangiert eine erschreckend starke AfD. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern zu beobachten. Bis auf wenige Ausnahmen fällt dabei auf, dass vor allem die Parteien schrumpfen, die sich traditionell dem linken Spektrum zuordnen. Die SPD ist dermaßen geschrumpft, dass sie kaum wiederzuerkennen ist. Die Linken kommen nur noch in Thüringen auf Traumergebnisse – und auch hier wahrscheinlich nur wegen des sympathischen Ministerpräsidenten.

Erstarken können hingegen die Parteien des rechten Spektrums, auch solche des demokratisch rechten Spektrums. Sie haben weitaus weniger mit Existenzproblem zu kämpfen als Linke, Grüne und SPD. Einstige Wählerinnen und Wähler dieser Parteien wanderten entweder zur AfD ab oder blieben der Wahl ganz fern. Der Grund dafür ist so simpel wie traurig: Würden die Grünen weniger auf nachrangingen Themen wie einer gendergerechten Sprache oder vorgeschriebenen Quoten in der Arbeitswelt herumreiten, dann würden sie auch im Osten deutlich bessere Ergebnisse einfahren. Von ihrem angeblichen Hoch war vergangenen Sonntag zumindest wenig zu spüren.

Keine Lust auf Belehrungen

Man löst das Problem von Diskriminierung nicht dadurch, dass man ein künstliches Sprachkonstrukt aufbaut. Viele Menschen wissen nichts von einem dritten Geschlecht und sie wollen es vielleicht auch gar nicht wissen. Sie begreifen den Sinn hinter gendergerechten Endungen nicht, weil diese Sprache ihre Lebensrealität nicht widerspiegelt. So entsteht eine Atmosphäre der Bevormundung, die eher spaltet als zusammenführt.

In der Konsequenz fühlen sich die Menschen von Parteien verprellt, die diesem Trend folgen. Die Art und Weise, wie Leute sprechen, wird immer mehr zum Statement erhoben. Wer gendert, muss ein neuer Linker sein, der mich belehren will. Wer es nicht tut, ist entweder zu dumm, das hohe Ziel der Antidiskriminierung zu verstehen oder er ist selbst einer dieser diskriminierenden Aggressoren. Viele Wählerinnen und Wähler möchten damit nichts zu tun haben. Sie scheiden aus dem demokratischen Geschäft aus oder wenden sich solchen Parteien zu, die viel mehr ihre bequemen Bedürfnisse ansprechen. Denn immerhin schreiben diese Parteien ihnen nicht vor, wie sie zu leben haben.

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