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Seit einer Woche ist der Rechtsrutsch in Italien besiegelt. Das
Rechtsbündnis um Giorgia Meloni erreichte bei den Wahlen vom 25. September die
absolute Mehrheit. Das Wahlergebnis übertraf sogar die Umfragewerte. Nicht nur
das erschreckend gute Abschneiden rechter Parteien bei der Wahl ist ein
Alarmsignal: Im Gegensatz zu 2018 nahm die Wahlbeteiligung erneut ab. Wie lange
sich Meloni an der Spitze der Regierung hält, wird die Zeit zeigen. Ihre Wahl
zur Regierungschefin wird die demokratischen Verhältnisse in dem
südeuropäischen Land jedoch nicht festigen.
Triumph für Rechts
Giorgia Meloni wird die nächste Ministerpräsidentin Italiens. Das gilt als
sicher. Sie ist damit die erste Frau in diesem Amt, aber nicht die erste
Rechtspopulistin. Viele stufen die Politikerin sogar als rechtsextrem ein. Der
Sieg von Giorgia Meloni ist für einige ein Schlag ins Gesicht. Ihr Triumph
kommt aber nicht überraschend.
Der fulminante Sieg des Rechtsbündnisses setzt einen Trend fort, der sich
seit Jahren immer weiter aufbaut. Nicht nur in Italien sind die Rechten auf dem
Vormarsch. Auch in anderen Ländern Europas gibt Rechtsaußen bei vielen Themen
den Ton an. Die AfD hat sich
mittlerweile in der deutschen Parteienlandschaft fest etabliert, mit Marine Le
Pen war für eine waschechte Rechtsextremistin das französische
Präsidentschaftsamt zum Greifen nah, in Polen regiert seit einigen Jahren die
nationalistische PiS-Partei. Letztere setzt sich vehement gegen das Recht auf
Abtreibung ein und befördert die Diskriminierung von Homosexuellen und
Transmenschen. Die Politik dieser Parteien spricht wahrlich Bände.
Mehrheit für die Nichtwähler
Der rechte Rand erlebt auch außerhalb Europas einen regelrechten Höhenflug.
Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro baut sein Land Schritt für Schritt
in ein autokratisches Regime um und auch den US-Amerikanern wird die
Präsidentschaft Donald Trumps wohl noch lange nachhängen.
All diese politischen Entwicklungen eint, dass sie anhand der
Wahlergebnisse auf eine erschreckend große Resonanz treffen. Teilweise
unterstützen mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler die Politik von
Trump, Gauland, Meloni und Co.. Dass die Wahlbeteiligung in vielen Ländern
gering ist, macht die Sache nur schlimmer. Anscheinend ist es einem Großteil
der Bevölkerungen egal, wie stark die extreme Rechte in ihren Ländern ist. Sie
nehmen ihr Recht auf politische Einflussnahme nicht wahr. Die Wahlergebnisse in
fast allen Ländern mit Rechtsruck sind daher nicht repräsentativ, aber leider
real.
Rechte Rattenfänger
Georgia Meloni ist eine Postfaschistin. Zahlreiche ihrer Äußerungen weisen
darauf hin. Benito Mussolini will sie als fähigen Staatsmann verstanden wissen,
der neben vielen Erfolgen ein paar Fehler gemacht hat. Es ist erschreckend, wie
eine solche Person das bedeutendste Staatsamt Italiens bekleiden darf.
Fairerweise muss dazugesagt werden, dass nicht alle rechten Wähler Melonis
Fratelli d’Italia ihre Stimme gaben. Viele von ihnen wählten auch die anderen
Parteien des Bündnisses, setzten durch ihre Wahl von Personen wie Silvio
Berlusconi aber dennoch ein deutliches Zeichen.
Trotzdem ist es nicht so, dass die Mehrheit dieser Wählerinnen und Wähler
faschistisch eingestellt sind. Die meisten von ihnen sind verzweifelt und
enttäuscht. Sie merken, dass viele politischen und wirtschaftlichen
Entwicklungen sie überfordern und ihre Vertreterinnen und Vertreter in den
Parlamenten keine angemessenen Lösungen dagegen anbieten. Sie fühlen sich
zurecht abgehängt und im Stich gelassen.
Besonders enttäuscht sind viele von ihnen von der EU, die es sich in ihren
Augen zum Sport gemacht hat, schwächere Mitgliedländer wie Italien oder
Griechenland an der kurzen Leine zu halten und zu gängeln. In der Folge sind
viele Bürgerinnen und Bürger nationalistischen Strömungen zugeneigt, die ihnen
einen abgesicherten Raum ohne nennenswerte Einflussnahme von äußeren Kräften
vorgaukeln.
Von Krise zu Krise
Dazu kommen aktuelle Entwicklungen und die Krisen der letzten Jahre. Wie
kein anderes Land ist Italien weiterhin von den Folgen der Coronapandemie
gezeichnet. Die Bilder von Leichensäcken, die aus italienischen Krankenhäusern
und Pflegeeinrichtungen getragen wurden, gingen um die Welt. Die gestiegenen
Energiepreise aufgrund des russischen Einfalls in der Ukraine treffen Italien
ebenfalls besonders hart. Auch dieses Land wird von kalten Wintertagen nicht
verschont bleiben und viele Menschen wissen nicht, wie sie die anstehenden
Kosten stemmen sollen.
Wie bei der PiS-Partei in Polen spielt auch die Fratelli d’Italia die
religiöse Karte aus. Italien ist ein vom strengen Christentum geprägtes Land
und reagiert anders auf religiöse Chiffren als das in Ländern wie Deutschland
oder Frankreich der Fall ist. Die Menschen haben außerdem gesehen, dass sich an
ihren alltäglichen Problemen kaum etwas ändert, obwohl die Regierungen am
laufenden Band wechselten. Für einige war das ein Grund mit der Wahl von
Melonis Rechtsbündnis härtere Geschütze aufzufahren, für manch andere war es
Anlass, daheimzubleiben.
Keine politische Konstante
Italien ist seit Jahren eines der Sorgenkinder der EU. Nicht nur die
Finanzkraft des Landes bereitet der Union ernsthafte Sorgen, auch die
demokratische Verfasstheit des Landes ist weniger gefestigt als in anderen
Ländern. Die Menschen in Italien haben keine politische Konstante, an denen sie
sich orientieren können. Während es in Deutschland keine Seltenheit ist, dass
ein Bundeskanzler mehr als zehn Jahre durchregiert, kam in Italien kein
einziger Regierungschef seit dem Zweiten Weltkrieg auf eine so lange Amtszeit.
Die Machtwechsel und Kabinettsumbildungen hatten teilweise nicht einmal ein
Jahr lang Bestand.
Auch wenn die Demokratie bekanntlich vom Wechsel lebt, überfordert ein zu
häufiger Wechsel die Bürgerinnen und Bürger. Ihre Wahlentscheidung verkommt zum
Glücksspiel und ihre Stimme ist wenige Monate später nichts mehr wert. Diese
Uneinigkeit in der italienischen Demokratie ist auf Dauer schädlich für das
Land.
Dazu kommt, dass einige Regierungswechsel nicht darauf zurückzuführen sind,
weil sich die Entscheidungsträger nicht einig waren. Silvio Berlusconi
beispielsweise ist korrupt und hat sein Amt deswegen verloren. Es dürfte viele
Italienerinnen und Italiener dennoch irritieren, dass er trotzdem mehrfach
Regierungschef ihres Landes war und nun wahrscheinlich erneut hohe Staatsämter
bekleiden wird. Man kann es den rund 16 Millionen angesichts dieser demokratischen
Schieflage nicht übelnehmen, dass sie auf ihr Wahlrecht verzichteten.
Weimar in Dauerschleife
Die Demokratie in Italien konnte seit dem Zweiten Weltkrieg kaum fußfassen. Neben den ständigen Regierungswechseln, dem Rechtsrutsch und den zahlreichen Politskandalen gab es in Italien nie eine ernsthafte Aufarbeitung des Faschismus. Bei Giorgia Melonis Äußerungen zu Benito Mussolini dürfte ein Herr Gauland vor Neid erblasst sein. So viel Vogelschiss hat nicht einmal die AfD zustandegebracht.
Im Grunde erleben die Italiener ein Weimar in Dauerschleife. Während in den 1920ern dauerhaft die Kriegsschuld und der Versailler Vertrag wie ein Damoklesschwert über der deutschen Republik hing, verhindert in Italien die nicht abgetragene Hypothek des Mussolinifaschismus seit Jahrzehnten eine funktionierende Demokratie. Manche Medien schreiben von einer Demokratiemüdigkeit der Italiener. Aber wie soll man von etwas müde sein, was man nie in seiner vollen Blüte erlebt hat? Die Menschen in Italien sind müde davon, sich immer wieder Hoffnungen auf Stabilität und Sicherheit zu machen, um dann doch enttäuscht zu werden. Von der Demokratie sind sie verdrossen und nicht müde.