Auf wackeligen Beinen

Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni waren lange Koalitionsverhandlungen vorprogrammiert. Die Mehrheit aus CDU und SPD war so knapp, dass Rainer Haseloff sein Kabinett um die FDP erweiterte. Der Preis für so viel Kompromissbereitschaft ließ nicht lange auf sich warten: Haseloff gelang es erst im zweiten Wahlgang, sich zum Ministerpräsidenten wiederwählen zu lassen. Der Weg des neuen alten Regierungschefs ist nicht alternativlos: Eine Bündelung der demokratischen Kräfte wäre auch anders denkbar gewesen.

Munteres Zahlenspiel

Seit vergangenem Donnerstag ist es offiziell: Das Land Sachsen-Anhalt hat eine neue Regierung. Ministerpräsident bleibt Rainer Haseloff von der CDU. Er führt das Land fortan mit einer Deutschlandkoalition mit SPD und FDP. Wie bereits in Thüringen vor anderthalb Jahren zeichnete sich bereits am Wahlabend am 6. Juni ab, dass es zu langen Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen kommen würde. Klarer Wahlsieger war zwar Haseloffs CDU, doch gestaltete es sich schwierig, die Bedürfnisse aller Koalitionspartner unter einen Hut zu bringen.

Umso erstaunlicher ist nun, dass es Ministerpräsident Haseloff gelungen ist, sich aus drei unterschiedlichen Lagern zum Regierungschef wählen zu lassen – wenn auch erst beim zweiten Anlauf. Immerhin ist die Regierungsbeteiligung der FDP rein rechnerisch überhaupt nicht vonnöten. Die CDU in Sachsen-Anhalt käme auch allein mit der SPD auf eine absolute Mehrheit. Die beiden Parteien stellen im Magdeburger Landtag derzeit 49 von 97 Sitzen, also genau die Anzahl an Mandaten, die für eine Mehrheitsbildung nötig ist.

Alles für die Mehrheit

Die Liberalen wurden als reiner Stabilitätsfaktor mit ins Boot geholt. Der erste Wahlgang vom Donnerstag zeigte, dass dieser Puffer eine gute Investition für Rainer Haseloff war. Selbst mit dieser breiten Mehrheit gelang es ihm zunächst nicht, auf die absolute Mehrheit zu kommen. Wie wäre der Wahlgang wohl ausgegangen, wenn die FDP nicht gewesen wäre?

Vermutlich hätte Haseloff eine noch herbere Niederlage einstecken müssen. Trotzdem ist es durchaus bedenklich, dass die rechnerische Mehrheit zulasten der Opposition erweitert wird. Rainer Haseloff mag die Landtagswahl zwar haushoch gewonnen haben, trotzdem verteilten sich abweichende Meinungen auf insgesamt fünf Parteien. Es ist nicht demokratisch, diese Vielfalt an Widerspruch durch Mehrheitsbeschaffungsmaßnahmen ungerecht kleinzuhalten.

Weniger Opposition, mehr AfD

Es ist nämlich einerseits keine Selbstverständlichkeit für die FDP, überhaupt in den Landtag eines ostdeutschen Bundeslands gewählt worden zu sein. Seit der Wiedervereinigung hatten es die Liberalen eher schwer, in diese Parlamente einzuziehen. Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler nun dazu zu nutzen, um auf Teufel komm‘ raus in der Regierung zu sitzen – das ist für die FDP schon einmal nach hinten losgegangen.

Diese Schwächung der Opposition hat aber noch einen anderen Effekt. Die Oppositionsführerin AfD hat nach der Fahnenflucht der FDP nun noch mehr Gewicht. Mit einem Konkurrenten weniger in der Opposition wird es ihr noch leichter fallen, sich als einzige wählbare Alternative zu gerieren.

Dokumentierte Treue

Über ihren vermeintlichen Wahlsieg im Juni kann sich die CDU also nach wie vor nicht freuen. Der Abstand zur AfD ist zwar größer als erwartet, doch besonders in der CDU brodelt ein Richtungsstreit, der Haseloff einige Stimmen gekostet hat. Großes Streitthema in der Fraktion ist der Umgang mit der AfD. Haseloffs Brandmauerpolitik gefällt nicht jedem. Dieser Zwist wird einer der Gründe dafür sein, warum Haseloff im ersten Wahlgang insgesamt acht Stimmen abhandengekommen sind.

Um sich keinem falschen Verdacht auszusetzen, sah sich mindestens ein Abgeordneter der CDU beim zweiten Wahlgang dazu genötigt, seinen Stimmzettel mit dem Kreuz für Rainer Haseloff zu fotografieren. Diesen fragwürdigen Treueschwur nutzen die Grünen nun dazu, um gegen die Wahl vorzugehen. In jedem Fall verdeutlicht dieser Vorgang den Riss, der durch die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt geht.

Auf wackeligen Beinen

Die wackelige Mehrheit, auf die sich Rainer Haseloff beruft, ist kein neues Phänomen. Seit Jahren verlieren rechnerische Mehrheiten nach Parlamentswahlen an Bedeutung. Immer wieder mussten gestandene Politiker erleben, wie sie von Gefährten aus den eigenen Reihen zu Fall gebracht wurden. Erinnert sei hier nur an den traurigen Fall von Heide Simonis (SPD). Einer der ihren verweigerte ihr in insgesamt vier Wahlgängen die Unterstützung und führte damit die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein vor.

Auch die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel musste die Erfahrung machen, dass ihre Koalition nicht geschlossen hinter ihr steht. Bei ihrer Wiederwahl zur deutschen Bundeskanzlerin am 14. März 2018 fehlten ihr insgesamt 35 Stimmen. Selbst bei einer Großen Koalition ist diese Differenz bemerkenswert.

Eine Regierung für alle?

Diese unsteten Mehrheiten zeigen, dass es den Parteien zunehmend schwerfällt, die politischen Kräfte in klassischen Mehrheitskoalitionen zu bündeln. Oft wird in diesem Atemzug die AfD genannt, die die politische Ordnung durcheinanderbringt. Man rechtfertigt übergroße Koalitionen wie in Sachsen-Anhalt damit, dass sich die demokratischen Parteien gegen die AfD zusammenschließen müssten.

Die Verteidigung der Demokratie ist durchaus eine wichtige Aufgabe aller demokratischen Parteien. Eine Regierung sollte aber nicht nur den Kampf gegen die Undemokraten in einer Gesellschaft im Blick haben, sondern vor allem die Bedürfnisse der breiten Mehrheit. Bei zu großen Regierungskoalitionen schauen viele Menschen schnell in die Röhre. Unter dem Vorzeichen des Kompromisses ist es der Politik dann nicht mehr möglich, der politische Vielfalt in der Bevölkerung angemessen Rechnung zu tragen.

Angewandte Demokratie

Im übrigen könnten die Parteien der AfD auch ohne künstlich erzeugte Mehrheiten etwas entgegensetzen. Jenseits von Regierungsmehrheiten ist ein Zusammenschluss in Einzelfragen durchaus möglich. Das Stichwort ist hier „Toleranz“. Diese Toleranz kann sogar so weit gehen, dass die Parteien eine Regierung akzeptieren, die auf keine parlamentarische Mehrheit kommt. In Sachsen-Anhalt könnte davon besonders die FDP profitieren, die weiterhin keine Abstriche aus Rücksicht auf eine Koalition nehmen müsste.

Solche Minderheitsregierungen würden dem Wunsch vieler Menschen im Volk entsprechen. Die Parteien müssten wieder echte Überzeugungsarbeit leisten. Es würde wieder eine lebendige Diskussion stattfinden. Die Hetzer von rechts hätten es schwerer, vom politischen Einheitsbrei zu faseln. In Zeiten, in denen es immer schwerer wird, stabile Mehrheiten zu bilden, wäre eine solche Lösung ein wahrer Gewinn für die Demokratie. Dieser Weg wäre ausdrücklich kein Einknicken vor der AfD. Viel eher würde man den Wunsch in der Bevölkerung nach Unterscheidbarkeit der Parteien ernstnehmen. Im Kampf für die Demokratie helfen keine Machtdemonstrationen. Es braucht Demokratiedemonstrationen.

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Eindeutig uneindeutig

Lesedauer: 7 Minuten

Niemand hat sich Illusionen gemacht, dass mit dem Wahlergebnis aus Sachsen-Anhalt leicht Politik zu machen ist. Umso erstaunter waren sicher viele, wie weit die Ergebnisse von CDU und AfD nun doch auseinanderliegen. Doch die Lage bleibt verzwickt: Eine rasche Regierungsbildung ist nicht zu erwarten. Grund dafür ist ein immer diverseres Parteienspektrum, das eine Bündelung schwerer macht. Diese Splitterung der Parteienlandschaft betrifft die linke Seite des Spektrums deutlich stärker als die rechte. Der Anteil an Nichtwählern wächst indessen weiter.

Glasklarer Sieger?

Die Würfel in Sachsen-Anhalt sind gefallen. Die CDU feiert sich als eindeutigen Wahlsieger. Die AfD ist am Heulen. Die Parteien des linken Spektrums lecken sich die Wunden. Bundesweit zeigen sich viele Menschen erleichtert über den klaren Vorsprung, den die CDU gegenüber der rechten Herausforderung aufbauen konnte. Mit einer leicht schwächelnden AfD und einem bestätigten Ministerpräsidenten scheint für viele in Sachsen-Anhalt die Welt in Ordnung zu sein. Dabei wird der eigentliche Sieger der Wahl völlig außer Acht gelassen: die Nichtwähler.

Denn erneut liegt die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt nicht bedeutend über 60 Prozent. Für eine Demokratie ist das eine glasklare Niederlage. Mit um die 40 Prozent überholen die Nichtwähler sogar den angeblichen Wahlsieger CDU.

Zweitstärkste Kraft

In Sachsen-Anhalt kam vergangenen Sonntag erneut ein Trend besonders krass zum Ausdruck. Die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen liegt traditionell unter dem Bundestrend. Geht man noch weiter ins Eingemachte, sinkt die Wahlbeteiligung weiter. Bei manchen OB-Wahlen ist man froh, wenn man 40 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen bekommt.

Aber auch auf Bundesebene ist die Beteiligung an Wahlen seit den 1980er-Jahren fast ungebrochen rückläufig. Immer weniger Menschen entscheiden sich dazu, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen. Seit etwa fünfzehn Jahren ist ein Sieg der Nichtwähler eher die Regel als die Ausnahme. Hätten die Nichtwähler nach der Bundestagswahl 2017 eine Fraktion gebildet, wären sie heute die zweitstärkste Kraft im Parlament.

Angebliche Wahlsiege der Parteien verkommen damit letztendlich immer mehr zur Farce. Wenn nicht einmal mehr zwei Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben, mutet es umso lächerlicher an, wenn die stärkste gewählte Kraft nicht einmal mehr auf 40 Prozent kommt.

Keine Volkspartei

Besonders erschreckend an der Wahl in Sachsen-Anhalt ist aber, dass in dem Flächenland inzwischen mehr als die Hälfte der Menschen der Demokratie eine Absage erteilt haben. Bei der mickrigen Wahlbeteiligung kam die AfD trotz allem auf mehr als 20 Prozent der Stimmen. Im Zusammenspiel mit den Menschen, die bewusst nicht an der Wahl teilgenommen haben, entsteht ein Bild, bei dem es jedem echten Demokraten nur Angst und Bange werden kann.

Tino Chrupalla beharrte erst kürzlich bei Anne Will darauf, dass die AfD eine Volkspartei in Sachsen-Anhalt sei. Dabei wird es mit dem Anspruch einer Volkspartei selbst bei der CDU eng, setzt man das Wahlergebnis in Relation zu den Nichtwählern. Deutlich früher als im Bund setzte in den ostdeutschen Bundesländern der Trend einer zersplitterten Parteienlandschaft ein. Die Wahlergebnisse im Osten waren bis auf wenige Ausnahmen in den 1990ern selten so eindeutig wie im Westen. Die SPD konnte in den neuen Bundesländern nur schwer fußfassen, die PDS war deutlich stärker als in den alten Bundesländern. Parlamente mit weniger als vier Fraktionen waren von Anfang an seltener als in Westdeutschland.

Die Ära der Notbündnisse

Trotzdem gibt es in den ostdeutschen Bundesländern besonders seit der Jahrtausendwende keine zwei eindeutig dominierenden Kräfte mehr. Die kleineren Parteien schrammen nicht automatisch an der 5-Prozent – Hürde entlang, während zwei Volksparteien an die 40 Prozent oder mehr holen. Viel eher haben sich die Wahlsieger bei um die 30 Prozent eingependelt, während die schwächere Konkurrenz trotzdem zweistellige Ergebnisse holt.

Dreierkoalitionen sind besonders in den neuen Ländern schon lange nichts neues mehr. Streckenweise diskutierte man sogar über eine sogenannte Simbabwe-Koalition mit vier beteiligten Parteien, um das zersplitterte Parteienspektrum zu überwinden. Währenddessen verzwergen sich die Sieger von vorgestern immer weiter. Die SPD ist in Sachsen-Anhalt inzwischen schwächer als die Parteien, die in den Hochrechnungen und Prognosen als „sonstige“ ausgewiesen werden.

Existenzprobleme

Der Wahlausgang in Sachsen-Anhalt bestätigt außerdem einen Trend, der zwar im Osten des Landes früher einsetzte, aber inzwischen auch im Westen angekommen ist. Viel häufiger als früher geht es den Wählerinnen und Wählern um eine Profilierung ihrer gewählten Parteien als um mögliche Zusammenarbeiten oder eine gemeinsame Stoßrichtung. Entlarvend ist dabei eine Umfrage zu möglichen Koalitionen in Sachsen-Anhalt: Die Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen erfährt unter den Befragten die geringste Zustimmung, obwohl es sich dabei um eine Zusammenarbeit der Wahlsieger handeln würde. Immerhin konnten alle diese Parteien bei der Wahl in unterschiedlichem Maße dazugewinnen.

Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt erreichte nur noch die CDU das Niveau einer Volkspartei. Sie ist der relative Wahlsieger. Auf dem zweiten Platz rangiert eine erschreckend starke AfD. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern zu beobachten. Bis auf wenige Ausnahmen fällt dabei auf, dass vor allem die Parteien schrumpfen, die sich traditionell dem linken Spektrum zuordnen. Die SPD ist dermaßen geschrumpft, dass sie kaum wiederzuerkennen ist. Die Linken kommen nur noch in Thüringen auf Traumergebnisse – und auch hier wahrscheinlich nur wegen des sympathischen Ministerpräsidenten.

Erstarken können hingegen die Parteien des rechten Spektrums, auch solche des demokratisch rechten Spektrums. Sie haben weitaus weniger mit Existenzproblem zu kämpfen als Linke, Grüne und SPD. Einstige Wählerinnen und Wähler dieser Parteien wanderten entweder zur AfD ab oder blieben der Wahl ganz fern. Der Grund dafür ist so simpel wie traurig: Würden die Grünen weniger auf nachrangingen Themen wie einer gendergerechten Sprache oder vorgeschriebenen Quoten in der Arbeitswelt herumreiten, dann würden sie auch im Osten deutlich bessere Ergebnisse einfahren. Von ihrem angeblichen Hoch war vergangenen Sonntag zumindest wenig zu spüren.

Keine Lust auf Belehrungen

Man löst das Problem von Diskriminierung nicht dadurch, dass man ein künstliches Sprachkonstrukt aufbaut. Viele Menschen wissen nichts von einem dritten Geschlecht und sie wollen es vielleicht auch gar nicht wissen. Sie begreifen den Sinn hinter gendergerechten Endungen nicht, weil diese Sprache ihre Lebensrealität nicht widerspiegelt. So entsteht eine Atmosphäre der Bevormundung, die eher spaltet als zusammenführt.

In der Konsequenz fühlen sich die Menschen von Parteien verprellt, die diesem Trend folgen. Die Art und Weise, wie Leute sprechen, wird immer mehr zum Statement erhoben. Wer gendert, muss ein neuer Linker sein, der mich belehren will. Wer es nicht tut, ist entweder zu dumm, das hohe Ziel der Antidiskriminierung zu verstehen oder er ist selbst einer dieser diskriminierenden Aggressoren. Viele Wählerinnen und Wähler möchten damit nichts zu tun haben. Sie scheiden aus dem demokratischen Geschäft aus oder wenden sich solchen Parteien zu, die viel mehr ihre bequemen Bedürfnisse ansprechen. Denn immerhin schreiben diese Parteien ihnen nicht vor, wie sie zu leben haben.

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Schlechte politische Kinderstube

Vorschaubild: No-longer-here, pixabay, bearbeitet von Sven Rottner.

Lesedauer: 8 Minuten

Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt zeichnet sich ein Showdown zwischen CDU und AfD ab. Beide Parteien haben gute Chancen, stärkste Kraft im nächsten Landtag zu werden. Für die einen mag es erfreulich sein, mit etwa 26 Prozent stärkste Fraktion zu werden. Für die anderen ist es ein Armutszeugnis. Währenddessen trägt der Ostbeauftragte der Bundesregierung kräftig dazu bei, Szenario 1 Wirklichkeit werden zu lassen. Mit seinen Äußerungen erreicht die Verachtung vieler ostdeutscher Wählerinnen und Wähler ein neues besorgniserregendes Niveau. Ein erfolgreicher Kampf gegen rechtsextreme Kräfte geht anders.

Ein Kopf-an-Kopf – Rennen

Sachsen-Anhalt wählt. Heute. Die Landtagswahl gilt als der letzte Stimmungstest im Superwahljahr vor der Bundestagswahl im Herbst. Schon jetzt der geheime Star der Wahl: die AfD. Denn in Sachsen-Anhalt zeichnet sich schon jetzt eine deutliche Trendwende ab. Während die Rechtspopulisten bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz deutlich an Stimmen einbüßten, holen sie in Sachsen-Anhalt weiter auf. Die anderen Parteien interessieren nur insofern, wie wenig oder wie viel Abstand ihr Wahlergebnis von dem der AfD aufweist. Tatsächlich zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen der regierungsführenden CDU und der Oppositionsführerin AfD ab.

Allein dieser Umstand bietet genug Anlass zur Sorge. Eine Partei, die sich besonders in den ostdeutschen Bundesländern immer stärker radikalisiert, könnte stärkste Kraft in einem Flächenland werden. Koalitionen mit der AfD schlossen zwar alle Parteien bislang aus, aber einen Wahlsieg macht das eben nicht wett. Und um den Wahlausgang noch spannender zu machen, ließ kürzlich der Ostbeauftragte der Bundesregierung einige Äußerungen vom Stapel, die sicher nicht zum Sexappeal seiner eigenen Partei beigetragen haben.

Ein offenes Wort

Da schwadronierte der CDU-Politiker Marco Wanderwitz allen Ernstes davon, dass ein beträchtlicher Teil der AfD-Wähler für die Demokratie für immer verloren sei. Dessen fragwürdige Entscheidung für die AfD begründete er damit, dass diese Menschen schließlich in einer Diktatur sozialisiert worden seien und das Gift des Faschismus wie Muttermilch aufgesogen hätten. Diese verzogenen Anti-Demokraten hätten doch gar keine andere Wahl als sich von den Allmachts- und Heimatfantasien der AfD mitreißen zu lassen.

Selbstverständlich kann man sich über Wanderwitz‘ Äußerungen blauärgern. Man kann ihm aber auch dankbar dafür sein, dass er unverblümt offengelegt hat, warum viele Menschen lieber der AfD ihre Stimme geben als seiner eigenen Partei. In gewisser Weise betätigte sich Marco Wanderwitz als politischer Irrwicht, der genau die Gestalt annahm, vor der sich die Wähler am meisten fürchten. Als er klipp und klar bestätigte, dass diese Wählerinnen und Wähler für ihn abgeschrieben seien, trat für die Wählerschaft genau das ein, wovor sie am meisten Angst haben. Sie sind uninteressant, minderwertig und nicht wert, dass für sie überhaupt Politik gemacht wird. Ihre Interessen zählen in der Politik nichts.

Wegen oder trotz?

Seit vielen Jahren bekommen gerade ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger immer wieder solche Signale. Zwischen den Zeilen können sie schon lange herauslesen, dass ihre Bedürfnisse ganz weit hinten auf der Liste stehen. Die erfrischende Offenheit von Marco Wanderwitz erstaunt da doch ein wenig. Er hat sie als chronische Undemokraten verunglimpft, denen nichts daran liegt, demokratisch und in Frieden zusammenzuleben. Er hat ihnen sogar die Fähigkeit abgesprochen, sich überhaupt jemals auf dem Pfad der Demokratie zurechtzufinden. Wanderwitz hätte es besser wissen müssen: Noch nie hat die Beschimpfung als Nazi einen einzigen Wähler von der AfD zurückgewonnen.

Das hat auch einen einfachen Grund. Viele Wählerinnen und Wähler der AfD wenden sich doch nur deshalb dieser Partei zu, weil sie hoffen, damit endlich wieder wahrgenommen zu werden. Man kann darüber streiten, ob sie die Rechtspopulisten wegen oder trotz ihrer rechtsextremen Tendenzen wählen. Beides ist vielleicht richtig. Wenn sie die AfD aber wegen dieser Tendenzen wählen, dann nicht, weil sie selbst solches Gedankengut teilen, sondern weil sie es inzwischen als den einzigen Weg sehen, den Fokus auf ihre Bedürfnisse zu richten. Wenn den Benachteiligten in einer Gesellschaft keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als für rechtsextreme Parteien zu stimmen, dann haben die demokratischen Parteien in dieser Gesellschaft etwas grundlegend falschgemacht.

Eine geschichtliche Gewissheit

Anstatt das einzusehen und mögliche Fehler zu korrigieren, wirft der Ostbeauftragte Wanderwitz mit Belehrungen und Bevormundungen nur so um sich. Er spricht es einer großen Zahl an Menschen ab, jemals für demokratische Werte empfänglich gewesen zu sein, weil sie auf dem ehemaligen Staatsgebiet einer Diktatur großgeworden sind. Diese absurde Behauptung ist gleich aus mehreren Gründen falsch. Denn bezeichnenderweise hat ein Großteil der ostdeutschen AfD-Wählerinnen und -Wähler die DDR nie erlebt. Erhebungen zeigen seit Jahren, dass die Wählerschaft der Rechtsaußen-Partei hauptsächlich zwischen 30 und 50 Jahre alt sind. Dies entspricht einer Generation, in der durchaus einige in der ehemaligen DDR sozialisiert wurden. Die meisten unter ihnen kennen den sozialistischen Staat allerdings nur noch aus lange vergangenen Kindheitstagen.

Betrachtet man die Alterskohorte, welche die DDR viele Jahre lang miterlebt hat, so wird man schnell feststellen, dass unter diesen Menschen die Zustimmung zur AfD weitaus geringer ausfällt. In manchen Bundesländern wählen diese älteren Menschen sogar seltener AfD als die Unter – 30-Jährigen. Deren Zustimmung zur AfD ist besonders besorgniserregend. Schließlich wurde diese Gruppe ausschließlich in der Bundesrepublik sozialisiert.

Die Frage ist doch, weshalb so viele junge Menschen ihr Kreuz bei der AfD machen. Das hat maßgeblich mit der wirtschaftlichen Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer seit der Wiedervereinigung zu tun. Natürlich gab es in den letzten 30 Jahren einige wirtschaftliche Erfolge in den neuen Bundesländern. Im großen und ganzen zeichnete sich jedoch schnell der Trend ab, dass die ostdeutschen Bundesländer wirtschaftlich hinten runterfallen. Und dass es eine Demokratie sehr schwer hat, wenn sie unter wirtschaftlich ungünstigen Voraussetzungen startet, das sollte die deutsche Geschichte ausreichend bewiesen haben.

Geschlossen gegen die Diktatur

Es war nicht zuletzt die gefestigte und stabile West-Demokratie, die den Laden im Osten über Jahre am Laufen hielt. Natürlich bemühten sich die meisten, in der neuen Demokratie Fuß zu fassen. Im Westen hatte das schließlich nach dem Krieg auch geklappt. Im Westen hatte es aber auch einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben, ohne den auch die BRD nicht lange hätte bestehen können.

Dass die Bürgerinnen und Bürger der DDR die Demokratie trotz angeblicher Diktatursozialisierung wollten, daran lässt der Fall der Mauer keinen Zweifel zu. Es waren die Ostdeutschen, die die Mauer zum Einsturz brachten und sich ihren Weg in die Demokratie friedlich, aber energisch erkämpft haben. Diesen Menschen nun pauschal vorzuwerfen, sie könnten mit der Demokratie nichts anfangen, ist eine Geschichtsverfälschung, für die man sich als echter Demokrat nur schämen kann.

Demokratisches Potenzial

Genau so falsch ist es, den Aufstieg der AfD zu einem rein ostdeutschen Problem zu verklären. Auch in westdeutschen Bundesländern erzielte die AfD deutlich zweistellige Wahlergebnisse. Will man jetzt auch den Baden-Württembergern und Hessen die Demokratiewürde absprechen, weil die AfD dort um die 15 Prozent geholt hat? Es ist richtig, dass die AfD in den neuen Ländern stärker abgesahnt hat. Das liegt aber nicht daran, dass dort mehr Undemokraten leben.

Auch die sinkenden Zustimmungswerte für Rechtsaußen in den westlichen Bundesländern sind kein Grund zur Entwarnung. Viele der Wählerinnen und Wähler verabschieden sich ins Nichtwählerlager. Sie sind scheinbar weniger dazu geneigt, ihrem Frust durch ein Kreuz bei der AfD Luft zu machen als es die Menschen in Sachsen-Anhalt & Co. sind.

Im übrigen mobilisierte auch die Ost-AfD viele Nichtwähler. Sie ermutigte sie dazu, an den Wahlen wieder teilzunehmen. Ihre Wahlentscheidung kann man sicher kritisieren. Mit offener Verachtung erreicht man aber das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will. Wer nicht möchte, dass die Wählerinnen und Wähler, egal ob in Ost oder West, der Demokratie für immer den Rücken kehren, der muss die Überheblichkeit gegenüber diesen Menschen endlich abstreifen. Die AfD ist eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie. Paradoxerweise zeigt sie aber, wie viel den Menschen an einer funktionierenden Demokratie liegt. Diese Menschen sind nicht verloren. Mit ernsthafter Politik auf Augenhöhe sind sie zurückzugewinnen. Marco Wanderwitz hat das nicht verstanden.


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