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Noch achtzehn Tage bis zur Parteigründung: Mit ihrer gerade entstehenden Partei will Sahra Wagenknecht die politische Landschaft aufmischen. Damit bürden sich die Parteigründer jede Menge auf. Sie wollen möglichst vielen enttäuschten Wählern eine politische Heimat bieten, egal aus welcher politischen Richtung es sie zum neuen Bündnis verschlägt. Den Medien passt das gar nicht. Sie haben sich in den letzten Jahren an die Schublade gewöhnt und sehen in dem neuen Projekt nichts weiter als ein Sammelbecken für chronisch Frustrierte. Dass mit der neuen Partei der etablierte Politikstil grundsätzlich in Frage gestellt wird, kommt in der Berichterstattung oft zu kurz.
Sahra Wagenknecht ist eine Rechte. Seit Jahren versuchen verschiedene Medien, die einstige Linken-Ikone in die Nähe der AfD zu rücken. Manchmal haben sie damit Erfolg. Denn Sahra Wagenknecht provoziert und polarisiert. Das ist vielen nicht geheuer, hat sich doch die linke Seite des politischen Spektrums zu harsche Kritik an den Regierenden schon vor Jahren abgewöhnt. Sahra Wagenknecht will nicht ins Raster passen. Kein Problem für die Medien, denn: Was nicht passt, wird passend gemacht.
Einschlägige Besetzung
Nun hat Sahra Wagenknecht vor einigen Wochen einen bemerkenswerten Schritt gemacht. Mit einigen Getreuen hat sie einen Verein gegründet, der eine Parteigründung im Januar unterstützen soll. Mit ihr verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei Die Linke. Neben Wagenknecht saßen bei der Vereinsvorstellung bei der Bundespressekonferenz unter anderem Amira Mohammed-Ali und Christian Leye auf dem Podium. Angesichts dieser einschlägigen Besetzung fiel es den Journalisten sichtlich schwer, von einem rechten Bündnis zu sprechen, ohne sich dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Manche taten es dennoch.
In einigen Berichterstattungen war von einer linken Sozialpolitik die Rede, die auf eine rechte Migrationspolitik trifft. Solch obskure Einordnungen werfen Fragen auf. Viele wollen von Sahra Wagenknecht wissen: Wo soll es hingehen? Nach links oder nach rechts?
Koalition mit der CDU?
Die sonst so wortgewandte Politikerin bleibt hier beharrlich unkonkret. Immer wieder weist sie darauf hin, dass die meisten Bürger mit solchen politischen Labels schon lange nichts mehr anzufangen wüssten. Einst bedeutende Leitplanken für die politische Orientierung, wurden diese Begriffe mittlerweile so überdehnt, dass offenbar keine Einigkeit mehr besteht, was sie eigentlich bedeuten. Das heißt in der Konsequenz: „Links“ und „grün“ werden auch in Zukunft synonym verwendet. Schade.
Doch nicht jeder Journalist gibt sich mit solchen Ausflüchten zufrieden. Auf die Frage, wo in den Parlamenten die neue Wagenknecht-Partei denn sitzen würde, antwortete dessen vorläufige Namensgeberin im Gespräch mit dem Autor Marc Friedrich knapp, sie sähe sich am ehesten in der Mitte. Es ist immerhin der Anspruch der neuen Partei, die Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren. Dass sich Wagenknecht im Zweifelsfalle auch eine Koalition mit der CDU vorstellen kann, dürfte vielen Erzlinken für einen Moment die Sprache verschlagen haben.
Richtungsentscheidung
Vermutlich ist es zu früh, um über Koalitionen zu spekulieren, wenn einer der Koalitionspartner noch nicht einmal gegründet wurde. Und mit Sicherheit ist es ebenso vorschnell, über ein Parteiprogramm zu diskutieren, das es noch gar nicht gibt. Eckpunkte dafür liefert jedoch die Website des von Wagenknecht und Co. gegründeten Vereins. Wie zu erwarten war, spricht sich der Verein für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und für eine diplomatische Lösung des Kriegs aus. Außerdem kritisiert er die Verengung des zulässigen Meinungskorridors. Die neue Partei soll sich für Vernunft und Gerechtigkeit einsetzen.
Besonders dieser letzte Punkt brachte dem Verein viel Kritik ein. Zugegeben wäre es auch ziemlich absurd, eine Partei zu gründen, die sich für Ungerechtigkeit und Idiotie einsetzt. Erstens wäre damit den Bürgern im Land überhaupt nicht gedient und zweitens sitzen solche Parteien schon in der Regierung.
Partei der Beliebigkeit?
Im Urteil zur neuen Partei sind sich viele Berichterstattungen einig: zu pauschal, zu wenig greifbar, zu unkonkret – als hätte man sich in den letzten Monaten durch zahllose Interviews mit Sahra Wagenknecht nicht ein umfassendes Bild über ein mögliches Parteiprogramm machen können. Stattdessen wirft man ihr vor, die genannten Schwerpunktthemen könnten auch von jeder anderen Partei vertreten werden.
Auch nach jahrelanger Übung haben es manche Journalisten noch immer nicht begriffen: Politiker lassen sich nicht so leicht festnageln – und schon gar nicht Sahra W.. Die Frage nach Details eines imaginären Parteiprogramms und der politischen Orientierung einer gerade entstehenden Partei greift viel zu kurz. Längst sollte klar sein, dass Wagenknecht etwas viel größeres vorhat. Die von ihr immer wieder kritisierte Repräsentationslücke im Parteienspektrum hat viel mit dem Versagen der einstigen Volksparteien zu tun. Aus der Nische heraus konnte Wagenknecht bis zuletzt kaum etwas erreichen. Nun wendet sie sich einem neuen Projekt zu: Sie will die Volkspartei.
Zurück zur Volkspartei
Wieder einmal schwimmt Sahra Wagenknecht gegen den Strom. Das Totenglöckchen der Volksparteien läutet, da entdeckt sie ihr Herz für diese interessensübergreifende Formation. Denn der Trend geht eindeutig in Richtung Partikularisierung. Eine unbedachte Äußerung reicht heute aus, um in eine völlig falsche Schublade gesteckt zu werden. Als die Volksparteien die politische Landschaft noch dominierten, war das anders. Hier versammelten sich viele Verschiedendenkende um ein politisches Epizentrum, das die Stoßrichtung vorgab.
Nicht alle Wähler solcher Parteien waren vom kompletten Wahlprogramm überzeugt. Die 40 Prozent der Union waren nicht alles Nationalisten. Ebenso wenig hatten die Wähler der SPD in den 70er-Jahren das Ziel, den Kapitalismus lieber heute als morgen zu überwinden. Sie trauten der Partei ihrer Wahl aber zu, dass diese die Herausforderungen der Zeit meistern kann.
Heute ist das anders. Entweder man wählt zwischen Pest und Cholera oder man ist fanatischer Stammwähler. Abweichende Meinungen werden von den Kleinparteien weniger toleriert – sie kommen eben aus der Nische. Diese Vielfältigkeit an Meinungsströmungen kann Vorteile haben. Sie kann aber auch Menschen verprellen, die sich nicht so genau mit den Parteiprogrammen beschäftigen wollen. Viele Menschen wollen schlicht eine vernünftige Partei, die für viele wählbar ist. Genau diese Leerstelle hat Wagenknecht im Visier.
Raus aus der Nische
In den letzten Jahren war viel zu hören von den berüchtigten politischen Rändern. Diese wurden erst dann so stark, als die Volksparteien immer schwächer wurden. Das verwundert kaum: Es war schon immer Sinn und Zweck von Volksparteien, ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zu bündeln. Wie ein Magnet hielten sie dabei auch Randpositionen in Schach. Was passiert, wenn sich die Magnete zu stark annähern und dadurch ihre Anziehungskraft verlieren, war bei beiden großen Volksparteien zu sehen. Es kam zu Abspaltungen auf der linken und rechten Seite. Deren Anziehungskraft kennt jedoch nur eine Richtung. Schnell können solche Parteien zu Sammelbecken für Extremisten werden.
Sahra Wagenknecht hat daraus anscheinend gelernt. Wie eine Volkspolitikerin spricht sie davon, die Mitte der Gesellschaft repräsentieren zu wollen. Sie hat begriffen, dass eine zu offensichtliche Schwerpunktsetzung nicht zum Erfolg führt und nur begrenzt etwas bewegen kann. Stattdessen möchte sie möglichst viele Wähler aus verschiedenen sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Biographien in einer Partei vereinen.
Sie hat sich damit eine Menge vorgenommen. Denn eine Volkspartei gründet man nicht so nebenbei. Andererseits könnte ihr neues Engagement auch voll aufgehen. Immerhin bietet sie ihren potenziellen Wählern nicht nur ein inhaltliches Programm, sondern einen alternativen Politikstil. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Denn mit diesem Konzept könnte sie sowohl die etablierten Parteien wie auch die AfD Wähler kosten. Erstere haben ein Programm, aber keinen Wumms. Letztere haben Wumms, aber kein Programm. Die Gründung dieser neuen Partei ist quasi naheliegend.