Schlechte politische Kinderstube

Vorschaubild: No-longer-here, pixabay, bearbeitet von Sven Rottner.

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Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt zeichnet sich ein Showdown zwischen CDU und AfD ab. Beide Parteien haben gute Chancen, stärkste Kraft im nächsten Landtag zu werden. Für die einen mag es erfreulich sein, mit etwa 26 Prozent stärkste Fraktion zu werden. Für die anderen ist es ein Armutszeugnis. Währenddessen trägt der Ostbeauftragte der Bundesregierung kräftig dazu bei, Szenario 1 Wirklichkeit werden zu lassen. Mit seinen Äußerungen erreicht die Verachtung vieler ostdeutscher Wählerinnen und Wähler ein neues besorgniserregendes Niveau. Ein erfolgreicher Kampf gegen rechtsextreme Kräfte geht anders.

Ein Kopf-an-Kopf – Rennen

Sachsen-Anhalt wählt. Heute. Die Landtagswahl gilt als der letzte Stimmungstest im Superwahljahr vor der Bundestagswahl im Herbst. Schon jetzt der geheime Star der Wahl: die AfD. Denn in Sachsen-Anhalt zeichnet sich schon jetzt eine deutliche Trendwende ab. Während die Rechtspopulisten bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz deutlich an Stimmen einbüßten, holen sie in Sachsen-Anhalt weiter auf. Die anderen Parteien interessieren nur insofern, wie wenig oder wie viel Abstand ihr Wahlergebnis von dem der AfD aufweist. Tatsächlich zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf – Rennen zwischen der regierungsführenden CDU und der Oppositionsführerin AfD ab.

Allein dieser Umstand bietet genug Anlass zur Sorge. Eine Partei, die sich besonders in den ostdeutschen Bundesländern immer stärker radikalisiert, könnte stärkste Kraft in einem Flächenland werden. Koalitionen mit der AfD schlossen zwar alle Parteien bislang aus, aber einen Wahlsieg macht das eben nicht wett. Und um den Wahlausgang noch spannender zu machen, ließ kürzlich der Ostbeauftragte der Bundesregierung einige Äußerungen vom Stapel, die sicher nicht zum Sexappeal seiner eigenen Partei beigetragen haben.

Ein offenes Wort

Da schwadronierte der CDU-Politiker Marco Wanderwitz allen Ernstes davon, dass ein beträchtlicher Teil der AfD-Wähler für die Demokratie für immer verloren sei. Dessen fragwürdige Entscheidung für die AfD begründete er damit, dass diese Menschen schließlich in einer Diktatur sozialisiert worden seien und das Gift des Faschismus wie Muttermilch aufgesogen hätten. Diese verzogenen Anti-Demokraten hätten doch gar keine andere Wahl als sich von den Allmachts- und Heimatfantasien der AfD mitreißen zu lassen.

Selbstverständlich kann man sich über Wanderwitz‘ Äußerungen blauärgern. Man kann ihm aber auch dankbar dafür sein, dass er unverblümt offengelegt hat, warum viele Menschen lieber der AfD ihre Stimme geben als seiner eigenen Partei. In gewisser Weise betätigte sich Marco Wanderwitz als politischer Irrwicht, der genau die Gestalt annahm, vor der sich die Wähler am meisten fürchten. Als er klipp und klar bestätigte, dass diese Wählerinnen und Wähler für ihn abgeschrieben seien, trat für die Wählerschaft genau das ein, wovor sie am meisten Angst haben. Sie sind uninteressant, minderwertig und nicht wert, dass für sie überhaupt Politik gemacht wird. Ihre Interessen zählen in der Politik nichts.

Wegen oder trotz?

Seit vielen Jahren bekommen gerade ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger immer wieder solche Signale. Zwischen den Zeilen können sie schon lange herauslesen, dass ihre Bedürfnisse ganz weit hinten auf der Liste stehen. Die erfrischende Offenheit von Marco Wanderwitz erstaunt da doch ein wenig. Er hat sie als chronische Undemokraten verunglimpft, denen nichts daran liegt, demokratisch und in Frieden zusammenzuleben. Er hat ihnen sogar die Fähigkeit abgesprochen, sich überhaupt jemals auf dem Pfad der Demokratie zurechtzufinden. Wanderwitz hätte es besser wissen müssen: Noch nie hat die Beschimpfung als Nazi einen einzigen Wähler von der AfD zurückgewonnen.

Das hat auch einen einfachen Grund. Viele Wählerinnen und Wähler der AfD wenden sich doch nur deshalb dieser Partei zu, weil sie hoffen, damit endlich wieder wahrgenommen zu werden. Man kann darüber streiten, ob sie die Rechtspopulisten wegen oder trotz ihrer rechtsextremen Tendenzen wählen. Beides ist vielleicht richtig. Wenn sie die AfD aber wegen dieser Tendenzen wählen, dann nicht, weil sie selbst solches Gedankengut teilen, sondern weil sie es inzwischen als den einzigen Weg sehen, den Fokus auf ihre Bedürfnisse zu richten. Wenn den Benachteiligten in einer Gesellschaft keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als für rechtsextreme Parteien zu stimmen, dann haben die demokratischen Parteien in dieser Gesellschaft etwas grundlegend falschgemacht.

Eine geschichtliche Gewissheit

Anstatt das einzusehen und mögliche Fehler zu korrigieren, wirft der Ostbeauftragte Wanderwitz mit Belehrungen und Bevormundungen nur so um sich. Er spricht es einer großen Zahl an Menschen ab, jemals für demokratische Werte empfänglich gewesen zu sein, weil sie auf dem ehemaligen Staatsgebiet einer Diktatur großgeworden sind. Diese absurde Behauptung ist gleich aus mehreren Gründen falsch. Denn bezeichnenderweise hat ein Großteil der ostdeutschen AfD-Wählerinnen und -Wähler die DDR nie erlebt. Erhebungen zeigen seit Jahren, dass die Wählerschaft der Rechtsaußen-Partei hauptsächlich zwischen 30 und 50 Jahre alt sind. Dies entspricht einer Generation, in der durchaus einige in der ehemaligen DDR sozialisiert wurden. Die meisten unter ihnen kennen den sozialistischen Staat allerdings nur noch aus lange vergangenen Kindheitstagen.

Betrachtet man die Alterskohorte, welche die DDR viele Jahre lang miterlebt hat, so wird man schnell feststellen, dass unter diesen Menschen die Zustimmung zur AfD weitaus geringer ausfällt. In manchen Bundesländern wählen diese älteren Menschen sogar seltener AfD als die Unter – 30-Jährigen. Deren Zustimmung zur AfD ist besonders besorgniserregend. Schließlich wurde diese Gruppe ausschließlich in der Bundesrepublik sozialisiert.

Die Frage ist doch, weshalb so viele junge Menschen ihr Kreuz bei der AfD machen. Das hat maßgeblich mit der wirtschaftlichen Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer seit der Wiedervereinigung zu tun. Natürlich gab es in den letzten 30 Jahren einige wirtschaftliche Erfolge in den neuen Bundesländern. Im großen und ganzen zeichnete sich jedoch schnell der Trend ab, dass die ostdeutschen Bundesländer wirtschaftlich hinten runterfallen. Und dass es eine Demokratie sehr schwer hat, wenn sie unter wirtschaftlich ungünstigen Voraussetzungen startet, das sollte die deutsche Geschichte ausreichend bewiesen haben.

Geschlossen gegen die Diktatur

Es war nicht zuletzt die gefestigte und stabile West-Demokratie, die den Laden im Osten über Jahre am Laufen hielt. Natürlich bemühten sich die meisten, in der neuen Demokratie Fuß zu fassen. Im Westen hatte das schließlich nach dem Krieg auch geklappt. Im Westen hatte es aber auch einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben, ohne den auch die BRD nicht lange hätte bestehen können.

Dass die Bürgerinnen und Bürger der DDR die Demokratie trotz angeblicher Diktatursozialisierung wollten, daran lässt der Fall der Mauer keinen Zweifel zu. Es waren die Ostdeutschen, die die Mauer zum Einsturz brachten und sich ihren Weg in die Demokratie friedlich, aber energisch erkämpft haben. Diesen Menschen nun pauschal vorzuwerfen, sie könnten mit der Demokratie nichts anfangen, ist eine Geschichtsverfälschung, für die man sich als echter Demokrat nur schämen kann.

Demokratisches Potenzial

Genau so falsch ist es, den Aufstieg der AfD zu einem rein ostdeutschen Problem zu verklären. Auch in westdeutschen Bundesländern erzielte die AfD deutlich zweistellige Wahlergebnisse. Will man jetzt auch den Baden-Württembergern und Hessen die Demokratiewürde absprechen, weil die AfD dort um die 15 Prozent geholt hat? Es ist richtig, dass die AfD in den neuen Ländern stärker abgesahnt hat. Das liegt aber nicht daran, dass dort mehr Undemokraten leben.

Auch die sinkenden Zustimmungswerte für Rechtsaußen in den westlichen Bundesländern sind kein Grund zur Entwarnung. Viele der Wählerinnen und Wähler verabschieden sich ins Nichtwählerlager. Sie sind scheinbar weniger dazu geneigt, ihrem Frust durch ein Kreuz bei der AfD Luft zu machen als es die Menschen in Sachsen-Anhalt & Co. sind.

Im übrigen mobilisierte auch die Ost-AfD viele Nichtwähler. Sie ermutigte sie dazu, an den Wahlen wieder teilzunehmen. Ihre Wahlentscheidung kann man sicher kritisieren. Mit offener Verachtung erreicht man aber das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will. Wer nicht möchte, dass die Wählerinnen und Wähler, egal ob in Ost oder West, der Demokratie für immer den Rücken kehren, der muss die Überheblichkeit gegenüber diesen Menschen endlich abstreifen. Die AfD ist eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie. Paradoxerweise zeigt sie aber, wie viel den Menschen an einer funktionierenden Demokratie liegt. Diese Menschen sind nicht verloren. Mit ernsthafter Politik auf Augenhöhe sind sie zurückzugewinnen. Marco Wanderwitz hat das nicht verstanden.


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Die Frustkescher

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Klarer Wahlsieger

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Die vorläufigen Ergebnisse der beiden Landtagswahlen vom 14. März lassen einige Parteien enttäuscht zurück. Woran sich die SPD schon lange gewöhnt hat, traf die CDU nun mit voller Härte. Im Südwesten fuhr sie zeitgleich zweimal die schwächsten Ergebnisse ihrer Geschichte ein. Währenddessen freuen sich andere über das schwächliche Ergebnis der AfD. Dass davon vor allem das Nichtwählerlager profitiert, scheinen viele zu übersehen.

Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz sind mit einem eindeutigen Ergebnis zu Ende gegangen: Die bisherigen Regierungschefs wurden bestätigt, viele andere Parteien abgestraft. In Rheinland-Pfalz kann Malu Dreyer wohl bequem in der Ampelkoaliton weiterregieren. Das letzte Wort ist in Baden-Württemberg hingegen noch nicht gesprochen. Winfried Kretschmann kann sich aussuchen, ob er die geschäftsführende Große Koalition weiterführt oder ob er sich ebenfalls auf das Experiment Ampel einlässt. In beiden Bundesländern fuhr die CDU ein desaströses Ergebnis ein. Besonders im Ländle dürfte das die Konservativen schmerzen. Immerhin haben sie dort zweitweise ohne Koalitionspartner mit einer absoluten Mehrheit regiert. Doch diese Zeiten sind lange vorbei.

Klatsche für Rechts

Wenig Grund zur Freude hatte bei der Wahl auch die AfD. Man gab sich in Interviews zwar gewollt locker und redete das Ergebnis schön, an der Realität ändert das aber wenig: Die AfD hat ordentlich an Wählern verloren. Die Zweistelligkeit ist in beiden Bundesländern dahin. Als sich an diesem Wahlabend bei den ersten Prognosen die Balken bewegten, da sorgte das schwache Ergebnis der Rechtspopulisten bei vielen wahrscheinlich für Erleichterung. Trotz Pandemiemüdigkeit und einem wachsenden Verdruss in der Bevölkerung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen konnte die AfD weit weniger Wähler mobilisieren als noch vor fünf Jahren.

Natürlich ist es ein gutes Zeichen, wenn weniger Menschen auf die Rattenfänger von rechts hereinfallen. Es ist aber schon einer an Blindheit grenzenden Kurzsichtigkeit geschuldet, nun tatsächlich die Sektkorken knallen zu lassen, weil die AfD schwächelt. Der größte Batzen der AfD-Wähler in Baden-Württemberg hat bei der Landtagswahl vor fünf Jahren die gleiche Entscheidung getroffen. Trotzdem verlor die AfD im Vergleich mit den anderen Parteien anteilsmäßig die meisten Wähler an das Nichtwählerlager. Traurige 16,6 Prozent der vorigen AfD-Wähler blieb der Wahl dieses Mal fern. Zum Vergleich: Die FDP rangiert bei diesem Trend mit einem Verlust von 14,3 Prozent auf dem zweiten Platz. Die Grünen verloren zwar 9 Prozent ihrer Wähler an die Nichtwähler, bilden bei dieser Entwicklung aber das Schlusslicht.

Die richtige Entscheidung?

Ein Grund zur Freude ist das mickrige Ergebnis der AfD also bestimmt nicht. Die meisten Abtrünnigen gingen eben nicht zu den anderen Parteien, sondern blieben der heimischen Couch treu. Wer das Wahlergebnis der AfD nun als großen demokratischen Erfolg verkauft, der hat den Bezug zur Realität verloren. Denn mit der sinkenden Zustimmung zur AfD ließ auch die generelle Wahlbeteiligung deutlich zu wünschen übrig.

Die hämische Freude über eine schwache AfD bestärkt die Nichtwähler in ihrer Entscheidung. Anstatt zu bedauern, dass die Wahlverweigerer nicht der eigenen Partei das Vertrauen geschenkt haben, wird die Einstelligkeit der AfD über Gebühr gefeiert. Den Nichtwählern signalisiert das: Eure Stimmen sind uns egal. Hauptsache, ihr wählt nicht die AfD. Die Rechtsaußen-Partei wird hier zum Maßstab des eigenen Wahlerfolgs erhoben.

Ein schwaches Bild

Als Grund für ihr schlechtes Abschneiden äußert die AfD nun gerne eine Schmutzkampagne gegen sie unter Einbeziehung des Verfassungsschutzes. Sollten diese Maßnahmen tatsächlich wahlentscheidend gewesen sein, gibt das ein ziemliches trauriges Bild ab. Die Wählerinnen und Wähler haben der AfD dann angeblich den Rücken gekehrt, weil sie sich von den Hetzereien anderer Parteien beeinflussen ließen oder sich von einer in Teilen offen rechtsextremen Partei distanzieren wollten. Sie hätten ihre Entscheidung gegen die AfD aber nicht getroffen, weil die Programme der anderen Parteien so attraktiv für sie waren. Die starke Wanderung einstiger AfD-Wähler zu den Nichtwählern spricht leider für diese Theorie.

Noch vor einigen Jahren war die Devise der meisten demokratischen Parteien, möglichst viele abgewanderte Wähler von der AfD zurückzugewinnen. Schon damals hatte man übersehen, dass sich die Rechtspopulisten großzügig bei den Nichtwählern bedient hatten. Die Parteien links der AfD haben es aber bis heute nicht vermocht, Stimmen in großer Zahl zurückzugewinnen. Eher noch verscheuchten sie sie unter Beteiligung der AfD endgültig ins Lager der Desinteressierten und Resignierten.

Schaut man in die Wahlprogramme der meisten Parteien, so sind diese überhaupt nicht dazu geeignet, irgendwelche neuen oder alten Wähler für sie zu begeistern. Die angestrebten Ziele der Grünen sind für weite Teile der Bevölkerung schlicht nicht erschwinglich. Sie haben keine Lust, an der einen Stelle tiefer in die Tasche zu greifen, wenn sich ihr Leben an anderer Stelle nicht deutlich verbessert. Die CDU ist besonders in Baden-Württemberg für viele kaum noch wählbar. In der einstigen CDU-Hochburg ist die Partei heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Saft- und kraftlos mogelte sie sich durch den Wahlkampf. Die Maskenaffäre wird zumindest die Präsenzwähler vor einem Kreuzchen bei der CDU bewahrt haben.

Ein letztes Aufbäumen

Und auch die SPD gibt in Baden-Württemberg keine besonders gute Figur ab. Auch dort gilt sie weiterhin als unglaubwürdige Umfallerpartei, von der kein großer Wurf mehr zu erwarten ist. Mit viel Glück schaffen sie es dennoch in die nächste Landesregierung. Aber auch nur dann, wenn bei den Grünen das Mitleid überwiegt und sie der CDU die nächste Blamage in fünf Jahren ersparen wollen. Der Niedergang der SPD ist im übrigen kein Selbstläufer. Wie erfolgreiche sozialdemokratische Politik gemacht wird, hat Malu Dreyer nun erneut gezeigt. Sie blieb stärkste Kraft in ihrem Bundesland und wird wohl auch die nächste Landesregierung wieder anführen.

Vielen Wählerinnen und Wählern in Baden-Württemberg nützt der sozialdemokratische Erfolg im Nachbarbundesland jedoch wenig. Viele von ihnen hatten der Politik bereits vor vielen Jahren den Rücken gekehrt. Sie waren bereits vor 2016 verloren. Ihre Wahl der AfD vor fünf Jahren war nichts anderes als ein letztes demokratisches Aufbäumen. Damit wollten sie auf sich und ihre Belange ein letztes Mal aufmerksam machen, bevor sie noch tiefer im Nichtwählersumpf versanken.

Keine Wechselstimmung

Die grün-schwarze Politik in Baden-Württemberg ist für einige Menschen im Ländle eher ein Nachteil. Es gibt im Südwesten allerdings keine echte Wechselstimmung. Das liegt zum einen natürlich daran, dass sich viele Wählerinnen und Wähler zu den Nichtwählern verabschiedet haben. Andererseits vermittelt die Große Koalition in Baden-Württemberg ebenso wie im Bund den Eindruck der Alternativlosigkeit. Das angebliche TV-Duell zwischen Kretschmann und Eisenmann Anfang März war im besten Fall ein Werfen mit Wattebäuschen – und selbst das nur streckenweise.

Die Teflonpolitik von Winfrid Kretschmann beraubte die CDU jeglicher Chance, sich abzusetzen und an Schärfe zu gewinnen. Zwischenzeitlich hat sich die CDU in einem Anfall kompletter politischer Selbstaufgabe bereiterklärt, wieder mit den Grünen zu koalieren. Und so zog das Selbstmordkommando fröhlich von dannen…

Kretschmann kann Merkel

Die CDU macht in Baden-Württemberg den gleichen Fehler wie die SPD auf Bundesebene. In beiden Fällen lassen sich die Parteien von einem absolut beliebigen Regierungschef, oder einer Regierungschefin, kaputtregieren. Nach seinem großen Vorbild Angela Merkel passte Kretschmann die Schwäche der CDU 2016 ab, um seine Wunschkoalition zustandezubringen. Anders als bei der SPD im Bundestag sind aus der CDU bislang keine kritischen Stimmen an einer erneuten Regierungsbeteiligung zu hören. Anscheinend sind die Damen und Herren zu sehr mit der Aufarbeitung der Maskenaffäre beschäftigt…

Winfried Kretschmann verfügt aber nicht bloß über den Merkel-Faktor. Auch das Auftreten seines thüringischen Amtskollegen Bodo Ramelow scheint ihn zu inspirieren. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Wahlentscheidung der meisten Grünen-Wähler in Baden-Württemberg maßgeblich mit der Personalie Kretschmann zusammenhing. Der Mann ist einfach gut. Der jüngste ist er aber nicht mehr. Es ist fraglich, ob er auch den Adenauer-Faktor in sich trägt und bei der Landtagswahl in fünf Jahren erneut kandidiert. Alles sieht danach aus, dass er dann freiwillig abtreten wird. Es bleibt zu hoffen, dass er nicht eine ähnliche Alternativlosigkeit zurücklässt wie Merkel im Bund.


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Abgeschrieben

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Vertrauensbildende Maßnahmen

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Es helfen keine Lippenbekenntnisse, keine Ultimaten und anscheinend auch keine Rücktritte und Parteiaustritte. Die Union wird das Gespenst der Korruption nicht los. Mit den Herren Nüßlein und Löbe haben CDU und CSU erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das vielen in ihren Parteien nicht zu trauen ist. Das strukturelle Problem in der Union lässt sich kaum noch wegreden. Wie die Parteien und die Fraktion mit diesem Problem umgeht, ist eine Sache. Eine andere ist, welchen enormen Schaden Skandale wie die Maskenaffäre tatsächlich verursachen.

Einen Schritt voraus

Eigentlich sollte dieser Beitrag mit den Verfehlungen der beiden Bundestagsabgeordneten Nüßlein und Löbel beginnen. Doch wie es im Leben nun einmal so ist, holen die Ereignisse selbst den fleißigsten Blogschreiber gerne einmal ein. Pünktlich zur Einführung des neuen Lobbyregisters gab nun auch der thüringische CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann sein Mandat auf. Neben einer Verwicklung in die Maskenaffäre seiner Fraktionskollegen war er wohl in Lobbytätigkeiten für Aserbaidschan verstrickt.

Die dubiosen Nebentätigkeiten von Unionspolitikern haben ein wenig was von Zeitschleife. Immerhin sind die drei jüngsten aufgedeckten Skandale nur das vorläufige Ende einer langen Kette von Ungereimtheiten, Schattenkonten und Korruption. Auffallend ist dabei jedoch, dass bei den meisten dieser Enthüllungen Politikerinnen und Politiker von CDU und CSU im Brennpunkt standen.

Nüßlein, Amthor, Schäuble

Die Liste an unrühmlichen Vorgängern von Hauptmann, Löbel und Nüßlein ist ellenlang. Die neuesten lobbyistischen Entgleisungen kamen zu einer Zeit, als die Entdeckung der fragwürdigen Nebentätigkeiten des Youngsters Philipp Amthor noch lange nicht verdaut waren. Aber auch davor hat sich die Union häufig nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Es ist noch gar nicht so lange her, da stand die Unbestechlichkeit unseres Staatsoberhaupts in Frage. Geschickt zog sich der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff durch seinen Rücktritt aus der Affäre. Das Strafverfahren gegen ihn ging ohne einen Schuldspruch zu Ende. Davor hatten die schwarzen Konten von Wolfgang Schäuble und Helmuth Kohl das Vertrauen in die Volkspartei erschüttert.

Falsche Doktoren und schwarze Kassen

Aber nicht nur an der Lobbyfront ereignet sich ein Skandal nach dem nächsten. Auch in anderen Bereichen erweisen sich viele Unionspolitiker immer wieder als wenig vertrauenswürdig. Die erschlichenen Doktortitel von Herrn zu Guttenberg und Frau Schavan eskalierten beide Male in einer Lügerei, dass sich die Balken bogen. Wenigstens dieses würdelose Trauerspiele haben sich die wenigen anderen falschen Doktoren aus anderen Parteien gespart.

Immer deutlicher wird, dass es sich bei diesen ganzen Affären nicht um Einzelfälle handelt. Viel eher drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei der Union um ein strukturelles Problem handelt. Ganz offensichtlich ist einem Großteil der Politikerinnen und Politiker aus dieser Partei ein grundlegendes Gespür für Moral und Ehre verlorengegangen. Anders lässt sich das Verhalten einiger Entlarvten nicht deuten. So ließ sich Ex-Kanzler Kohl als Ehrenvorsitzender feiern, obwohl er den Karren längst in den Dreck gefahren hatte. Annette Schavan trat nach dem Plagiatsskandal erneut im Wahlkampf an – und erdreistete sich sogar, den aberkannten Doktortitel auf dem Wahlzettel beizubehalten. Auch Georg Nüßlein macht keine Anstalten, sich aus dem Bundestag zu verabschieden. Zukünftig bezieht er als fraktionsloser Abgeordneter die üppigen Diäten.

Finanzieller Vorteil

Seit sechzehn Jahren trägt die Union Regierungsverantwortung für Deutschland. Gepaart mit der inhärenten Wirtschaftsnähe dieser Partei entsteht ein äußert unguter Mix. Die Skandale um Abgeordnete und Politiker sind dabei nur der extremste Auswuchs dieser fatalen Symbiose. Schaut man sich die Summen an Spenden von Unternehmen und Konzernen an, wird man schnell feststellen, dass CDU und CSU mit Abstand Spitzenreiter in dieser Kategorie sind.

Die wirtschaftsnahen Positionen der Union werden zusätzlicher Anreiz für die Wirtschaftsakteure gewesen sein, ihr Geld in diese beiden Parteien zu investieren. Durch diese großzügige finanzielle Ausstattung hatte der Parteienverbund im Wahlkampf natürlich stets einen deutlichen Vorteil gegenüber der politischen Konkurrenz. Oder glaubt ernsthaft noch jemand, es ist ein Zufall, dass die Union nach Rezo und den zahlreichen Skandalen noch immer die Hosen im Land anhat?

Gewöhnlich korrupt

Eine wichtige Rolle hat hierbei bestimmt auch der Gewöhnungseffekt gespielt. Die Bundesrepublik gibt es seit 72 Jahren. In 52 davon regierte die Union. Allein die derzeitige Regierungsperiode dauert seit sechzehn Jahren an. Natürlich möchten CDU und CSU ihre Macht nicht ohne weiteres aufgeben. Die Bereitschaft, sich durch Korruption an der Macht zu halten, wächst. Dass es ohne Bestechlichkeit bei der Union nicht geht, hat die lange Amtszeit von Helmut Kohl als Bundeskanzler gezeigt. Die Spendenaffäre wurde zwar erst 1999 aufgedeckt, die Konten bestanden aber wohl über die gesamte Amtszeit des eisernen Kanzlers hinweg.

Auch wenn sich viele Abgeordnete der Unionsparteien bestens in dieser korrupten Umgebung eingerichtet haben, dürfen sich echte Demokraten nicht an diesen Zustand gewöhnen. Die Verfehlungen in der CDU und CSU sind nicht nur eine Schande für unser Land, sie sind eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie. Denn die teilweise kriminellen Machenschaften einzelner Abgeordneter bringen das demokratische System weit über die eigenen Parteigrenzen hinaus in Verruf. Solange es solche Skandale gibt, solange wird der Ruf des korrupten Halunken pauschal allen Politikern anhaften.

Aber nicht nur die politisch Aktiven geraten durch ein solches Verhalten in Misskredit. Auch rechtschaffende und fleißige Unternehmer sind von dieser Rufschädigung nicht ausgenommen. Es gibt bestimmt mehr als genug korrupte Geschäftsleute auf dieser Welt. Und der Kapitalismus darf nicht das Ende der Geschichte sein. Verstrickungen wie solche von Nüßlein und Löbel lassen aber an der Integrität ganzer Wirtschaftszweige Zweifel keimen.

Politik für’s Volk?

Als erklärter Gegner der Politik von CDU und CSU könnte man sich eigentlich darüber freuen, dass sich die Schwesternparteien gerade selbst demontieren. Als erklärter Demokrat kann man das aber nicht. Die teilweise illegalen Lobbytätigkeiten mancher Politiker zeigen deutlich, wessen Interessen für die Union am meisten zählen. Völlig offensichtlich wird, für wen hier eigentlich Politik gemacht wird. Tipp: Das Volk ist es nicht.

Zurecht zweifeln viele daher an der angeblichen Volkssouveränität im Land. Das Bild des korrupten und verlogenen Politikers verfestigt sich soweit, dass selbst CDU-Chef Armin Laschet von einer „Raffke-Mentalität“ in seiner Partei spricht. Milde Strafen oder sogar Freisprüche wie im Falle von Ex-Bundespräsident Christian Wulff erschüttern zusätzlich den Glauben an die Justiz.

Viel Politik, wenig Anstand

Das hinterlässt Spuren. Bei der Bundestagswahl 2013 entschieden sich über 18 Millionen der Wahlberechtigten dazu, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Wahlbeteiligung lag auf einem beschämenden Tiefstand von rund 72 Prozent. Vier Jahre später verzichteten erneut 55 Prozent der vorigen Nichtwähler auf ihr Stimmrecht. Die Enttäuschung über die politische Entwicklung saß wohl noch zu tief. Doch auch bei den Erstwählern blieb eine satte Million den Wahlen fern.

Solche Zahlen lassen sich nicht damit erklären, dass die Wahlprogramme der Parteien die Wahlberechtigten nicht ansprachen. Mit sechs Fraktionen ist die Meinungspluralität im Bundestag so groß wie selten zuvor. Im Grunde gibt es sechs unterschiedliche Stoßrichtungen, wohin es mit Deutschland gehen soll. Das Problem muss tieferliegen. Viele haben das Vertrauen in den politischen Apparat an sich verloren. Schuld daran sind Menschen wie Georg Nüßlein und Nikolas Löbel. Sie sind schuld daran, wenn weniger Menschen zur Wahl gehen. Sie sind schuld daran, dass sich die Anständigen aus der Politik zurückziehen.


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