Rechte Strippenzieher

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Nach der Wahl ist vor der Wahl. In Thüringen passiert das schneller als den meisten lieb ist. Gerade einmal einen Tag nach seiner Vereidigung zum neuen Ministerpräsidenten hat FDP-Mann Thomas Kemmerich bereits wieder gekündigt. So gern viele diesen Skandal durch Neuwahlen wieder rückgängig machen wollen: Der Vorgang hat gezeigt, wie mächtig Höckes Flügel zwischenzeitlich ist.

Immer anders als man denkt

Eigentlich wollte ich als nächstes einen Beitrag über das Massenphänomen „Austritt aus der AfD-Fraktion“ machen. Mit Verena Hartmann hat nämlich vor kurzem die fünfte Abgeordnete in der laufenden Legislaturperiode bekanntgegeben, in Zukunft nicht mehr Mitglied der nationalkonservativen Fraktion zu sein. Aber bekanntlich kommt es ja immer anders als man denkt.

Dass aber ausgerechnet der Politskandal in Thüringen dazwischengrätscht, hätte ich mir nicht zu träumen gewagt. Dass es spannend werden würde, war keine Frage. Dass in Thüringen etwas neuartiges geschaffen würde, war auch von vornherein klar. Auch dass es knapp werden würde, war absehbar. Dass aber tatsächlich der Amtsinhaber Bodo Ramelow als Ministerpräsident verdrängt werden würde, damit hatten die wenigsten gerechnet. Fast jeder sah den Linken spätestens im dritten Wahlgang als Gewinner.

Dazu kam es aber nicht. CDU und FDP beliebte es, ihren Kandidaten Thomas Kemmerich mithilfe der AfD zum neuen Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Die faschistische Alternative unter Bernd Höcke ließ darüber getrost ihren eigenen Kandidaten im Regen stehen.

Der Shitstorm kam postwendend. Susanne Hennig-Wellsow wirft dem frischgebackenen Landeschef den Gratulationsstrauß vor die Füße, in mehreren Städten fanden sich spontan tausende Menschen zu Demonstrationen und Protestkundgebungen zusammen. Führende Politiker von CDU und FDP rügten ihren Parteikollegen für sein schäbiges Kalkül. Der Protest hat gewirkt: Bereits einen Tag nach Vereidigung kündigt Kemmerich seinen Rücktritt an. Neuwahlen stehen wohl ins Haus. Der Schaden ist trotzdem enorm.

Mit 5 Prozent zum neuen MP

Viele bezweifelten sogleich, ob Kemmerich überhaupt ein stabiler Ministerpräsident sein könnte. Sie meldeten Bedenken an, da es Kemmerichs Partei, die FDP, undenkbar knapp in den Erfurter Landtag geschafft hatte. Dass die schwächste Fraktion den Ministerpräsidenten eines Landes stellt ist zwar ein Novum, aber an und für sich nicht undemokratisch. In der Geschichte der Bundesrepublik kam es schon zigmal vor, dass eben nicht der Wahlgewinner den neuen Regierungschef stellte. Zugegeben, bei einer 5-Prozent – Partei mutet der Vorgang besonders grotesk an. Es ist nun aber einmal so, dass im Prinzip jede in einem Parlament vertretene Partei ein gewisses Regierungspotenzial in sich trägt.

Und im Kern geht es auch gar nicht darum, dass ein Bodo Ramelow abgewählt wurde. Es geht eigentlich um gar keine Abwahl. Es geht darum, dass eine faschistische Partei inzwischen so viel Einfluss hat, dass sie einen Ministerpräsidenten ins Amt hieven kann. Wer bei diesem perfiden Spiel mitmacht, verhilft dem Rechtsextremismus zur Unsterblichkeit.

Ein klarer Fall

Anscheinend glauben die Damen und Herren Abgeordneten von CDU und FDP allerdings, sie könnten die Menschen für dumm verkaufen. Angeblich hat es ja keine vorherigen Absprachen bezüglich der Wahl Kemmerichs gegeben. Sie seien Opfer des Kalküls der AfD geworden, die ihren eigenen Mann hinten runterfallen ließ. Wer diese dreiste Lüge glaubt, dem gebührt das gleiche Mitleid wie dem bereits scheidenden Ministerpräsidenten Kemmerich.

Selbstverständlich hat es diese Absprachen gegeben. Ansonsten hätten Konservative und Liberale niemals einen der ihrigen ins Rennen geschickt. Sie hätten doch davon ausgehen müssen, dass sie zwar für Kemmerich stimmen würden, die AfD aber ihren Kindervater wählen würde, während Rot-Rot-Grün ihrem eigenen Kandidaten treu bleiben würde. In einer solchen Konstellation hätte Bodo Ramelow im dritten Wahlgang die meisten Ja-Stimmen eingeheimst. Es ging den Abgeordneten links der AfD einzig und allein darum, einen unliebsamen linken Ministerpräsidenten zu beseitigen, koste es was es wolle.

Besonders verräterisch: Die AfD schickte keinen Fraktionskollegen ins Rennen, sondern jemanden von außerhalb. Bei dem Wahlverhalten der AfD hätte der Fraktionskandidat doch zwangsläufig sein Gesicht verloren. Über Christoph Kindervater haben kurz alle gelacht, selbst er selbst, bevor die Diskussion von Ramelow und Kemmerich beherrscht wurde.

Sprungbrett Mehrheitsopposition

Eines ist völlig gewiss: Das Signal, welches CDU und FDP in Thüringen gesendet haben, ist ein völlig falsches. Anstatt den wirklich gemäßigten Bodo Ramelow zumindest zu tolerieren, paktierten die beiden „Gewinner“-Parteien lieber mit der AfD. Höckes Verein allerdings ist im ganzen Land als besonders radikal verschrien. In ihrem unendlichen Linken-Hass haben CDU und FDP erfolgreich sämtliche Prinzipien über Bord geworfen. Für eine derartige Machtgeilheit kann man sich nur schämen.

Denn was wäre denn passiert, hätte man die rot-rot-grüne Minderheitsregierung toleriert? Die Opposition wäre in der Mehrheit gewesen und hätte die Geschicke des Landes viel stärker mitbestimmen können. Gerade in einem solchen Szenario hätte sich die Union als konservative Kraft profilieren können, die die Linksgrünen am kurzen Zügel hält. Ganz offensichtlich übernimmt dieses indirekte Mitregieren nun aber jemand anderes. Innerhalb von zwei Tagen haben Höckes Kameraden gezeigt, was sie können: Sie haben einen Ministerpräsidenten ins Amt gehoben und ihn sogleich wieder daraus entfernt.

Eine Truppe von Lachnummern

Und was passiert jetzt in Thüringen? Eigentlich wollte ich hier schreiben, dass sich die neugewählte Regierung immer von der AfD jagen lassen würde und den schwarzen Peter dann Rot-Rot-Grün und deren genereller Blockadehaltung zuschieben würde. Kann ich jetzt aber nicht mehr schreiben. Diese Regierung wird nach Kemmerichs Rücktritt nicht kommen. Immer anders als man denkt.

Verloren hat also nicht nur Ramelows Bündnis. Auch Kemmerich und seine Mannen müssen als Verlierer vom Feld ziehen. Eindeutiger Gewinner ist Höckes AfD. Unentschlossene Wähler und solche, die bisher zauderten, der AfD ihre Stimme zu geben, fragen sich doch nun zurecht, was so falsch daran ist, die Rechten zu wählen. Immerhin konnten die innerhalb kürzester Zeit aus dem Thüringer Landtag ein Affentheater machen. Ramelow regierungsunfähig, Kemmerich nach einem Tag zurückgetreten – wen soll man denn da wählen, wenn nicht die AfD? CDU und FDP stehen doch wie Vollidioten da, die kein normaldenkender Mensch mehr ernstnehmen kann. An einem Stimmengewinn der AfD führt kein Weg vorbei. Und der wird auf Kosten der beiden größten Politikhuren gehen, die das Land je gesehen hat.

„Wir werden sie jagen“

Die Abgeordneten der Thüringer AfD stehen nun als ehrliche und mächtige Persönlichkeiten da. Sie inszenieren sich als wohlwollende Demokraten, die aus schier unendlicher Verfassungstreue einen Kandidaten aus dem bürgerlichen Lager ihrem eigenen Kandidaten vorzogen. Ein großer und entgegenkommender Schritt. Anstatt sich nun aber in angemessener Form bei Höcke & Co. erkenntlich zu zeigen, wird den rechten Hetzern allerdings eine Beteiligung an der Regierung verwehrt. Ein geschickter Wählerfang also, dessen Botschaft eindeutig ist: Den nächsten Ministerpräsidenten wollen wir stellen.

Mehr und mehr gewinnt Höckes Flügel an Einfluss. Natürlich werden die jüngsten Ereignisse in Thüringen auch die Bundes-AfD nicht unberührt lassen. Es ist eindeutig, dass sich auch die Bundespartei weiter nach rechts bewegen wird. Schließlich wurde in Thüringen völlig offensichtlich, was Faschismus in Deutschland weiterhin bewirken kann.

CDU und FDP haben in Thüringen eine gefährliche Dynamik in Gang gesetzt. Sie haben sich von der AfD jagen lassen. Sie haben sich von der AfD zu Volldeppen machen lassen. Und das alles aus reinem Personalkalkül. Weil sie mit sich selbst beschäftigt sind. Politik für das Volk sieht anders aus.


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Ein Pakt mit dem Teufel?

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Sozialer Rassismus – Unterschätzte Gefahr

Die Rechtspopulisten sind weiter auf dem Vormarsch – auch in Deutschland. Für viele ist es schier unbegreiflich, warum manche Menschen eine Partei wählen, die offen rassistische Ressentiments schürt. Sind denn jetzt alle Rassisten geworden? Wohl kaum. Die meisten waren viel zu lange viel zu stille Opfer. Andere befürchten zurecht, bald welche zu werden. Die wenigen übrigen sind echte Rassisten, die sich diese Ängste zunutzemachen.

Eine Horde Rassisten

Am Frankfurter Hauptbahnhof wirft ein Mann einen achtjährigen Jungen und dessen Mutter unvermittelt vor einen einfahrenden Zug. Für den Jungen kommt jede Hilfe zu spät. In Augsburg wird ein stadtbekannter Feuerwehrmann im Streit von einem 17-jährigren Jugendlichen totgeschlagen. Im Juni 2018 wird die 14-jährige Susanna F. aus Mainz tot aufgefunden. Ein 20-jähriger hatte sie zunächst vergewaltigt und dann erwürgt. Alle diese Fälle eint, dass sie von männlichen Tätern mit Migrationshintergrund begangen wurden. Alle Fälle eint auch, dass sie von Rechtspopulisten für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert wurden.

Diese Instrumentalisierung ging sogar so weit, dass die AfD eigenmächtig eine Gedenkminute für die ermordete Susanna aus Mainz abhielt. Im Fokus dieses Eklats stand allerdings nicht das Opfer der grausamen Tat, sondern der Täter. In ekelerregender Manier verschoben die Rechtspopulisten den Blickwinkel auf die Herkunft des Täters – und tanzten dadurch auf dem Grab eines Mordopfers. Immer wieder verweist die nationalkonservative Partei auf eine Vielzahl an Straftaten, die von männlichen Tätern mit Migrationshintergrund begangen werden. Sie verwahren sich gegen Vorwürfe, rassistisch zu handeln.

Doch genau das tun sie. Sie weisen auf einen Zusammenhang zwischen krimineller Tat und der nationalen Herkunft der Täter hin. Im Prinzip teilen sie dabei Menschen in verschiedene Gruppen ein, von der einige gewaltbereiter sind als andere. Sie stellen die Flüchtlinge unterschiedlichster Herkunft pauschal als unzivilisierte Barbaren dar, als tickende Zeitbomben, die jederzeit hochgehen könnten. Wer davon ausgeht, bestimmte Bevölkerungsgruppen hätten generell bestimmte Eigenschaften, der ist ein Rassist.

Wir sind mehr!

Ganz bewusst schürt die AfD also fremdenfeindliche Ressentiments. Genau so zuverlässig, wie die AfD ihre Stimme gegen Migration erhebt, so regelmäßig fällt auch der viel lautere Widerspruch gegen solche Stimmungsmache aus. Gerade in Deutschland ist man weiterhin äußerst sensibel dafür, wenn bestimmte Kräfte eine ganze Gruppe unter Generalverdacht stellen. Wo immer Rechtspopulisten ihre Kundgebungen und Demonstrationen abhalten, da schlägt auch eine Vielzahl von Gegendemonstranten auf, die sehr viel lauter die Werte der freiheitlichen Demokratie verteidigen.

Nach dem fürchterlichen Anschlag in Halle zeigten sich die meisten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland entsetzt darüber, wie kaltblütig ein Mensch handeln kann. Gerade wenn in diesem Land Jüdinnen und Juden in welcher Form auch immer angegriffen werden, wissen die meisten: So nicht! Es ist Zeit zu handeln.

In einem Land mit einer so dunklen Geschichte wissen die Menschen sehr genau, wann Grenzen überschritten werden. Und es bedürfte noch nicht einmal dieser finsteren Vergangenheit. Rassismus und Antisemitismus sind immer falsch. Immer!

Entwürdigendes Schauspiel

Ich finde es richtig, wenn sich Menschen solchen Entwicklungen entgegenstellen und mit lauter Stimme dagegenhalten. An anderen Stellen bleibt die Entrüstung leider viel zu leise. Wenn ein Rentner in einem absurd reichen Land wie Deutschland in Parks und in Bahnhöfen im Müll nach Pfandflaschen suchen muss, quittieren viele das bestenfalls mit einem genervten Augenverdrehen. Pfandflaschensammelnde Rentner gehören inzwischen leider zum gutbürgerlichen Panorama der Nation. Was bleibt diesen Menschen anderes übrig? Nach jahrzehntelanger Arbeit wird ihnen die Rente so pervers zusammengekürzt, dass viele sich weiter krummmachen müssen – ob im Betrieb oder über dem Mülleimer.

Und was macht die Gesellschaft? Ein genervtes Verdrehen der Augen, ein Wegschauen oder ein verächtliches Schnauben ist meist die wohlwollendste Antwort auf ein solches Phänomen. In widerlicher Überheblichkeit diffamieren einige solche Menschen als Asoziale, die der Gesellschaft mehr schaden als nutzen. Jüngstes Beispiel für diese völlige Verkennung der Tatsachen ist der vom WDR produzierte Song, der gegen die ältere Generation wettert. Angeprangert wird hier unter anderem, dass sich die Oma billiges Fleisch beim Discounter kauft. Wo denn auch sonst von einer so mickrigen Rente?!

Ich bin dann mal hartzen

Pfandflaschensammler oder auch Hartz-IV – Empfänger müssen es sich gefallen lassen, immer häufiger und immer unverblümter als Taugenichtse und als Last hingestellt zu werden. Natürlich gibt es immer genügend Beispiele von Menschen, die sich aus dem Hartz-IV herausarbeiten oder trotz der Sozialhilfe nicht 15 Jahre alt sind, kiffen und auf den Namen Cindy-Chantal hören. Diese Einzelfälle sind notwendig, um die Vielzahl der anderen noch erschreckender und abartiger erscheinen zu lassen. Genau so funktioniert übrigens auch herkömmlicher Rassismus.

Doch woher kommt diese gefühlte Überlegenheit über andere Bevölkerungsschichten? Ein Blick ins heutige TV-Programm reicht aus, um diese Frage zumindest teilweise zu beantworten. Während im WDR besagter Oma-Song in Dauerschleife läuft, reiht sich bei RTL II eine Frauentausch-Folge an die andere. Auf anderen Sendern bietet sich ein ähnliches Bild. Diese Geschichten spielen natürlich mitten im Leben von sozialschwachen Menschen. Der Begriff dafür: Assi-TV. Nicht für Assis, sondern mit Assis. Gezeigt werden bevorzugt Hartz-IV – Empfänger, die entweder zu faul oder zu blöd zum Arbeiten sind. Dass dabei eine deutliche Minderheit an den Pranger gestellt wird, ist egal. Diese Allgegenwärtigkeit schlechter Beispiele ist ebenso typisch für Rassismus.

Plötzlich Rassist?

Die Bundesregierung zeigt sich indes völlig entsetzt darüber, dass die AfD ihre völkischen Ideen verbreitet und den Rassismus im Lande streut. Dabei war und ist es doch die Regierung und ihre Vorgänger, die den Grundstein dafür gelegt hat. Mit Hartz-IV installierte die damalige Rot-Grüne Regierung ein Sanktionssystem, das die Gesellschaft natürlich spaltete. Arm wurde gegen Reich ausgespielt. Der Sozialhilfeempfänger gegen den fleißigen Arbeiter. Und selbstverständlich schürt das Ängste vor dem eigenen sozialen Abstieg.

Die Folge war sozialer Rassismus, der wie ein Riss durch das Land ging. Die AfD nutzte diese Spaltung aus. Die Opfer von Sozialrassismus konnten sich so wieder Gehör verschaffen. Obendrauf befreiten die Rechtspopulisten sie von den Fesseln der sozialen Unterdrückung. Diese Menschen wollten keine Opfer mehr sein. Opfer sind nun andere. Die vielen Flüchtlinge nämlich, die sich laut rechter Propaganda in unsere Sozialsysteme einschleichen und zum Dank deutsche Frauen vergewaltigen und serienweise deutsche Männer abstechen.

Ethnischer Rassismus hatte es schon immer sehr einfach, die Opfer von Sozialrassismus auf seine Seite zu ziehen. Die Menschen sagen: „Ich habe ja nichts gegen die Ausländer, aber…“ Und genau das stimmt. Die Menschen haben nichts gegen Ausländer. Wie soll das auch gehen? Ehrenhafte Bürger mutieren mir nichts dir nichts zu überzeugten Rassisten?! Klingt abwegig. Ist es auch.

Einen Schritt weiter

Das soll aber nicht heißen, dass die AfD einzig aus einer Truppe sozial abgehängter und vernachlässigter besteht. Das würde das Potenzial dieser Partei verharmlosen. Zündfunke der rechtspopulistischen Bewegung war echter Rassismus und rechtsextremes Gedankengut. Das ist übrigens nicht nur in Deutschland so, sondern in vielen anderen Ländern auch. Hinter jedem Aufmarsch sogenannter Wutbürger steht mindestens ein Scharfmacher, der die Protestierenden wie Marionetten an seinen Strippen führt.

Die AfD ist gut damit beschäftigt, ethnischen Rassismus in unserer Gesellschaft salonfähig zu machen. Sie haben es noch nicht ganz geschafft. Offener Rassismus ist in weiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor tabu. Die Regierungen der letzten Jahre waren da erfolgreicher. Wenn ein Hartz-IV – Empfänger als „Assi“ beschimpft wird, trifft das auf breiteren Konsens. Keiner würde sagen: „Ich habe ja nichts gegen Hartz-IV – Empfänger, aber viele davon sind einfach dumm und faul.“ Der erste Teil des Satzes wäre für viele eine Lüge.

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Ein Pakt mit dem Teufel?

Lesedauer: 9 Minuten

Die politische Lage in Thüringen ist verzwickt. Nach der Landtagswahl im vergangenen Herbst ist keine der herkömmlichen Regierungen mehrheitsfähig. Was nun? Auf dem Zettel steht längst auch eine Kooperation von Linken und CDU. Hat das eine Zukunft? Wenn es nach der CDU-Chefin geht, auf gar keinen Fall. Ihr thüringischer Kollege Mike Mohring ist da offener. Eine Koalition mit der Linkspartei schließt zwar auch er kategorisch aus, in Einzelfällen hält er ein Entgegenkommen aber für denkbar. In Zeiten einer erstarkenden Rechten sind neue Konzepte tatsächlich gefragter denn je.

Gregor Gysi meinte einst: „…zur Abwendung einer faschistischen Gefahr würden wir selbstwahrscheinlich diesen Kompromiss eingehen…“. Das war im Jahr 1999, als Maybrit Illner sowohl ihn als auch die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel auf Koalitionsmöglichkeiten zwischen Linkspartei (damals noch PDS) und CDU ansprach. Mit ihrer provokanten Frage war Maybrit Illner ihrer Zeit mit Sicherheit weit voraus. Die Frage nach einer etwaigen Zusammenarbeit zwischen den Linken und den Christdemokraten stellte sich vor über zwanzig Jahren im Grunde nicht. Heute ist das anders. Seit Monaten wird über eine solche Zusammenkunft in Thüringen heiß diskutiert. Vor allem die Haltung vieler CDUler hat sich dazu kaum geändert.

Keine Regierung ohne die Ränder

Eines ist völlig klar: Die Regierungsbildung nach den Landtagswahlen in Thüringen ist gelinde gesagt schwierig. Sowohl Die Linke als auch die AfD sind in dem Freistaat zwischenzeitlich so stark, dass keine Regierung mehr gegen beide Parteien gebildet werden kann. Egal wie man es dreht und wendet – eine der Parteien MUSS an der Regierung beteiligt sein. Es muss jeden mit großer Sorge erfüllen, dass das Spektrum zwischen Linker und AfD keine eigene Mehrheit mehr zusammenbekommt. Selbst eine völlig abstruse Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP kommt nicht gegen das Wählervotum für Linkspartei und der selbsternannten blauen Alternative an.

Im Prinzip stehen die Zeichen auf Minderheitsregierung. Und natürlich wird das eine Rot-Rot-Grüne sein. Die bisherige Mehrheitsregierung wird ihre Macht nicht an eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung abtreten. Ebenso wenig kann eine Minderheitskoalition der „Mitte“ auf Stimmen von links oder von rechts hoffen. Eine Koalition mit der FDP und der AfD ist für die Union in mehrfacher Hinsicht ein Schuss ins eigene Bein. In einer solchen Konstellation wären sie zwar an der Regierung direkt beteiligt, aber nicht regierungsführend. Diesen Job würde dann die AfD übernehmen. Das wäre dann wohl gleichbedeutend mit einem Ministerpräsidenten Höcke. Selbst erzkonservative Mitglieder der Thüringer CDU können das nicht wollen.

Verantwortungsvolles Novum

Um ihrer landespolitischen Verantwortung gerecht zu werden, müssten sich die Abgeordneten der CDU bei der Wahl zum Ministerpräsidenten also wohl oder übel enthalten. Spätestens im dritten Wahlgang wäre Bodo Ramelow dann erneut zum Landeschef gewählt. Was das mit politischem Verantwortungsbewusstsein zu tun hat? Wie alle anderen Parteien ist die CDU zur Landtagswahl angetreten. Sie wurde drittstärkste Kraft. Folglich kann die CDU auch nur die dritte Geige spielen. Damit nehmen sie den Willen der Wähler ernst. Das ist landespolitische Verantwortung.

Und keiner kann danach ernsthaft erwarten, dass die Christdemokraten all zu große Zugeständnisse an Linksaußen macht. Im Gegenteil, als Teil einer Mehrheitsopposition können sie sogar noch besser Einfluss auf die politischen Geschicke in Thüringen nehmen als in den letzten fünf Jahren. Die geschrumpfte Regierung müsste das Veto aus der Opposition wesentlich ernster nehmen. Auch die Damen und Herren aus der Regierung müssten sich ihrer Verantwortung stellen.

Eine Zusammenarbeit zwischen der Linken und der CDU ist im Grunde lange nicht mehr so außergewöhnlich wie sie den Gästen bei Maybrit Illner Ende des letzten Jahrtausends erschien. Auf kommunaler Ebene gibt es in der Zwischenzeit durchaus Kooperationen zwischen den beiden Parteien. Aber Kommune ist eben Kommune. Und Land ist nun mal Land.

Wer mit wem?

Es ist aber beileibe nicht das erste Mal in der demokratischen Geschichte Deutschlands, dass es Koalitionen gab, die zunächst so grotesk und falsch anmuteten. Jamaika mag vor gut zwei Jahren gescheitert sein bevor es losging, andere Zusammenschlüsse hielten länger. Die Große Koalition beispielsweise bündelt die Interessen zweier eigentlich gegensätzlichen Lager. Dass das schon lange nicht mehr so ist, hat verschiedene Gründe. Und auch eine Zusammenarbeit von Sozialdemokratie und Wirtschaftsliberalismus scheint zunächst absurd. Die rot-gelbe Koalition der 1970er hatte dafür aber beachtlich lange Bestand. All diese Konstellationen zeigten, worauf es in einer Demokratie ankommt: Kompromisse und Entgegenkommen.

So vehement wie die Thüringer CDU dieser Tage eine Zusammenarbeit mit Linkspartei und AfD ausschließt, so lauthals wehrten sich in den 1980ern weite Teile des Bundestags gegen eine Kollaboration mit den Grünen. Die grüne Partei war tabu weil unbequem. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Mehrere Jahre übernahmen die Bündnisgrünen Regierungsverantwortung auf Bundesebene. Die anderen Parteien gaben ihre Abwehrhaltung weitgehend auf. Die Grünen mutieren indes immer mehr zur bürgerlichen Partei.

Solch gravierende Veränderungen sind weder bei Linkspartei noch bei der CDU ernsthaft zu erwarten. Aber was würde denn passieren, wenn die CDU tatsächlich in Einzelfragen mit den Linken stimmen würde? Die Frage ist bestimmt nicht leicht zu beantworten. Aber fest steht schon jetzt: Es ist bereits eine Menge passiert. Immerhin ist in Thüringen eine Koalition ohne die politischen Ränder nicht mehr möglich. Dabei ist natürlich fraglich, ob man Bodo Ramelows Linkspartei ernsthaft noch als linken Rand bezeichnen kann. Die sitzen halt eben nun mal ganz links. Vor der Wiedervereinigung hat auch niemand SPD oder CDU als linken oder rechten Rand bezeichnet.

Auf verschiedenen Seiten

Eine programmatische Annäherung zwischen CDU und Linker wäre wohl nicht zu erwarten. Dafür sind die Parteien in ihrem Weltverständnis zu verschieden. Passieren könnte das schon eher in einer formellen Koalition, wenn sie denn lange halten würde.

Man darf auch nicht vergessen: Bei einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung würden Linke und CDU weiterhin auf verschiedenen Seiten stehen. Die Linke wäre in der Regierung, die Union in der Opposition. Wer sich jetzt fragt, ob sich die beiden Parteien durch einzelne kleine Schlachten annähern könnte, der muss sich nur die Entwicklung der Thüringer CDU der letzten Jahre ansehen. In dieser Zeit befand sich die Partei Seite an Seite mit der AfD in der Opposition. Mit Sicherheit haben diese beiden Parteien auch Anträge gemeinsam abgelehnt. Sind sie sich deswegen wirklich nähergekommen? Ich glaube nicht.

Kooperation um keinen Preis?

In einer gemeinsamen Mehrheitsopposition wäre eine Annäherung zwischen CDU und AfD sogar wahrscheinlicher. Die beiden Parteien könnten sich schließlich noch effektiver zusammentun, um unliebsame rot-rot-grüne Spinnereien abzuschmettern. Die Frage „Heute mit den Linken, was kommt morgen?“ ist daher durchaus legitim. Natürlich würden Teile der CDU dann erst recht eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten befürworten, zumal ein Zusammenschluss gegen Links leichter wäre.

Wie laut dieser Aufschrei besonders konservativer Christdemokraten werden wird, ist allerdings fraglich. Mit Bernd Höcke hat sich die Thüringer AfD schließlich immer weiter vom rechtsstaatlichen Diskurs entfernt. Aber selbst wenn die Thüringer CDU brav Männchen macht – die Frage einer Kooperation mit den Rechtspopulisten wird in andere Bundesländer überschwappen, vermutlich sogar auf Bundesebene.

Andererseits ist der Beschluss des CDU-Parteitags eindeutig: Es wird keine Zusammenarbeit mit Linken und AfD geben. Doch weshalb ist ein solch endgültiger Beschluss überhaupt nötig? Wenn es sich nach CDU-Logik bei beiden Parteien um einen Haufen Verfassungsfeinde handelt, verbietet sich eine Zusammenarbeit dann nicht automatisch? Schließlich gibt es auch keinen Parteitagsbeschluss, der eine Zusammenarbeit mit der NPD ausschließt.

Völlig abwegig

Vielleicht gab es in den vergangenen Jahren ja doch einen Wandel innerhalb der CDU. Vielleicht sehen die Konservativen die Linkspartei heute nicht mehr pauschal als Feindin der Verfassung. Viel eher berufen sie sich auf die gravierenden programmatischen Unterschiede – die wirklich nicht von der Hand zu weisen sind. Und da in der bundesdeutschen Geschichte schon die wildesten Koalitionen trotz Unterschiede zusammentraten, ist der Beschluss auch legitim.

Und der Beschluss ist in der Sache auch richtig. Eine Koalition von Linken und CDU ist und bleibt absurd. Da kann Ramelow seine Genossen noch so sozialdemokratisiert haben. Bei einer solchen Zusammenarbeit würden beide Seiten ihre Seele verkaufen. Besonders konservative CDUler würden flugs zur AfD überlaufen und auch innerhalb der Linkspartei wäre mit enormem Widerstand zu rechnen.

Das Wahlergebnis in Thüringen ist wie es ist. Es liegt an den demokratischen Kräften im Freistaat, wie sie damit umgehen. Pauschale Absagen halte ich in einer solch prekären Situation für grob fahrlässig. Trotzdem will jeder Schritt gut überlegt sein. Spätestens mit einer Höcke-AfD ist der Fall eingetreten, den Angela Merkel 1999 bei Maybritt Illner noch als „abwegig“ bezeichnete: Das Land Thüringen sieht sich mit einer echten faschistischen Gefahr bedroht. Es wird Zeit, umzudenken.


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