Ein vielversprechendes Projekt

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Das 9-Euro – Ticket wird kommen. Allen Unkenrufen und Boykottierungssuchen seitens der Opposition zum Trotz können die Bürgerinnen und Bürger ab Juni für weniger als zehn Euro pro Monat deutschlandweit den öffentlichen Personennahverkehr nutzen. Die Maßnahme entlastet vor allem Menschen, die andernfalls unter den steigenden Spritpreisen zu leiden hätten. Das Ticket ist außerdem ein sinnvolles Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel. Auch wenn das Ampelprojekt nach drei Monate wieder ausläuft, ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Euphorie hat es dennoch nicht ausgelöst.

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Seit Monaten steigen die Preise an deutschen Zapfsäulen auf schwindelerregende Höhen. Auch wer in der letzten Zeit Heizöl bestellt hat, erlebte bei einem Blick auf die Rechnung ein böses Erwachen. Autofahren und Heizen sind so teuer wie nie. Der Krieg in der Ukraine und die verhängten Sanktionen gegen Russland treiben die Preise weiter an. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Viel eher befürchten Experten, dass es besonders in der kalten Jahreszeit noch einmal zu deutlichen Preissprüngen kommen kann.

An den meisten Menschen im Land geht diese Preisexplosion nicht spurlos vorbei. Sie müssen immer knapper haushalten, um die gestiegenen Kosten zu kompensieren. Für viele ist das inzwischen nicht mehr möglich. Die Bundesregierung begegnet dem rasanten Preisanstieg mit einer Reihe von Hilfsmaßnahmen, welche die Bürger entlasten sollen. Teil des Pakets ist auch das 9-Euro – Ticket, mit dem jeder Bundesbürger in den Sommermonaten deutschlandweit den öffentlichen Personennahverkehr nutzen kann.

Das Ticket wird seit Wochen heiß diskutiert, weil es ein nie dagewesenes Projekt ist. Es schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Es bedeutet große Mobilität für kleines Geld und schont dadurch den Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger. Auf der anderen Seite ist es ein Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Der zeitlich begrenzte Umstieg vom Auto auf die Schiene ist gerade in den Metropolen Balsam für die Umwelt. Manche hätten sich noch etwas mehr gewünscht, aber: Das 9-Euro – Ticket ist die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit.

Ernsthafte Bedenken

Das Vorhaben der Regierung wurde in der Bevölkerung ausgesprochen gut aufgenommen. Obwohl manche Menschen leer ausgehen, weil sie beispielsweise eine Monatskarte besitzen, stößt das Ticket durchaus auf große Sympathie.

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten, und so gibt es auch beim 9-Euro – Ticket den ein oder anderen ernsthaften Kritikpunkt. Befürchtet wird vor allem eine Überlastung des Nahverkehrs, weil der Fuhrpark der meisten Verkehrsunternehmen dem zu erwartenden Andrang nicht standhalten wird. Angesichts eines weiterhin grassierenden Virus sind diese Bedenken nicht von der Hand zu weisen.

Indische Verhältnisse?

Alle drei Regierungsparteien waren in den letzten zwanzig Jahren mit unterschiedlicher Durchschlagskraft an der Demontage des Schienennetzes beteiligt. Es ist gut, dass SPD, Grüne und FDP angesichts großer Herausforderungen nun einlenken und eine so sinnvolle Maßnahme auf den Weg bringen.

Besonders kritische Töne zum 9-Euro – Ticket kommen nun aber vom Oppositionsführer Union. Sie werfen der Regierung vor, kopflos an die Sache heranzugehen. Ihrer Meinung nach habe die Ampelkoalition nicht ausreichend im Blick, dass das Ticket zu einem großen Ansturm auf den öffentlichen Nahverkehr führen würde. Wenn nicht gleichzeitig mit einem Ausbau des Schienennetzes und engeren Takten regiert würde, drohten uns Verhältnisse wie in Indien.

Reine Willensfrage

Die Einwürfe aus der Opposition sind fadenscheinig und durchschaubar. Als regierungsführende Fraktion hat die Union schließlich ordentlich bei den Missständen mitgemischt, die sie nun kritisiert. Das Muster wiederholt sich immer wieder: Kaum hinter den Oppositionsbänken, da entdecken manche Parteien plötzlich ihre soziale Ader.

Trotzdem ist noch nicht bei allen Abgeordneten von CDU und CSU angekommen, dass sie keine regierungstragende Partei mehr sind. Ihre Aufgabe als Oppositionspartei besteht nicht darin, möglichst alle Vorhaben der Regierung zu kritisieren, sondern sinnvolle Alternativen aufzuzeigen. Mit ihrem Geplärre wegen des 9-Euro – Tickets sendet die Union aber ein fatales Signal an die Bürgerinnen und Bürger.

So berechtigt einige Kritikpunkte auch sein mögen – wenn man den Menschen im Land nun auch noch dieses Bonbon wieder wegnimmt, dann wird dabei weiteres Vertrauen flöten gehen. Seit vielen Jahren verweigert sich die Regierung einer bürgerfreundlichen Politik, welche die Zeichen der Zeit erkennt. Auf die Forderungen nach besser ausgestatteten Krankenhäusern, mehr Pflegepersonal oder qualifizierten Lehrkräften an Schulen folgt von manchen Politikern routiniert die Frage nach der Finanzierung. 100 Milliarden für den Verteidigungshaushalt erscheinen aber wie aus dem Nichts. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass vieles keine Finanzierungs- sondern eine Willensfrage ist. Die Aussetzung des 9-Euro – Tickets bei dieser Vorentwicklung wäre aus demokratischer Sicht unverzeihlich.

Oppositionsfrust

Es ist eine Schande, dass viele Medien in diesen Chor aus schiefen Tönen und Disharmonien einstimmen. Sie schlachten die wenigen Ausnahmen über Gebühr aus und prophezeien schier anarchische Zustände in deutschen Bussen und Bahnen. Voller Dankbarkeit klammern sich manche Journalisten an diesen von der Union gereichten Strohhalm aus Frustration und Miesepeterei. Sie werden zu willigen Helfern in dem Unterfangen, ein Projekt madig zu machen, welches in Wirklichkeit das Potenzial hat, viel verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Endlich beschließt die Regierung eine Maßnahme, die viele Bürgerinnen und Bürger spürbar entlastet, wenn auch nur für kurze Zeit. Ganz offensichtlich gibt es aber ein Kommunikationsproblem, denn die Euphorie über dieses Projekt blieb bislang aus. Manche haben es zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen, als großer Wurf wird es aber nicht vermarktet.

Man merkt deutlich, dass die kritischen Töne in diesem Land inzwischen von einer Partei kommen, die zu lange regiert hat und jetzt ein ernsthaftes Problem damit hat, dass andere Parteien den Finger in die Wunde legen. Anstatt sich konstruktiv an der Beseitigung des selbstverursachten Scherbenhaufens zu beteiligen, krakelen die Abgeordneten in Söder’scher Manier lieber wild drauf los und tun die respektablen Vorhaben der Regierung als naive Tagträumereien ab.

Regierung ohne Wumms

Zugegeben: Die Ampelregierung macht es der Neuopposition mitunter ziemlich leicht, das Kartenhaus ins Wanken zu bringen. Eine selbstbewusste Regierung sieht anders aus. Das könnte aber an der Führungsschwäche des neuen Kanzlers liegen, der einige Gestalten in sein Kabinett aufgenommen hat, deren Stuhl schon wenige Monate nach Regierungsantritt wackelt.

Ein Kanzler mit Wumms müsste auf den Tisch hauen und die Erfolge einer angeblichen Fortschrittkoalition klar benennen. Gepaart mit dem erhöhten Mindestlohn ab Herbst ist das 9-Euro – Ticket ein Projekt, das sich zur Abwechslung endlich in Bürgernähe übt. Doch diese Botschaft kommt bei den Menschen nur unzureichend an. Bisher haben es die Entlastungspakete der Regierung nicht geschafft, die Menschen aus der politischen Passivität herauszuziehen.

Die Landtagswahl in NRW ist ein Indiz für die politische Stimmung im Land. Als einzige Ampelpartei konnten die Grünen dazugewinnen, SPD und FDP sind abgeschmiert. Sicher, im Saarland holten die Sozen vor kurzem die absolute Mehrheit und die AfD muss in mehreren Bundesländern um den Fraktionsstatus bangen. Das alles zeigt, dass sich die etablierten Parteien weiter durchsetzen. Es zeigt aber nicht, dass die Menschen mit der Politik zufrieden sind. Die Wählerwanderung, gerade von der AfD ausgehend, zeigt deutlich, dass sich viele zu den Nichtwählern gesellt haben.


Das 9-Euro – Ticket ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es darf ab September nicht wieder Schluss sein mit Bürgernähe. Im nächsten Schritt muss die Schiene wiederbelebt werden, damit viele auch in Zeiten ohne das günstige Ticket eine Alternative zum Auto haben und von den explodierenden Spritkosten verschont bleiben. Vertrauen gewinnt man nicht durch einzelne Maßnahmen zurück. Der Gesamtkurs muss stimmen. Die Regierung muss standhaft bleiben und darf sich nicht bei Gegenwind aus der Opposition wegducken. Gute Politik macht man nicht für die Opposition, sondern für die Menschen im Land.

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Impfpflicht durch die Vordertür

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Die steigenden Infektionszahlen der letzten Woche rückten einen erneuten Lockdown zumindest wieder in den Bereich des Möglichen. Um dieses Szenario abzuwenden, hat die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Länderchefs eine Verordnung vorgelegt, die Ungeimpften sauer aufstößt: Die Testpflicht bleibt für sie aufrechterhalten, für die Tests müssen sie ab Herbst aber selbst aufkommen. Gleichzeitig fallen fast alle Einschränkungen für Geimpfte und Genesene. Die Impfpflicht ist faktisch da.  Diese systematische Benachteiligung von Ungeimpften ist kontraproduktiv im Kampf gegen die Pandemie und heizt eine latente feindselige Stimmung gegen Impfunwillige weiter an.

Nach dem heutigen Stand haben in Deutschland rund 49 Millionen Menschen Erst- und Zweitimpfung gegen das Coronavirus erhalten. Das entspricht einer Quote von fast 59 Prozent. Dieser Fortschritt ist erfreulich, war man sich lange Zeit unsicher, wie lange die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen dauern würden. Das erste Halbjahr 2021 war dann allerdings von einer regelrechten Durststrecke beim Impfen gekennzeichnet. Monatelang erhielten nur ausgewählte Personenkreise Zugang zu den neuen Impfstoffen. Die Impfpriorisierung erfolgte nach Zugehörigkeit zu definierten Risikogruppen. Zwischenzeitlich ist diese Priorisierung aufgehoben: Jeder erwachsene Mensch kann sich nun impfen lassen.

Ein Meilenstein

Auch wenn es nach wie vor einige Impfunwillige gibt, der Impfung begegnet man inzwischen fast überall: Mit Werbeclips macht die Bundesregierung auf die Möglichkeit zum Impfen aufmerksam, in mindestens jeder zweiten Talkshow steht das Thema auf der Tagesordnung und an jeder beliebigen Ecke werden Zelte aufgebaut, in denen man sich spontan und kurzfristig impfen lassen kann.

Es ist gut, dass den meisten Menschen ein Impfangebot gemacht werden kann. Noch besser ist allerdings, dass weite Teile der Risikogruppen vollständig geimpft sind. Das ist ein wichtiger Meilenstein im Kampf gegen die Pandemie. Besonders ältere Menschen und Menschen mit relevanten Vorerkrankungen waren lange Zeit schwer vom Virus bedroht. Die Impfung mag zwar nur bedingt vor Infektionen und der Weitergabe des Virus schützen, schwere Krankheitsverläufe sind aber nahezu ausgeschlossen – zumindest nach dem aktuellen Stand der Forschung.

Eine Frage des Risikos

Deswegen sieht die Risikobewertung von Menschen, die keiner der Risikogruppen angehören, zwangsläufig anders aus. Sie waren lange Zeit nicht so sehr von Corona bedroht wie ihre älteren Mitbürger, auch wenn ihnen die Delta-Variante zunehmend das Leben schwermacht. Ebendiese Abschätzung des Risikos führt dazu, dass sich eine beträchtliche Zahl an Menschen gegen eine Impfung entschieden hat.

Statt nun in polemischer Art und Weise gegen diese Menschen aufzustacheln, sollte man ihre Bedenken lieber ernstnehmen. Viele unter ihnen berufen sich auf die deutlich verkürzte Erprobungsphase der zugelassenen Präparate. Nun stellte Corona für einen Teil der Bevölkerung eine besonders große Bedrohung dar. Es ist daher nachvollziehbar, dass hier von etablierten Forschungsstandards abgewichen wurde, um diese Menschen zu schützen. Weniger nachvollziehbar ist allerdings, dass nun auch von allen anderen Menschen quasi erwartet wird, dass sie sich mit einem Impfstoff immunisieren lassen, der auf einer völlig neuartigen und kaum erprobten Grundlage beruht.

Politikversagen und Vertrauensverlust

Immer wieder rufen Prominente, Politiker und die Wissenschaft dazu auf, das Impfangebot wahrzunehmen. Besonders die Forscherinnen und Forscher bringen gute Argumente hervor, warum sich eine Impfung auch für jüngere Menschen lohnt. Trotzdem ist das Vertrauen in die Wissenschaft bei vielen Menschen inzwischen auf einen besorgniserregenden Tiefstand zusammengeschrumpft. Viele vermuten bezahlte Studien und sonstige Profitinteressen hinter den Forschungsergebnissen. Andere gehen so weit, eine riesige Verschwörung zu wittern. Dass diese Theorien einen solchen Zuspruch erhalten, ist letztendlich auf Politikversagen zurückzuführen. Denn immer wieder haben die Menschen erlebt, dass augenscheinlich verlässlichen und seriösen Aussagen kein Glauben zu schenken ist.

Lange setzten Politik und Wissenschaft daher auf einen sanften Druck, um Menschen trotzdem zum Impfen zu animieren. Dieses vorsichtige Hinführen zu einer wichtigen Maßnahme zur Pandemiebekämpfung ist inzwischen aber einem enormen und immer stärker werdenden Druck gewichen. Bereits kurz nachdem die ersten Impfstoffe zugelassen worden waren, mehrten sich die Stimmen aus der Arbeitswelt, dass der Arbeitgeber eine Impfung praktisch voraussetzte. Der Pflegebereich ist hier das Paradebeispiel. Gerade auf das Pflegepersonal übte man einen enormen moralischen Druck auf, sich impfen zu lassen.

Im Abseits

Ab Herbst gibt es nach den jüngsten Beschlüssen der Bund-Länder – Runde dann auch eine faktische Ausgrenzung vieler Ungeimpfter aus dem öffentlichen Leben. Wenn die Schnelltests ab dem 11. Oktober kostenpflichtig werden, können vor allem geringverdienende und arbeitslose Ungeimpfte nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, ins Kino gehen oder den Abend im Restaurant verbringen. Um diesem Schicksal zu entgehen, werden wahrscheinlich viele Nicht-Geimpfte das Angebot wahrnehmen. Eine vertrauensbildende Maßnahme sieht trotzdem anders aus.

Immer vehementer wird an einer feindseligen Stimmung gegen Nicht-Geimpfte gearbeitet. Ein Werbespot im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums suggeriert, dass nach einer Impfung innige Umarmungen und ausgiebiges Feiern kein Problem mehr seien. Die Auftraggeber übersehen dabei allerdings, dass die Impfung allein nur ein Mosaikstein im Kampf gegen die Pandemie sein kann. Schon dieser unverfänglich scheinende Videoclip soll Ungeimpften vor Augen führen, was durch ihre Verweigerung nicht möglich ist.

Schuldfrage

Diese Methode des schlechten Gewissens findet man auch in fast jeder Diskussion um die Impfentscheidung. Immer wieder müssen sich Nicht-Geimpfte den Vorwurf gefallen lassen, aktiv an einer Lahmlegung des öffentlichen Lebens beteiligt zu sein. Die Argumente sind teilweise so absurd, dass nicht einmal vor Kindern haltgemacht wird. So ist es eine inzwischen gut verbreitete Ansicht, dass ohne umfangreiche Impfungen kein Präsenzunterricht an Schulen möglich sei. Dabei ist, erstens, der Schauplatz Schule noch lange nicht abschließend auf seine Tauglichkeit als Infektionsherd untersucht und, zweitens, sind auch Kinder von der Delta-Variante des Virus nicht derart bedroht, dass eine generelle Schließung der Schulen verhältnismäßig wäre.

Ungeachtet dessen spricht die Impfkampagne weiterhin ein urmenschliches Bedürfnis an: das Verlangen, sich gegenüber anderen zu etablieren. Wer sich nicht impfen lässt, ist der Buhmann. Keiner möchte zur falschen Seite gehören und lässt sich deswegen impfen. Wenn das nicht hilft, wird der soziale Druck um den finanziellen Druck erhöht. Besonders Geringverdiener werden es sich ab Herbst dreimal überlegen, ob sie jedes Mal für die Schnelltests berappen möchten oder sich lieber notgedrungen impfen lassen.

Natürlich wird es auch Ende des Jahres Menschen geben, die sich nicht impfen lassen. Durch den Kostendruck verflüchtigt sich aber ihre Zahl. Es wird leichter, sie zu übersehen oder sie auszugrenzen. Spätestens die bereits jetzt von Markus Söder angedrohte 2G-Lösung wird die Ungeimpften endgültig aus dem öffentlichen Leben verbannen.

Der Kampf geht weiter

Selbst gestandene Politiker wie CDU-Fraktionschef Brinkhaus schlagen zunehmend aggressive Töne an und bezichtigen Ungeimpfte, das Leben von Geimpften einzuschränken. Nun muss man mit der Weltsicht von Ungeimpften nicht unbedingt einer Meinung sein. Wenn gewählte Politiker allerdings öffentlich eine beträchtliche Gruppe an Menschen so pauschal herabwürdigen, dann läuft etwas gewaltig schief.

Die Privilegierung von Geimpften wiegt die Betroffenen in einer falschen Sicherheit, weil leicht der Eindruck entsteht, sie seien aus dem Kampf gegen die Pandemie entlassen. Die Einschränkungen für Ungeimpfte suggerieren, dass die Pandemiebekämpfung allein deren Sache ist, immerhin ist der Kampf bisher an ihnen gescheitert. Sie allein sind schuld daran, dass sich auch die Geimpften weiterhin mit Abstandhalten und Maskenpflicht herumärgern müssen.

Die Strategie des Blankoschecks

Dabei ist längst belegt, dass auch Geimpfte ein Infektionsrisiko darstellen können. Die hohen Infektionszahlen nach dem EM-Spiel im Wembley-Stadion sprechen da wahrlich Bände. Es ist daher dringend erforderlich, die Testpflicht auch für Geimpfte beizubehalten. Auf diese Weise kann nach Abschluss der verkürzten klinischen Erprobung festgestellt werden, wie zuverlässig die Präparate gegen Infektionen schützen und in welchem Ausmaß Geimpfte weiterhin infektiös sind.

Die Schnelltests für Impfunwillige stattdessen kostenpflichtig zu machen, ist der völlig falsche Weg. Möglicherweise infektiösen Geimpften wird dadurch ein Blankoscheck ausgestellt, der sich bitter rächen kann. Vielleicht ist es sinnvoll, die Testpflicht für Geimpfte erst ab einer höheren Inzidenz als bei Ungeimpften festzulegen. Trotzdem ist und bleibt der Kampf gegen das Virus eine Gemeinschaftsaufgabe. Vorstöße wie die kostenpflichtigen Tests spalten die Gesellschaft und erzeugen einen Argwohn gegen Menschen, die eigentlich Mitstreiter sein sollten.


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Die Stunde der Volksparteien

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Krisen spalten. Aber manchmal schweißen Krisen auch zusammen. Die derzeitige Covid-19 – Pandemie verlangt allen Menschen enorm viel ab. Manche müssen Zwangsurlaub nehmen. Andere reißen sich sprichwörtlich ein Bein aus, um anderen zu helfen. Viele weitere stehen unter Quarantäne. In dieser Zeit der Isolation ist es gut, wenn die Gesellschaft solidarisch zusammensteht. Die Rezeptur für dieses gesellschaftliche Haftmittel darf unter keinen Umständen abgeändert werden. Eine Bündelung politischer Interessen ist in solchen Situationen gefragt wie selten.

Die Zeit des Zusammenhalts

Es wird immer Ausnahmen geben. Die Not kann noch so groß sein, es wird immer jene geben, die meinen, es besser zu wissen. Jene, die glauben, über Expertenmeinungen und Naturgesetze erhaben zu sein. Und vielleicht sind diese Menschen als abschreckende Beispiele notwendig. Die Corona-Pandemie verlangt den Menschen aber etwas ganz anderes ab: Zusammenhalt. Achtsamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme ist in diesen Tagen wichtiger denn je. Supermärkte bringen Desinfektionsspender an den Eingangstüren an, Politiker rufen zur Wachsamkeit auf, es bilden sich Nachbarschaftsnetzwerke.

Die Menschen fühlen sich isoliert und sind trotz geeint durch ein Gemeinschaftsgefühl. Die allermeisten wissen, dass der eigene Verzicht zum Wohle aller ist. Viele wissen auch, dass wir erst am Anfang der Krise stehen. Auf die akute Erkrankungswelle wird schon bald eine Zeit der wirtschaftlichen Not folgen. Denn der Shutdown, wie die Medien den derzeitigen Zustand immer gerne betiteln, wird Folgen haben. Umso wichtiger ist es, der Ausbreitung des Virus durch vereinte Kräfte entschlossen entgegenzutreten.

Deswegen macht sich die Krise längst auch politisch bemerkbar. Versammlungen und Demonstrationen, wichtige Instrumente zur politischen Teilhabe, sind derzeit nicht möglich. Viele Menschen hoffen auf eine baldige Überwindung der Krise. Ihre Hoffnung legen sie in die ehemaligen Volksparteien, die aktuell wieder zu alter Form auflaufen.

Denn es ist schon auffallend, dass vor allem die Union in den letzten Wochen im Aufwärtstrend ist. Die Bürgerinnen und Bürger sehnen sich offenbar nach einer starken politischen Kraft, die dem Virus Einhalt gebieten kann. Kleinere Parteien, die traditionell eher bestimmte Milieus ansprechen, sind in der derzeitigen Krise weniger gefragt. Während diese Splitterparteien durch die letzten Krisen eher profitiert haben, ziehen sie nun den schwarzen Peter.

Ein gemeinsames Ziel

Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied zwischen der Corona-Krise und den Krisen der letzten Jahre. Die Covid-19 – Pandemie lässt viel weniger Handlungsspielraum zu als ihre Vorgängerkrisen. In der Flüchtlingskrise ab 2015 und während der Fridays-for-Future – Bewegung stritten die Menschen nicht nur um den besten Lösungsweg, viele waren sich nicht einmal über das Ziel einig. Die einen riefen nach Grenzschließungen und befürchteten eine schiere Flutwelle an Sozialschmarotzern, die sich im schlimmsten Falle als brutale Sexualstraftäter entpuppen könnten. Die andere Seite glänzte durch Gutmenschentum und demonstrierte bei jeder Gelegenheit ihre Refugees-Welcome – Sticker. Für die einen waren die jungen Aktivisten nichts anderes als notorische Schulschwänzer, während die andere Seite keine Gelegenheit ausließ, um die Generation 60+ in Misskredit zu bringen.

Solch bösartigen Diffamierungen gibt es in der Zeit der Pandemie nicht. Zum Glück. Die Menschen eint der Wille, das Virus zu bekämpfen. Es gibt keine ernstzunehmende Stimme, die das Virus leugnet. Leugner des menschengemachten Klimawandels sitzen im Bundestag. Würde jemand die Gefahr von Covid-19 leugnen, würde ihm der Vogel gezeigt werden.

Die Stunde der Volksparteien

Zwar wird auch derzeit über den besten Lösungsweg gestritten, aber es herrscht Einigkeit, dass die Pandemie eine nie dagewesene Herausforderung auf mehreren Ebenen ist. Die Schäden, die durch eine grundlegend andere Handhabung entstünden, liegen auf der Hand. Die Corona-Krise hat ein viel kleineres Polarisierungspotenzial als die Krisen davor. Zu einer Polarisierung gehören nämlich zwei Pole. Die gibt es in dieser Form nicht.

Was man viel eher beobachten kann, ist eine politische Interessensbündelung. Die können nur die einstigen Volksparteien gewährleisten. Sie nehmen alle Menschen aus allen Schichten in den Blick und versuchen, deren Lebensrealitäten bestmöglich zu verbessern. Dass diese Herangehensweise in den letzten Jahren viel zu kurz kam, steht außer Frage. Überspitzt formuliert gibt es in der jetzigen Situation aber eine Rückbesinnung auf das Drei-Fraktionen – Modell der 1960er und 1970er. Zwei starke Volksparteien und eine relativ schwache dritte Kraft. Diese dritte Kraft wird auch in Zukunft aus AfD, FDP, Grünen und Linken bestehen, aber die Volksparteien gewinnen trotzdem hinzu.

Keine Zeit für Protest

Denn ganz offensichtlich vertrauen die Bürgerinnen und Bürger in dieser existenziellen Krise eher Union und SPD als den kleineren Interessensparteien. Gerade die politischen Ränder konnten von wirtschaftlichen Krisen immer profitieren – und so wird es bei der nachfolgenden Wirtschaftskrise wahrscheinlich auch wieder kommen. Solange die Pandemie aber so akut wie jetzt ist, sind Protest- und Klientelparteien abgeschrieben.

In der Klimafrage erlebten die Grünen einen Höhenflug, der es ihnen einen Moment lang vergönnte, vom köstlichen Nektar des Volksparteientums zu kosten. Doch die Menschen spüren jetzt schon die gravierenden wirtschaftlichen Einschnitte der Corona-Krise. Wirtschaftspolitik war noch nie ein Kernthema der Grünen. In den elf Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, führen sie in nur zweien das Wirtschaftsministerium. Anscheinend traut man ihnen ein Handling der anstehenden Wirtschaftskrise nicht zu. Ihre Umfragewerte sind derzeit wieder im Sinkflug.

Ähnliches ist bei der AfD zu beobachten. Platte Parolen und plumpe Provokationen sind derzeit nicht so der (Martin) Renner. Und Politik, die konkretes Handeln erfordert, war ja noch nie Sache der AfD. Die selbsternannte Protestpartei zerlegt sich derzeit lieber selbst in unerbittlichen Flügelkämpfen, anstatt sich in irgendeiner Form in die politische Lösung der Krise einzubringen.

Das Ringen um Zeit

Profilieren können sich in der derzeitigen Lage also vor allem die Volksparteien. Die Union kommt nach aktuellen Umfragen auf stattliche 37 Prozent, während sich selbst die SPD wieder der 20-Prozent – Marke nähert. Besonders unionsseitig stechen einzelne Politiker ganz besonders hervor. Die Kanzlerin wurde während vergangener Krisen ja stets für ihre Tranfunseligkeit kritisiert. Sie saß Probleme lieber aus, als sie offensiv anzugehen. Genau diese Art ist momentan ihr größter Trumpf. Abwarten und auf das beste hoffen ist zur Zeit nämlich tatsächlich das Gebot der Stunde. Solange es kein Medikament gegen das aggressive Virus gibt, muss wahrlich auf Zeit gespielt werden.

Ihren Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur hat Merkel bereits Ende 2018 öffentlich gemacht. Ein Parteitag, der die K-Frage klärt, erscheint im Moment zwar unwahrscheinlich. Trotzdem gewinnt das leidige Thema Kanzlerposten gerade in den letzten Wochen wieder an Fahrtwind. Viele Menschen scheinen zu ahnen, dass als künftiger Kanzler nur ein Macher in Frage kommt.

Ein Mann der Taten

Jens Spahn mag sich in den letzten Jahren häufiger als ewiger Merkel-Kritiker hervorgetan haben. Dieser Tage steigen seine Beliebtheitswerte allerdings wegen seines Krisenmanagements. Als Gesundheitsminister ist er der gefragteste Mann der Bundesregierung, dieser Verantwortung kann er sich schlichtweg nicht entziehen. Seine Präsenz und sein Wille zum Handeln kommt bei den Bürgern gut an. Trotz allem macht ihn das nicht immun gegen lauterwerdende Kritik an seinen konkreten Vorhaben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sitzt da schon fester im Sattel. Bei der K-Frage streifte er meist nur vorsichtig den Horizont. Er zeigte sich bescheiden und wich Fragen nach einer Kandidatur eher aus. In der jetzigen Krise inszeniert er sich erfolgreich als Macher, der die Lage weitestgehend im Griff hat. Er ist sich bewusst, dass die merkelsche Art des Abwartens und der guten Worte in der kommenden Wirtschaftskrise wenig Zustimmung finden wird. Viel eher sehnen sich die Menschen dann nach einer Figur, die konsequent und kompetent auftritt. Man wird sich an sein Management der Pandemie erinnern.

Söders derzeit größter Trumpf in der K-Frage ist sicherlich, dass er seine Konkurrenten in den Schatten stellt. Friedrich Merz machte zuletzt lediglich als Erkrankter von sich reden, Laschet quäkt mehr oder minder unqualifiziert dazwischen, ernst nimmt das zumindest niemand. Mit seinen zügig beschlossenen Ausgangsbeschränkungen für den Freistaat hat Markus Söder sinnvolle Maßnahmen ergriffen, die eine Ausbreitung des Virus zumindest verlangsamen. Nun möchte er Prämien ans Gesundheitspersonal zahlen. Für eine kurzzeitige Beschwichtigung der Lage taugt dieses Vorhaben jedenfalls mehr als stehende Ovationen im Bundestag.


Die Zeiten, die auf uns zukommen, werden sehr schwere sein. Schulen, Kitas und Geschäfte können nicht für immer geschlossen bleiben. Wir werden lernen müssen, eine ganze Zeit lang mit dem Virus zu leben. Bis ein wirksames Medikament gegen Corona entwickelt ist, kann viel Zeit verstreichen. Die wirtschaftlichen Folgen der Krise treffen bereits jetzt schon einige besonders hart. Das Bedürfnis in Zeiten des Social Distancing eng zusammenzustehen, ist daher nur allzu verständlich. Wir sollten Abstand halten, aber uns nicht von denen spalten lassen, die munter aus der Reihe tanzen.

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