Mehr Pflichten, mehr Rechte

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Der Impfstoff steht noch lange nicht allen Menschen zur Verfügung, da wird schon darüber diskutiert, was eine Impfung bedeutet – und was mit Nicht-Geimpften passieren soll. Die Palette reicht von dringenden Aufrufen über Sonderrechte für Geimpfte bis hin zu einer staatlich verordneten Impfpflicht. Viele dieser Debatten kommen viel zu früh und werden zudem völlig unreflektiert und kopflos geführt. Besonders etwaige Sonderrechte für Geimpfte öffnen die Hintertür für eine inoffizielle Impfpflicht.

Verfrühte Debatten

Eigentlich kann es zwischenzeitlich keiner mehr hören: Corona, Corona, Corona. Und doch gibt es immer jemanden, der noch eins draufsetzt. Vor wenigen Wochen war das noch der Bundesaußenminister Heiko Maas, der als völlig Fachfremder in den Kanon der Gastronomie einstieg und Sonderrechte für Geimpfte erwog. Diesen Vorfall konnte man vielleicht noch leicht abtun und schnell wieder zu den Akten legen. Die Entscheidung über solche Sonderrechte fiel schließlich nicht ins Ressort des Außenministers. Nun aber hat auch die Bundeskanzlerin sehr ähnliche Töne angeschlagen. In einem Interview mit der ARD gab sie unumwunden zu, dass auch sie Sonderrechte für bereits Geimpfte befürwortete.

Längst hat sich auch der Deutsche Ethikrat in diese Debatte eingeschaltet. Er betonte, dass er einer solchen Diskussion generell sehr skeptisch gegenübersteht. Außerdem verwiesen die Abgesandten darauf, dass solche Überlegungen viel zu früh kämen. Solange die Wirksamkeit und auch die Langzeitfolgen der neuartigen Impfstoffe nicht hinreichend erforscht wären, würde man der Pandemiebekämpfung eher schaden als nützen. Nach wie vor steht die Effektivität der Präparate in Zweifel. Es verdichten sich die Hinweise, dass die Wirkstoffe lediglich den Verlauf der Krankheit beeinflussen und auch die Weitergabe der Viren nicht effektiv eindämmen. Erst wenn alle diese Fragen geklärt wären, könnte man Sonderrechte zur Debatte stellen. Bereits im Vorfeld hatte sich der Rat gegen eine Impfpflicht positioniert.

Widerlegen statt rechtfertigen

Mit seiner Einschätzung hat der Ethikrat natürlich recht. Das Problem liegt allerdings noch tiefer. Die gesamte Diskussion über den Impfstoff läuft falschherum. Immer wieder wird die Wirksamkeit des neuen Stoffs spielend leicht in Frage gestellt. Es gibt in diesem Land vermutlich nur noch wenige Menschen, die ernsthaft davon ausgehen, dass der Impfstoff auch vor Infektionen schützt. Eigentlich müsste es doch so sein, dass die Forschung einen oder mehrere Präparate vorstellt und sich glaubhaft für deren Wirksamkeit verbürgt. Natürlich gäbe es auch dann den ein oder anderen Skeptiker, der seine Zweifel öffentlich kundtut. Die Wissenschaft könnte aber dann mit Argumenten und fundierten Erkenntnissen dagegenhalten. Momentan kann die Wissenschaft die Zweifel nicht entkräften. Sie ist in einer Rechtfertigungsposition, nicht in einer Widerlegungsposition.

Dazu kommt, dass die neuen Impfstoffe sehr zügig auf den Markt kamen. Schneller als jemals zuvor ist es Forschern gelungen, ein Vakzin zu entwickeln, dass nach Abschluss der ersten Forschungsphasen einen guten Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf bietet. Es ist wenig verwunderlich, dass die Forscher dabei so schnell waren, schließlich ist die Pandemie eine ernstzunehmende Gefahr. Die Langzeitfolgen des Impfstoffs konnten in dieser Zeit aber nicht erforscht werden. Es scheint beinahe so, als würden wir uns weiterhin in einer Forschungsphase befinden.

Wem gehört der Impfstoff?

Trotzdem ist es richtig, den Impfstoff bereits jetzt an solche Menschen zu verimpfen, die ein hohes Risiko haben, schwer an Corona zu erkranken. Das ändert allerdings nichts an den teilweise schrillen Tönen der Skeptiker und Impfgegner. Einige von ihnen mögen total wirr im Kopf sein, bei anderen ist die Skepsis wenig verwunderlich. Immerhin hat die Politik ihnen in den letzten Jahren reichlich Grund für Misstrauen gegeben.

Immer wieder mussten die Menschen erleben, dass gerade in Gesundheitsfragen selten das Wohlergehen der Patienten das Handeln bestimmte. Da ist die Privatisierung des Gesundheitswesens, die viele Krankenhäuser bankrottgehen ließ. Besonders privat versicherte Patienten erhalten Behandlungen, die medizinisch überhaupt nicht notwendig sind. Alles, um die Bilanz aufzupolieren. Und dann ist da noch der unsägliche Streit über die Patente der Impfstoffe. Wenn es der Pharmaindustrie wirklich um die Gesundheit der Menschen ginge, dann würde sie sich bei der Veröffentlichung der Patente nicht so beknien lassen. Natürlich ruft ein solches Verhalten Argwohn hervor. Wo liegen die wirklichen Interessen der Pharmakonzerne? Absolut legitim ist auch die Frage, warum nicht mit der gleichen Inbrunst an Medikamenten gegen schwere Covid-Verläufe geforscht wurde. Ein Schelm, wer hier Profitinteresse vermutet.

(K)ein Herz für Gastronomen

Die Debatte um Sonderrechte für Geimpfte entspringt übrigens nicht originär der Regierung oder der Politik. Angestoßen wurde sie von der Gastronomie und Kultureinrichtungen, die von der Krise schwer gebeutelt sind. Härter als viele andere Wirtschaftsbereiche hat die Krise sie getroffen. Über Wochen und Monate waren und sind sie gezwungen, den Betrieb einzustellen und auf Umsätze zu verzichten. Das fehlende Geld wird von den staatlichen Hilfen entweder nur teilweise kompensiert oder es kommt viel zu spät an. Man kann es diesen Branchen nicht verübeln, dass sie nach anderen Wegen suchen, Umsatz zu generieren.

Anstatt aber bei den versprochenen Coronahilfen kräftig nachzubessern und wirklich die zu unterstützen, die Hilfe am dringendsten nötig haben, springt manch ein übermotivierter Außenminister, und jetzt auch noch die Kanzlerin, auf den Zug der Sonderrechte mit auf. Mit keiner Silbe erwägen diese Politiker, dass der Lockdown in der jetzigen Form vielleicht sein Ziel verfehlt. Wir haben Winter und es ist kalt. Die Zahlen sprangen aber besonders am Ende des letzten Jahres so explosionsartig in die Höhe, dass man sich schon fragt, wie das bei geschlossenen Restaurants und Kinos überhaupt möglich ist.

Impfpflicht durch die Hintertür

Auf jeden Fall gibt es genügend Gastronomen, die nun Einlassbeschränkungen abhängig vom Impfstatus der Gäste erwägen. Sie begründen das mit dem Schutz ihrer Beschäftigten. Dieses Argument ist aber ebenso scheinheilig wie entlarvend. Eine solche Praxis würde doch zwangsläufig zu einer großflächigen Impfpflicht führen – nicht nur für die Gäste solcher Einrichtungen. Die jetzt freigegeben Impfstoffe schützen nämlich nicht vor einer Weitergabe der Viren. Auch Geimpfte können ansteckend sein. Um auch das Personal vor schweren Erkrankungen zu schützen, ist also auch eine Impfung der Mitarbeiter notwendig. Was für Gäste gilt, gilt also auch für die Belegschaft: Bist du nicht geimpft, dann kommst du nicht rein.

Hier wird also gezielt eine Impfpflicht durch die Hintertür installiert. Wer seinen Job behalten möchte, der sollte besser zur Impfung gehen. Den Beschäftigten wird dazu in vielen Fällen ein schlechtes Gewissen eingeredet. Man stellt sie als verantwortungslose Virenschleudern hin, die der Ausbreitung des Virus angeblich enormen Vorschub leisten. In vielen Pflegeeinrichtungen ist diese Vorgehensweise inzwischen Gang und Gäbe.

Nie wieder Kneipe?

Und was passiert eigentlich mit Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können? Wenn sie beispielsweise den Wirkstoff nicht vertragen? Dürfen solche Menschen dann nie wieder in die Kneipe? Erhalten sie dann ein lebenslanges Berufsverbot? Das gesamte System hinkt hinten und vorne, weil es nur dann Sinn machen würde, wenn der Impfstoff zuverlässig vor Infektionen schützen würde und klare Regeln für Ausnahmefälle vorliegen würden.

In ihrer derzeitigen Form sind sämtliche Corona-Impfstoffe lediglich vorbeugende Medikamente, die vor schweren Krankheitsverläufen schützen. Das macht das Virus zwar kurzzeitig beherrschbarer, dämmt eine Ausbreitung aber nicht effektiv ein. Die jetzige Taktik kann das Gesundheitssystem entlasten, führt aber unter Umständen zu noch mehr gefährlichen Mutationen, vor denen die jetzigen Impfstoffe nicht mehr schützen könnten. Vielleicht ist es ein Fehler, so viel Hoffnungen in die Impfungen zu stecken. Vielleicht wäre es besser, gezielt Medikamente zu entwickeln, auf die alle die zugreifen können, die wider Erwarten schwer an Corona erkranken.


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