Der Ton wird rauer

Lesedauer: 8 Minuten

Politik funktioniert fast immer über Emotionen. Gute Politiker sprechen unsere innersten Bedürfnisse an, weil sie wissen, was wir uns wünschen. Sie nehmen unsere Wünsche ernst und zeigen Wege auf, wie diese in Erfüllung gehen können. Schlechte Politiker hingegen nutzen unsere Ängste aus, um Erfolg zu haben. In der Coronapandemie spielte Angst oft eine große Rolle. An manchen Stellen konnte man sich nicht sicher sein, ob die Politik diese Angst überwinden wollte oder mit ihr spielte. Spätestens seit der Diskussion um 2G ist aber klar: Angst und teils offene Drohungen sind inzwischen ein gängiges Mittel in der Politik.

Der beste Nährboden für Angst ist Unwissenheit. Etwas nicht zu wissen oder zu kennen, erzeugt nicht automatisch Angst. Und doch ist Angst oft auf Unkenntnis und fehlende Informationen zurückzuführen. Kleine Kinder fürchten sich im Dunkeln, weil sie nicht sehen können, was um sie herum geschieht. Durch kleine Lichtquellen wirkt im Kinderzimmer eigentlich Vertrautes plötzlich völlig beängstigend. Diese Urangst vor dem Unbekannten wohnt allen Menschen inne und soll uns vor zu großen Risiken bewahren.

Viele offene Fragen

Anfang 2020 wurde die Menschheit mit einem völlig neuartigen Virus konfrontiert. Sehr wenig war über die neue Krankheit bekannt. Die Übertragungswege waren zunächst ein komplettes Mysterium, ebenso wie die Frage, wie gefährlich das Virus ist. Die meisten Menschen hatten Angst und diese Angst führte dazu, dass sie vorsichtig waren. Auch der Staat musste auf die unübersichtliche Notlage reagieren. Geschäfte blieben wochenlang geschlossen, das öffentliche Leben schlief fast ganz ein. Im Frühjahr 2020 erlebten wir eine Welle der Solidarität, als die Menschen wieder stärker aufeinander Acht gaben, weil sie das Virus nicht einschätzen konnten.

Inzwischen sind anderthalb Jahre vergangen. Viele haben sich zwischenzeitlich an ein Leben mit dem Virus fast gewöhnt. Es ist für sie normal geworden, auf öffentlichen Plätzen und in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen. Auch können viele das Virus heute besser einschätzen. Kennen tun es aber weiterhin nur die wenigsten.

Durch himmelschreiende Schlampereien bei der Datenerfassung, durch zahlreiche Skandale und wegen völlig kaputtgesparter Gesundheitsämter sind auch fast zwei Jahre nach den ersten Infektionen viele Fragen zu Covid-19 ungeklärt. Es ist bis heute nicht abschließend geklärt, wo die Hotspots für Infektionen liegen und wer als Pandemietreiber in Frage kommt. Man rühmt sich seit neun Monaten dafür, einen Impfstoff entwickelt zu haben und kann doch nicht einmal sagen, wie wirksam die Präparate sind und wogegen genau sie wirken.

Ein Scheunentor für Verschwörungstheorien

Gerade weil der Kenntnisstand zur Pandemie so intransparent ist, sind viele Menschen weiterhin verängstigt. Eine seriöse Risikobewertung war ihnen nie möglich. Darum ließ die Mehrheit einen Lockdown nach dem anderen über sich ergehen, akzeptierte Ausgangssperren und ließ sich mit kurzfristig erprobten Impfstoffen gegen das Virus immunisieren. Die Angst war dabei stets ein Treiber im Kampf gegen die Pandemie.

Die Regierung verließ sich bisweilen auf eine äußerst fragile Datenlage. Anstatt die Gründe für diese Intransparenz kritisch zu hinterfragen, rechtfertigte sie die weitreichenden Einschränkungen mit einem äußerst fragwürdigen Kenntnisstand. Dieses Vorgehen lud regelrecht dazu ein, sich seine eigene Wahrheit zusammenzuschustern. Mancher ließ sich dabei von seiner Vernunft leiten, andere neigten zu Übervorsicht oder einem äußerst laxen Umgang mit den Sicherheitsvorkehrungen. Wieder andere huldigten wirren Hetzrednern und haben seitdem jeglichen Bezug zur Realität verloren.

Die neuesten Zahlen

Betrachtet man die Berichterstattung zur Pandemie, so kann einem recht schnell Angst und Bange werden. Mit immer verfeinerten Kennzahlen versucht man seit 2020, die Gefährlichkeit des Virus abzubilden. Der große Nachteil solcher Erhebungen ist allerdings, dass über das Zustandekommen der Ergebnisse oft wenig bekannt ist. Die Gesamtzahl der Neuinfektionen von 2020 wich alsbald dem Inzidenzwert, der die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen in Relation zu einer bestimmten Einwohnerzahl ausgibt. Immer lauter werden allerdings die Zweifel an diesem Wert. Wenn für Ungeimpfte eine generelle Testpflicht besteht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ein Ungeimpfter positiv getestet wird. Nicht höher liegt dann allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass er stationär behandelt werden muss oder bereits mit dem Tode ringt. Die Gefährlichkeit der Krankheit lässt sich so nur unzureichend erfassen.

Monatelang verließ sich die Tagesschau fast ausschließlich auf die Zahl der Neuinfektionen. Die Nennung der neuesten Infektionszahlen war lange Zeit fester Bestandteil jeder Sendung. Das hatte einerseits einen informativen Charakter, machte den Menschen bei hoher Zahl aber Angst und verleitete zur Unvorsicht, wenn am Abend zuvor nur von 200 Neuinfektionen bundesweit die Rede war.

Die falschen Schlüsse

Auch die Bilder leergeräumter Supermarktregale verfehlten häufig ihren Zweck der reinen Informationsweitergabe. Stattdessen führten sie zu einer Welle der Nachahmer, die innerhalb weniger Tage auch hierzulande zum Notstand im Einzelhandel führten. Auch die Bilder von Leichensäcken und Behelfsfriedhöfen erinnerten eher an ein Kriegsszenario. Zwar befanden sich die Gesundheitssysteme mancher Länder jenseits des Kollaps, doch bewirken auch die seriösesten Beschwichtigungen wenig im Angesicht solcher Bilder. Der Verweis auf ein stabiles deutsches Gesundheitssystem säte eher Zweifel als Vertrauen.

Den meisten Menschen war sowieso klar, dass auch unser Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenzen stieß. Plötzlich war von Ärztinnen und Ärzten und von Pflegekräften die Rede, die nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Begründet wurde all das mit einer höheren Belastung durch die Pandemie. Es ist unstrittig, dass Covid-19 zu einem Anstieg der stationären und intensivmedizinischen Behandlungen führte. Am Limit war das Gesundheitspersonal allerdings lange vor Corona. Statt in der Notlage die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, sah man tatenlos dabei zu, wie mitten in der Pandemie 20 Krankenhäuser geschlossen wurden und die Sana-Kliniken trotz Coronahilfen ausgerechnet beim Personal den Rotstift anlegten.

Der Druck steigt

Durch diese falsche Prioritätensetzung wich die Politik der Angst schon bald einer Politik des Drucks. Die Bilder von überfordertem Klinikpersonal nutze man geschickt dazu, um daraus die passenden Schlüsse zu ziehen. Solch katastrophalen Zustände ließen sich nur dann abwenden, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft sei. Die Aussicht auf lukrative Vergünstigungen erhöhte die Impfbereitschaft weiter. Immer mehr Menschen jenseits der Risikogruppen nahmen das Impfangebot wahr. Der soziale Druck stieg.

Gleichzeitig hatten die Menschen das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Es war ihrer Impfbereitschaft zu verdanken, dass ein erneuter Lockdown in weite Ferne rückte. Indem man die Impfkampagne derart moralisch anreicherte, teilte man die Bevölkerung in gute und schlechte Menschen.

Im nächsten Schritt hob man die Testpflicht für Geimpfte auf. Dadurch stieg der Druck auf Ungeimpfte weiter. Immerhin mussten sie sich nun vor jeder öffentlichen Veranstaltung und vor jedem Besuch im Restaurant rechtfertigen, obwohl weiterhin nicht abschließend geklärt ist, in welchem Maße Ungeimpfte infektiöser sind als Geimpfte.

Der Ton wird rauer

Durch die Abschaffung der kostenlosen Tests brach sich endgültig eine Rhetorik der Drohgebärde Bahn. Entscheidend ist dabei nicht der Beschluss, dass Schnelltests in Zukunft kostenpflichtig sein sollen, sondern der Zeitraum zwischen Beschlussfassung und Inkrafttreten.

Immerhin liegen zwischen der Entscheidung und der Umsetzung zwei Monate und eine Bundestagswahl. Dieses großzügige Zeitfenster dienst nicht vorrangig dazu, den Ungeimpften entgegenzukommen, sondern erhöht den Druck auf diese Gruppe weiter. Unverhohlen droht man den Nicht-Geimpften an, sie durch die 2G-Regelung vollends vom öffentlichen Leben auszuschließen. Das Reden ist hier wichtiger als das Handeln. Solche Debatten sind nichts weiter als Drohgebärden. Die Drohung kann sich besonders gut entfalten, wenn zwischen Ankündigung und Einlösung genügend Zeit liegt.

Die Besserstellung von Geimpften ist seit Januar im Gespräch. Ihre Wirkung hat diese subtile Drohung nicht verfehlt. Die Impfquote schoss nach oben. Die Diskussion um 2G soll nun auch dem harten Kern der Impfrevoluzzer den Garaus machen. Warum Ungeimpfte plötzlich eine größere Bedrohung für die Allgemeinheit sein sollen, interessiert dabei nicht. Ebenso wenig, weswegen eine medizinisch angeblich so notwendige Maßnahme so viel Aufschub verdient. Den sanften Druck von gestern gibt es nicht mehr. Heute gibt die offene Drohung das Wort an.


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Impfpflicht durch die Vordertür

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Die steigenden Infektionszahlen der letzten Woche rückten einen erneuten Lockdown zumindest wieder in den Bereich des Möglichen. Um dieses Szenario abzuwenden, hat die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Länderchefs eine Verordnung vorgelegt, die Ungeimpften sauer aufstößt: Die Testpflicht bleibt für sie aufrechterhalten, für die Tests müssen sie ab Herbst aber selbst aufkommen. Gleichzeitig fallen fast alle Einschränkungen für Geimpfte und Genesene. Die Impfpflicht ist faktisch da.  Diese systematische Benachteiligung von Ungeimpften ist kontraproduktiv im Kampf gegen die Pandemie und heizt eine latente feindselige Stimmung gegen Impfunwillige weiter an.

Nach dem heutigen Stand haben in Deutschland rund 49 Millionen Menschen Erst- und Zweitimpfung gegen das Coronavirus erhalten. Das entspricht einer Quote von fast 59 Prozent. Dieser Fortschritt ist erfreulich, war man sich lange Zeit unsicher, wie lange die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen dauern würden. Das erste Halbjahr 2021 war dann allerdings von einer regelrechten Durststrecke beim Impfen gekennzeichnet. Monatelang erhielten nur ausgewählte Personenkreise Zugang zu den neuen Impfstoffen. Die Impfpriorisierung erfolgte nach Zugehörigkeit zu definierten Risikogruppen. Zwischenzeitlich ist diese Priorisierung aufgehoben: Jeder erwachsene Mensch kann sich nun impfen lassen.

Ein Meilenstein

Auch wenn es nach wie vor einige Impfunwillige gibt, der Impfung begegnet man inzwischen fast überall: Mit Werbeclips macht die Bundesregierung auf die Möglichkeit zum Impfen aufmerksam, in mindestens jeder zweiten Talkshow steht das Thema auf der Tagesordnung und an jeder beliebigen Ecke werden Zelte aufgebaut, in denen man sich spontan und kurzfristig impfen lassen kann.

Es ist gut, dass den meisten Menschen ein Impfangebot gemacht werden kann. Noch besser ist allerdings, dass weite Teile der Risikogruppen vollständig geimpft sind. Das ist ein wichtiger Meilenstein im Kampf gegen die Pandemie. Besonders ältere Menschen und Menschen mit relevanten Vorerkrankungen waren lange Zeit schwer vom Virus bedroht. Die Impfung mag zwar nur bedingt vor Infektionen und der Weitergabe des Virus schützen, schwere Krankheitsverläufe sind aber nahezu ausgeschlossen – zumindest nach dem aktuellen Stand der Forschung.

Eine Frage des Risikos

Deswegen sieht die Risikobewertung von Menschen, die keiner der Risikogruppen angehören, zwangsläufig anders aus. Sie waren lange Zeit nicht so sehr von Corona bedroht wie ihre älteren Mitbürger, auch wenn ihnen die Delta-Variante zunehmend das Leben schwermacht. Ebendiese Abschätzung des Risikos führt dazu, dass sich eine beträchtliche Zahl an Menschen gegen eine Impfung entschieden hat.

Statt nun in polemischer Art und Weise gegen diese Menschen aufzustacheln, sollte man ihre Bedenken lieber ernstnehmen. Viele unter ihnen berufen sich auf die deutlich verkürzte Erprobungsphase der zugelassenen Präparate. Nun stellte Corona für einen Teil der Bevölkerung eine besonders große Bedrohung dar. Es ist daher nachvollziehbar, dass hier von etablierten Forschungsstandards abgewichen wurde, um diese Menschen zu schützen. Weniger nachvollziehbar ist allerdings, dass nun auch von allen anderen Menschen quasi erwartet wird, dass sie sich mit einem Impfstoff immunisieren lassen, der auf einer völlig neuartigen und kaum erprobten Grundlage beruht.

Politikversagen und Vertrauensverlust

Immer wieder rufen Prominente, Politiker und die Wissenschaft dazu auf, das Impfangebot wahrzunehmen. Besonders die Forscherinnen und Forscher bringen gute Argumente hervor, warum sich eine Impfung auch für jüngere Menschen lohnt. Trotzdem ist das Vertrauen in die Wissenschaft bei vielen Menschen inzwischen auf einen besorgniserregenden Tiefstand zusammengeschrumpft. Viele vermuten bezahlte Studien und sonstige Profitinteressen hinter den Forschungsergebnissen. Andere gehen so weit, eine riesige Verschwörung zu wittern. Dass diese Theorien einen solchen Zuspruch erhalten, ist letztendlich auf Politikversagen zurückzuführen. Denn immer wieder haben die Menschen erlebt, dass augenscheinlich verlässlichen und seriösen Aussagen kein Glauben zu schenken ist.

Lange setzten Politik und Wissenschaft daher auf einen sanften Druck, um Menschen trotzdem zum Impfen zu animieren. Dieses vorsichtige Hinführen zu einer wichtigen Maßnahme zur Pandemiebekämpfung ist inzwischen aber einem enormen und immer stärker werdenden Druck gewichen. Bereits kurz nachdem die ersten Impfstoffe zugelassen worden waren, mehrten sich die Stimmen aus der Arbeitswelt, dass der Arbeitgeber eine Impfung praktisch voraussetzte. Der Pflegebereich ist hier das Paradebeispiel. Gerade auf das Pflegepersonal übte man einen enormen moralischen Druck auf, sich impfen zu lassen.

Im Abseits

Ab Herbst gibt es nach den jüngsten Beschlüssen der Bund-Länder – Runde dann auch eine faktische Ausgrenzung vieler Ungeimpfter aus dem öffentlichen Leben. Wenn die Schnelltests ab dem 11. Oktober kostenpflichtig werden, können vor allem geringverdienende und arbeitslose Ungeimpfte nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, ins Kino gehen oder den Abend im Restaurant verbringen. Um diesem Schicksal zu entgehen, werden wahrscheinlich viele Nicht-Geimpfte das Angebot wahrnehmen. Eine vertrauensbildende Maßnahme sieht trotzdem anders aus.

Immer vehementer wird an einer feindseligen Stimmung gegen Nicht-Geimpfte gearbeitet. Ein Werbespot im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums suggeriert, dass nach einer Impfung innige Umarmungen und ausgiebiges Feiern kein Problem mehr seien. Die Auftraggeber übersehen dabei allerdings, dass die Impfung allein nur ein Mosaikstein im Kampf gegen die Pandemie sein kann. Schon dieser unverfänglich scheinende Videoclip soll Ungeimpften vor Augen führen, was durch ihre Verweigerung nicht möglich ist.

Schuldfrage

Diese Methode des schlechten Gewissens findet man auch in fast jeder Diskussion um die Impfentscheidung. Immer wieder müssen sich Nicht-Geimpfte den Vorwurf gefallen lassen, aktiv an einer Lahmlegung des öffentlichen Lebens beteiligt zu sein. Die Argumente sind teilweise so absurd, dass nicht einmal vor Kindern haltgemacht wird. So ist es eine inzwischen gut verbreitete Ansicht, dass ohne umfangreiche Impfungen kein Präsenzunterricht an Schulen möglich sei. Dabei ist, erstens, der Schauplatz Schule noch lange nicht abschließend auf seine Tauglichkeit als Infektionsherd untersucht und, zweitens, sind auch Kinder von der Delta-Variante des Virus nicht derart bedroht, dass eine generelle Schließung der Schulen verhältnismäßig wäre.

Ungeachtet dessen spricht die Impfkampagne weiterhin ein urmenschliches Bedürfnis an: das Verlangen, sich gegenüber anderen zu etablieren. Wer sich nicht impfen lässt, ist der Buhmann. Keiner möchte zur falschen Seite gehören und lässt sich deswegen impfen. Wenn das nicht hilft, wird der soziale Druck um den finanziellen Druck erhöht. Besonders Geringverdiener werden es sich ab Herbst dreimal überlegen, ob sie jedes Mal für die Schnelltests berappen möchten oder sich lieber notgedrungen impfen lassen.

Natürlich wird es auch Ende des Jahres Menschen geben, die sich nicht impfen lassen. Durch den Kostendruck verflüchtigt sich aber ihre Zahl. Es wird leichter, sie zu übersehen oder sie auszugrenzen. Spätestens die bereits jetzt von Markus Söder angedrohte 2G-Lösung wird die Ungeimpften endgültig aus dem öffentlichen Leben verbannen.

Der Kampf geht weiter

Selbst gestandene Politiker wie CDU-Fraktionschef Brinkhaus schlagen zunehmend aggressive Töne an und bezichtigen Ungeimpfte, das Leben von Geimpften einzuschränken. Nun muss man mit der Weltsicht von Ungeimpften nicht unbedingt einer Meinung sein. Wenn gewählte Politiker allerdings öffentlich eine beträchtliche Gruppe an Menschen so pauschal herabwürdigen, dann läuft etwas gewaltig schief.

Die Privilegierung von Geimpften wiegt die Betroffenen in einer falschen Sicherheit, weil leicht der Eindruck entsteht, sie seien aus dem Kampf gegen die Pandemie entlassen. Die Einschränkungen für Ungeimpfte suggerieren, dass die Pandemiebekämpfung allein deren Sache ist, immerhin ist der Kampf bisher an ihnen gescheitert. Sie allein sind schuld daran, dass sich auch die Geimpften weiterhin mit Abstandhalten und Maskenpflicht herumärgern müssen.

Die Strategie des Blankoschecks

Dabei ist längst belegt, dass auch Geimpfte ein Infektionsrisiko darstellen können. Die hohen Infektionszahlen nach dem EM-Spiel im Wembley-Stadion sprechen da wahrlich Bände. Es ist daher dringend erforderlich, die Testpflicht auch für Geimpfte beizubehalten. Auf diese Weise kann nach Abschluss der verkürzten klinischen Erprobung festgestellt werden, wie zuverlässig die Präparate gegen Infektionen schützen und in welchem Ausmaß Geimpfte weiterhin infektiös sind.

Die Schnelltests für Impfunwillige stattdessen kostenpflichtig zu machen, ist der völlig falsche Weg. Möglicherweise infektiösen Geimpften wird dadurch ein Blankoscheck ausgestellt, der sich bitter rächen kann. Vielleicht ist es sinnvoll, die Testpflicht für Geimpfte erst ab einer höheren Inzidenz als bei Ungeimpften festzulegen. Trotzdem ist und bleibt der Kampf gegen das Virus eine Gemeinschaftsaufgabe. Vorstöße wie die kostenpflichtigen Tests spalten die Gesellschaft und erzeugen einen Argwohn gegen Menschen, die eigentlich Mitstreiter sein sollten.


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Die Gesellschaft der Fremden

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Es ist wieder passiert: Erneut hat ein Einzeltäter ein Blutbad angerichtet. Und wieder erlangt eine deutsche Stadt traurige Bekanntheit. Durch das mutige Eingreifen einiger Passanten konnte der Täter an der Begehung weiterer Straftaten gehindert werden. Es ist schlimm, dass es solch mutiger Helden bedarf, um so großes Leid zu verhindern. Denn Alarmzeichen gab es sicher genügend. Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren nur so weit entfremdet, dass Taten wie die von Würzburg immer mehr zur Regel werden.

Bekanntes Täterprofil

Ganz Deutschland ist geschockt. Das Attentat in Würzburg hat uns erneut gezeigt, zu was Menschen fähig sind. Ein scheinbar völlig enthemmter Täter hat am vergangenen Freitag drei Menschen mit einem Messer getötet und viele weitere zum Teil schwer verletzt. Viel ist über den Täter weiterhin nicht bekannt, außer dass er somalischer Herkunft ist und bereits in der Vergangenheit auffällig wurde und psychologische Hilfe in Anspruch nahm. Sein Motiv ist weiterhin nicht abschließend geklärt.

Fast reflexartig geht ein Raunen durch die entsetzte Gesellschaft. Immer wieder hört man nach ähnlichen Taten, die Täter seien bereits im Vorfeld strafrechtlich in Erscheinung getreten oder hätten sich psychisch auffällig gezeigt. Viele schütteln den Kopf darüber, dass solche Menschen trotzdem unbehelligt herumlaufen und ihre Taten begehen. Das war in Würzburg so und das war auch bei den schrecklichen Vorfällen am Frankfurter Hauptbahnhof und anderswo so.

Die Menschen sehen, dass fast alle diese Täter psychische Probleme hatten. Das verwundert kaum: Ein psychisch gesunder Mensch würde eine solche Tat vermutlich nicht begehen. Trotzdem versteifen sich viele Beobachterinnen und Beobachter auf diesen scheinbar auf der Hand liegenden Zusammenhang.

Auffallend zusammenhängend

Die politische Rechte treibt es mit solchen Vereinfachungen auf die Spitze: Sie sehen fast ausschließlich die Herkunft der Täter. Ihnen spielt es grausam zynisch in die Hände, dass eine Vielzahl dieser Täter einen migrantischen Hintergrund hatte, in Deutschland nach Asyl suchte oder dem Islam angehörte. Die einen wollen eine härte Gangart gegenüber psychisch auffälligen Menschen, die anderen übertrumpfen sich mit der Forderung nach schärferen Grenzkontrollen oder komplett geschlossenen Grenzen.

Wie selbstverständlich verschwimmen hier die Zugehörigkeit zu einer konstruierten Gruppe und die Taten von einzelnen aus dieser Gruppe. Das ganze wird dann ausgeschmückt mit einer Prise angeblich logischer Argumente und einer Portion an Moral. So erscheinen die geforderten Konsequenzen für die Gruppen unangreifbar und gut begründet. Kein einziger dieser Verfechter einer härteren Gangart würde allerdings auf die Idee kommen, allen Männern im Lande einzelne Rechte abzuerkennen oder sie unter besondere Aufsicht zu stellen. Denn interessanterweise waren fast alle der Täter solcher Straftaten Männer.

Besorgniserregender Trend

Selbst wenn man solch verwegene Ideen in der Praxis umsetzen würde – am eigentlichen Problem würden sie wenig ändern. Die Schließung der Grenzen würde natürlich auch dazu führen, dass weniger potentielle Straftäter ins Land kommen, aber den gesellschaftlichen Unfrieden, der maßgeblich zu solchen Eskalationen beiträgt, würden solche Maßnahmen nicht beseitigen. Wenn man ab sofort alle Somalier aus Deutschland fernhielte, würde demnächst ein gebürtiger Deutscher zum Messer greifen.

Immerhin ist die Zahl an psychischen Erkrankungen in Deutschland seit Jahren steigend. Besonders in der Arbeitswelt scheiden immer mehr Menschen aufgrund psychischer Probleme vorzeitig aus. Die Täter von Würzburg und Frankfurt, aber auch die vielen sogenannten Familiendramen sind dabei lediglich die Spitze des Eisbergs einer psychologisch immer ungesünderen Gesellschaft. Diese Menschen treten besonders extrem in Erscheinung, sind mit ihren Problemen aber nicht allein. Alleingelassen sind oftmals psychologische Beratungsstellen und Therapeuten, die mit dem Behandlungsbedarf seit Jahren heillos überfordert sind.

Ganz allein

Nun könnte man argumentieren, der Anstieg an psychischen Krankheiten ist auf bessere Diagnosemöglichkeiten und einen Fortschritt in der Forschung zurückzuführen. Mancheiner denkt vielleicht insgeheim, viele dieser Patienten sind nichts weiter als eingebildete Kranke, die sich in den Mittelpunkt drängen wollen und plötzlich einer neuen Modekrankheit zum Opfer gefallen sind. Das verharmlost aber die Umstände, die dazu führen, dass in vielen Ländern immer mehr Menschen stressbedingt psychisch krank werden.

Der rasante Wandel in der Arbeitswelt, die Digitalisierung in vielen Branchen, der gläserne Mensch, eine Überflutung an Informationen von allen Seiten und eine allgemeine Stimmung der ständigen Erreichbarkeit setzen den Menschen zu. Diese Rahmenbedingungen setzen den Einzelnen in den Mittelpunkt, der die Last zu tragen hat, welche früher von mehreren Schultern getragen wurde, sei es beruflich oder sozial. Bei dieser erzwungenen Konzentration auf sich selbst bleibt keine Zeit dafür, auf die Bedürfnisse anderer Menschen einzugehen. Sogenannte Achtsamkeitstrainings geben vor, den Menschen aus diesem Dilemma zu helfen. Letztendlich verfestigen sie allerdings die Strukturen des zwanghaften Individualismus.

Die gute alte Zeit

Bei solchen gesellschaftlichen Voraussetzungen wird es zunehmend schwerer, gefährliche Vorzeichen wahrzunehmen. Wenn keiner auf den anderen achtet, fällt niemandem auf, dass andere ernstzunehmende Probleme haben. Es ist ein Problem für unsere Gesellschaft, wenn immer nur dann über psychische Krankheiten debattiert wird, wenn jemand schier wahllos auf Menschen einsticht.

Einige Menschen sehnen sich dann nach der guten alten Zeit zurück, als es solche Auswüchse noch nicht gab. In den 1970ern war bestimmt nicht alles besser, aber es gab vor einigen Jahrzehnten einen stärkeren gesellschaftliche Zusammenhalt, der ebensolche Taten fast unmöglich machte. Die Menschen im Land verstanden sich als Einheit und gaben aufeinander Acht. Man hatte mehr Zeit füreinander und lebte nicht jeder für sich in seiner eigenen Blase.

Die steigende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft hängt mit dem Wegfall dieses Gemeinschaftsgefühls zusammen und nicht in erster Linie mit dem Einlass von Migrantinnen und Migranten. Denn Menschen ausländischer Herkunft gab es durch die Gastarbeiter und ihre Kinder auch in den 1970ern zur Genüge.

Das Wir gewinnt

Durch die gesellschaftlichen Veränderungen hin zu einer Glorifizierung des Individuums wurden wir uns alle aber zunehmend fremd. Man hat weniger Respekt vor der Meinung anderer Menschen und interessiert sich immer weniger für deren Lebenswirklichkeiten. In dieser Atmosphäre werden natürlich auch Menschen von außerhalb, Migrantinnen und Migranten und die Flüchtlinge, als fremder empfunden als das früher der Fall war.

Es fehlt ein sozialer Druck, der früher verhinderte, dass einzelne zu krass aus der Gesamtheit ausscherten. Man spürte deutlicher als heute, dass man füreinander verantwortlich war und passte aufeinander auf. Dieses schwindende Zusammengehörigkeitsgefühl sorgt auch dafür, dass wir bei anderen Menschheitsaufgaben nur so schleppend vorankommen. Corona und seine Folgen verursachen besonders deshalb so viel Zwist und Streit, weil wir viel zu oft gegeneinander und viel zu selten miteinander kämpfen. Ähnliches gilt für die Überwindung der Klimakrise. Keiner ist bereit, auf bestimmte Bequemlichkeiten und egoistische Befindlichkeiten zu verzichten – die anderen könnten ja mehr haben.

Dass es auch anders geht, hat die Menschheit in ihrer Geschichte schon mehrfach gezeigt. Ohne Wir-Gefühl und Respekt voreinander wären Errungenschaften wie die Aufklärung, die Frauenrechtsbewegung und die zahlreichen Arbeiterkämpfe nicht möglich oder zumindest nicht so erfolgreich gewesen. Die Amokläufe, Messerstechereien und Selbstmordattentate sind ein Phänomen des 21. Jahrhunderts. All das sind keine importierten Probleme, sondern hausgemachte. Wenn wir wieder enger zusammenstehen, können wir solche Taten wie in Würzburg in Zukunft verhindern.

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