Auf dem demokratischen Abstellgleis

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Es gibt in Deutschland eine rechtsextreme Partei, die inzwischen bei jedem fünften Wähler Anklang findet. Was vor einigen Jahren noch völlig unvorstellbar schien, ist heute bittere Realität. Oft genug ist es der AfD gelungen, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu stellen – die etablierten Parteien stattdessen hatten immer wieder Angst vor der eigenen Courage. Die 20 Prozent der potenziellen Rechtsaußen-Wähler vertrauen heute nur noch der AfD. Ein überzeugendes und authentisches Gegenangebot könnte sie aber in den demokratischen Diskurs zurückholen.

Rechts angekommen

20 Prozent. So viele Wählerinnen und Wähler können sich nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Meinungsforschungsinstitute mittlerweile vorstellen, AfD zu wählen – und das ungebrochen seit Wochen. Die hohen Zustimmungswerte müssen endlich als schrilles Alarmsignal wahrgenommen werden. Es reicht nicht mehr aus, die Aussagekraft solcher Umfragen zum kurzfristigen Stimmungsbild zu relativieren. Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat die Absicht erklärt, bei einer anstehenden Wahl eine Partei zu wählen, in der sich inzwischen die rechtsextremen Kräfte in weiten Teilen durchgesetzt haben.

Die AfD selbst bekennt sich zwischenzeitlich zu dieser Einordnung. Treten Abgeordnete anderer Parteien im Bundestag ans Redepult und begrüßen die Kollegen aus den „demokratischen Fraktionen“, ist schon lange kein empörter Aufschrei mehr von der rechten Seite zu hören. Offenbar haben sich die die vielen Männer und die wenigen Frauen aus der Rechtsaußen-Fraktion endgültig mit der Tatsache abgefunden, einer rechtsextremen Partei anzugehören.

Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist die AfD nämlich nicht mehr das, was sie einst war. Was heute bei anderen Gelegenheiten oft als „Rechtsoffenheit“ kritisiert wird, war bei der AfD von Anfang an vorhanden. Diese Öffnung nach rechts machte es möglich, dass inzwischen Personen wie Bernd Höcke den Ton angeben. Was einst als eurokritische Partei unter Bernd Lucke begonnen hatte und von Frauke Petry immer wieder als „demokratisches Korrektiv“ betitelt wurde, ist heute nichts anderes als ein Sammelbecken für empörte und frustrierte Menschen, die von den anderen Parteien im Stich gelassen wurden.

Fähnchen im Wind

Um die hohe Gunst der Wähler aufrechtzuerhalten, erwies sich die AfD als überaus flexibel in der Positionierung zu bestimmten Themen. Dass sie sich an einigen Stellen sogar selbst widerspricht, ist zweitrangig. Die Menschen sind weniger an Tatsachen interessiert, sondern eher daran, dass ihnen zugehört wird. Dabei wird sich durch die AfD nichts für die meisten ihrer Wähler ändern – zumindest nicht zum Positiven. Denn obwohl sie sich gerne als die Partei für die kleinen Leute geriert, würde sie das Bürgergeld am liebsten gleich wieder abschaffen und Erwerblose schlimmer drangsalieren als Hartz IV es ermöglicht hat. Armut per Gesetz – für die AfD offenbar kein Problem.

Auch in ihrer Außenpolitik zeichnet Rechtsaußen alles andere als ein kohärentes Bild. So verurteilt sie einerseits die militärische Unterstützung für die Ukraine, bemängelt an anderer Stelle aber die unzureichende Ausrüstung der deutschen Bundeswehr. Pazifismus und Diplomatie spielen für die AfD wohl nur dann eine Rolle, wenn die deutschen Bürger wirtschaftliche Nachteile von Aufrüstung und Krieg zu befürchten haben. Standhafte Friedensliebe sieht wahrlich anders aus.

Ein Meisterstück an Opportunismus und Wendehalsigkeit hat die AfD jedoch im Frühjahr 2020 zum Besten gegeben. Während sie nach Bekanntwerden der ersten Coronafälle in Deutschland lautstark nach einem kompletten Shutdown verlangte, wollte sie einige Wochen später von diesem resoluten Vorgehen gegen das Virus nichts mehr wissen. Seitdem wird die Partei nicht müde, die Bundesregierung für ebendiese Maßnahme zu kritisieren und wirft ihr vor, sie hätte die Gesellschaft dadurch massiv wirtschaftlich geschädigt und die Bürger ihrer Freiheit beraubt. Jedes herkömmliche Fähnchen wäre bei solchen orkanartigen Umschwüngen längst gerissen.

Ganz vorne dabei

Es ist inzwischen zur politischen Gewissheit geworden: Lauert eine Krise, ist die AfD nicht weit. Die Partei hat mittlerweile einiges an Übung daran, sich an die Spitze von Protestbewegungen zu stellen. Geschickt nutzte sie die Sorge vieler Bürger aus und kaperte die Pegida-Bewegung. Sie trug nichts dazu bei, die selbsternannten Wutbürger wieder in den demokratischen Diskurs einzubinden, sondern stachelte deren Ängste systematisch weiter an, um daraus Profit in Form von Wählerstimmen zu gewinnen.

Ihr erster großer Coup gelang der AfD dann im Spätsommer 2015, als hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland strömten. Sie setzte dabei auf die desolate soziale Lage vieler Menschen und spielte sie gegen die Schutzsuchenden aus. Vielleicht wäre die AfD ohne die Flüchtlingskrise 2015 heute schon längst Geschichte.

Doch der Siegeszug der Rechtsextremen setzte sich fort. Als die ersten Menschen auf den damaligen Hygienedemos gegen die harten Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus aufbegehrten, erschlossen sich die Rechten auch diesen Protest. Dies gipfelte schließlich in der Querdenkerbewegung, auf welche die AfD leider ein Patent hält.

Immer wieder gelang es der AfD, ohne Programmatik und ohne echte Vision politische Lücken zu füllen. Sie bewies zuverlässig ein gutes Gespür dafür, welche Ängste die Menschen umtrieben und war als erstes zur Stelle, um den Unmut politisch abzubilden. Selten steckten dahinter geniale Einfälle und strategische Meisterleistungen: Die übrigen Parteien hatten inzwischen derart große Angst vor dem Frust der Bürger, dass sie sich stets von solchen Erhebungen fernhielten. Sicher spielte dabei in manchen Fällen auch das schlechte Gewissen eine Rolle, waren die etablierten Parteien doch häufig für die Misere der Bürger mitverantwortlich.

Prinzip „AfD“

In Wahlergebnissen erreicht die AfD ungeahnte Höhen. Als Partei hat sie längst aufgehört zu existieren, sollte es sie jemals in dieser Form gegeben haben. Viel eher ähnelt sie einem Schwamm, der sich zwangsläufig mit Wasser vollsaugt, wenn man ihm Gelegenheit dazu gibt. Ein System steckt nicht dahinter. Die AfD ist stattdessen Spielball der extremen Rechten, der sie einst so generös Zutritt gewährt hat. Bei der Positionierung zu bestimmten Themen ist die AfD außerordentlich dynamisch, als Partei ist sie erstaunlich statisch.

Gerade deshalb ist der Vorwurf, manche Positionen seien AfD-nah, in den meisten Fällen völlig haltlos. Es gibt keine AfD-nahen Positionen. Die AfD nähert sich stattdessen solchen Positionen, welche die anderen Parteien bereitwillig außer Acht lassen. AfD-nah sind Politiker nur, wenn sie bei diesem perfiden Spiel mitmachen. Sie lassen sich von den Rechtsextremen einen Politikstil aufzwingen, der so gar nicht förderlich ist für unsere Demokratie.

Weil die AfD so erfolgreich ein Themenfeld nach dem anderen mit ihrem rechtsextremen Gedankengut kontaminiert, verengt sich der geduldete Meinungskorridor immer weiter. Die Rechten haben es auf diese Weise zunehmend leicht, die übrigen Parteien vor sich herzutreiben – oder zu „jagen“, wie es Alexander Gauland einst bezeichnete. Dieser Politikstil der erzwungenen Eindimensionalität wird besonders von den Grünen eifrig kopiert. Sie machen das inzwischen so routiniert und kaltschnäuzig, dass man sich ernsthaft fragt, wer hier Meister und wer hier Schüler ist.

Ein besseres Angebot?

Die gute Nachricht ist: Einmal AfD heißt nicht immer AfD. Nur wenige Menschen wählen die AfD trotz ihrer rechtsextremen Tendenzen. Wähler, die bereitwillig über diese Offensichtlichkeit hinwegsehen, haben andere Interessen als Menschen, welche die AfD aus Enttäuschung und Frust wählen. Wer die AfD aus rein wirtschaftsliberalen, konservativen oder eurokritischen Motiven wählt, gehört zu einer Minderheit in der Wählerschaft der Partei. Dieses Potenzial liegt bei maximal 5 bis 6 Prozent. Die übrigen 15 Prozent der potenziellen AfD-Wähler hat in der AfD keine neue politische Heimat gefunden. Sie verharren mit den Rechtsextremen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Zu oft haben die demokratischen Parteien sie enttäuscht. Ihre Abkehr von diesen Parteien ist daher durchaus verständlich.

Außer der extremen Rechten gab es leider kein anderes Ventil für diese Wähler. Nun müssen sie sich seit Jahren anhören, dass es durch und durch schlecht ist, die AfD zu wählen. Kein einziger Wähler wird so zurückgewonnen. Überzeugende Argumente für die anderen Parteien hören diese Menschen nicht, dabei wären sie anderen Konzepten gegenüber sicher aufgeschlossen.

Ihr demokratisches Potenzial ist bei der AfD in gewisser Weise nur zwischengeparkt. Nur die AfD gibt ihnen momentan das Gefühl, ernstgenommen zu werden. Sobald irgendein anderer politischer Akteur ihnen ein besseres Angebot macht, wandern sie ab. Natürlich wird dieses Unterfangen mit voranschreitender Zeit schwieriger und wahrscheinlich haben die etablierten Parteien gar nicht mehr die Kraft, diese Anstrengung zu meistern. Neue politische Projekte sind daher gefragt, um solche Wähler abzubilden, die letzten Endes nur eines wollen: gehört werden.


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Weniger Demokratie auf Raten

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Deutschland verroht. Die Kultur der sachlichen Diskussion ist vom Aussterben bedroht. Immer mehr gewöhnen wir uns an eine gesellschaftliche und politische Polarisierung und übersehen, was wir dabei opfern. Gesprochen wird von eingeschränkter Meinungsfreiheit, Demokratieabbau und Diktatur. Währenddessen macht sich eine Stimmung der moralischen Überheblichkeit breit, die Widerspruch nur in kleinen Dosen duldet und jeden aus dem Diskurs ausschließt, der zu sehr vom vorherrschenden Narrativ abweicht. Immer klarer wird, dass das Ende einer Demokratie nicht zwangsläufig eine gewaltsame Diktatur sein muss.

Vortrag mit Nachwehen

Vergangenen Monat hat die ehemalige ARD-Russlandkorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz einen Vortrag an der Volkshochschule Reutlingen gehalten. Thema war das Verhältnis zu Russland, insbesondere angesichts des Kriegs in der Ukraine. Die Zeitungen waren tagelang voll davon. Auch heute wirkt der Auftritt der Russlandexpertin in Reutlingen noch nach. Wie konnte es dazu kommen?

In ihrem Vortrag warb Krone-Schmalz dafür, den Dialog mit Russland zu suchen, um ein Ende des Kriegs herbeizuführen. Sie plädierte außerdem für Sicherheitsgarantien im Interesse Russlands. Die Situation in der Ukraine sei auch deshalb eskaliert, weil man einen NATO-Beitritt des souveränen Staats nicht klar zurückgewiesen habe. Die Thesen von Frau Krone-Schmalz waren zweifellos provokativ. Sie boten aber auch ausreichend Stoff für eine kontroverse demokratische Debatte zum Thema.

Shitstorm mit Methode

Doch genau diese Debatte blieb aus. Stattdessen sah sich Gabriele Krone-Schmalz einer vernichtenden Kritik ausgesetzt, die jede sachliche Diskussion augenblicklich abwürgte. Schon vor ihrem Auftritt in Reutlingen war die 73-jährige eine umstrittene Persönlichkeit. Die Vehemenz der Reaktionen auf ihre jüngsten Ausführungen sprengten aber endgültig den Rahmen des Anständigen. Nicht nur Gabriele Krone-Schmalz wurde öffentlich für ihre Ansichten quasi geschlachtet, auch gegen die Volkshochschule Reutlingen entbrannte ein regelrechter Shitstorm. Andere Institutionen werden sich künftig sehr gut überlegen, welche Gäste sie einladen werden und wie weit sie vom vorherrschenden Narrativ abweichen werden.

Die Verärgerung über den Vortrag in Reutlingen weckte bei vielen ungute Erinnerungen ans Frühjahr 2021. Damals sprach sich ein Künstlerkollektiv auf satirische Weise gegen einen weiteren Lockdown zur Bekämpfung der Pandemie aus. Die Aktion #allesdichtmachen fiel vielen der 50 Künstlerinnen und Künstler böse auf die Füße. Angesichts des enormen Drucks aus Forschung, Politik und Teilen der Gesellschaft ruderten manche erschrocken zurück. Mit einem solch vernichtenden Urteil hatte keiner von ihnen gerechnet. So geschmacklos einige die Aktion auch fanden, der Zerstörungswille der Empörung darüber stand in keinem Verhältnis dazu.

Eine demokratische Katastrophe

In den letzten Jahren wurde viel und oft darüber gesprochen, was man in Deutschland noch sagen dürfte, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Zur Diskussion lud man meist Vertreter der entgegengesetzten Pole. Während die einen die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit in Deutschland über den grünen Klee lobten, ließen sich andere über diktatorische Verhältnisse á la DDR aus. Eine vernünftige Debatte fand auch hier viel zu selten statt.

Tatsächlich haben inzwischen rund 50 Prozent der deutschen Bürgerinnen und Bürger die ernsthafte Sorge, sie könnten nicht mehr all das sagen, was sie wollten, ohne deswegen in ernsthafte Schwierigkeiten zu kommen. Diese Angst gilt explizit auch für Äußerungen, die in einem funktionierenden Rechtsstaat eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Zusammen mit einer sinkenden Beteiligung an Wahlen, besonders auf Landes- und Kommunalebene, sollten solche Tendenzen jeden echten Demokraten in blankes Entsetzen stürzen.

Romantisches Diktaturverständnis

Es hilft dabei wenig, wenn man reflexartig von einer Diktatur redet, weil die Meinungsfreiheit in Zweifel steht. Im Sommer 2019 stellte sich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fragen von Bürgerinnen und Bürgern. Ein AfD-Anhänger meldete sich und warf der Kanzlerin vor, das Land in eine Diktatur umgebaut zu haben, in der er nicht mehr das sagen könnte, was er gerne wollte. Merkel entgegnete ihm, dass sein Auftritt bester Beleg dafür sei, dass wir eben nicht in einer Diktatur lebten.

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Angela Merkel im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern: Wir leben nicht in einer Diktatur.

Sie hatte damit vollkommen recht. Kein Mensch wird in Deutschland dafür eingesperrt, weil er seine Meinung sagt. Das sind Methoden, die wir aus Ländern wie Russland oder China kennen. Eine Diktatur existiert in Deutschland formal nicht. Das Problem ist, dass viele Menschen eine viel zu naive Vorstellung davon haben, was eine Diktatur ist und wie sie entsteht.

In nahezu grenzenloser moralischer Überlegenheit warten manche heutzutage auf eine Partei oder auf eine Bewegung, die sie aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen bekämpfen können. In der AfD haben viele dieser Moralisten Sinn und Grund für diesen Kampf erkannt. Und tatsächlich ist die AfD eine Partei, die mit Verfassungstreue und Demokratie wenig am Hut hat. Sie ist aber weit davon entfernt, einen echten Umsturz herbeizuführen oder dem Land eine Diktatur überzustülpen. Wer sich ausschließlich auf diese Kämpfer verlässt, die das Problem exklusiv außerhalb eines bestimmten Spektrums sehen, der wird früher oder später in ebendieser unfreien Gesellschafft erwachen, die er immer beseitigt sehen wollte.

Die halbdemokratische Gesellschaft

Der größte Feind der Demokratie ist nämlich nicht die Diktatur. Es ist die Ignoranz und die Gleichgültigkeit, mit der sich immer mehr Menschen von einer demokratischen Gesellschaft abwenden. Die Geschichte zeigt genügend Beispiele dafür, wie eine Diktatur gegen den Willen der Bevölkerung und manchmal auch gewaltsam eingeführt wurde. Die DDR war ein System, das keiner wollte, aber in dem viele sich notgedrungen eingerichtet hatten. Der Machtübernahme der Nazis gingen zwar demokratische Wahlen voraus, der letztendliche Umsturz gelang aber nur durch den exzessiven Einsatz von Gewalt, der sich in den Folgejahren weiter steigern sollte.

Den Todesstoß versetzten Weimar allerdings die vielen Menschen, die mit Sicherheit keine diktatorische Gewaltherrschaft unter Hitler im Sinn hatten, den Glauben in die Demokratie aber lange aufgegeben hatten. Auch heute befinden wir uns in einer Situation, in der immer weniger Menschen, der Demokratie zutrauen, mit den Krisen unserer Zeit fertigzuwerden. Fast die Hälfte der Deutschen glaubt nicht mehr an die Meinungsfreiheit, einen Grundpfeiler jeder Demokratie.

Ohne Sinn und Verstand

Wenn Menschen den Leitspruch „Nie wieder“ hören, dann denken sie daran, sich Naziaufmärschen entgegenzustellen und Zivilcourage zu beweisen, wenn Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund drangsaliert werden. Das ist mutig und richtig. Dieses Engagement leistet einen wichtigen Beitrag zu einem gesunden Rechtsstaat. Trotzdem werden diese Menschen nicht so schnell das Zepter übernehmen. Eine Gewaltherrschaft wie im Dritten Reich ist heute eine Dystopie. Sie war aber möglich – und dafür gab es Gründe. Die Methoden der Nazis von damals funktionieren heute nicht mehr. Dafür waren ihre Taten zu grauenvoll. Die Mechanismen, wie es zu einer unfreien Gesellschaft kommen kann, bestehen aber weiterhin.

In der krisengeschüttelten Zeit, in der wir leben, ist die Angst unser ständiger Begleiter. Angst ist aber kein guter Ratgeber. Besonders die Coronapandemie hat gezeigt, wie wenig Verlass auf den gesunden Menschenverstand ist, wenn eine existenzbedrohende Angst um sich greift. Die Hamsterkäufe im ersten Pandemiejahr, die massenhaften Aufmärsche selbsternannter Querdenker und die gefühlte Impfpflicht sind sicher keine Meisterleistungen menschlicher Intelligenz.

Im Laufe des Jahres 2021 ist die Stimmung bedenklich gekippt. Die ersten Dosen der neuen Impfstoffe waren kaum an ein paar ausgewählte Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen verabreicht, da kamen manche Politiker schon mit Privilegien für Geimpfte und Sanktionen für Ungeimpfte um die Ecke. Das Grundrecht auf körperliche Selbstbestimmung wurde auch dann konsequent infrage gestellt, als immer klarer wurde, dass die viel angepriesenen Wundermittel Grenzen in ihrer Wirkung und Effektivität hatten.

Eine neue Superwaffe

Für viele Ungeimpfte war der Herbst 2021 eine schwere Zeit. Sie waren durch 2G nicht nur von vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen, sie spürten eine latente Feindseligkeit, die ihnen aus dem Rest der Bevölkerung entgegenschlug. Forscher, Politiker und Prominente schürten eine Stimmung, die bei Betroffenen das Vertrauen in den Rechtsstaat nachhaltig erschüttert hat. Spätestens seitdem den Ungeimpften die Verantwortung für überfüllte Intensivstationen zugeschoben werden sollte, ist klar, dass die Demokratie nicht naturgegeben ist.

Möglich ist das, weil sich viele antidemokratische Strömungen heute eine neue Superwaffe zu eigen gemacht haben: die Moral. Lange in der Politik verpönt und belächelt, läuft sie in diesem Geschäft inzwischen zur neuen Höchstform auf. Gegen Widerspruch jedweder Form scheint sie gefeit. Jeder, der sich ihr widersetzt, steht sogleich im Verdacht, etwas Böses im Schilde zu führen. Ehe man sich versieht, ist man AfD-nah, ein Covidiot oder ein Kremlpropagandist. Die Moralisierung der Debatte teilt die Lager in Gut und Schlecht. Es ist absolut menschlich, dass man auf der guten Seite stehen möchte. Den Mut, die moralische Seite zu verlassen und für sich in Anspruch zu nehmen, eben nicht zu den Bösen zu gehören, haben nicht viele. Sie bleiben lieber stumm. Zu bequem ist es doch, auf der richtigen Seite zu stehen. Unsere Vorfahren werden das ähnlich gesehen haben. Demokratisch ist das nicht.

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Gabriele Krone-Schmalz an der VHS Reutlingen


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Hauptargument Moral

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Die Stunde der Volksparteien

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Krisen spalten. Aber manchmal schweißen Krisen auch zusammen. Die derzeitige Covid-19 – Pandemie verlangt allen Menschen enorm viel ab. Manche müssen Zwangsurlaub nehmen. Andere reißen sich sprichwörtlich ein Bein aus, um anderen zu helfen. Viele weitere stehen unter Quarantäne. In dieser Zeit der Isolation ist es gut, wenn die Gesellschaft solidarisch zusammensteht. Die Rezeptur für dieses gesellschaftliche Haftmittel darf unter keinen Umständen abgeändert werden. Eine Bündelung politischer Interessen ist in solchen Situationen gefragt wie selten.

Die Zeit des Zusammenhalts

Es wird immer Ausnahmen geben. Die Not kann noch so groß sein, es wird immer jene geben, die meinen, es besser zu wissen. Jene, die glauben, über Expertenmeinungen und Naturgesetze erhaben zu sein. Und vielleicht sind diese Menschen als abschreckende Beispiele notwendig. Die Corona-Pandemie verlangt den Menschen aber etwas ganz anderes ab: Zusammenhalt. Achtsamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme ist in diesen Tagen wichtiger denn je. Supermärkte bringen Desinfektionsspender an den Eingangstüren an, Politiker rufen zur Wachsamkeit auf, es bilden sich Nachbarschaftsnetzwerke.

Die Menschen fühlen sich isoliert und sind trotz geeint durch ein Gemeinschaftsgefühl. Die allermeisten wissen, dass der eigene Verzicht zum Wohle aller ist. Viele wissen auch, dass wir erst am Anfang der Krise stehen. Auf die akute Erkrankungswelle wird schon bald eine Zeit der wirtschaftlichen Not folgen. Denn der Shutdown, wie die Medien den derzeitigen Zustand immer gerne betiteln, wird Folgen haben. Umso wichtiger ist es, der Ausbreitung des Virus durch vereinte Kräfte entschlossen entgegenzutreten.

Deswegen macht sich die Krise längst auch politisch bemerkbar. Versammlungen und Demonstrationen, wichtige Instrumente zur politischen Teilhabe, sind derzeit nicht möglich. Viele Menschen hoffen auf eine baldige Überwindung der Krise. Ihre Hoffnung legen sie in die ehemaligen Volksparteien, die aktuell wieder zu alter Form auflaufen.

Denn es ist schon auffallend, dass vor allem die Union in den letzten Wochen im Aufwärtstrend ist. Die Bürgerinnen und Bürger sehnen sich offenbar nach einer starken politischen Kraft, die dem Virus Einhalt gebieten kann. Kleinere Parteien, die traditionell eher bestimmte Milieus ansprechen, sind in der derzeitigen Krise weniger gefragt. Während diese Splitterparteien durch die letzten Krisen eher profitiert haben, ziehen sie nun den schwarzen Peter.

Ein gemeinsames Ziel

Es gibt nämlich einen entscheidenden Unterschied zwischen der Corona-Krise und den Krisen der letzten Jahre. Die Covid-19 – Pandemie lässt viel weniger Handlungsspielraum zu als ihre Vorgängerkrisen. In der Flüchtlingskrise ab 2015 und während der Fridays-for-Future – Bewegung stritten die Menschen nicht nur um den besten Lösungsweg, viele waren sich nicht einmal über das Ziel einig. Die einen riefen nach Grenzschließungen und befürchteten eine schiere Flutwelle an Sozialschmarotzern, die sich im schlimmsten Falle als brutale Sexualstraftäter entpuppen könnten. Die andere Seite glänzte durch Gutmenschentum und demonstrierte bei jeder Gelegenheit ihre Refugees-Welcome – Sticker. Für die einen waren die jungen Aktivisten nichts anderes als notorische Schulschwänzer, während die andere Seite keine Gelegenheit ausließ, um die Generation 60+ in Misskredit zu bringen.

Solch bösartigen Diffamierungen gibt es in der Zeit der Pandemie nicht. Zum Glück. Die Menschen eint der Wille, das Virus zu bekämpfen. Es gibt keine ernstzunehmende Stimme, die das Virus leugnet. Leugner des menschengemachten Klimawandels sitzen im Bundestag. Würde jemand die Gefahr von Covid-19 leugnen, würde ihm der Vogel gezeigt werden.

Die Stunde der Volksparteien

Zwar wird auch derzeit über den besten Lösungsweg gestritten, aber es herrscht Einigkeit, dass die Pandemie eine nie dagewesene Herausforderung auf mehreren Ebenen ist. Die Schäden, die durch eine grundlegend andere Handhabung entstünden, liegen auf der Hand. Die Corona-Krise hat ein viel kleineres Polarisierungspotenzial als die Krisen davor. Zu einer Polarisierung gehören nämlich zwei Pole. Die gibt es in dieser Form nicht.

Was man viel eher beobachten kann, ist eine politische Interessensbündelung. Die können nur die einstigen Volksparteien gewährleisten. Sie nehmen alle Menschen aus allen Schichten in den Blick und versuchen, deren Lebensrealitäten bestmöglich zu verbessern. Dass diese Herangehensweise in den letzten Jahren viel zu kurz kam, steht außer Frage. Überspitzt formuliert gibt es in der jetzigen Situation aber eine Rückbesinnung auf das Drei-Fraktionen – Modell der 1960er und 1970er. Zwei starke Volksparteien und eine relativ schwache dritte Kraft. Diese dritte Kraft wird auch in Zukunft aus AfD, FDP, Grünen und Linken bestehen, aber die Volksparteien gewinnen trotzdem hinzu.

Keine Zeit für Protest

Denn ganz offensichtlich vertrauen die Bürgerinnen und Bürger in dieser existenziellen Krise eher Union und SPD als den kleineren Interessensparteien. Gerade die politischen Ränder konnten von wirtschaftlichen Krisen immer profitieren – und so wird es bei der nachfolgenden Wirtschaftskrise wahrscheinlich auch wieder kommen. Solange die Pandemie aber so akut wie jetzt ist, sind Protest- und Klientelparteien abgeschrieben.

In der Klimafrage erlebten die Grünen einen Höhenflug, der es ihnen einen Moment lang vergönnte, vom köstlichen Nektar des Volksparteientums zu kosten. Doch die Menschen spüren jetzt schon die gravierenden wirtschaftlichen Einschnitte der Corona-Krise. Wirtschaftspolitik war noch nie ein Kernthema der Grünen. In den elf Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, führen sie in nur zweien das Wirtschaftsministerium. Anscheinend traut man ihnen ein Handling der anstehenden Wirtschaftskrise nicht zu. Ihre Umfragewerte sind derzeit wieder im Sinkflug.

Ähnliches ist bei der AfD zu beobachten. Platte Parolen und plumpe Provokationen sind derzeit nicht so der (Martin) Renner. Und Politik, die konkretes Handeln erfordert, war ja noch nie Sache der AfD. Die selbsternannte Protestpartei zerlegt sich derzeit lieber selbst in unerbittlichen Flügelkämpfen, anstatt sich in irgendeiner Form in die politische Lösung der Krise einzubringen.

Das Ringen um Zeit

Profilieren können sich in der derzeitigen Lage also vor allem die Volksparteien. Die Union kommt nach aktuellen Umfragen auf stattliche 37 Prozent, während sich selbst die SPD wieder der 20-Prozent – Marke nähert. Besonders unionsseitig stechen einzelne Politiker ganz besonders hervor. Die Kanzlerin wurde während vergangener Krisen ja stets für ihre Tranfunseligkeit kritisiert. Sie saß Probleme lieber aus, als sie offensiv anzugehen. Genau diese Art ist momentan ihr größter Trumpf. Abwarten und auf das beste hoffen ist zur Zeit nämlich tatsächlich das Gebot der Stunde. Solange es kein Medikament gegen das aggressive Virus gibt, muss wahrlich auf Zeit gespielt werden.

Ihren Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur hat Merkel bereits Ende 2018 öffentlich gemacht. Ein Parteitag, der die K-Frage klärt, erscheint im Moment zwar unwahrscheinlich. Trotzdem gewinnt das leidige Thema Kanzlerposten gerade in den letzten Wochen wieder an Fahrtwind. Viele Menschen scheinen zu ahnen, dass als künftiger Kanzler nur ein Macher in Frage kommt.

Ein Mann der Taten

Jens Spahn mag sich in den letzten Jahren häufiger als ewiger Merkel-Kritiker hervorgetan haben. Dieser Tage steigen seine Beliebtheitswerte allerdings wegen seines Krisenmanagements. Als Gesundheitsminister ist er der gefragteste Mann der Bundesregierung, dieser Verantwortung kann er sich schlichtweg nicht entziehen. Seine Präsenz und sein Wille zum Handeln kommt bei den Bürgern gut an. Trotz allem macht ihn das nicht immun gegen lauterwerdende Kritik an seinen konkreten Vorhaben.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sitzt da schon fester im Sattel. Bei der K-Frage streifte er meist nur vorsichtig den Horizont. Er zeigte sich bescheiden und wich Fragen nach einer Kandidatur eher aus. In der jetzigen Krise inszeniert er sich erfolgreich als Macher, der die Lage weitestgehend im Griff hat. Er ist sich bewusst, dass die merkelsche Art des Abwartens und der guten Worte in der kommenden Wirtschaftskrise wenig Zustimmung finden wird. Viel eher sehnen sich die Menschen dann nach einer Figur, die konsequent und kompetent auftritt. Man wird sich an sein Management der Pandemie erinnern.

Söders derzeit größter Trumpf in der K-Frage ist sicherlich, dass er seine Konkurrenten in den Schatten stellt. Friedrich Merz machte zuletzt lediglich als Erkrankter von sich reden, Laschet quäkt mehr oder minder unqualifiziert dazwischen, ernst nimmt das zumindest niemand. Mit seinen zügig beschlossenen Ausgangsbeschränkungen für den Freistaat hat Markus Söder sinnvolle Maßnahmen ergriffen, die eine Ausbreitung des Virus zumindest verlangsamen. Nun möchte er Prämien ans Gesundheitspersonal zahlen. Für eine kurzzeitige Beschwichtigung der Lage taugt dieses Vorhaben jedenfalls mehr als stehende Ovationen im Bundestag.


Die Zeiten, die auf uns zukommen, werden sehr schwere sein. Schulen, Kitas und Geschäfte können nicht für immer geschlossen bleiben. Wir werden lernen müssen, eine ganze Zeit lang mit dem Virus zu leben. Bis ein wirksames Medikament gegen Corona entwickelt ist, kann viel Zeit verstreichen. Die wirtschaftlichen Folgen der Krise treffen bereits jetzt schon einige besonders hart. Das Bedürfnis in Zeiten des Social Distancing eng zusammenzustehen, ist daher nur allzu verständlich. Wir sollten Abstand halten, aber uns nicht von denen spalten lassen, die munter aus der Reihe tanzen.

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