Im Rechtsstaat nicht möglich

Lesedauer: 9 Minuten

Wir leben in Zeiten, in denen die Politik regelmäßig über den Schutz der Demokratie diskutiert. Angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahren sind solche Debatten leider dringend notwendig. Allerdings lauert die Gefahr nicht nur auf der Straße. Die Feinde der Demokratie tragen heute nicht nur Springerstiefel oder marschieren in Schals vermummt bei Wirtschaftsgipfeln auf. Immer öfter schüren auch die Abgeordneten selbst eine Stimmung, die Gift ist für Rechtsstaat und Demokratie. Die angedrohte Impfpflicht ist dabei nur die jüngste Eskalationsstufe.

Kein leichter Start

Demokratien entstehen oft aus Notsituationen heraus. Die deutsche Geschichte liefert dafür gleich mehrere Beispiele. Nach zwei Weltkriegen war man sich sicher, dass die bisherigen Regierungsformen unweigerlich ins Unglück führten. Eine bessere und gerechtere Regierung musste her. Nach den schlechten Erfahrungen mit der ersten deutschen Demokratie schärften die Gründungsmütter und -väter die Leitplanken des neuen Deutschlands spürbar nach: Nie wieder sollte sich die Katastrophe des Dritten Reichs wiederholen.

Demokratien werden aber auch häufig blutig errungen. Obwohl das Jahr 1989 mit der friedlichen Revolution in der DDR assoziiert wird, gingen dem Mauerfall zahllose Gewalttaten voraus, die die angeblich demokratische ostdeutsche Republik als Unrechtsstaat entlarvten. Andernorts kämpften die Revolutionäre noch heftiger für eine demokratische Ordnung. In vielen afrikanischen Staaten ging der Demokratie ein brutales Blutvergießen voraus. Mit Waffengewalt machen die Taliban derzeit die wenigen zaghaften Schritte in Richtung Demokratie mit unerbittlicher Grausamkeit nieder.

Schutzlos ausgeliefert

Wir können in Deutschland also froh sein, in einer stabilen Demokratie zu leben. Es ist allerdings der größte Verrat an der Demokratie, sich auf den Errungenschaften auszuruhen. Demokratien leben von aktiven Demokraten und nicht von der Erkenntnis, dass es anderswo schlechter läuft. Und obwohl die meisten Demokratien aus aussichtlosen Krisen entstanden, bedeuten ähnliche Krisen oft das Ende der Demokratie.

Zweifellos ist die Covid-19 – Pandemie eine solche Krise. Die meisten Menschen verlieren den Glauben an die Demokratie, wenn sie sich zu lange in einem solchen Staat ungerecht behandelt fühlen. Sie wählen dann entweder extrem oder überhaupt nicht mehr. Die wachsende soziale Ungleichheit ist einer der Hauptgründe, weswegen die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten eher rückläufig ist.

Haben die Menschen dann zusätzlich das Gefühl, die Verfassung schütze sie nicht ausreichend vor einem übergriffigen Staat, kann das gefährliche Folgen haben. Eine Radikalisierung eines Teiles der Bevölkerung scheint dann unabwendbar. Die Erfahrung eines übergriffigen Staats macht derzeit eine penetrant überrepräsentierte Minderheit in unserem Land: die Ungeimpften.

Hate Speech live

Über fehlende Sichtbarkeit können sich diese Menschen tatsächlich nicht beschweren. Aus keiner Berichterstattung zur Pandemie sind sie inzwischen wegzudenken. Bei den neuesten Beschlüssen der Bund-Länder – Runde spielten sie erneut die Hauptrolle. Diese Omnipräsenz nutzen Politik und Medien immer stärker dazu, eine toxische Stimmung gegen diese Menschen zu schüren. Sie allein sollen schuld daran sein, dass die Pandemie noch nicht ausgerottet wurde. Sie allein tragen die Verantwortung für die hoffnungslos überlasteten Intensivstationen. Es ist ihr Verdienst, dass wir es seit kurzem mit einer noch infektiöseren Virusmutation zu tun haben. Wissenschaftliche Fakten, die auch andere Gründe für diese Entwicklungen ins Feld führen, gehen beinahe sang- und klanglos in unwichtigen Nebensätzen unter.

Den bisherigen Gipfel in dieser feindseligen Stimmung gegen Ungeimpfte brachte am 19. November die MDR-Redakteurin Sarah Frühauf in ihrem Kommentar zur aktuellen Lage. Unverblümt schob sie den Ungeimpften erneut die Schuld für die Dramen auf deutschen Intensivstationen in die Schuhe. In unerträglicher Weise verpackte sie ihre Hassbotschaften in einem zynischen Dankeschön an all diejenigen, die sich einer Impfung bislang verweigerten. Die öffentlich-rechtlichen vermarkteten diese Hetze als „Meinung“. In Wirklichkeit handelte es sich bei Frühaufs Beitrag aber um Hate Speech vom feinsten.

Besorgniserregende Entwicklung

Frühaufs Worte zeigen eindrücklich in welch besorgniserregendem Zustand sich unser Rechtsstaat mittlerweile befindet. Ersetzt man den Begriff „Ungeimpfte“ durch „Flüchtlinge“ und tauscht die überfüllten Intensivstationen mit gekürzten Sozialleistungen, erhält man eine Ansprache, die 2015 nicht denkbar gewesen wäre. Eine absolut heterogene Personengruppe wird auf das übelste diffamiert und angefeindet. Sarah Frühauf steht symbolisch für den Niedergang von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland.

Sie ist dabei keine Einzelkämpferin. Immer wieder poppen hässliche Wortfratzen auf wie eine angebliche „Pandemie der Ungeimpften“ oder eine „Tyrannei“ derselbigen. Dass die katastrophale Situation auch damit zusammenhängt, dass seit Beginn der Pandemie rund 6.000 Intensivbetten aus den Krankenhäusern verschwanden und die unzumutbaren Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen unzählige Pflegekräfte vergraulen, davon erzählen diese rhetorischen Hetzer nichts. Stattdessen geißelt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in einem Kommentar auf Twitter alle Ungeimpften pauschal als unvorsichtig. Im Angesicht von 2G – Superspreader-Events ist das der blanke Hohn.

Mit dem Rechtsstaat nicht zu machen

Die Politik wartet währenddessen mit ihrer neuen Wunderwaffe gegen diese Unbelehrbarkeit auf: Die Impfpflicht soll es nun richten. Weite Teile aller demokratischen Parteien sprechen sich inzwischen für die staatlich verordnete Impfung aus. Das wird vermutlich besonders denen nicht schmecken, die sich bewusst und aus unterschiedlichen Gründen gegen eine Impfung entschieden haben. Sie nun faktisch zu einer Impfung zu zwingen und alle Ungeimpften zu kriminalisieren, ist keine demokratiefördernde Maßnahme. Die Betroffenen werden sich nun noch entschlossener von der Politik abwenden.

Sicher kann man über die medizinische Sinnhaftigkeit einer allgemeinen Impfpflicht diskutieren. Führt man eine solche Pflichtimpfung ein, muss man sich aber darüber im klaren sein, dass sie in letzter Konsequenz nicht mit rechtsstaatlichen Methoden durchsetzbar sein wird. Hartgesottene Impfgegner werden sich durch Androhung von Geldstrafen oder Freiheitsentzug nicht zu einer Impfung bewegen lassen. Nach Verbüßung der Strafe sind sie weiterhin ungeimpft und somit ein Risiko. Dem Impffortschritt erweist man durch die Schaffung solcher Impfmärtyrer einen Bärendienst.

Die Impfung kann an solchen Menschen nur durch körperlichen Zwang vollstreckt werden. Sie lediglich vom öffentlichen Leben auszuschließen und ihnen die Arbeitserlaubnis zu entziehen, ändert an ihrem Impfstatus nichts. Wenn der einzige Ausweg aus der Pandemie tatsächlich die Impfung ist und man gewillt ist, den Status der Vollimpfung zu erreichen, müssten solche Maßnahmen letztendlich an den wenigen verbliebenen Impfunwilligen vorgenommen werden.

Kein normaler Regelbruch

Vielen Befürwortern der allgemeinen Impfpflicht dürfte diese Tragweite der Maßnahme nicht bewusst sein. Sie übersehen, dass Gebote immer schwerer umzusetzen sind als Verbote. Wer eine Straftat begeht, hat den Regelbruch begangen, bevor er die Strafe zu spüren bekommt. Eine Impfpflicht ruft die Menschen aber zum aktiven Handeln auf. Menschenrechtskonforme Sanktionen bewirken hier nicht bei allen Verweigerern ein Einlenken.

Daher ist eine Impfpflicht grundsätzlich nur in Teilbereichen rechtsstaatlich umsetzbar. Auch die Impfpflicht im Pflegebereich ist eine medizinisch fragwürdige Entscheidung. Die Konsequenz aber ist klar: Wer nicht geimpft ist, darf in diesem Beruf nicht arbeiten. Aber was wäre die Konsequenz einer allgemeinen Impfpflicht? Wer nicht geimpft ist, darf nicht in diesem Land leben? Solche Absurditäten tragen allenfalls zu einer Radikalisierung auf den Straßen bei, nicht aber zur Eindämmung einer gefährlichen Krankheit. Österreich und die Niederlande sind traurige Beispiel dafür.

Methoden von rechts

Die meisten Politiker reagieren auf diesen offensichtlichen Zusammenhang nicht. Stattdessen verfallen sie in einen Politikstil, der der Demokratie weiter schadet. Unter einem Tweet der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht bekräftigte Karl Lauterbach (SPD) erneut, dass er die Position seiner Parlamentskollegin zur Impfung nicht teilte. In seinem Kommentar bezichtigte er außerdem alle Ungeimpften, generell unvorsichtig zu sein. Er schreibt damit allen Menschen, auf die dieser Impfstatus zutrifft, eine bestimmte Charaktereigenschaft zu. Er setzt sie alle gleich.

Eine solche Pauschalisierung ist natürlich nicht besonders intelligent. Die Ungeimpften eint nichts weiter als ihr Impfstatus. Unter ihnen sind Frauen und Männer, Lesben und Schwule, Linke, Bürgerliche und Rechte, große Menschen und kleine Menschen, manche mögen Zwiebeln, andere verabscheuen sie. Sie nun alle in einen Topf zu werfen, ist brandgefährlich. Diese Menschen sind keine Interessensgemeinschaft, bei der das bedingt funktionieren kann.

Lauterbach aber schreibt diesen ungeimpften Menschen nicht nur das Attribut „unvorsichtig“ zu. Er grenzt sie ganz bewusst als „die Bösen“ aus. Damit schürt er eine Stimmung, die sehr leicht außer Kontrolle geraten kann. Lauterbachs Tweet und Frühaufs Kommentar im Fernsehen zeigen eindrücklich, wie salonfähig das Instrumentarium der extremen Rechten mittlerweile geworden ist.

Mit solchen Beispielen entfernen wir uns jeden Tag einen Schritt weiter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Menschen sind teilweise schon entzweit. Freundschaften zerbrechen an der Impffrage, Politiker hetzen offen gegen Andersdenkende, ein Heer von Querdenkern bedroht die sächsische Gesundheitsministerin vor ihrem Haus. Nicht nur im Kampf gegen die Pandemie ist es 5 vor 12. Auch die Demokratie ist in höchster Gefahr.


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Im Namen des Volkes

Lesezeit: 5 Minuten

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte ist schuldig der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, gemäß dem Paragraphen 89a, Absatz 1, Absatz 2 und Absatz 2a. Er wird daher zu einer Freiheitsstrafe von einem 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt. Er trägt die Kosten des Verfahrens.

Sie haben ganz richtig gehört: keine Bewährung. Das Gericht ist nämlich nicht der Ansicht, dass die Gründe für eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung gegeben sind, aber dazu später mehr. Nun erst einmal zu den Gründen, weswegen wir Sie schuldig gesprochen haben.

Die meisten Bürgerinnen und Bürger werden den Straftatbestand, weswegen Sie verurteilt wurden, überhaupt nicht kennen. Und das ist auch gut so. Immerhin sprechen deutsche Gerichte selten ein solches Urteil. In Ihrem Fall ist das aber leider dringend notwendig.

Ich bin mir auch sicher, dass die meisten Menschen wenig mit diesem Straftatbestand anzufangen wissen: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Was soll das sein? Die meisten werden jetzt einen schwerbewaffneten Terroristen vor Augen haben, der sich irgendwo hinstellt und eine Explosion herbeiführt. Natürlich ist das auch eine schwere Gewalttat, aber sie ist selten staatsgefährdend – zumindest ist sie nicht dazu geeignet, wenn es bei einem einzelnen Täter bleibt.

Was Sie getan haben, eignet sich allerdings viel zu gut dazu, die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik zu untergraben oder sogar außer Kraft zu setzen. Denn durch Ihr Verhalten provozieren Sie ja geradezu einen zweiten Lockdown und eventuell sogar Ausgangssperren. Das mag dann zwar durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt sein, aber die Notwendigkeit für diese Maßnahme, die haben Sie erzeugt. Allerdings nicht alleine, denn Sie haben ja, wissentlich oder unwissentlich, eine ganze Reihe an Mittätern. Und mit diesen Mitstreitern zwingen Sie den Staat förmlich dazu, die Bewegungsfreiheit seiner Bürger massiv einzuschränken. Mit freier persönlicher Entfaltung wie sie im Grundgesetz verbrieft ist, hat das dann nur noch bedingt zu tun.

Jetzt muss für eine Verurteilung noch ein weiterer Aspekt erfüllt sein: Die Straftat muss sich gegen das Leben anderer richten – und zwar gemäß den Paragraphen 211 oder 212 im Strafgesetzbuch. Das heißt konkret: Mord und Totschlag. Letzteres sehen wir hier nicht, aber ein Mordmerkmal ist hier allemal erfüllt. Tausende Menschen sind bereits am Coronavirus gestorben und das maßgeblich auch, weil Menschen wie Sie zu bequem waren, die Maske richtig aufzusetzen. Das kann man einerseits als Mord durch Unterlassen bewerten, aber eben auch als Bequemlichkeit. Und was, wenn nicht Bequemlichkeit, ist denn bitteschön ein niederer Beweggrund? Außerdem ist das Virus auf jeden Fall ein gemeingefährliches Mittel, mit dem die Tat begangen wird.

Da wären wir auch schon beim nächsten Thema: dem Virus. Wissen Sie, was das Problem ist? Das Virus lebt nicht, im Prinzip ist es ein Gegenstand. Als solches kann es problemlos als Waffe verwendet werden. Und dass es ein gesundheitsgefährdender Stoff ist, ich denke, darüber besteht Einvernehmen im Saal.

Sie waren in den letzten Wochen im Urlaub; auf Mallorca um genau zu sein. Solche Reisen sind glücklicherweise nicht verboten, aber was Sie dort gemacht haben, das schlägt dem Fass den Boden aus. Hemmungslos waren Sie viermal innerhalb einer Woche „hart Party machen“, wie Sie es nennen. Soll ich Ihnen verraten, was die deutsche Justiz dazu sagt? Beschaffung und Verwahrung der Waffe zur letztendlichen Tatbegehung. Selbstverständlich sind Sie daher auch nach Absatz 2a zu verurteilen, immerhin sind Sie trotz der aktuellen Gefahrenlage auf die Balearen gereist und haben dort trotz aller Widrigkeiten zügellos gefeiert. Es war Ihnen in diesem Moment mindestens egal, ob andere dabei zu Schaden kommen. Auch dafür kennt die Rechtsprechung einen Begriff: Eventualvorsatz.

Einen minderschweren Fall, wie er ja im Gesetz angedeutet wird, sieht die Kammer hier nicht, das ergibt sich aus der kopflosen Feierei, die Sie da drüben getrieben haben. Statt sich nach Ihrer Rückkehr in freiwillige Quarantäne zu begeben oder zumindest die Alltagsmaske richtig zu tragen, setzen Sie sich in den vollgestopften Bus und husten erst einmal, was das Zeug hält.

Dieses Urteil ist vielleicht auch gar nicht das letzte, was Sie von der Justiz zu hören bekommen. Denn der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich die Möglichkeit vorbehalten, gegen Täter wie Sie Führungsaufsicht anzuordnen. Das heißt im günstigsten Fall regelmäßige Termine beim Bewährungshelfer und im schlimmsten Fall eine elektronische Fußfessel. Darüber hat aber im Falle des Falles ein anderes Gericht zu entscheiden. Sie sollen aber wenigsten schon mal davon gehört haben.

Und nun kommen wir noch einmal auf unsere Entscheidung zu sprechen, die Strafe nicht zur Bewährung auszusetzen. Wir glauben, dass von ihnen weiterhin eine hohe Gefahr ausgeht, weitere ähnliche Straftaten zu verüben. Durch ihre konsequente Weigerung während dieser Verhandlung, die Maske über die Nase zu ziehen haben Sie das erneut unter Beweis gestellt. Auch wenn Sie nicht vorbestraft sind, ist das keine Garantie dafür, dass Sie Bewährung erhalten. Eine Milderung der Strafe nach Absatz 6 des Gesetzes kommt ebenfalls nicht in Betracht, immerhin haben Sie durch Ihr anhaltendes Falschtragen nicht dazu beigetragen, die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Gegen dieses Urteil kann noch innerhalb einer Woche ab heute Revision eingelegt werden. Die Verhandlung ist geschlossen.


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Unreif, uneinig und gefährlich

Lesedauer: 10 Minuten

Tritt ein Mitglied der AfD an das Redepult im Parlament, so ist Inhalt selten zu erwarten. Die Rechtspopulisten gebrauchen die Öffentlichkeit der politischen Debatte viel lieber dazu, um Stunk zu machen und sich zu inszenieren. Ihre Parlamentsmandate waren ihr Eintrittsticket zur politischen Manege, wo sie keine Gelegenheit auslassen, den parlamentarischen Betrieb zu blockieren oder lächerlich zu machen. Die Partei von rechts-außen hat es inzwischen leider geschafft, tief in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs vorzudringen. Ihr ist es gelungen, Sprache umzudeuten und durch geschickte Stimmungsmache darüber hinwegzutäuschen, dass sie in Wahrheit nie aufgehört hat, eine politische Bewegung zu sein.

Extrawurst von rechts

Die Corona-Krise stellt uns gleich vor mehrere große Herausforderungen. Natürlich ist da zu allererst die medizinische Versorgung der Erkrankten und die Prävention vor Ansteckungen. Immer lauter wird aber auch die Frage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen. Die strengen Maßnahmen, die bis vor wenigen Wochen galten, stellen viele Betriebe vor schier unlösbare Probleme. Viele bewegen sich am Rande des Existenzverlusts und nehmen die staatlichen Hilfen nur zu gern in Anspruch. Eine heftige Rezession wird das allerdings kaum abwenden dürfen, zu lange blieb schlicht die Nachfrage aus.

Völlig zurecht debattierte der Bundestag daher bereits Ende Mai über die Frage, wie die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie am besten abgefedert werden könnten. Die Zahl der Neuinfektionen war zu diesem Zeitpunkt bereits leicht rückläufig; der wirtschaftliche Aspekt gewann an Relevanz. Die vorgestellten Lösungsansätze waren dabei wahrscheinlich so vielfältig, wie es sich für ein Sechs-Fraktionen – Parlament gehört. Leider schoss dabei eine Fraktion wieder einmal quer. Man braucht keine Glaskugel, um zu ahnen, welche das war.

Der AfD-Abgeordnete redete zunächst starke fünf Minuten über das Thema, wirklichen Inhalt lieferte er wenig überraschend trotzdem nicht. Dann allerdings machte er in seinem letzten Satz eine Bemerkung, die durchaus als Highlight seiner viel zu drögen Rede bezeichnet werden kann. Er meinte, dass Deutschland viel mehr direkte Demokratie bräuchte.

Reden wir über Parteifinanzierung

Beinahe ist man verleitet, ihm einerseits recht zu geben und zu argumentieren, dass alle vier Jahre Kreuzchen-Machen eben nicht ausreicht. Andererseits könnte man ihm entgegnen, dass es in unserem Land ausreichend Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger gibt. Wesentlich nervenschonender ist es allerdings, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass der gute Mann mit seinem letzten Wort zwar die Aufmerksamkeit zurückgewann, aber leider zielgenau das Thema verfehlte. Das Thema der Debatte waren die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und nicht die Notwendigkeit irgendwelcher plebiszitären Experimente. Es ist entlarvend, dass der AfD-Mann gerade dann Inhalt lieferte, als er so konsequent das Thema ignorierte.

Mit dieser Taktik steht er nicht alleine da in seiner Fraktion. Dass öffentliche Wortbeiträge im Plenum regelmäßig von der AfD dazu missbraucht werden, um den Zuhörern Themen unterzujubeln, die gerade gar nicht zur Debatte stehen, verwundert zwischenzeitlich keinen mehr. „Flüchtlinge raus“ und Forderungen nach dem Rücktritt der Bundeskanzlerin sind von der AfD selbst dann zu hören, wenn das eigentliche Thema meilenweit davon entfernt ist. Oder wer könnte den legendären Auftritt von Alice Weidel im Jahr 2018 vergessen, als ihr in der Debatte um den Bundeshaushalt nichts besseres einfiel, als die politische Planlosigkeit ihrer Partei mit dem Thema Spendenskandale zu übertünchen?

Doch politischer Analphabetismus und Inhaltslosigkeit ist nicht das einzige, wovon diese Reden zeugen. Noch viel deutlicher ist daraus eine tiefe Abneigung gegen den Parlamentarismus zu lesen. Enrico Komning von der AfD mag mehr direkte Demokratie gefordert haben, gemeint hat er allerdings weniger parlamentarische Demokratie. Der Rechtsaußen-Partei sind die Spielregeln des Parlaments wurschd. Sie sind davon überzeugt, dass ihr Bundestagsmandat gleichbedeutend damit ist, dass sie über die Tagesordnung bestimmen dürfen, wie sie wollen.

Diese Verachtung des parlamentarischen Systems macht die AfD quasi jeden Tag in den Ausschüssen deutlich. Im Plenum erreicht sie wenigstens ausreichend Klickzahlen und Likes für ihre abstrusen Thesen. Was im Ausschuss vor sich geht, interessiert doch sowieso keinen, schon gar nicht die Rechtspopulisten. Viel mehr Aufmerksamkeit bringt es doch, wenn man den parlamentarischen Betrieb bei jeder Gelegenheit so richtig aufmischt. Die Debatten im Bundestag wurden seit Einzug der AfD spürbar hitziger. Es kann auch vorkommen, dass die Partei komplett aus dem Parlament auszieht, wenn ihr was nicht passt. Das Plenum ist die Bühne der AfD, nur dort fühlt sie sich wohl. Und nur dort lässt sie sich zu teils widerlichen Aktionen hinreißen wie beispielsweise der inszenierten Schweigeminute 2018.

Weniger ist mehr

Doch nicht nur die Tagesordnung des Bundestags wird von der AfD nach Belieben erweitert oder geändert. Auch die Bedeutung mancher Begrifflichkeit hat sich verändert, seit Rechtsaußen sein düsteres Comeback feiert. Nie seit Pegida Montag um Montag auf die Straße ging, wurden Begriffe wie Meinungsfreiheit, Demokratie und Rechtsstaat so oft verwendet, wie es seitdem der Fall ist. Immer wieder wurden diese Begriffe bemüht. Angeblich wollen die sogenannten Wutbürger diesen Themen wieder neuen Glanz verleihen. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten: Seitdem diese Begriffe so häufig und so sorglos in jede beliebige Debatte eingeworfen werden, haben die Ideen dahinter erheblichen Schaden genommen.

Denn mit der Sprache ist es wie mit dem Geld: Bei Inflation verliert beides an Wert. Die AfD redet oft und gerne von Sozialismus und Planwirtschaft. Da reicht es schon aus, wenn die FDP den Grünen in einem einzigen Punkt entgegenkommt. Mit echtem staatsverordnetem Sozialismus wie es ihn noch zu DDR-Zeiten gab, hat das rein gar nichts zu tun. Letztendlich ist dieser inflationäre Gebrauch einzelner Begriffe ein probates Mittel, um diesen Worten entweder den Schrecken zu nehmen oder das positive, was dahintersteckt. Danach kann die Bedeutung des Worts nach Belieben uminterpretiert werden. Manchmal machen es die anderen Parteien der AfD aber auch viel zu leicht. Auch Begriffe wie Nazi oder Faschismus wurden nach meinem Empfinden in den letzten Jahren viel zu häufig und viel zu unreflektiert verwendet.

Eindimensional und reaktionär

Diese Umwertung von Sprache ist der AfD in manchen Fällen fast vollständig gelungen. Erklärte Gegner der AfD sind aus Sicht der Rechten fast automatisch Grüne und damit Gutbürger. Wie es der AfD gelungen ist, das Wort „gut“ binnen kürzester Zeit zum Wort „schlecht“ umzudeuten, wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Aber es ist wie es ist: Gutbürger sind genau so wenig schlecht wie selbsternannte besorgte Bürger sich tatsächlich Sorgen machen. Diese Menschen machen sich keine Sorgen, sie haben Angst. Und diese Angst nutzt die AfD, um mehr und mehr von ihnen auf ihre Seite zu ziehen.

Aber im Grunde passt das zu einer Partei, die es mit fehlender politischer Kompetenz und einem Faible für Monothematik ins Bundesparlament geschafft hat. Seit Jahren hangelt sich die AfD von Thema zu Thema, welches sie, eines nach dem anderen, abarbeitet und ihm seinen Stempel aufdrückt. Mit mehreren Themen gleichzeitig wäre diese rein reaktionäre Partei auch heillos überfordert. Denn die AfD ist eine Partei, die vom Impuls lebt. Immer wieder muss sie neue Impulse geben, um im Gespräch zu bleiben. Sie dehnt die Grenzen aus, zum Beispiel die des sagbaren, und hält sich so über Wasser.

Wahnsinn mit Partei

Doch die Halbwertszeit von reaktionären Parteien und Bewegungen ist in der Regel ziemlich gering. Auch die AfD bekommt das immer wieder vor Augen geführt. Seitdem sie sich im Bundestag als Fraktion formiert hat, sind insgesamt fünf Mitglieder ausgetreten und gehen dem Rest des Parlaments seitdem als Fraktionslose nicht mehr ganz so oft auf die Nerven. Immer wieder betont die Fraktionsspitze, solche Entwicklungen seien in einer solch jungen Partei nicht weiter verwunderlich. Sie verweisen darauf, dass es gerade zu Beginn einer Parteigeschichte immer wieder zu Kurskorrekturen und abtrünnigen käme, das sei völlig normal. Man fragt sich allerdings schon, warum die AfD dann überhaupt zur Bundestagswahl angetreten ist, wenn der Parteiformierungsprozess offensichtlich noch nicht abgeschlossen ist.

Die Antwort darauf ist eigentlich ziemlich simpel. Die AfD hat sich aus der Not heraus zu einer Partei formiert. Einige Monate vor der Bundestagswahl 2013 war sie auf einmal da und mischte bereits diese Wahl auf. Sie scheiterte damals zwar noch knapp an der Fünf-Prozent – Hürde, beachtlich war ihr Wahlergebnis nach so kurzer Zeit aber allemal. Ihren Erfolg verdankte die AfD seitdem vor allen Dingen der Bewegung Pegida. Doch eine Bewegung kann nicht in den Bundestag einziehen. Wie praktisch, dass es da die AfD gab. Es ist sicher keine Übertreibung, wenn man sagt, dass die AfD der verlängerte Arm von Pegida im Bundestag ist.

Und dann?

Als Partei gibt die AfD übrigens ein ziemlich schlechtes Bild ab. Der Riss innerhalb der Partei geht immer tiefer. Lange ist klar, dass sich die wirtschaftsliberalen Kräfte immer weiter von den nationalistischen entfernen. Das ist auch überhaupt kein Wunder, schaut man sich die Forderungen der AfD etwas genauer an. Die meisten von ihnen sind von sehr kurzfristiger Natur. Sie sind auch sehr einfach gehalten, denn „Merkel muss weg“ und „Flüchtlinge raus“ kann nun wirklich ein jeder folgen.

Diese Forderungen sind allerdings viel zu kurzfristig, als dass sie ernsthaft als Haftmittel für die Partei taugen könnten. Hört man sich die Forderungen der AfD an, setzt fast automatisch der Reflex ein: „Und dann?“ Denn genau das ist die große Frage. Was kommt denn, wenn Merkel weg ist? Was soll sich an den sozialen Missständen im Land denn ändern, wenn alle Asylbewerber abgeschoben sind? Bisher hat die AfD darauf noch keine Antwort gefunden. Sie ist eine Partei, der es vor allem an politischer Reife mangelt. Leider aber nicht an Wählergunst…


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