Die Quersteller

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Sachsen bekommt keine stabile Regierung. Nach einem wochenlangen Hin und Her sind die Verhandlungsführer ergebnislos auseinandergegangen. Dem Freistaat stehen damit ungewisse Zeiten bevor. Auch in Brandenburg und Thüringen sieht es nicht viel rosiger aus. Während in dem einem Bundesland mit Müh und Not ein Kompromiss zustandekam, eiert man in dem anderen weiter um eine friedensorientierte Präambel herum. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner wird immer wieder gestört durch Einmischungen von außen. Nicht allen Beteiligten scheint klar zu sein, welches Risiko damit einhergeht.

Senkrechtstart

Das BSW schreibt Geschichte: Noch nie ist es einer Partei gelungen, so kurz nach ihrer Gründung die 5-Prozent – Hürde bei einer bundesdeutschen Wahl so deutlich zu übersteigen und dann auch noch dreimal in Folge zweistellig in Landesparlamente einzuziehen. Bei einer so enormen Zustimmung liegt die Regierungsbeteiligung quasi auf der Hand. Doch es stockt im Osten. In Sachsen sind die Verhandlungen über ein Regierungsbündnis mittlerweile sogar vollends gescheitert.

Traut man den Medienberichten und den mehr oder weniger gelungenen Stilblüten vieler Politiker trägt für diesen Umstand einzig und allein eine Frau die Verantwortung: Parteigründerin Sahra Wagenknecht. In der öffentlichen Berichterstattung wird sie als die Strippenzieherin stilisiert, die selbstherrlich über das Schicksal ihrer Partei und das von drei Bundesländern entscheidet.

Die graue Eminenz?

Und es stimmt: Sahra Wagenknecht möchte bei den Entscheidungen über Koalitionen und Regierungsbildungen mitreden. Aber wundert das irgendjemanden wirklich? Immerhin hat sie den Verein nach sich selbst benannt. Es wäre doch wesentlich skurriler, würde sie sich entspannt zurücklehnen und dabei zusehen, wie ein Grundpfeiler ihrer Partei nach dem anderen abgeräumt wird.

Dazu kommt noch ein weiteres Phänomen. Das BSW wächst langsam und nimmt nur sehr behutsam neue Mitglieder auf. Das führt dazu, dass diese Partei über viel weniger entscheidungsfreudiges Personal verfügt wie die anderen Parteien. Selbstverständlich laufen die Fäden noch immer bei Sahra Wagenknecht zusammen.

Noch ganz dicht?

Was viele andere als Einmischungen in interne Verhandlungen interpretieren, ist letztendlich nichts anderes als die Wiederholung von Dingen, die den Wählerinnen und Wählern im Wahlkampf versprochen wurden. Die Debatte erweckt aber eher den Eindruck, Frau Wagenknecht käme mit völlig überraschenden Absurditäten um die Ecke, damit die Regierungsbeteiligung des BSW doch noch verhindert wird.

Mit angeblichen Einmischungen ist Sarah Wagenknecht aber nicht allein. Andere gehen da deutlich rabiater vor. Der BSW-Balken bei den Hochrechnungen war noch nicht einmal ganz oben, da warnte CDU-Chef Friedrich Merz schon vor einer Zusammenarbeit mit der neuen Partei. Das Geschwafel über eine unberechenbare Black Box wich alsbald der Debatte um eine Brandmauer mehr.

Als Friedrich Merz merkte, dass sich seine eigene Partei und das BSW in Sachsen und Thüringen allmählich annäherten, da holte er zum maximalen Gegenschlag aus. Unverhohlen forderte er die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, möglichst binnen 24 Stunden, und damit den faktischen Kriegseintritt Deutschlands. Dass er bei einer derart kriegsbesoffenen Rhetorik der BSW-Chefin Wagenknecht allen Ernstes unerfüllbare Forderungen vorwirft, sät arge Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit dieses Mannes.

Von allen Seiten

Seitdem die AfD den Laden aufmischt, werden Regierungsbildungen immer schwieriger. Angela Merkel (CDU) brauchte bei ihrem letzten Anlauf fast ein halbes Jahr, um eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen. Die Causa Thüringen, wo sich plötzlich fünfprozentige FDP-Menschen im Amt des Ministerpräsidenten wiederfanden, zeigt ebenfalls, welche enorme Macht die AfD mittlerweile besitzt. Dass die Lage gerade in Sachsen und Thüringen so verworren ist, liegt aber nicht allein an Rechtsaußen.

Auch die künftigen Koalitionäre – oder das, was von ihnen übrigblieb – schießen gern mal quer. Es war offensichtlich, dass sich einige CDU-Abgeordnete im sächsischen Landtag mit Klauen und Zähnen gegen eine Zusammenarbeit mit den verhassten „Neokommunisten“ wehrten, wie sie sie gerne bezeichnen. Diese Abneigung führte sogar so weit, dass die Kandidatin der AfD bei der Wahl der Stellvertreter des Landtagspräsidenten im ersten Wahlgang durchkam – der Kandidat des BSW aber nicht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Währenddessen glänzte die SPD bei der Regierungsbildung in Sachsen ebenfalls nicht gerade mit Konstruktivität. Nachdem die Abgeordneten des BSW für einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses stimmten, unterbrach die kleinste Fraktion im Landtag empört die Sondierungen. Wahlversprechen einzuhalten, ist bei der SPD wohl grundsätzlich nicht gerne gesehen.

Auf dem Weg in die Unregierbarkeit

Die einzige Partei, die durchgehend ihren guten Willen zeigte, war das BSW. Man reichte den möglichen Partnern ein ums andere Mal die Hand, machte Kompromisse und ließ sich sogar auf Formulierungen im Sondierungspapier ein, die schneller dahinfließen als das Wachs einer brennenden Kerze. Die prompte Antwort von Mario Voigt (CDU) aus Thüringen: Salbungsvolle Worte auf X,  um die Westbindung und Vasallentreue zur NATO seiner Partei zu bekräftigen.

Mit dem kompletten Abbruch der Sondierungen in Sachsen ging man dort noch einen Schritt weiter. Ein wenig beschleicht einen das Gefühl, die Verantwortlichen in den drei Bundesländern wüssten nicht, welche Tragweite ihr Handeln hat. In Thüringen ist eine Mehrheit jenseits der AfD überhaupt nicht möglich, in Brandenburg und Sachsen führt am BSW ebenfalls kein Weg vorbei. Mit der Entscheidung in Sachsen wurde der Freistaat endgültig unregierbar.

Zerplatzte Träume

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge in Sachsen entwickeln. In der naiven Hoffnung, vielleicht doch noch eine Mehrheit zustandezubekommen, könnten schon bald Neuwahlen ins Haus stehen. Das wäre ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für die AfD, welche die CDU im nächsten Durchlauf mit Sicherheit rechts überholen wird.

In allen drei ostdeutschen Bundesländern war die Wahlbeteiligung im September so hoch wie noch nie. Mit teilweise deutlich mehr als 70 Prozent zeigten die Bürgerinnen und Bürger dort, wie wichtig ihnen Mitbestimmung ist. Sie gingen an die Urne in der Hoffnung, eine politische Kehrtwende zu erreichen und die nächsten fünf Jahre vernünftig regiert zu werden. Zumindest in Sachsen wurde dieser Traum jäh zerstört. Für all diejenigen, die nach Jahren der demokratischen Abstinenz wieder ihr Kreuzchen gemacht haben, dürfte sich das anfühlen wie eine schallende Ohrfeige.


Vielleicht verlangte der Wählerauftrag Unmögliches von den beteiligten Parteien. Oder die ständigen Einmischungen von außen haben eine Einigung verhindert. In jedem Fall stehen insbesondere Sachsen harte politische Zeiten bevor. Manche müssen auf lukrative Ministerposten verzichten. Bei anderen geht es um die schlichte Existenz. Es ist eine demokratische Tragödie.

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Richtungsentscheidung

Lesedauer: 8 Minuten

Am 23. Oktober 2023 hatte die Hängepartie ein Ende: Sahra Wagenknecht und ihr Gefolge gaben die Gründung eines Vereins bekannt, aus dem Anfang kommenden Jahres eine neue Partei entstehen soll. Das enorme Medieninteresse dürfte nur von der Erleichterung der Linken getoppt worden sein. Die Einordnung der entstehenden Kraft war schnell geschehen: Es soll natürlich nach rechts gehen. Dass die Initiative von Menschen ausgeht, die teilweise sogar schon zu links waren, gilt heute wenig. Die nächsten Monate werden zeigen, ob es der neuen Partei gelingt, den politischen Begriff „links“ wieder mit Leben zu füllen.

Kurz bevor die wiederholten Ankündigungen zu nervig wurden, war es dann doch soweit: Die vielbeschworene Wagenknecht-Partei kommt. Trotz monatelanger Dauerpräsenz in den Medien schlug die Bekanntmachung des Vereins BSW – Für Vernunft und Gerechtigkeit e. V. medial hohe Wellen. Der Ansturm von Journalisten in der Bundespressekonferenz am 23. Oktober zeigte einerseits, wie hoch das Interesse an den Plänen von Sahra Wagenknecht und Anhang ist und andererseits, wie bitter nötig eine neue Partei in Deutschland offensichtlich ist.

Entscheidung mit Folgen

Auch wenn der Vereinsname etwas anderes vermuten lässt: Sahra Wagenknecht ist nicht allein. Neben ihr verließen neun weitere Bundestagsabgeordnete die Partei Die Linke. Zwei davon saßen bei der Bundespressekonferenz neben Wagenknecht, weil sie zum Vorstand des neugegründeten Vereins gehören. Der Parteiaustritt blieb nicht ohne Folgen. Es brach eine regelrechte Kampagne gegen die Abtrünnigen los, die sie vehement zur Rückgabe ihrer Mandate auffordert, um Fraktionsstatus und Arbeitsplätze von Fraktionsmitarbeitern zu sichern. Vieles ist in dieser Debatte nachvollziehbar, anderes wiederum an den Haaren herbeigezogen.

Der Verein um Sahra Wagenknecht war kaum eine Woche bekanntgegeben, da ließ sich das sonst seriöse Meinungsforschungsinstitut INSA dazu hinreißen, die noch nicht gegründete Partei in ihre Umfragewerte aufzunehmen. Aus dem Stand schafft es das Bündnis demnach auf 12 Prozent. Besonders die AfD schmiert ab. Es ist offensichtlich, dass für die neue Partei großes Wählerpotenzial vorhanden ist. Trotzdem sollten solche Umfragewerte mit Vorsicht genossen werden. Auf der einen Seite sind sie auch bei etablierten Parteien stets eine Momentaufnahme, auf der anderen Seite wird hier über eine Partei spekuliert, die es noch gar nicht gibt. Der BSW ist die Vorstufe einer Partei, die voraussichtlich im Januar gegründet werden soll. Dann wird man sehen, wie groß die theoretische Zustimmung zur Partei ist.

Was heißt hier Rand?

Das Bündnis wirbt in einem ersten Grundsatzprogramm für wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, persönliche Freiheit und für Frieden und Diplomatie. Obwohl eine politische Einordnung dieser neuen Kraft zunächst auf der Hand liegt, tun sich die Medien gerade damit sichtlich schwer. Sie konstatieren der kommenden Partei eine linke Sozialpolitik, die sich aber auch auf konservative Werte beruft, insbesondere wenn es um Migration geht. Sahra Wagenknecht selbst schürt diese Schwierigkeiten, indem sie das neue Label „linkskonservativ“ in den Raum wirft.

Der Vorwurf der Rechtsoffenheit ließ, wie bei allen Anstrengungen von Sahra Wagenknecht in den letzten Jahren, nicht lange auf sich warten. Dieses Mal wird ihr angekreidet, dass sie mit den eher konservativen Vorstellungen zur Einwanderungspolitik die potentiellen Wähler der AfD ansprechen will. Traut man der schon erwähnten INSA-Umfrage, gelingt ihr das auch ganz offensichtlich. Daraus jetzt aber den Vorwurf zu konstruieren, sie fische für diesen Erfolg am rechten Rand, ist absurd.

Die AfD erzielte in den letzten Monaten Umfragewerte von 20 Prozent oder mehr auf Bundesebene. Ein Fünftel der Befragten konnte sich also vorstellen, der Rechtsaußen-Partei die Stimme zu geben. Bei einer solchen Dimension an Zustimmung ist es hanebüchen, vom rechten Rand zu sprechen. Würde sich eine Partei tatsächlich nur auf einen der beiden politischen Ränder einschießen, würde sie maximal 2 Prozent erreichen. Das ist der Rand.

Mittlerweile haben aber weitaus mehr Menschen das Gefühl, dass außer der AfD keine andere Partei mehr ihre wirklichen Probleme anspricht. Natürlich lädt die AfD diesen Frust mit ihrer rechten Hetze auf, doch ist das keine Sackgasse. Wenn die Menschen das Gefühl haben, eine demokratische Alternative nimmt sich ihrer an und liefert dazu noch plausible Lösungsansätze, dann kehren sie der AfD den Rücken. Genau darauf weist auch die INSA-Umfrage hin.

Für immer rechts?

Doch es wie Perlen vor die Säue zu werfen: Seit ihrer umstrittenen Äußerungen zum Umgang mit straffälligen Asylbewerben 2016 haftet an Sahra Wagenknecht das Label Rechts. Auch das Podium bei der Bundespressekonferenz konnte dem wenig entgegensetzen, dabei waren neben der einstigen Linken-Ikone mindestens zwei weitere Personen platziert, die unumstritten immer auf der linken Seite des politischen Spektrums gekämpft haben.

Mit dem deutlichen Augenmerk auf soziale Gerechtigkeit, eine wohlstandssichernde Wirtschaftspolitik und eine auf Entspannung ausgerichtete Außenpolitik greift der neue Verein Ideen auf, welche sich die traditionelle Linke schon immer auf die Fahnen geschrieben hat. Als identitätsstiftendes Merkmal für die neue politische Kraft stürzen sich aber sogleich alle auf die Positionen zur Migration und geißeln diese als rechts.

Internationale Solidarität 2.0

Es ist richtig, dass der Gedanke der internationalen Solidarität schon immer einer der Grundpfeiler linker Strömungen war. Diese Überlegungen sind jedoch zu einer Zeit entstanden, als der Nationalstaat einen weitaus höheren Status hatte als heute. Die Globalisierung und die weltweite Mobilität spielten damals noch kaum eine Rolle. Das ist heute anders. Die Welt ist enger zusammengewachsen und viele Grenzen sind – zum Glück – überwindbar geworden.

Wer heute von echter internationaler Solidarität spricht, meint etwas anderes als vor 150 Jahren. Der Ruf nach offenen Grenzen ist heute nicht mehr realitätstauglich. Wer sich im Jahre 2023 wirklich international solidarisch zeigen will, dem muss daran gelegen sein, die wirtschaftlichen und militärischen Verwerfungen in den Herkunftsländern der Geflüchteten anzugehen und solche Nationen beim Wiederaufbau zu unterstützen. Mit dem Credo zum Abbau von Einreiseanreizen und der Beseitigung von Fluchtursachen vor Ort erweist sich die von Sahra Wagenknecht geplante Partei demnach als fortschrittlichere Kraft als ihre ärgsten Gegner im linken Spektrum.

Die Mischung macht‘s

Bildung und Aufbau der groß angekündigten Partei sollen überlegt und geordnet erfolgen. Spätestens zu den drei Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern in einem Jahr müssen aber entsprechende Landesverbände gegründet sein. Sahra Wagenknecht selbst hat angekündigt, dass sie Verschwörungstheoretiker und Extremisten von der Partei fernhalten will, um das auf Vernunft basierte Projekt nicht zu gefährden. Das wird vermutlich eine schwierige Aufgabe werden.

Das Podium bei der Bundespressekonferenz am 23. Oktober war jedenfalls ausschließlich mit Akademikern besetzt. Das ist grundsätzlich kein Problem, sollte aber nicht als Blaupause für die entstehende Partei dienen. Es ist elementar wichtig, dass keine Bewegung von oben entsteht, sondern eine authentische politische Kraft, die nicht nur über die Benachteiligten in der Gesellschaft spricht, sondern diese aktiv zu Wort kommen lässt.

Es gibt im Land sicher genügend Gestalten am linken Rand, die nur darauf gewartet haben, dass eine solche Partei entsteht, um dadurch ihre linken Ideologien zu verwirklichen. Auch ideologiegetriebene Politiker sind für eine Partei wichtig, sie dürfen aber nicht die Überhand gewinnen. Bestes Negativbeispiel dafür ist die SPD. Einst eine Partei aus Arbeitern, entwickelte sie sich zunächst zu einer Partei für die Arbeiter und ist heute nichts weiter als ein links angehauchter Verein aus Akademikern, die den Bezug zu den Wählern schon lange verloren haben. Die Wahlergebnisse der letzten Jahre sprechen hier Bände.

Das beste Mittel gegen diese politische Abgehobenheit ist die garantierte Einbindung von Menschen von der Basis. Es reicht nicht aus, nur über Menschen mit geringem Einkommen zu sprechen oder darüber zu diskutieren, wie man dem Pflegepersonal bessere Arbeitsbedingungen verschafft. Ebensolche Persönlichkeiten müssen in einer neuen Partei repräsentiert werden, sonst besteht die Gefahr, dass sie in wenigen Jahren ebenfalls zu den Etablierten zählt und als Teil der Elite wahrgenommen wird. Profitieren würde davon abermals die Rechte.


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Gute Nachricht für alle Zukunftsbegeisterten: Meine Kristallkugel funktioniert wieder. Auf ihrer Suche nach politischen Schlagzeilen in den nächsten Monaten ist sie schnell fündig geworden. Eine besonders vorhergesehene Nachricht muss dabei unbedingt mit der Vorwelt geteilt werden. Denn es ist tatsächlich wahr – die Wagenknecht-Partei kommt. Wer jedoch glaubte, die gute Frau schmeißt den Laden allein, der wird sich wundern. Mal schauen, ob das Ding auch die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl kann…

Artikel auf tagesschau.de vom 2. September 2023:

In Saarbrücken gaben eine Reihe linksgerichteter Politiker und Aktivisten heute bei einer Pressekonferenz die Gründung einer neuen Partei bekannt. Die neue Partei für Soziale Gerechtigkeit (PSG) soll all jenen Menschen eine politische Heimat bieten, die nach Ansicht der Parteigründer in den letzten Jahren „sträflich vernachlässigt wurden“. Dem Podium der Initiatoren gehörten neben den ehemaligen Linkenpolitikern Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Fabio De Masi auch eine Reihe Personen des öffentlichen Lebens und Funktionsträger von Nicht-Regierungs – Organisationen an.

Parteigründung mit Ansage

Schon lange war über die Gründung einer sogenannten Wagenknecht-Partei spekuliert worden. Die umstrittene Politikerin befeuerte diese Gerüchte immer wieder mit vagen und ausweichenden Antworten auf ihre politische Zukunft. Ihr wurde dabei wiederholt eine Nähe zum rechten Spektrum und der AfD unterstellt.

Parteimitgründer und Ehemann von Sahra Wagenknecht Oskar Lafontaine betonte bei der Pressekonferenz hingegen, dass es sich bei der neugegründeten Partei eindeutig um eine linke Partei handele. Dabei unterstrich er, dass sich die Partei insbesondere darauf konzentrieren werde, enttäuschte Wähler anzusprechen, die sich „teilweise schon von der Demokratie abgewandt haben“.

Wagenknecht fügte hinzu: „Es kann einfach nicht sein, dass immer mehr Themen der extremen Rechten überlassen werden. Es kommt einer Obsession gleich, dass alle Bereiche, die von der AfD angesprochen werden, sogleich tabuisiert werden. Unter solchen Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen denken, nur die AfD spreche die Wahrheit aus. Diesem Trend stellen wir uns entschlossen entgegen.“

Keine linke Fraktion mehr im Bundestag

Der Pressekonferenz folgte die Veröffentlichung eines gemeinsamen Gründungsmanifests, in der verschiedene Parteimitglieder der ersten Stunde zu Wort kommen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Heike Hänsel begründet ihren Übertritt folgendermaßen: „Die Parteien des linken Spektrums sind schon viel zu lange viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wenn solche Parteien nicht einmal dazu in der Lage sind, zu sozialen Protesten zu mobilisieren oder eine Friedensdemo zu organisieren, bin ich in solchen Gruppierungen fehl am Platz.“

Folgerichtig trat auch Parteigründerin Sahra Wagenknecht mit dem heutigen Tage aus Partei und Fraktion im Bundestag aus. Dem Parlament wird sie dennoch als fraktionslose Abgeordnete angehören, weil sie „von den Wählerinnen und Wählern einen Auftrag erhalten hat“. Die Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen und Klaus Ernst folgten Wagenknechts Beispiel und verließen ebenso die Fraktion. Anders als Wagenknecht und Dağdelen legte Ernst gleichzeitig sein Mandat nieder. Mit dem Fraktionsaustritt dreier Abgeordneter verliert Die Linke außerdem ihren Status als Fraktion im Bundestag. Die gewählten Abgeordneten bilden fortan eine Abgeordnetengruppe. Die Linke büßt dadurch zentrale Rechte im Parlament ein.

Fairer Mindestlohn und gute Arbeitsbedingungen

Auch wenn die Parteimitgründerin immer wieder betont, es handele sich bei der neuen Partei nicht um ein Projekt „Wagenknecht“, fungiert die 54-jährige Saarländerin gemeinsam mit dem Hamburger Fabio De Masi als provisorische Parteichefin. Beim ersten ordentlichen Parteitag im Dezember soll dann die Parteiführung gewählt werden. Während De Masi seine Kandidatur schon fest zusicherte, bittet Wagenknecht noch um etwas Bedenkzeit.

Im Fokus der jungen Partei steht in den nächsten Monaten die Aufstellung zur EU-Wahl im nächsten Jahr. Sie wolle alles dafür tun, damit wieder eine starke linke Kraft nach Brüssel entsandt wird. Pateigründer Lafontaine fügt hinzu: „Auch auf die Landtagswahlen im Herbst nächsten Jahres bereiten wir uns schon jetzt vor. Wir sehen gute Chancen, viele Menschen von unserem Programm zu überzeugen und überraschend gut abzuschneiden. Für eine Teilnahme bei den Wahlen in Bayern und Hessen haben wir leider die Frist verpasst.“

Gefragt zu den konkreten Zielen der Partei, waren sich die Gastgeber der Pressekonferenz einig: Man wolle für einen fairen Mindestlohn streiten, der nicht mehr von einer „realitäts- und wirtschaftsfernen Kommission“ abhängig sei. Die Partei möchte außerdem das Rentensystem grundlegend überarbeiten. Prekären Arbeitsverhältnissen wie Kettenbefristungen in der Leiharbeit sagten die Parteigründer deutlich den Kampf an. Auch für insgesamt bessere Arbeitsbedingungen und eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte möchte sich die PSG einsetzen.

Parteimitgründerin Sahra Wagenknecht ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: „Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, keine politische Ausrichtung im Parteinamen zu nennen. Trotzdem ist es in unserem Interesse, die politische Linke wieder mit positiven Assoziationen zu belegen. Die Realpolitik der letzten Jahre hat diesen politischen Begriff leider völlig entkernt.“

Gemischtes Echo

Die Resonanz auf die Parteigründung ist durchwachsen und reicht von strikter Ablehnung bis zu großer Zustimmung. Besonders aus den Reihen der Linkspartei sind kritische Töne zu hören. Parteichef Martin Schirdewan äußert Zweifel an der Notwendigkeit einer neuen linken Partei und prognostiziert ihr ein ähnliches Schicksal wie der Sammlungsbewegung „aufstehen“: „Schon mit ihrem Projekt einer Sammlungsbewegung ist Sahra Wagenknecht böse hingefallen. Eine soziale Opposition im Bundestag gibt es bereits und das ist und bleibt Die Linke.“

Auch Vertreter der SPD sind von der Parteigründung nicht begeistert. Der Abgeordnete Michael Schrodi richtet deutliche Worte an die Adresse der Parteigründer: „Sie schwafeln im Parteiuntertitel von „Frieden, Freiheit, Menschenwürde“. In Wahrheit sind das Putinfreunde, die lieber mit Kriegsverbrechern und Faschisten paktieren als mit den Demokraten in diesem Land.“*

Mehrere Polit-Experten und Politikwissenschaftler sind ebenfalls skeptisch bis zurückhaltend, was die Erfolgschancen der neuen Partei anbelangt. Joris Schwalmer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen sieht in der Parteigründung eine Konstellation verursacht, die linke Politik in Deutschland eher behindert als fördert: „Eine harmonische Koexistenz zwischen zwei linken Parteien, die den Anspruch auf die einzig wahre soziale Opposition stellen, wird nicht möglich sein. Letzten Endes werden beide Parteien untergehen und der linken Politik damit einen Bärendienst erweisen.“

Anders sehen es hingegen viele Bürgerinnen und Bürger. In ersten Umfragen könnten sich zwischen 15 und 20 Prozent der Befragten vorstellen, die neue Partei zu wählen. Vor der tatsächlichen Parteigründung waren es noch über 25 Prozent, weswegen solche Angaben mit Vorsicht zu genießen sind. Auffallend ist jedoch, dass viele der Befürworter der PSG aus den Reihen der AfD-Wähler kommen. Schon vor drei Wochen gab jeder zweite befragte AfD-Wähler an, im Zweifelsfall auch eine von Sahra Wagenknecht gegründete Partei zu wählen.

Aus der AfD gab es zunächst keine offizielle Stellungnahme zur Gründung der PSG. Trotzdem haben die Rechtspopulisten eindeutig Konkurrenz bekommen: In einer neuen INSA-Umfrage zum Wahlverhalten bei der Bundestagswahl fiel die AfD von vormals 20 auf nun nur noch 13 Prozent. PSG – Co-Chef De Masi hat dafür eine einfache Erklärung: „Diese Menschen sind keine Rechtsextremen. Wenn man ihnen ein vernünftiges und ehrliches politisches Angebot macht, dann hören sie auch zu.“


*Der Abgeordnete erhielt dafür ein weiteres Ordnungsgeld.

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