Im Rechtsstaat nicht möglich

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Wir leben in Zeiten, in denen die Politik regelmäßig über den Schutz der Demokratie diskutiert. Angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahren sind solche Debatten leider dringend notwendig. Allerdings lauert die Gefahr nicht nur auf der Straße. Die Feinde der Demokratie tragen heute nicht nur Springerstiefel oder marschieren in Schals vermummt bei Wirtschaftsgipfeln auf. Immer öfter schüren auch die Abgeordneten selbst eine Stimmung, die Gift ist für Rechtsstaat und Demokratie. Die angedrohte Impfpflicht ist dabei nur die jüngste Eskalationsstufe.

Kein leichter Start

Demokratien entstehen oft aus Notsituationen heraus. Die deutsche Geschichte liefert dafür gleich mehrere Beispiele. Nach zwei Weltkriegen war man sich sicher, dass die bisherigen Regierungsformen unweigerlich ins Unglück führten. Eine bessere und gerechtere Regierung musste her. Nach den schlechten Erfahrungen mit der ersten deutschen Demokratie schärften die Gründungsmütter und -väter die Leitplanken des neuen Deutschlands spürbar nach: Nie wieder sollte sich die Katastrophe des Dritten Reichs wiederholen.

Demokratien werden aber auch häufig blutig errungen. Obwohl das Jahr 1989 mit der friedlichen Revolution in der DDR assoziiert wird, gingen dem Mauerfall zahllose Gewalttaten voraus, die die angeblich demokratische ostdeutsche Republik als Unrechtsstaat entlarvten. Andernorts kämpften die Revolutionäre noch heftiger für eine demokratische Ordnung. In vielen afrikanischen Staaten ging der Demokratie ein brutales Blutvergießen voraus. Mit Waffengewalt machen die Taliban derzeit die wenigen zaghaften Schritte in Richtung Demokratie mit unerbittlicher Grausamkeit nieder.

Schutzlos ausgeliefert

Wir können in Deutschland also froh sein, in einer stabilen Demokratie zu leben. Es ist allerdings der größte Verrat an der Demokratie, sich auf den Errungenschaften auszuruhen. Demokratien leben von aktiven Demokraten und nicht von der Erkenntnis, dass es anderswo schlechter läuft. Und obwohl die meisten Demokratien aus aussichtlosen Krisen entstanden, bedeuten ähnliche Krisen oft das Ende der Demokratie.

Zweifellos ist die Covid-19 – Pandemie eine solche Krise. Die meisten Menschen verlieren den Glauben an die Demokratie, wenn sie sich zu lange in einem solchen Staat ungerecht behandelt fühlen. Sie wählen dann entweder extrem oder überhaupt nicht mehr. Die wachsende soziale Ungleichheit ist einer der Hauptgründe, weswegen die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten eher rückläufig ist.

Haben die Menschen dann zusätzlich das Gefühl, die Verfassung schütze sie nicht ausreichend vor einem übergriffigen Staat, kann das gefährliche Folgen haben. Eine Radikalisierung eines Teiles der Bevölkerung scheint dann unabwendbar. Die Erfahrung eines übergriffigen Staats macht derzeit eine penetrant überrepräsentierte Minderheit in unserem Land: die Ungeimpften.

Hate Speech live

Über fehlende Sichtbarkeit können sich diese Menschen tatsächlich nicht beschweren. Aus keiner Berichterstattung zur Pandemie sind sie inzwischen wegzudenken. Bei den neuesten Beschlüssen der Bund-Länder – Runde spielten sie erneut die Hauptrolle. Diese Omnipräsenz nutzen Politik und Medien immer stärker dazu, eine toxische Stimmung gegen diese Menschen zu schüren. Sie allein sollen schuld daran sein, dass die Pandemie noch nicht ausgerottet wurde. Sie allein tragen die Verantwortung für die hoffnungslos überlasteten Intensivstationen. Es ist ihr Verdienst, dass wir es seit kurzem mit einer noch infektiöseren Virusmutation zu tun haben. Wissenschaftliche Fakten, die auch andere Gründe für diese Entwicklungen ins Feld führen, gehen beinahe sang- und klanglos in unwichtigen Nebensätzen unter.

Den bisherigen Gipfel in dieser feindseligen Stimmung gegen Ungeimpfte brachte am 19. November die MDR-Redakteurin Sarah Frühauf in ihrem Kommentar zur aktuellen Lage. Unverblümt schob sie den Ungeimpften erneut die Schuld für die Dramen auf deutschen Intensivstationen in die Schuhe. In unerträglicher Weise verpackte sie ihre Hassbotschaften in einem zynischen Dankeschön an all diejenigen, die sich einer Impfung bislang verweigerten. Die öffentlich-rechtlichen vermarkteten diese Hetze als „Meinung“. In Wirklichkeit handelte es sich bei Frühaufs Beitrag aber um Hate Speech vom feinsten.

Besorgniserregende Entwicklung

Frühaufs Worte zeigen eindrücklich in welch besorgniserregendem Zustand sich unser Rechtsstaat mittlerweile befindet. Ersetzt man den Begriff „Ungeimpfte“ durch „Flüchtlinge“ und tauscht die überfüllten Intensivstationen mit gekürzten Sozialleistungen, erhält man eine Ansprache, die 2015 nicht denkbar gewesen wäre. Eine absolut heterogene Personengruppe wird auf das übelste diffamiert und angefeindet. Sarah Frühauf steht symbolisch für den Niedergang von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland.

Sie ist dabei keine Einzelkämpferin. Immer wieder poppen hässliche Wortfratzen auf wie eine angebliche „Pandemie der Ungeimpften“ oder eine „Tyrannei“ derselbigen. Dass die katastrophale Situation auch damit zusammenhängt, dass seit Beginn der Pandemie rund 6.000 Intensivbetten aus den Krankenhäusern verschwanden und die unzumutbaren Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen unzählige Pflegekräfte vergraulen, davon erzählen diese rhetorischen Hetzer nichts. Stattdessen geißelt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in einem Kommentar auf Twitter alle Ungeimpften pauschal als unvorsichtig. Im Angesicht von 2G – Superspreader-Events ist das der blanke Hohn.

Mit dem Rechtsstaat nicht zu machen

Die Politik wartet währenddessen mit ihrer neuen Wunderwaffe gegen diese Unbelehrbarkeit auf: Die Impfpflicht soll es nun richten. Weite Teile aller demokratischen Parteien sprechen sich inzwischen für die staatlich verordnete Impfung aus. Das wird vermutlich besonders denen nicht schmecken, die sich bewusst und aus unterschiedlichen Gründen gegen eine Impfung entschieden haben. Sie nun faktisch zu einer Impfung zu zwingen und alle Ungeimpften zu kriminalisieren, ist keine demokratiefördernde Maßnahme. Die Betroffenen werden sich nun noch entschlossener von der Politik abwenden.

Sicher kann man über die medizinische Sinnhaftigkeit einer allgemeinen Impfpflicht diskutieren. Führt man eine solche Pflichtimpfung ein, muss man sich aber darüber im klaren sein, dass sie in letzter Konsequenz nicht mit rechtsstaatlichen Methoden durchsetzbar sein wird. Hartgesottene Impfgegner werden sich durch Androhung von Geldstrafen oder Freiheitsentzug nicht zu einer Impfung bewegen lassen. Nach Verbüßung der Strafe sind sie weiterhin ungeimpft und somit ein Risiko. Dem Impffortschritt erweist man durch die Schaffung solcher Impfmärtyrer einen Bärendienst.

Die Impfung kann an solchen Menschen nur durch körperlichen Zwang vollstreckt werden. Sie lediglich vom öffentlichen Leben auszuschließen und ihnen die Arbeitserlaubnis zu entziehen, ändert an ihrem Impfstatus nichts. Wenn der einzige Ausweg aus der Pandemie tatsächlich die Impfung ist und man gewillt ist, den Status der Vollimpfung zu erreichen, müssten solche Maßnahmen letztendlich an den wenigen verbliebenen Impfunwilligen vorgenommen werden.

Kein normaler Regelbruch

Vielen Befürwortern der allgemeinen Impfpflicht dürfte diese Tragweite der Maßnahme nicht bewusst sein. Sie übersehen, dass Gebote immer schwerer umzusetzen sind als Verbote. Wer eine Straftat begeht, hat den Regelbruch begangen, bevor er die Strafe zu spüren bekommt. Eine Impfpflicht ruft die Menschen aber zum aktiven Handeln auf. Menschenrechtskonforme Sanktionen bewirken hier nicht bei allen Verweigerern ein Einlenken.

Daher ist eine Impfpflicht grundsätzlich nur in Teilbereichen rechtsstaatlich umsetzbar. Auch die Impfpflicht im Pflegebereich ist eine medizinisch fragwürdige Entscheidung. Die Konsequenz aber ist klar: Wer nicht geimpft ist, darf in diesem Beruf nicht arbeiten. Aber was wäre die Konsequenz einer allgemeinen Impfpflicht? Wer nicht geimpft ist, darf nicht in diesem Land leben? Solche Absurditäten tragen allenfalls zu einer Radikalisierung auf den Straßen bei, nicht aber zur Eindämmung einer gefährlichen Krankheit. Österreich und die Niederlande sind traurige Beispiel dafür.

Methoden von rechts

Die meisten Politiker reagieren auf diesen offensichtlichen Zusammenhang nicht. Stattdessen verfallen sie in einen Politikstil, der der Demokratie weiter schadet. Unter einem Tweet der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht bekräftigte Karl Lauterbach (SPD) erneut, dass er die Position seiner Parlamentskollegin zur Impfung nicht teilte. In seinem Kommentar bezichtigte er außerdem alle Ungeimpften, generell unvorsichtig zu sein. Er schreibt damit allen Menschen, auf die dieser Impfstatus zutrifft, eine bestimmte Charaktereigenschaft zu. Er setzt sie alle gleich.

Eine solche Pauschalisierung ist natürlich nicht besonders intelligent. Die Ungeimpften eint nichts weiter als ihr Impfstatus. Unter ihnen sind Frauen und Männer, Lesben und Schwule, Linke, Bürgerliche und Rechte, große Menschen und kleine Menschen, manche mögen Zwiebeln, andere verabscheuen sie. Sie nun alle in einen Topf zu werfen, ist brandgefährlich. Diese Menschen sind keine Interessensgemeinschaft, bei der das bedingt funktionieren kann.

Lauterbach aber schreibt diesen ungeimpften Menschen nicht nur das Attribut „unvorsichtig“ zu. Er grenzt sie ganz bewusst als „die Bösen“ aus. Damit schürt er eine Stimmung, die sehr leicht außer Kontrolle geraten kann. Lauterbachs Tweet und Frühaufs Kommentar im Fernsehen zeigen eindrücklich, wie salonfähig das Instrumentarium der extremen Rechten mittlerweile geworden ist.

Mit solchen Beispielen entfernen wir uns jeden Tag einen Schritt weiter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Menschen sind teilweise schon entzweit. Freundschaften zerbrechen an der Impffrage, Politiker hetzen offen gegen Andersdenkende, ein Heer von Querdenkern bedroht die sächsische Gesundheitsministerin vor ihrem Haus. Nicht nur im Kampf gegen die Pandemie ist es 5 vor 12. Auch die Demokratie ist in höchster Gefahr.


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Hauptargument Moral

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Eine Frage der Möglichkeiten

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Der Mensch ist Meister darin, stets das beste aus seiner Situation zu machen. Herausragende Erfindungen und Fortschritte waren so möglich. Dabei findet der Mensch auch immer einen Weg, seine Neigungen und Gelüste auszuleben, zumindest soweit es ihm möglich ist. Neugier, die Lust auf Ungebundenheit und der Drang sich zu beweisen wohnen dem Menschen ganz natürlich inne. Es gibt aber Kanäle, die es kinderleicht machen, diesen Neigungen freien Lauf zu lassen. Viel zu leicht…

Motivation schafft Genies

Seit Jahrtausenden besiedelt der Mensch die Erde. Und er ist zu außergewöhnlichem fähig: er bildete Staaten, bändigte das Feuer, er baute Pyramiden, flog zum Mond und er rottete Krankheiten wie die Pest aus. Mit der richtigen Motivation ist jeder Mensch zu Bestleistungen fähig. Doch so gut wie die menschlichen Errungenschaften auch sind, der Mensch schafft es stets, aus den geschaffenen Möglichkeiten das negativste Potenzial herauszuholen.

„Krieg“ mögen die meisten jetzt denken. Und es stimmt. Ohne den Menschen gäbe es keinen Krieg auf diesem Planeten. Doch so weit muss man gar nicht gehen. Es reicht ein Blick in den Alltag, um zu erkennen, dass manche Muster die Zeiten überdauern.

Altes Problem in neuem Gewand

Man kennt es: Auf einer Autobahn ist ein schwerer Verkehrsunfall passiert. Die Rettungskräfte sind eiligst unterwegs. Beim Bilden der Rettungsgasse stoßen viele an ihr intellektuelles Limit. Feuerwehr und Polizei geraten ins Stocken. Klingt schlimm? Geht aber noch schlimmer.

Kaum ein Bericht über Verkehrsunfälle kommt heute ohne den Verweis auf Gaffer aus, die die Arbeit der Einsatzkräfte zusätzlich erschweren. Anstatt beiseitezutreten und die Profis ihre Arbeit machen zu lassen, denken sie nur an die höchstmögliche Zahl an Klicks, die sie für ihre private Live-Berichterstattung erhalten. In zahlreichen Talkrunden und Fernsehbeiträgen wurde dieses Phänomen aufgegriffen und heiß diskutiert. Das Problem ist also bekannt. Aber nicht neu.

In Sekunden zum Insta-Fame

Zugegeben, neu ist die Ausprägung des Phänomens. Viele werden sagen: „Solche Gaffer hat es früher nicht gegeben.“ Ein bisschen stimmt das auch. Aber woran liegt denn das? Sicher nicht daran, dass der Mensch erst in den letzten Jahren so widerwärtig neugierig und pietätlos geworden ist. Die meisten konnten schlicht und ergreifend nicht so gaffen, wie sie es heute tun.

Man versuche, sich einmal vorzustellen, wie grotesk eine solche Filmerei in den 1980er-Jahren gewirkt hätte. Da stehen sie zuhauf und filmen mit ihren VHS-Kameras jeden Handstreich der Sanitäter. Zu Hause konvertieren sie dann die Aufnahme in ein passendes Dateiformat, um sie per Internet möglichst vielen zugänglich zu machen. Vollkommener Quatsch. Selbst wenn es das Internet deutlich früher gegeben hätte: es wäre viel zu aufwändig gewesen, die Aufnahmen aus den alten Kameras hochzuladen.

Heute ist das natürlich völlig anders. Bereits wenige Sekunden nach Aufnahme können Fotos einem Millionenpublikum präsentiert werden. Das Internet vernetzt schließlich alle. Moderne Technologien wie das Smartphone leisten ihr übriges. Innerhalb weniger Momente kann die menschliche Neugierde sowie der Drang zur Selbstdarstellung befriedigt werden.

Die Macht der Vielen

Mit jedem hochgeladenen Selfie von der Unfallstelle wird der Fotograf gleichzeitig auch zum Herdentreiber. Jedes hochgeladene Bild und jeder veröffentlichte Clip treibt andere dazu, es den glorreichen Entertainern gleichzutun. Dieses Prinzip funktionierte schon immer. Es gibt die Möglichkeit, also wird sie genutzt. Beispiel Silvesterböller: Vollmundig verspricht man, in diesem Jahr weniger zu böllern. Doch was ist das?! Die Knaller gibt’s bei Kaufland im Sonderangebot? Schnell zugreifen, bevor der Nachbar einen besseren Fang macht! Es gibt die Möglichkeit, also wird sie genutzt.

Die Empörung über Silvesterböller steht dabei der Empörung über Gaffer bei Unfällen in nichts nach. Alle bekunden sie, wie abartig und widerwärtig sie das doch finden. Und trotzdem finden sich zahllose solcher Clips im Netz ein. Man kann es ja schließlich machen.

Der Star in dir

Die schier unendliche Reichweite des Internets triggert den Menschen. Jeder strebt ganz natürlich danach, in einem möglichst guten Licht dazustehen und den anderen zu überbieten. Moral und Anstand sind Grenzen, die für andere gelten. Heute kann jeder alles sein. Ob Reporter mit Low-Quality – Bildern vom Unglücksort, ob Politiker mit alternativen Fakten auf facebook oder als das was jeder sein will: Ein Star. Reality-TV á la RTL II macht’s möglich.

Hate Speech in der Kommentarspalte funktioniert übrigens ganz ähnlich wie das sinnfreie Gepose neben einem Autounfall. Viele machen es, also warum nicht auch ich? Es tut doch keinem weh. Und außerdem hat dieser Bastard eine andere Meinung als ich, also schnell mal raushauen, was ich davon halte. Bei der Hate Speech kommt allerdings noch die Anonymität erschwerend hinzu. In Foren mit Fantasienamen ist es schwierig, Autoren für ihre Kommentare haftbar zu machen.

Bei mir geht’s doch nicht

Doch genug von Autounfällen und obskuren Ergüssen im Kommentarfeld. Die Generation „Früher war alles besser“ beklagt nicht nur das grassierende Problem der Gaffer. Ihrer Meinung nach waren die Menschen früher nicht nur anständiger, sondern auch verlässlicher. Und jeder hat es doch schon mal erlebt: Man hat sich mühevoll mit einer anderen Person auf einen Termin geeinigt, um sich nach Monaten der Trennung endlich einmal wiederzusehen. Doch dann funkt die schicksalhafte Nachricht auf WhatsApp dazwischen und macht alle Hoffnungen zunichte: Mit wenigen Buchstaben wurde soeben die komplette Tagesplanung über den Haufen geworfen.

Und warum gab’s so was früher nicht? Ganz einfach, Absagen war früher schwerer. Heute reicht eine belanglose Nachricht über einen Messenger oder ein kleiner Mausklick bei Doodle, um Termine zu stornieren. Das ist nicht nur einfacher, sondern auch unpersönlicher. Früher musste man zumindest zum Telefonhörer greifen, um von dem Malheur mit der Milchflasche zu berichten oder die plötzliche Erkrankung der Hauskatze zu beichten. Die Reaktion über die Leitung erfolgte prompt. Dieser Reaktion kann man sich heute spielend leicht entziehen. Nachricht abgeschickt und schon liegt das Gerät im Eck.

Den meisten wird es aber auch erschreckend einfach gemacht. In einer so eng durchgetakteten Welt wie der heutigen ist ein jeder natürlich froh, wenn die Terminplanung von anderen übernommen wird. Diese externe Terminplanung via Doodle & Co. verkompliziert allerdings eine Sache, die früher wesentlich schneller von der Hand ging. Und wenn doch einmal was dazwischenkommt, dann ist es eben so. So einfach wie heute Absprachen erschüttert werden können, so leicht sollte man doch auch umplanen können. Glauben zumindest viele. Zum Absagen gehört also weiterhin eine gewisse Portion Taktlosigkeit. Doch die Hemmschwelle dazu liegt heute wesentlich niedriger.

Generation „Vielleicht“

„Vielleicht“ avanciert immer mehr zur Universalantwort auf Verabredungen. Vielleicht kann ich, vielleicht aber auch nicht. Schauen wir mal. Der Mensch legt sich eben nicht gerne fest. Früher musste er das. Heute nur noch selten. Bestes Zeugnis für diesen Vielleicht-Lifestyle ist der regelrechte Bestell-Wahnsinn mancher Online-Käufer. Sie bestellen Kleider in verschiedenen Größen, in der Hoffnung, dass eine Anfertigung schon passt. Was nicht passt oder sich doch eher als Fehlgriff erweist, wird kaltschnäuzig zurückgeschickt.

Weil sie es können. Ein Ausflug ins Kaufhaus inklusive mühsamer Anprobe und einer definitiven Entscheidung vor Ort ist eben zeitaufwändig. Vor allem, wenn die gleichen Strapazen für einen Umtausch erneut ins Haus stehen. Was für eine Verrenkung. Muss man allerdings nur einmal klicken, kurz auspacken, die Augen verdrehen und den Kladeradatsch zurückgehen lassen, sieht die Welt schon anders aus. Alles eine Frage der Möglichkeiten.

Eine Frage der Möglichkeiten

Viele glauben, die Gesellschaft hat sich verändert. Sie glauben, bestimmte Zeiten sind daran schuld, dass viele heute so unanständig geworden sind. Sie meinen, es seien die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Menschen mit ihren Smartphones zur Unfallstelle treiben oder zum unberechenbaren Gegenüber machen. Dass die Menschen früher besser waren. Ich muss widersprechen. Denn nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geben die Möglichkeiten vor. Es sind die Möglichkeiten, die gesellschaftliche Rahmenbedingungen befördern.


Ein kleiner Junge liegt am Ufer der Elbe. Er ist tot. Ermordet. Die Spurensicherung und die Polizei sind vor Ort. Die Kommissarin kann es nicht glauben: im Hintergrund drängen sich dutzende Schaulustige gegen die Polizeiabsperrung. Ihre Smartphones ragen empor, sie machen Fotos. Angewidert wendet sich die Kommissarin ab. Sie kann es nicht fassen. Ihre Kollegin beschwichtigt sie: „Die waren immer schon so. Früher gab’s nur keine Smartphones.“ Wie recht die Tatort-Kommissarin hatte.

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