Auf wackeligen Beinen

Nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni waren lange Koalitionsverhandlungen vorprogrammiert. Die Mehrheit aus CDU und SPD war so knapp, dass Rainer Haseloff sein Kabinett um die FDP erweiterte. Der Preis für so viel Kompromissbereitschaft ließ nicht lange auf sich warten: Haseloff gelang es erst im zweiten Wahlgang, sich zum Ministerpräsidenten wiederwählen zu lassen. Der Weg des neuen alten Regierungschefs ist nicht alternativlos: Eine Bündelung der demokratischen Kräfte wäre auch anders denkbar gewesen.

Munteres Zahlenspiel

Seit vergangenem Donnerstag ist es offiziell: Das Land Sachsen-Anhalt hat eine neue Regierung. Ministerpräsident bleibt Rainer Haseloff von der CDU. Er führt das Land fortan mit einer Deutschlandkoalition mit SPD und FDP. Wie bereits in Thüringen vor anderthalb Jahren zeichnete sich bereits am Wahlabend am 6. Juni ab, dass es zu langen Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen kommen würde. Klarer Wahlsieger war zwar Haseloffs CDU, doch gestaltete es sich schwierig, die Bedürfnisse aller Koalitionspartner unter einen Hut zu bringen.

Umso erstaunlicher ist nun, dass es Ministerpräsident Haseloff gelungen ist, sich aus drei unterschiedlichen Lagern zum Regierungschef wählen zu lassen – wenn auch erst beim zweiten Anlauf. Immerhin ist die Regierungsbeteiligung der FDP rein rechnerisch überhaupt nicht vonnöten. Die CDU in Sachsen-Anhalt käme auch allein mit der SPD auf eine absolute Mehrheit. Die beiden Parteien stellen im Magdeburger Landtag derzeit 49 von 97 Sitzen, also genau die Anzahl an Mandaten, die für eine Mehrheitsbildung nötig ist.

Alles für die Mehrheit

Die Liberalen wurden als reiner Stabilitätsfaktor mit ins Boot geholt. Der erste Wahlgang vom Donnerstag zeigte, dass dieser Puffer eine gute Investition für Rainer Haseloff war. Selbst mit dieser breiten Mehrheit gelang es ihm zunächst nicht, auf die absolute Mehrheit zu kommen. Wie wäre der Wahlgang wohl ausgegangen, wenn die FDP nicht gewesen wäre?

Vermutlich hätte Haseloff eine noch herbere Niederlage einstecken müssen. Trotzdem ist es durchaus bedenklich, dass die rechnerische Mehrheit zulasten der Opposition erweitert wird. Rainer Haseloff mag die Landtagswahl zwar haushoch gewonnen haben, trotzdem verteilten sich abweichende Meinungen auf insgesamt fünf Parteien. Es ist nicht demokratisch, diese Vielfalt an Widerspruch durch Mehrheitsbeschaffungsmaßnahmen ungerecht kleinzuhalten.

Weniger Opposition, mehr AfD

Es ist nämlich einerseits keine Selbstverständlichkeit für die FDP, überhaupt in den Landtag eines ostdeutschen Bundeslands gewählt worden zu sein. Seit der Wiedervereinigung hatten es die Liberalen eher schwer, in diese Parlamente einzuziehen. Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler nun dazu zu nutzen, um auf Teufel komm‘ raus in der Regierung zu sitzen – das ist für die FDP schon einmal nach hinten losgegangen.

Diese Schwächung der Opposition hat aber noch einen anderen Effekt. Die Oppositionsführerin AfD hat nach der Fahnenflucht der FDP nun noch mehr Gewicht. Mit einem Konkurrenten weniger in der Opposition wird es ihr noch leichter fallen, sich als einzige wählbare Alternative zu gerieren.

Dokumentierte Treue

Über ihren vermeintlichen Wahlsieg im Juni kann sich die CDU also nach wie vor nicht freuen. Der Abstand zur AfD ist zwar größer als erwartet, doch besonders in der CDU brodelt ein Richtungsstreit, der Haseloff einige Stimmen gekostet hat. Großes Streitthema in der Fraktion ist der Umgang mit der AfD. Haseloffs Brandmauerpolitik gefällt nicht jedem. Dieser Zwist wird einer der Gründe dafür sein, warum Haseloff im ersten Wahlgang insgesamt acht Stimmen abhandengekommen sind.

Um sich keinem falschen Verdacht auszusetzen, sah sich mindestens ein Abgeordneter der CDU beim zweiten Wahlgang dazu genötigt, seinen Stimmzettel mit dem Kreuz für Rainer Haseloff zu fotografieren. Diesen fragwürdigen Treueschwur nutzen die Grünen nun dazu, um gegen die Wahl vorzugehen. In jedem Fall verdeutlicht dieser Vorgang den Riss, der durch die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt geht.

Auf wackeligen Beinen

Die wackelige Mehrheit, auf die sich Rainer Haseloff beruft, ist kein neues Phänomen. Seit Jahren verlieren rechnerische Mehrheiten nach Parlamentswahlen an Bedeutung. Immer wieder mussten gestandene Politiker erleben, wie sie von Gefährten aus den eigenen Reihen zu Fall gebracht wurden. Erinnert sei hier nur an den traurigen Fall von Heide Simonis (SPD). Einer der ihren verweigerte ihr in insgesamt vier Wahlgängen die Unterstützung und führte damit die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein vor.

Auch die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel musste die Erfahrung machen, dass ihre Koalition nicht geschlossen hinter ihr steht. Bei ihrer Wiederwahl zur deutschen Bundeskanzlerin am 14. März 2018 fehlten ihr insgesamt 35 Stimmen. Selbst bei einer Großen Koalition ist diese Differenz bemerkenswert.

Eine Regierung für alle?

Diese unsteten Mehrheiten zeigen, dass es den Parteien zunehmend schwerfällt, die politischen Kräfte in klassischen Mehrheitskoalitionen zu bündeln. Oft wird in diesem Atemzug die AfD genannt, die die politische Ordnung durcheinanderbringt. Man rechtfertigt übergroße Koalitionen wie in Sachsen-Anhalt damit, dass sich die demokratischen Parteien gegen die AfD zusammenschließen müssten.

Die Verteidigung der Demokratie ist durchaus eine wichtige Aufgabe aller demokratischen Parteien. Eine Regierung sollte aber nicht nur den Kampf gegen die Undemokraten in einer Gesellschaft im Blick haben, sondern vor allem die Bedürfnisse der breiten Mehrheit. Bei zu großen Regierungskoalitionen schauen viele Menschen schnell in die Röhre. Unter dem Vorzeichen des Kompromisses ist es der Politik dann nicht mehr möglich, der politische Vielfalt in der Bevölkerung angemessen Rechnung zu tragen.

Angewandte Demokratie

Im übrigen könnten die Parteien der AfD auch ohne künstlich erzeugte Mehrheiten etwas entgegensetzen. Jenseits von Regierungsmehrheiten ist ein Zusammenschluss in Einzelfragen durchaus möglich. Das Stichwort ist hier „Toleranz“. Diese Toleranz kann sogar so weit gehen, dass die Parteien eine Regierung akzeptieren, die auf keine parlamentarische Mehrheit kommt. In Sachsen-Anhalt könnte davon besonders die FDP profitieren, die weiterhin keine Abstriche aus Rücksicht auf eine Koalition nehmen müsste.

Solche Minderheitsregierungen würden dem Wunsch vieler Menschen im Volk entsprechen. Die Parteien müssten wieder echte Überzeugungsarbeit leisten. Es würde wieder eine lebendige Diskussion stattfinden. Die Hetzer von rechts hätten es schwerer, vom politischen Einheitsbrei zu faseln. In Zeiten, in denen es immer schwerer wird, stabile Mehrheiten zu bilden, wäre eine solche Lösung ein wahrer Gewinn für die Demokratie. Dieser Weg wäre ausdrücklich kein Einknicken vor der AfD. Viel eher würde man den Wunsch in der Bevölkerung nach Unterscheidbarkeit der Parteien ernstnehmen. Im Kampf für die Demokratie helfen keine Machtdemonstrationen. Es braucht Demokratiedemonstrationen.

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Neue Wege statt roter Socken

Lesedauer: 8 Minuten

Die fragwürdige Ansprache von Angela Merkel bei ihrer wohl letzten Rede als Bundeskanzlerin löste ein kleines Medienbeben aus. Viele Berichterstattungen überschlugen sich nahezu bei ihrer Kritik an der Noch-Regierungschefin. Dabei waren die Äußerungen Merkels wirklich keine Überraschung. Ein Regierungsbündnis mit den Linken scheint ohnehin nicht die wahrscheinlichste Option. Was sich allerdings abzeichnet, sind schwierige Koalitionsverhandlungen. Olaf Scholz und seine SPD könnten aus der Lage aber auch gestärkt hervorgehen. Alles, was es dazu braucht, sind Diplomatie und eine deftige Prise an politischem Wagemut.

Kleine Worte mit großer Wirkung

Vergangene Woche hielt Angela Merkel ihre vermutlich letzte Regierungserklärung als Bundeskanzlerin. Eigentlich sollte es bereits vor zwei Monaten soweit gewesen sein, doch die verschärfte Lage in Afghanistan zwang den Bundestag dazu, vor der Bundestagswahl zu weiteren Sitzungen zusammenzukommen. Die scheidende Bundeskanzlerin nutzte ihre wirklich-wirklich letzte Rede im Bundestag auch dazu, einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Sie wies auf die richtungsweisende Wirkung der anstehenden Bundestagswahl hin. Sie erklärte sinngemäß, dass sich die Wählerinnen und Wähler zwischen einer soliden bürgerlichen Regierung oder einer von den Linken tolerierten Regierung jenseits der Union entscheiden könnten.

Merkels Ausführungen sorgten für laute Zwischenrufe und Empörung. Besonders die linke Seite des Parlaments wollte sich diese Einmischung in den Wahlkampf nicht gefallen lassen. Sie warfen der Kanzlerin vor, die roten Socken aus der untersten Schublade der CDU-Wahlkampftricks herauszukramen. Die rechte Seite des Bundestags teilt diese Einschätzung naturgemäß nicht. Für sie kam es eher überraschend, dass sich Angela Merkel so offen gegen eine linke Regierung sträubte. Immerhin habe die Kanzlerin die CDU in den vergangenen Jahren derart entkernt, dass zwischen ihr und der SPD kaum noch Unterschiede deutlich wären.

Konkret war oft die Rede davon, Angela Merkel hätte ihre Partei sozialdemokratisiert. Das ist natürlich völliger Unsinn. Mit ihrem Fetisch für Große Koalitionen hat sie ihrer Partei zwar das nötige Profil geraubt, für sozialdemokratische Politik zeichnet die Kanzlerin aber wahrlich nicht verantwortlich. Immerhin ist die Anzahl an prekären Arbeitsverhältnissen und befristeten Stellen in ihrer Regierungszeit signifikant gestiegen. Die desaströse Rentenpolitik hat eine Grundrente nötig gemacht – und selbst die wurde erst nach zähem Kampf mit der Union beschlossen.

Ein alter Hut

Der Noch-Kanzlerin Anbiederei bei der politischen Linken zu unterstellen, ist also völlig absurd. Nur weil Angela Merkel nicht alle feuchten Träume von Erzkonservativen aus CSU und AfD erfüllt, macht sie noch lange keine linke Politik. Darum ist es auch so unverständlich, warum gerade SPD und Linke ein so großes Problem mit Merkels Erklärung vom 7. September haben.

Es ist doch wirklich keine Überraschung, dass Angela Merkel keinen Wahlkampf für die SPD macht. Natürlich möchte sie, dass ihre eigene Partei das Zepter in der Hand behält und selbstverständlich weiß sie, dass Regierungskoalitionen ohne die Union nicht mehr undenkbar sind. Und außerdem hat sich Merkel noch nie mit einer nennenswerten Nähe zur Linken hervorgetan. Bereits 1999 schloss sie bei Maybritt Illner eine Zusammenarbeit mit der PDS praktisch für alle Zeiten aus. Auch einige Wochen vor der Bundestagswahl 2005 wehrte sie sich entschieden gegen die Möglichkeit, die Linkspartei könne an der nächsten Regierung beteiligt sein. Merkels Rede mag ein Rückfall in die Ära der roten Socken gewesen sein. Ein politischer Skandal, wie er nun von vielen herbeigeredet wird, waren ihre Worte jedenfalls nicht.

Jenseits von Rot-Grün-Rot

Es ist tatsächlich möglich, dass Die Linke an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. In Umfragen gibt es dazu immer wieder die entsprechenden Mehrheiten. Eine rot-grün-rote Koalition würde aber sicher nicht an den mahnenden Worten der Noch-Kanzlerin scheitern. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich die Akteure in diesem Dreierbündnis in einigen Punkten nicht einig werden und mögliche Sondierungsgespräche ein ähnlich trauriges Schicksal ereilt wie einst die Verhandlungen über Jamaika.

Schon heute zeichnet sich ab, dass eine rechnerische linke Mehrheit im Zweifelsfall nicht genutzt werden würde. Besonders SPD und Grüne haben in den vergangenen Monaten immer anderen Parteien Avancen gemacht. Lange Zeit galt eine schwarz-grüne Koalition als am wahrscheinlichsten. Dann kam Armin Laschet und ließ dieses Szenario wieder in weitere Ferne rücken. Auch die Grünen blinkten lange Zeit fleißig in Richtung CDU. Als jedoch auch deren Umfragewerte mit Annalena Baerbock in den Keller rauschten, war erst mal Schluss mit solchen Träumereien.

Munteres Farbenspiel

Bei Olaf Scholz spukt bis heute der Verdacht, er habe es auf eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP abgesehen. Ob sich Christian Lindners FDP allerdings tatsächlich auf eine Koalition mit gleich zwei traditionell eher linken Parteien einlässt, bleibt abzuwarten. Die Umfragewerte der Liberalen deuten zumindest nicht darauf hin, dass es demnächst zu einem Wechsel an der Parteispitze kommen wird.

Und selbst wenn es zu Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Grünen und Linken käme – scheitern würden solche Verhandlungen zweifellos am ehesten an den außen- und verteidigungspolitischen Vorstellungen. Der große Knackpunkt ist und bleibt die NATO. Den Linken wird nicht ohne weiteres ein Bekenntnis zu diesem Bündnis zu entlocken sein. Mit SPD und Grünen muss sich die Partei außerdem darauf einstellen, früher oder später die Entscheidung treffen zu müssen, ob sie sich entgegen ihrem Grundsatzprogramm für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht.

Ein schwieriger Spagat

Im Angesicht gravierender innenpolitischer Probleme wirken solche Fragen fast nebensächlich – in jedem Falle aber kontraproduktiv. Denn in zentralen sozial- und finanzpolitischen Angelegenheiten sind sich die drei Parteien weitgehend einig. Im wesentlichen stehen sowohl SPD, Linke und auch die Grünen für ein höheres Rentenniveau und eine Rückkehr zu einem funktionierenden Solidarstaat. Sie stehen für bessere Arbeitsbedingungen und ein gerechteres Steuersystem. Solche Punkte betreffen die Menschen im Land stärker als fehlende Treueschwüre gegenüber der NATO.

Deswegen wäre es fatal, wenn eine solche Mehrheit im nächsten Bundestag nicht genutzt werden würde. Mit Union und FDP lassen sich solch bedeutende Veränderungen nämlich nicht herbeiführen. Mit ihnen lassen sich bestenfalls Träumereien von Zwei-Prozent – Zielen realisieren. Warum also nicht beide Mehrheiten nutzen, wenn Rot-Grün-Rot an dieser Frage scheitern würde?

Demokratischer Gewinn

In einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken ließe sich vieles im Land verbessern. Man würde wieder mehr in Bildung, Schulen und Kitas investieren. Der Mindestlohn würde deutlich steigen. Die Ostrenten könnten auf ein angemessenes Niveau angehoben werden. Und vielleicht kann Rot-Grün auch in einem Zweckbündnis mit Union und FDP ihre Vorstellungen von geringeren Wehrausgaben umsetzen.

Viele Parteien könnten von dieser Konstellation profitieren. Die Union hätte ihre wohlverdiente Pause in der Opposition, die FDP könnte sich naturgemäß wichtigmachen. Die Linken könnten ihre herbeigesehnten sozialen Verbesserungen endlich durchsetzen, ohne die eigenen Werte zu verraten. SPD und Grüne könnten sich glücklich schätzen, endlich wieder eine Bundesregierung zu stellen.

In erster Linie würde aber wieder Leben in die Bude kommen. Die Minderheitsregierung setzt voraus, dass man für Mehrheiten wieder kämpfen müsste. Auf diese Weise kann der politische Wettbewerb wieder angekurbelt werden. Der Sturz des SPD-Kanzlers durch ein konstruktives Misstrauensvotum wäre eher unwahrscheinlich, weil Union und FDP dazu mit der Linken zusammenarbeiten müssten. Auch die rot-grüne Minderheitsregierung wäre ein lebendiger Kompromiss. Es wäre aber ein Kompromiss, mit der den meisten Interessen im Volk gedient wäre.

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Die Partei der Sitzenbleiber

Lesedauer: 7 Minuten

Was für viele Filme gilt, gilt auch für die Politik: Eine Fortsetzung macht alles nur noch schlimmer. Ungeachtet dieser banalen Weisheit hat die CDU in Thüringen vor kurzem die angesetzten Neuwahlen im September platzen lassen. Die AfD veranstaltete daraufhin ein Misstrauensvotum; die CDU verweigerte sich ein weiteres Mal ihrer Verantwortung. Die ehemalige Volkspartei möchte sich gerne als die große politische Kraft gerieren, die dem bösen rot-rot-grünen Lager wie der Bedrohung von rechts gleichermaßen strotzt. Die CDU verkennt dabei, dass die Karten längst neu gemischt sind und sie in Thüringen immer bedeutungsloser wird.

Ein unerledigtes Geschäft

Eigentlich war die Sache geritzt: Parallel zur Bundestagwahl im September sollten auch die Wählerinnen und Wähler in Thüringen einen neuen Landtag wählen. Schon der 26. September als Termin für die Landtagswahl war aufgeschoben. Ursprünglich war die Wahl für Anfang des Jahres vorgesehen. Corona machte der Politik einen Strich durch die Rechnung. Auch die Pläne für den Herbst wurden durchkreuzt – dieses Mal von der CDU.

Entgegen der Vereinbarung mit der amtierenden Regierung wollten vier Abgeordnete aus den Reihen der CDU plötzlich nichts mehr von einer Neuwahl wissen. Die im Frühjahr 2020 geschlossene Waffenruhe mit Rot-Rot-Grün sollte ohne demokratische Legitimation auslaufen. Dabei war es der CDU zu verdanken, dass Bodo Ramelows Koalition ohne Parlamentsmehrheit weiterregieren konnte.

Keine Neuwahl mit der CDU

Die CDU hatte sich diesen Schritt seinerzeit nicht leichtgemacht. Auch alle anderen politischen Akteure und nicht zuletzt die thüringische Bevölkerung hatte unter der Aufschiebe- und Verdrängungspraxis der einstigen Volkspartei zu leiden. Immerhin war es maßgeblich der CDU zu verdanken, dass die AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich für einige Stunden zum Ministerpräsidenten erhob. Der massive Widerstand dagegen ließ der CDU schließlich keine andere Wahl: Sie erklärte sich zähneknirschend bereit dazu, eine Regierung unter Bodo Ramelow zu tolerieren.

Die CDU verstieß damit gegen einen ihrer eisernsten Grundsätze: Keine Zusammenarbeit mit den Linken! Die Toleranz von vier Abgeordneten war dann kürzlich auch aufgebraucht: Sie erklärten, dass sie einer vorzeitigen Neuwahl nicht zustimmen würden. Die erforderliche Mehrheit für den Beschluss war in Gefahr. Die Linken wollten sich nicht auf die FDP verlassen und bliesen das ganze kurzerhand ab.

Von dieser parlamentarischen Handlungsunfähigkeit profitierte letztlich nur einer: Bernd Höcke und seine AfD. Sogleich initiierte er ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Ramelow. Als Nachfolger sah er sich selbst vor. Er zwang damit besonders die CDU, endlich Farbe zu bekennen. Hasst sie die Linken mehr oder die AfD?

Weniger als Enthaltung

Das Schmierentheater der AfD war genau so vorhersehbar wie die gecrashte Ministerpräsidentenwahl knapp anderthalb Jahre zuvor. Erneut gelang es den Rechtsextremen, die CDU vor sich herzutreiben. Wieder konnte jeder sehen, in welch desolatem Zustand sich das Erfurter Parlament befand.

Die AfD konnte aus der ganzen Misere nur als Sieger hervorgehen. Ihr Ziel, mindestens eine demokratische Partei zu schwächen, hätte sie in jedem erdenklichen Szenario erreicht. Die CDU hätte gegen Höcke und damit für Ramelow stimmen können. Das hätte an der Ehre dieser Partei gekratzt und viele konservative Wähler möglicherweise zur AfD getrieben. Für Höcke zu votieren, hatte die CDU vorab klipp und klar abgelehnt. Also tat die CDU das für sie logischste: Sie blieb während der Abstimmung sitzen und nahm überhaupt nicht an der Wahl teil. Das ist weniger als eine Enthaltung. Es ist eine Verweigerung. Letzten Endes bestätigten sie damit Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten. Insgeheim bildet sich die Partei ein, damit nicht mit den Linken paktiert zu haben. Irgendwie stimmt das auch – sie haben nämlich auch sehenden Auges der AfD in die Hände gespielt.

Brandmauer nach links

Die Frage, die sich nach dem konstruktiven Misstrauensvotum vom 23. Juli stellt, liegt auf der Hand: Wie wird sich die CDU bei künftigen Abstimmungen verhalten? Im Kosmos dieser Partei hat die Linke keine vernünftigen Konzepte, eine Zusammenarbeit kommt nicht in Frage. Andererseits lobpreist die Partei ihre Brandmauer nach rechts, durch die es bisher stets gelungen ist, die AfD kleinzuhalten.

In den vergangenen Jahren glänze die CDU nicht gerade durch eine bemerkenswerte Nähe zum rot-rot-grünen Lager. Man hat besonders nach den jüngsten Ereignissen und Erklärungen den Eindruck, die Trennlinie nach links ist deutlich breiter als die Abgrenzung nach rechts.

Hat die CDU allen Ernstes vor, weiterhin das bockige Kleinkind zu spielen und bei Abstimmungen demonstrativ sitzenzubleiben? Werden die Abgeordneten nicht einmal mehr die Hand heben, wenn es zu gewöhnlichen parlamentarischen Abstimmungen kommt? Wollen sie die politische Handlungsfähigkeit Thüringens weiter lähmen? Was soll das sein? Die Rache am Wähler, dass er Linke und AfD mehr liebhat als die alte CDU?

Politisch bedeutungslos

Die CDU in Thüringen steht zwischenzeitlich besonders für eines: ein zerstrittenes und nicht mehr handlungsfähiges Parlament. Mit ihrem Boykott der Neuwahlen im Herbst hat die Partei erneut bewiesen, dass es ihr nicht um den Freistaat Thüringen geht. Es geht ihr auch nicht um die Würde des Erfurter Landtags. Es geht der CDU ausschließlich darum rechtzuhaben. Sie will die Wortführerin in einer politischen Landschaft spielen, die der Wähler längst umgebaut hat.

Der Schaden für die Demokratie ist enorm. Während die CDU demokratische Absprachen unterwandert und durch Nichtstun glänzt, zwängt sie der AfD die Rolle des Machers förmlich auf. Es ist ausschließlich auf die Verweigerungshaltung der CDU zurückzuführen, dass die AfD sich mit ihrem Misstrauensvotum profilieren konnte.

Echte Oppositionsarbeit ist von der CDU nicht mehr zu erwarten. Diese Rolle hat sie der AfD überlassen. Die AfD allein gibt nun den kritischen Ton in Thüringen an. Die AfD allein ist nun Opposition im Erfurter Landtag. Die AfD allein ist Gegner von Rot-Rot-Grün. Es ist fatal, all diese Aufgaben allein der AfD zu überlassen. Außer destruktiver Manöver ist von dieser Gruppierung nichts zu erwarten. Die CDU muss dringend wieder damit anfangen, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Viel zu lange hat sie diese Aufgabe in Thüringen schleifen lassen. Denn niemand wählt eine Partei der Sitzenbleiber.


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