Schwarzer Tag für Berlin

Lesedauer: 7 Minuten

Den meisten Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus dürfte es nicht gepasst haben, dass die Wahl von 2021 wiederholt werden musste. Das Wahlergebnis vom 12. Februar dürfte ihren Argwohn noch vergrößert haben: Die FDP fliegt aus dem Parlament, Rot-Grün-Rot ist schwach wie selten und der Regierungsauftrag liegt klar bei der CDU. Ein Grund zum Jubeln ist der Ausgang der Wahl sicher nicht, erst recht nicht, wenn man sich die erschreckend geringe Wahlbeteiligung ansieht. Weniger als zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner haben ihr Recht auf Mitbestimmung wahrgenommen. Das Vertrauen in die Politik ist an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Berlin steuert auf ungewisse Zeiten zu.

The same procedure…

Berlin hat gewählt. Mal wieder. Nachdem es bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus zu beschämenden Pannen kam, musste der komplette Vorgang wiederholt werden. Auch die damals gleichzeitig stattgefundene Bundestagswahl wird zumindest in einigen Wahlbezirken noch einmal stattfinden. Das Ergebnis der Wiederholungswahl vom 12. Februar könnte eindeutiger nicht sein: Die Berlinerinnen und Berliner haben keine Lust mehr auf den rot-grün-roten Senat.

Dramatisch verloren hat bei der Wahl wahrlich keine der drei Parteien. Entscheidend ist, wer gewonnen hat. Mit einem Zugewinn von etwa 10 Prozent hat die CDU den Wahlsonntag klar für sich entschieden. Auch wenn es der noch amtierenden Ersten Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nicht passen dürfte: Der Auftrag eine Regierung zu bilden, ging an die CDU und nicht an ihre Partei.

Immerhin haben die Sozialdemokraten gerade das mieseste Ergebnis zu verkraften, das sie bei einer Berliner Wahl seit der Wiedervereinigung erreicht haben. Mit ihren mickrigen 18 Prozent haben sie so gar nichts erreicht. Sie taugen weder zur Volkspartei noch als Splitteranhängsel einer Koalition aus stärkeren Parteien. Man fragt sich: Ist das Opposition oder kann das weg?

Ruhmreiche Verlierer

Theoretisch ist eine rot-grün-rote Mehrheit gegeben. Nach dem ersten Versuch der Wahl konnten sich die drei Koalitionäre noch damit brüsten, dass es keine Partei im Abgeordnetenhaus gab, die ein deutlich besseres Ergebnis eingefahren hätte als sie selbst. Die große Wählergunst der Grünen legitimierte dann schließlich die Regierung aus SPD, Grünen und Linken.

Knapp anderthalb Jahre später sieht das ganz anders aus. Die CDU ist der zweitplatzierten SPD haushoch überlegen, eine Regierung gegen die Konservativen grenzte an Wählerbetrug. Außerdem würde es in dem Dreierbündnis sicher schnell zu Reibereien kommen, weil sich SPD und Grüne über ihre jeweiligen Rollen und ihren Einfluss nicht so einfach einig werden könnten. Die Sozen haben immerhin gerade einmal 105 Stimmen mehr eingefahren als die Grünen.

Eine Fülle an Möglichkeiten

Das Wahldrama von Berlin ist mit dem 12. Februar lange nicht ausgestanden. Es zeichnet sich eine zähe Regierungsbildung ab, weil alle möglichen Bündnisse unrealistisch erscheinen. Die Wahlsiegerin CDU hätte es besonders schwer, Koalitionspartner für sich zu gewinnen. Theoretisch denkbar wäre eine Zusammenarbeit mit den Grünen. Da diese allerdings gerade aus einer linksgerichteten Regierung kommen, würden sie viele ihrer Wähler vor den Kopf stoßen, wenn sie nun mit der CDU koalierten.

Grundsätzlich möglich wäre auch eine Große Koalition mit der SPD. Dann jedoch würde Bürgermeisterin Giffey das Schröder-Schicksal ereilen: Eine Koalition mit der Union vehement ausschließen und dann über den Mehrheitsbeschluss der eigenen Partei stolpern. Wem wäre damit gedient?

Zum Glück muss die SPD ihre Vorreiterrolle in einer Fortsetzung der jetzigen Regierung nicht an die Grünen abgeben. Der Gesichtsverlust für die noch amtierende Erste Bürgermeisterin wäre unvorstellbar, Reibereien scheinen vorprogrammiert. In letzter Konsequenz mündete diese ungünstige Konstellation in der Ausrufung von Neuwahlen. Es wäre nachvollziehbar, wenn sich die Bürger in diesem Falle verschaukelt fühlten.

Die kleine Mehrheit

Verschaukelt fühlten sich viele offensichtlich schon vor der Wiederholungswahl. Die Wahlbeteiligung liegt mit 63 Prozent beschämend niedrig. Die im nächsten Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien haben aber noch mehr Wählerinnen und Wähler verloren. Denn sowohl die FDP als auch die sonstigen Parteien haben erheblichen Einfluss auf die Mehrheitsbildung im neuen Parlament. Mit rund 14 Prozent der abgegebenen Stimmen erreichen sie in der Summe ein beachtliches Ergebnis – sind aber im Abgeordnetenhaus nicht vertreten. Wer diese Parteien wählte, bleibt die nächsten Jahre ohne politische Vertretung in der Hauptstadt – und das sind ziemlich viele Menschen.

Durch den hohen Anteil an Stimmen, die keine politische Abbildung finden, verschiebt sich das Mehrheitsverhältnis sehr zugunsten der fraktionsfähigen Parteien. Die absolute Mehrheit können sich die unterschiedlichen Bündnisse schon mit etwas mehr als 40 Prozent sichern. Allein dieser Umstand dürfte die Legitimierung einer wie auch immer gearteten Koalition in Zweifel ziehen.

Die Umfragen zu möglichen Zusammenarbeiten fallen umso vernichtender aus. Keine der denkbaren Koalitionen findet starken Rückhalt unter den Wahlberechtigten in Berlin. Eine von der CDU angeführte Regierung ist ebenso unbeliebt wie eine Fortführung der rot-grün-roten Koalition. Es kann dafür nur eine Erklärung geben: Die Wählerinnen und Wähler haben das aus ihrer Sicht kleinste Übel gewählt. Zu keiner der zur Wahl stehenden aussichtsreichen Parteien haben sie Vertrauen. Zu oft wurden sie dafür enttäuscht.

Pleiten, Pech und Pannen

Neuwahlen würden dieses Problem nicht lösen. Es ist sogar zu erwarten, dass die Wahlbeteiligung bei einem dritten Wahlgang noch geringer läge. Das Wahlverhalten am 12. Februar ist vor allem ein Zeugnis von Enttäuschung und Resignation unter den Wählerinnen und Wählern.

Nicht nur die schlechte Regierungs- und Oppositionsarbeit der verschiedenen Parteien rechtfertigt diesen Vertrauensverlust. Die zuständigen Wahlämter waren beim ersten Versuch 2021 nicht dazu in der Lage, eine vernünftige Wahl auf die Beine zu stellen. Jede Panne an diesem Tag – von den fehlenden Stiften über die ausgehenden Wahlzettel bis hin zu den plötzlich hochschnellenden Prognosebalken – war auf Unfähigkeit und Überforderung zurückzuführen. Es ist kein Wunder, dass sich viele Menschen dazu entschieden, diesem Affenzirkus dieses Mal fernzubleiben.

Repräsentatives Regieren

Zurück bleibt ein schwieriges Wahlergebnis. Damit müssen die Parteien jetzt umgehen. Um der Demokratie nicht noch weiteren Schaden zuzufügen, müssen sie schleunigst eine Lösung im Sinne Berlins finden. Dabei spielen gegenseitige Zugeständnisse eine zentrale Rolle. Die Versteifung auf potenzielle Mehrheiten bei dieser Ausgangslage ist kontraproduktiv.

Das diversifizierte Wahlverhalten muss in der nächsten Regierung berücksichtigt werden. Im Raum steht nicht weniger als eine Minderheitsregierung, die dem Abstimmungsergebnis Rechnung trägt. So kommen zumindest viele von denen zum Zug, die am Wahltag ihre Stimme abgaben. Damit würden die Parteien Anreize setzen, beim nächsten Mal wieder zur Wahl zu gehen. Damit würden sie von Verlierern zu Gewinnern werden.

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Neue Wege statt roter Socken

Lesedauer: 8 Minuten

Die fragwürdige Ansprache von Angela Merkel bei ihrer wohl letzten Rede als Bundeskanzlerin löste ein kleines Medienbeben aus. Viele Berichterstattungen überschlugen sich nahezu bei ihrer Kritik an der Noch-Regierungschefin. Dabei waren die Äußerungen Merkels wirklich keine Überraschung. Ein Regierungsbündnis mit den Linken scheint ohnehin nicht die wahrscheinlichste Option. Was sich allerdings abzeichnet, sind schwierige Koalitionsverhandlungen. Olaf Scholz und seine SPD könnten aus der Lage aber auch gestärkt hervorgehen. Alles, was es dazu braucht, sind Diplomatie und eine deftige Prise an politischem Wagemut.

Kleine Worte mit großer Wirkung

Vergangene Woche hielt Angela Merkel ihre vermutlich letzte Regierungserklärung als Bundeskanzlerin. Eigentlich sollte es bereits vor zwei Monaten soweit gewesen sein, doch die verschärfte Lage in Afghanistan zwang den Bundestag dazu, vor der Bundestagswahl zu weiteren Sitzungen zusammenzukommen. Die scheidende Bundeskanzlerin nutzte ihre wirklich-wirklich letzte Rede im Bundestag auch dazu, einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Sie wies auf die richtungsweisende Wirkung der anstehenden Bundestagswahl hin. Sie erklärte sinngemäß, dass sich die Wählerinnen und Wähler zwischen einer soliden bürgerlichen Regierung oder einer von den Linken tolerierten Regierung jenseits der Union entscheiden könnten.

Merkels Ausführungen sorgten für laute Zwischenrufe und Empörung. Besonders die linke Seite des Parlaments wollte sich diese Einmischung in den Wahlkampf nicht gefallen lassen. Sie warfen der Kanzlerin vor, die roten Socken aus der untersten Schublade der CDU-Wahlkampftricks herauszukramen. Die rechte Seite des Bundestags teilt diese Einschätzung naturgemäß nicht. Für sie kam es eher überraschend, dass sich Angela Merkel so offen gegen eine linke Regierung sträubte. Immerhin habe die Kanzlerin die CDU in den vergangenen Jahren derart entkernt, dass zwischen ihr und der SPD kaum noch Unterschiede deutlich wären.

Konkret war oft die Rede davon, Angela Merkel hätte ihre Partei sozialdemokratisiert. Das ist natürlich völliger Unsinn. Mit ihrem Fetisch für Große Koalitionen hat sie ihrer Partei zwar das nötige Profil geraubt, für sozialdemokratische Politik zeichnet die Kanzlerin aber wahrlich nicht verantwortlich. Immerhin ist die Anzahl an prekären Arbeitsverhältnissen und befristeten Stellen in ihrer Regierungszeit signifikant gestiegen. Die desaströse Rentenpolitik hat eine Grundrente nötig gemacht – und selbst die wurde erst nach zähem Kampf mit der Union beschlossen.

Ein alter Hut

Der Noch-Kanzlerin Anbiederei bei der politischen Linken zu unterstellen, ist also völlig absurd. Nur weil Angela Merkel nicht alle feuchten Träume von Erzkonservativen aus CSU und AfD erfüllt, macht sie noch lange keine linke Politik. Darum ist es auch so unverständlich, warum gerade SPD und Linke ein so großes Problem mit Merkels Erklärung vom 7. September haben.

Es ist doch wirklich keine Überraschung, dass Angela Merkel keinen Wahlkampf für die SPD macht. Natürlich möchte sie, dass ihre eigene Partei das Zepter in der Hand behält und selbstverständlich weiß sie, dass Regierungskoalitionen ohne die Union nicht mehr undenkbar sind. Und außerdem hat sich Merkel noch nie mit einer nennenswerten Nähe zur Linken hervorgetan. Bereits 1999 schloss sie bei Maybritt Illner eine Zusammenarbeit mit der PDS praktisch für alle Zeiten aus. Auch einige Wochen vor der Bundestagswahl 2005 wehrte sie sich entschieden gegen die Möglichkeit, die Linkspartei könne an der nächsten Regierung beteiligt sein. Merkels Rede mag ein Rückfall in die Ära der roten Socken gewesen sein. Ein politischer Skandal, wie er nun von vielen herbeigeredet wird, waren ihre Worte jedenfalls nicht.

Jenseits von Rot-Grün-Rot

Es ist tatsächlich möglich, dass Die Linke an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. In Umfragen gibt es dazu immer wieder die entsprechenden Mehrheiten. Eine rot-grün-rote Koalition würde aber sicher nicht an den mahnenden Worten der Noch-Kanzlerin scheitern. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich die Akteure in diesem Dreierbündnis in einigen Punkten nicht einig werden und mögliche Sondierungsgespräche ein ähnlich trauriges Schicksal ereilt wie einst die Verhandlungen über Jamaika.

Schon heute zeichnet sich ab, dass eine rechnerische linke Mehrheit im Zweifelsfall nicht genutzt werden würde. Besonders SPD und Grüne haben in den vergangenen Monaten immer anderen Parteien Avancen gemacht. Lange Zeit galt eine schwarz-grüne Koalition als am wahrscheinlichsten. Dann kam Armin Laschet und ließ dieses Szenario wieder in weitere Ferne rücken. Auch die Grünen blinkten lange Zeit fleißig in Richtung CDU. Als jedoch auch deren Umfragewerte mit Annalena Baerbock in den Keller rauschten, war erst mal Schluss mit solchen Träumereien.

Munteres Farbenspiel

Bei Olaf Scholz spukt bis heute der Verdacht, er habe es auf eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP abgesehen. Ob sich Christian Lindners FDP allerdings tatsächlich auf eine Koalition mit gleich zwei traditionell eher linken Parteien einlässt, bleibt abzuwarten. Die Umfragewerte der Liberalen deuten zumindest nicht darauf hin, dass es demnächst zu einem Wechsel an der Parteispitze kommen wird.

Und selbst wenn es zu Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Grünen und Linken käme – scheitern würden solche Verhandlungen zweifellos am ehesten an den außen- und verteidigungspolitischen Vorstellungen. Der große Knackpunkt ist und bleibt die NATO. Den Linken wird nicht ohne weiteres ein Bekenntnis zu diesem Bündnis zu entlocken sein. Mit SPD und Grünen muss sich die Partei außerdem darauf einstellen, früher oder später die Entscheidung treffen zu müssen, ob sie sich entgegen ihrem Grundsatzprogramm für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht.

Ein schwieriger Spagat

Im Angesicht gravierender innenpolitischer Probleme wirken solche Fragen fast nebensächlich – in jedem Falle aber kontraproduktiv. Denn in zentralen sozial- und finanzpolitischen Angelegenheiten sind sich die drei Parteien weitgehend einig. Im wesentlichen stehen sowohl SPD, Linke und auch die Grünen für ein höheres Rentenniveau und eine Rückkehr zu einem funktionierenden Solidarstaat. Sie stehen für bessere Arbeitsbedingungen und ein gerechteres Steuersystem. Solche Punkte betreffen die Menschen im Land stärker als fehlende Treueschwüre gegenüber der NATO.

Deswegen wäre es fatal, wenn eine solche Mehrheit im nächsten Bundestag nicht genutzt werden würde. Mit Union und FDP lassen sich solch bedeutende Veränderungen nämlich nicht herbeiführen. Mit ihnen lassen sich bestenfalls Träumereien von Zwei-Prozent – Zielen realisieren. Warum also nicht beide Mehrheiten nutzen, wenn Rot-Grün-Rot an dieser Frage scheitern würde?

Demokratischer Gewinn

In einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken ließe sich vieles im Land verbessern. Man würde wieder mehr in Bildung, Schulen und Kitas investieren. Der Mindestlohn würde deutlich steigen. Die Ostrenten könnten auf ein angemessenes Niveau angehoben werden. Und vielleicht kann Rot-Grün auch in einem Zweckbündnis mit Union und FDP ihre Vorstellungen von geringeren Wehrausgaben umsetzen.

Viele Parteien könnten von dieser Konstellation profitieren. Die Union hätte ihre wohlverdiente Pause in der Opposition, die FDP könnte sich naturgemäß wichtigmachen. Die Linken könnten ihre herbeigesehnten sozialen Verbesserungen endlich durchsetzen, ohne die eigenen Werte zu verraten. SPD und Grüne könnten sich glücklich schätzen, endlich wieder eine Bundesregierung zu stellen.

In erster Linie würde aber wieder Leben in die Bude kommen. Die Minderheitsregierung setzt voraus, dass man für Mehrheiten wieder kämpfen müsste. Auf diese Weise kann der politische Wettbewerb wieder angekurbelt werden. Der Sturz des SPD-Kanzlers durch ein konstruktives Misstrauensvotum wäre eher unwahrscheinlich, weil Union und FDP dazu mit der Linken zusammenarbeiten müssten. Auch die rot-grüne Minderheitsregierung wäre ein lebendiger Kompromiss. Es wäre aber ein Kompromiss, mit der den meisten Interessen im Volk gedient wäre.

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