Er ist wieder da

Lesedauer: 6 Minuten

Der Krieg in der Ukraine hat vielen Menschen vor Augen geführt, wie zerbrechlich der Frieden in Europa ist. Erstmals seit den Jugoslawienkriegen kommt es wieder zu kriegerischen Handlungen auf europäischem Festland. Der Konflikt brodelte lange, nun ist er eskaliert. Scheinbar machtlos stehen die europäischen Staaten Putins Aggressionen gegenüber. Der Krieg in Europa – er ist wieder da.

Gefühlte Provokation und echte Aggression

Es herrscht Krieg in Europa. Nicht zum ersten Mal. Was viele lange Zeit für undenkbar hielten, ist nun brutale Realität geworden. Putin hat die Ukraine angegriffen. Stück für Stück versucht er, sich das Land einzuverleiben. Dafür greift er von mehreren Seiten an. Der Einmarsch ist eindeutig völkerrechtswidrig; mehrere hundert Menschen sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Momentan kesselt der russische Machthaber die Hauptstadt Kiew ein. Der Zeitpunkt, um mit legitimen Sicherheitsinteressen Russlands zu argumentieren, ist endgültig vorbei.

Denn nichts kann diesen Angriff rechtfertigen – auch nicht eine gefühlte Bedrohung durch die NATO. Es ist richtig, dass sich die NATO in den vergangenen Jahren immer weiter gen Russland ausgebreitet hat. Wir wissen, dass zu keinem Zeitpunkt die Absicht bestand, Russland zu überfallen. Aus russischer Sicht war das anders. Die Osterweiterung der NATO musste die russische Regierung zwangsläufig als Provokation interpretieren.

Falsche Mittel

Daraus aber eine Rechtfertigung für einen kriegerischen Erstschlag abzuleiten, ist absurd. Es gab Bestrebungen der Ukraine, der NATO beizutreten und damit noch näher an Russland heranzutreten. Um das zu verhindern, besetzt Putin nun das ganze Land. Das ist genau so, als würde ein bulliger angsteinflößender Typ in den Raum kommen. In der Vermutung, er könnte ein Messer bei sich tragen und auf einen losgehen, kommt man ihm zuvor und massakriert ihn, bis er sich nicht mehr rührt. Die späteren polizeilichen Ermittlungen ergäben dann, dass der Mann außer seinem Geldbeutel und einer Clubkarte eines Fitnesscenters nichts weiter bei sich trug.

Auch die Legende, man wolle eine faschistische Machtübernahme in der Ostukraine verhindern, ist eine faule Ausrede. Erstens ist Putin selbst ein Diktator und zweitens ist es vom Völkerrecht in keinster Weise gedeckt, in ein Land einzumarschieren, weil einem anderen Land der Regierungsstil nicht passt. Selbst wenn sich eine Mehrheit in der Ostukraine einen Anschluss an Russland wünscht, ist dieses Ziel mit friedlichen Mittel zu erreichen und nicht durch Putsche und Kriege.

Ein altes Muster

Der Kalte Krieg in Europa ist einem heißen Krieg gewichen. Denn der alte Ost-West – Konflikt schwelte auch nach dem Untergang der Sowjetunion und der Wiedervereinigung Deutschlands weiter. Dieser Gegensatz war in den Köpfen der Menschen verankert und erlebte durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim im Jahr 2014 bestenfalls eine Renaissance. Er wurde Anfang der 1990er-Jahre vorerst auf Eis gelegt. Man war bemüht um einen verträglichen und nachbarschaftlichen Umgang miteinander. Doch spätestens seit den 00er-Jahren taute der alte Zwist wieder auf.

Auffallend dabei ist, dass die gleichen Akteure im Mittelpunkt stehen wie bereits in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wieder spielen die USA, Russland, Europa und die NATO-Staaten die Hauptrolle. Auch die Argumente sind die gleichen geblieben. Russland verbittet sich jedwede Ausbreitung der US-geführten NATO nach Osteuropa. Die NATO hingegen heizt die Lage durch Militärmanöver am Schwarzen Meer weiter auf. Der Krieg in der Ukraine ist der neueste Höhepunkt in einer Spirale aus Unverständnis, Kriegstreiberei und Eskalationen.

Kriegsrelikte

Die Schuld für den Krieg in der Ukraine liegt allein bei Russland. Putin ist dort einmarschiert und Putin ließ die Waffen auf die ukrainischen Soldaten und die Bevölkerung richten. Verantwortlich für den Konflikt sind aber sowohl die russische Seite als auch die NATO. Die Sowjetunion ist Anfang der 1990er-Jahre untergegangen, die NATO aber blieb bestehen. Sie ist ein Relikt aus der Zeit des Kalten Kriegs und war ein Gegengewicht zur übermächtigen Sowjetunion, die mit den USA um die Vormachtstellung in der Welt konkurrierte.

Ihr Fortbestand und ihre weitere Ausdehnung, nachdem der Eiserne Vorgang gefallen war, ist widersinnig. Der Frieden in Europa wäre längerfristig gesichert gewesen, hätte man gleich zu Beginn der 1990er-Jahre ein neues Bündnis unter Einschluss Russlands aufgelegt. Persönlichkeiten wie Putin hätten dann niemals den Auftrieb erfahren, mit dem er nun diesen Krieg führen kann.

Bewährungsprobe

Nichts in Europa wird so sein, wie es war. Der eskalierende Konflikt in der Ukraine hat allen Europäerinnen und Europäern in erschreckender Weise vor Augen geführt, dass der Frieden in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Mit dem Einmarsch in die Ukraine stellt Putin Europa, die EU und die NATO vor eine harte Bewährungsprobe.

Nach den Statuten der NATO ist der Einfall in die Ukraine nämlich kein Bündnisfall. Die Ukraine ist kein Mitglied des Militärbündnisses und kann sich daher nicht auf die Verteidigung durch andere Staaten berufen. Deutschland mag Schutzhelme an die Ukraine geliefert haben – zur aktiven militärischen Verteidigung ist es nicht verpflichtet. Das weiß auch Putin. Mit dem Angriff auf die Ukraine ist er dem drohenden Bündnisfall zuvorgekommen.

Mit einer militärischen Intervention würde die NATO gegen ihre eigenen Grundsätze verstoßen und Putin Stoff liefern für seine Legende, man dürfte dem Westen nicht trauen. Im Zweifelsfall mischte er sich immer ein. Andererseits können sich die europäischen Staaten aus diesem Krieg nicht heraushalten. Putin würde ihnen das sicher als Schwäche auslegen und sich in seinen Allmachtsfantasien bestätigt fühlen. Dann wäre zu befürchten, dass er sich weitere Länder einverleibt, um einen Beitritt dieser Nationen zur NATO zu verhindern.


Der Krieg in der Ukraine ist das Produkt aus Entfremdung, Aufrüstung und gegenseitigen Provokationen. Nichts rechtfertigt diesen Angriff, aber vieles erklärt ihn. Die militärische Aufrüstung hatte für beide Seiten stets Vorrang vor diplomatischen Gesprächen. Viele Chancen sind ungenutzt verstrichen. Einmal mehr steht fest, was William Du Bois bereits im vergangen Jahrhundert sagte: „The cause of war is preparation for war.“ Echte Solidarität mit der Urkaine bedeutet, den aberwitzigen Weg der endlosen Aufrüstung für immer zu verlassen. Waffen verhindern keinen Krieg – sie verursachen ihn.

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Neue Wege statt roter Socken

Lesedauer: 8 Minuten

Die fragwürdige Ansprache von Angela Merkel bei ihrer wohl letzten Rede als Bundeskanzlerin löste ein kleines Medienbeben aus. Viele Berichterstattungen überschlugen sich nahezu bei ihrer Kritik an der Noch-Regierungschefin. Dabei waren die Äußerungen Merkels wirklich keine Überraschung. Ein Regierungsbündnis mit den Linken scheint ohnehin nicht die wahrscheinlichste Option. Was sich allerdings abzeichnet, sind schwierige Koalitionsverhandlungen. Olaf Scholz und seine SPD könnten aus der Lage aber auch gestärkt hervorgehen. Alles, was es dazu braucht, sind Diplomatie und eine deftige Prise an politischem Wagemut.

Kleine Worte mit großer Wirkung

Vergangene Woche hielt Angela Merkel ihre vermutlich letzte Regierungserklärung als Bundeskanzlerin. Eigentlich sollte es bereits vor zwei Monaten soweit gewesen sein, doch die verschärfte Lage in Afghanistan zwang den Bundestag dazu, vor der Bundestagswahl zu weiteren Sitzungen zusammenzukommen. Die scheidende Bundeskanzlerin nutzte ihre wirklich-wirklich letzte Rede im Bundestag auch dazu, einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Sie wies auf die richtungsweisende Wirkung der anstehenden Bundestagswahl hin. Sie erklärte sinngemäß, dass sich die Wählerinnen und Wähler zwischen einer soliden bürgerlichen Regierung oder einer von den Linken tolerierten Regierung jenseits der Union entscheiden könnten.

Merkels Ausführungen sorgten für laute Zwischenrufe und Empörung. Besonders die linke Seite des Parlaments wollte sich diese Einmischung in den Wahlkampf nicht gefallen lassen. Sie warfen der Kanzlerin vor, die roten Socken aus der untersten Schublade der CDU-Wahlkampftricks herauszukramen. Die rechte Seite des Bundestags teilt diese Einschätzung naturgemäß nicht. Für sie kam es eher überraschend, dass sich Angela Merkel so offen gegen eine linke Regierung sträubte. Immerhin habe die Kanzlerin die CDU in den vergangenen Jahren derart entkernt, dass zwischen ihr und der SPD kaum noch Unterschiede deutlich wären.

Konkret war oft die Rede davon, Angela Merkel hätte ihre Partei sozialdemokratisiert. Das ist natürlich völliger Unsinn. Mit ihrem Fetisch für Große Koalitionen hat sie ihrer Partei zwar das nötige Profil geraubt, für sozialdemokratische Politik zeichnet die Kanzlerin aber wahrlich nicht verantwortlich. Immerhin ist die Anzahl an prekären Arbeitsverhältnissen und befristeten Stellen in ihrer Regierungszeit signifikant gestiegen. Die desaströse Rentenpolitik hat eine Grundrente nötig gemacht – und selbst die wurde erst nach zähem Kampf mit der Union beschlossen.

Ein alter Hut

Der Noch-Kanzlerin Anbiederei bei der politischen Linken zu unterstellen, ist also völlig absurd. Nur weil Angela Merkel nicht alle feuchten Träume von Erzkonservativen aus CSU und AfD erfüllt, macht sie noch lange keine linke Politik. Darum ist es auch so unverständlich, warum gerade SPD und Linke ein so großes Problem mit Merkels Erklärung vom 7. September haben.

Es ist doch wirklich keine Überraschung, dass Angela Merkel keinen Wahlkampf für die SPD macht. Natürlich möchte sie, dass ihre eigene Partei das Zepter in der Hand behält und selbstverständlich weiß sie, dass Regierungskoalitionen ohne die Union nicht mehr undenkbar sind. Und außerdem hat sich Merkel noch nie mit einer nennenswerten Nähe zur Linken hervorgetan. Bereits 1999 schloss sie bei Maybritt Illner eine Zusammenarbeit mit der PDS praktisch für alle Zeiten aus. Auch einige Wochen vor der Bundestagswahl 2005 wehrte sie sich entschieden gegen die Möglichkeit, die Linkspartei könne an der nächsten Regierung beteiligt sein. Merkels Rede mag ein Rückfall in die Ära der roten Socken gewesen sein. Ein politischer Skandal, wie er nun von vielen herbeigeredet wird, waren ihre Worte jedenfalls nicht.

Jenseits von Rot-Grün-Rot

Es ist tatsächlich möglich, dass Die Linke an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. In Umfragen gibt es dazu immer wieder die entsprechenden Mehrheiten. Eine rot-grün-rote Koalition würde aber sicher nicht an den mahnenden Worten der Noch-Kanzlerin scheitern. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich die Akteure in diesem Dreierbündnis in einigen Punkten nicht einig werden und mögliche Sondierungsgespräche ein ähnlich trauriges Schicksal ereilt wie einst die Verhandlungen über Jamaika.

Schon heute zeichnet sich ab, dass eine rechnerische linke Mehrheit im Zweifelsfall nicht genutzt werden würde. Besonders SPD und Grüne haben in den vergangenen Monaten immer anderen Parteien Avancen gemacht. Lange Zeit galt eine schwarz-grüne Koalition als am wahrscheinlichsten. Dann kam Armin Laschet und ließ dieses Szenario wieder in weitere Ferne rücken. Auch die Grünen blinkten lange Zeit fleißig in Richtung CDU. Als jedoch auch deren Umfragewerte mit Annalena Baerbock in den Keller rauschten, war erst mal Schluss mit solchen Träumereien.

Munteres Farbenspiel

Bei Olaf Scholz spukt bis heute der Verdacht, er habe es auf eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP abgesehen. Ob sich Christian Lindners FDP allerdings tatsächlich auf eine Koalition mit gleich zwei traditionell eher linken Parteien einlässt, bleibt abzuwarten. Die Umfragewerte der Liberalen deuten zumindest nicht darauf hin, dass es demnächst zu einem Wechsel an der Parteispitze kommen wird.

Und selbst wenn es zu Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Grünen und Linken käme – scheitern würden solche Verhandlungen zweifellos am ehesten an den außen- und verteidigungspolitischen Vorstellungen. Der große Knackpunkt ist und bleibt die NATO. Den Linken wird nicht ohne weiteres ein Bekenntnis zu diesem Bündnis zu entlocken sein. Mit SPD und Grünen muss sich die Partei außerdem darauf einstellen, früher oder später die Entscheidung treffen zu müssen, ob sie sich entgegen ihrem Grundsatzprogramm für Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht.

Ein schwieriger Spagat

Im Angesicht gravierender innenpolitischer Probleme wirken solche Fragen fast nebensächlich – in jedem Falle aber kontraproduktiv. Denn in zentralen sozial- und finanzpolitischen Angelegenheiten sind sich die drei Parteien weitgehend einig. Im wesentlichen stehen sowohl SPD, Linke und auch die Grünen für ein höheres Rentenniveau und eine Rückkehr zu einem funktionierenden Solidarstaat. Sie stehen für bessere Arbeitsbedingungen und ein gerechteres Steuersystem. Solche Punkte betreffen die Menschen im Land stärker als fehlende Treueschwüre gegenüber der NATO.

Deswegen wäre es fatal, wenn eine solche Mehrheit im nächsten Bundestag nicht genutzt werden würde. Mit Union und FDP lassen sich solch bedeutende Veränderungen nämlich nicht herbeiführen. Mit ihnen lassen sich bestenfalls Träumereien von Zwei-Prozent – Zielen realisieren. Warum also nicht beide Mehrheiten nutzen, wenn Rot-Grün-Rot an dieser Frage scheitern würde?

Demokratischer Gewinn

In einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken ließe sich vieles im Land verbessern. Man würde wieder mehr in Bildung, Schulen und Kitas investieren. Der Mindestlohn würde deutlich steigen. Die Ostrenten könnten auf ein angemessenes Niveau angehoben werden. Und vielleicht kann Rot-Grün auch in einem Zweckbündnis mit Union und FDP ihre Vorstellungen von geringeren Wehrausgaben umsetzen.

Viele Parteien könnten von dieser Konstellation profitieren. Die Union hätte ihre wohlverdiente Pause in der Opposition, die FDP könnte sich naturgemäß wichtigmachen. Die Linken könnten ihre herbeigesehnten sozialen Verbesserungen endlich durchsetzen, ohne die eigenen Werte zu verraten. SPD und Grüne könnten sich glücklich schätzen, endlich wieder eine Bundesregierung zu stellen.

In erster Linie würde aber wieder Leben in die Bude kommen. Die Minderheitsregierung setzt voraus, dass man für Mehrheiten wieder kämpfen müsste. Auf diese Weise kann der politische Wettbewerb wieder angekurbelt werden. Der Sturz des SPD-Kanzlers durch ein konstruktives Misstrauensvotum wäre eher unwahrscheinlich, weil Union und FDP dazu mit der Linken zusammenarbeiten müssten. Auch die rot-grüne Minderheitsregierung wäre ein lebendiger Kompromiss. Es wäre aber ein Kompromiss, mit der den meisten Interessen im Volk gedient wäre.

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